Bundespatentgericht:
Urteil vom 5. September 2000
Aktenzeichen: 3 Ni 23/99
(BPatG: Urteil v. 05.09.2000, Az.: 3 Ni 23/99)
Tenor
Das europäische Patent 0 657 131 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000.-- DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. Juli 1994 angemeldeten und unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 657 131 (Streitpatent), für das sie die Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 93 18 660 vom 7. Dezember 1993 in Anspruch genommen hat. Das Streitpatent, das eine "Gastronorm-Schale für Büfetts" betrifft und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 594 01 332 geführt wird, umfaßt 6 Patentansprüche.
Patentanspruch 1 lautet:
"Gastronorm-Schale für Büfetts, die im wesentlichen rechteckig ist, mit anderen ineinander stapelbar ist und aus einem einheitlichen Schalenmaterial besteht, bei der von einem Boden (1) zwei Querwände (4) und zwei Längswände (5) aufragen, die an ausgeprägte Ecken (13) bildenden Eckbereichen (6) ineinander übergehen und einen nach außen wegragenden umlaufenden Griffsims (11) tragen, der in den Eckbereichen ausgeprägte Ecken (12) bildet, bei der die Breite des Griffsimses (11) in den Eckbereichen (6) etwa gleich der Breite in den geraden Bereichen ist, bei der die Querwände (4) und die Längswände (5) behältniserweiternd nach außen gestaltet sind, bei der die Querwände und die Längswände in einem unteren einzusteckenden Bereich leicht geneigt gestaltet sind undbei der von zwei ineinander gestapelten Schalen die obere Schale einen eingesteckten Bereich in einem aufnehmenden Bereich der unteren Schale aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß das einheitliche Schalenmaterial Porzellan ist und die Querwände (4) sowie die Längswände(5) einen nach außen gerichteten umlaufenden Vorsprung (9) bilden, wobei zwischen dem aufnehmenden Bereich der unteren Schale und dem eingesteckten Bereich der oberen Schale ein Spiel vorhanden ist, unddaß der umlaufende Vorsprung (9) im mittleren Drittel der Wandungshöhe oben am leicht geneigt gestalteten einzusteckenden Bereich vorgesehen ist."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents fehle die Patentfähigkeit, weil er weder neu sei noch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Zur Begründung beruft sie sich auf die Druckschriften K 3 DIN 66075, K 4 Verkaufs Preisliste 1988 Nr 4 "Gastronormbehälter", Rieberwerke, K 5 Verkaufs Preisliste Nr 4 "Gastronormbehälter", gültig ab 1.2.1993, Rieberwerke, K 6 Anlagenkonvolut (Rechnungen der Klägerin an Kunden)
K 7 BE-PS 367 850 K 8 GB-PS 1 000 965 K 9 US-PS 5 004 121 und K 10 US-PS 4 210 124, wobei sie die Anlagen K 4 - K 6 zur Stützung einer Vorbenutzungshandlung vor dem Prioritätstag des Streitpatents heranzieht.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 657 131 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält insbesondere die geltend gemachte Vorbenutzung nicht für hinreichend belegt sowie den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im beantragten Umfang (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs1 lit a EPÜ iVm Art 56 EPÜ). Der Gegenstand des allein angegriffenen Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Insoweit konnte die Frage, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch eine Vorbenutzung neuheitsschädlich vorweggenommen worden ist, offen bleiben.
I 1) Das Streitpatent betrifft eine Gastronorm-Schale für Büfetts, die im wesentlichen rechteckig ist, mit anderen ineinander stapelbar ist und aus einem einheitlichen Schalenmaterial besteht. Die Querwände und die Längswände sind behältniserweiternd gestaltet und bilden einen nach außen gerichteten umlaufenden Vorsprung. Nach den Angaben der Streitpatentschrift (Sp 1 Z 15 - 33) ist eine Gastronorm-Schale nach DIN 66075 aus Kunststoff mit einer gleichmäßig leicht geneigten Wandungshöhe bekannt, die die Speisen materialbedingt nur über eine relativ kurze Zeit warmhält. Ein aus der belgischen Offenlegungsschrift 367 850 bekanntes Speisengefäß aus Porzellan weist einen nach außen gerichteten Vorsprung auf. Die vertikale Wandung des Speisegefässes läßt das Einstecken in ein gleiches unteres Speisengefäß nicht zu.
2) Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe des Streitpatents (vgl Sp 1 Z 34 - 37), eine Gastronorm-Schale mit einer vergrößerten Wärmespeicherfähigkeit zu schaffen, die gestapelt werden kann, ohne daß die ineinander gestapelten Schalen klemmen oder beschädigt werden.
3) Dementsprechend beschreibt Patentanspruch 1 eine Gastronorm-Schale für Büfetts mit folgenden Merkmalen:
1. Die Schale ist im wesentlichen rechteckig mit ausgeprägten Ecken und hat einen Boden (1) und je zwei Quer- (4) und Längswände (5);
2. die Quer- und Längswände sind behältniserweiternd nach außen gestaltet und in einem unteren, beim Stapeln mit anderen Schalen in eine untere Schale einzusteckenden Bereich leicht geneigt;
3. die Querwände und die Längswände tragen einen nach außen wegragenden umlaufenden Griffsims (11), der in den Eckbereichen ausgeprägte Ecken bildet und dort etwa die gleiche Breite hat wie in den geraden Bereichen;
4. die Schale besteht einheitlich aus Porzellan;
5. die Quer- und Längswände bilden einen nach außen gerichteten umlaufenden Vorsprung (9);
6. der Vorsprung ist im mittleren Drittel der Wandungshöhe der Schale oben am leicht geneigten einzusteckenden Bereich vorgesehen;
7. zwischen dem aufnehmenden Bereich einer unteren Schale und dem eingesteckten Bereich einer oberen Schale ist ein Spiel vorhanden.
II.
1) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem druckschriftlich belegten Stand der Technik. Daher konnte die Frage, ob dieser Gegenstand durch eine Vorbenutzung neuheitsschädlich vorweggenommen ist, offen bleiben.
2) Als Fachmann ist hier ein mit dem Entwurf und der Herstellung von Porzellanartikeln befaßter Ingenieur anzusehen, der über die Anforderungen an solche Artikel in der Gastronomie unterrichtet ist.
3) Unter Gastronormschalen sind laut Beschreibung des Streitpatents Schalen zu verstehen, die der Norm DIN 66075 (K 3) entsprechen. In dieser Norm sind lediglich 4 Hauptabmessungen von schalenförmigen Einsätzen festgelegt, nämlich Länge, Breite und Tiefe der Schalen und die Breite eines am oberen Rand umlaufenden Simses.
Bei Berücksichtigung auch der Skizzen auf Blatt 1 der DIN 66075 sind dieser die Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 des Streitpatents bis auf die durchgängig etwa gleiche Breite des Simses entnehmbar, denn die Skizze zeigt (schematisch) eine im wesentlichen rechteckige Schale mit ausgeprägten Ecken, die aus einem Boden und je zwei Quer- und Längswänden gebildet ist. Die Wände laufen nach oben auseinander; die Schale ist daher stapelbar. Der umlaufende Sims bildet in den Eckbereichen ausgeprägte Ecken. Eine etwa gleichmäßige Breite des Simses in den Eckbereichen und den geraden Bereichen, wie im Patentanspruch 1 des Streitpatents spezifiziert, ist allerdings nur möglich, wenn die Ecke abgerundet ist und einen größeren Krümmungsradius als die (abgerundete) Ecke zwischen Quer- und Längswand hat, dh weniger scharf ausgeprägt ist als diese (s Fig des Streitpatents).
4) Das Material der Schalen ist in der Norm nicht festgelegt. Es muß lediglich ein für den Umgang mit Lebensmitteln geeigneter Werkstoff sein (K 3, Bl 1, 5. Z unter der Tab). Ein für den Umgang mit Lebensmitteln geeigneter Werkstoff ist bekanntlich Porzellan, das außerdem hitzebeständig ist und eine große Wärmespeicherfähigkeit aufweist. Daß diese Eigenschaften des Porzellans dem Fachmann bekannt sind und in der Gastronomie genutzt werden, hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Die Klägerin hatte dazu ua die US-Patentschrift 4 210 124 (K10) genannt (s insb Sp 1 Z 38 iVm Sp 3 Z 5 bis 6 u 15 bis 17). Es bedarf daher keiner erfinderischen Tätigkeit, Schalen entsprechend der genannten Norm aus Porzellan vorzuschlagen.
5) Die in der DIN 66075 schematisch dargestellte Schale ist stapelbar. Dabei liegen aber Quer- und Längswände der gestapelten Schalen flächig aufeinander, weshalb derart gestapelte Schalen zum Verklemmen neigen. Eine Lösung für dieses Problem war am Prioritätstag des Streitpatents bereits bekannt, und zwar aus der Verkaufs-Preisliste Nr.4 Gastronormbehälter 1988, Rieberwerke (K 4, ebenso K5/1993). Diese Druckschrift, die unbestritten vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich war, betrifft stapelbare mit der DIN 66075 konforme Gastronormbehälter, die offensichtlich aus Metall bestehen. Aus den Abbildungen ist ersichtlich, daß die Behälter im wesentlichen rechteckig sind und einen Boden und je zwei Quer- und Längswände aufweisen. Die Quer- und Längswände sind in einem unteren, beim Stapeln in einen unteren Behälter einzustekkenden Bereich leicht nach innen geneigt, da sonst ein Einstecken nicht möglich wäre. Sie tragen am oberen Rand einen nach außen wegragenden umlaufenden Sims. Die Quer- und Längswände bilden ferner oben am leicht geneigten einzusteckenden Bereich einen nach außen gerichteten, in der Preisliste Stapelschulter genannten Vorsprung. Dieser Vorsprung ist bei den Behältern mit 200 mm Tiefe 26 mm unter dem oberen Behälterrand angeordnet (S 2 reSp). Ob der Abstand des Vorsprungs vom Behälterrand bei Behältern mit geringerer Tiefe gleich oder im Verhältnis der Behältertiefen verkleinert ist, ist in der Preisliste nicht angegeben. Die Behälter sollen jedenfalls platzsparend und ohne Verklemmen und Verkanten sicher stapelbar sein (S 2 reSp Abs 3).
Für den Fachmann liegt es auf der Hand, daß die konstruktive Gestaltung der Gastronormschalen im einzelnen entsprechend den Eigenschaften des gewählten Werkstoffs auszuführen ist. Porzellan ist bekanntlich hart und unelastisch. Einmal verklemmte Schalen können daher nur schwer wieder voneinander gelöst werden. Die Schalen aus Porzellan so zu gestalten, daß zwischen dem aufnehmenden Teil einer unteren Schale und dem eingesteckten Teil einer oberen Schale ein Spiel vorhanden ist, stellt daher eine naheliegende Vorsichtsmaßnahme dar, um ein Verklemmen gestapelter Schalen sicher zu verhindern.
6) Eine auf einer unteren Schale gestapelte Schale liegt mit ihrem die Stapelschulter bildenden Vorsprung auf dem oberen Rand der unteren Schale auf. Dies ist geometrisch offensichtlich nur möglich, wenn der innere Rand des Vorsprungs innerhalb eines durch eine Parallelverschiebung der Innenkanten des oberen Schalenrandes gebildeten Quaders liegt, dh wenn der Vorsprung bei einem geraden Schalenoberteil breiter als die Wanddicke ist. Sonst stößt nämlich, wie der Fachmann beim Zeichnen eines Schalenstapels sofort erkennt, beim Stapeln die obere Schale mit ihrer im unteren Teil geneigten Außenwandfläche auf die Innenkante des oberen Schalenrandes der unteren Schale, ehe die Stapelschulter zum Tragen kommt (die Schale gemäß Fig 3 des Streitpatents ist daher nicht im Sinne der streipatentgemäßen Lehre stapelbar). Die Wanddicke, die bei einer Porzellanschale materialbedingt größer ist als bei einer Metallschale, hat daher einen Einfluß auf die Ausbildung und Anordnung des Vorsprungs. Der Fachmann wird einen materialgerechten Wandverlauf ohne unnötige Sprünge anstreben. Auch die Anordnung des die Stapelschulter bildenden Vorsprungs im mittleren Drittel der Schalenhöhe erfordert keine erfinderische Tätigkeit.
7) Dies gilt schließlich auch für die Maßnahme, den umlaufenden Sims in den Eckbereichen etwa gleich breit auszuführen wie in den geraden Bereichen. Diese Maßnahme hat keinen Einfluß auf die Stapelbarkeit und stellt lediglich eine Anpassung der Formgebung an die Sprödigkeit und Zerbrechlichkeit des Porzellan dar.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Sredl Köhn Dr. Pösentrup Frühauf Pagenberg Cl/Na
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Urteil v. 05.09.2000
Az: 3 Ni 23/99
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