Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 14. Dezember 2005
Aktenzeichen: 2 ARs 154/05
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 14.12.2005, Az.: 2 ARs 154/05)
Tenor
Dem Pflichtverteidiger wird für die erste Instanz eine zusätzliche Pauschvergütung von 325,-- € (in Worten: dreihundertfünfundzwanzig Euro) bewilligt.
Hierin sind Auslagen und Nebenkosten nicht enthalten.
Bereits ausgezahlte Gebührenteile sind nicht anzurechnen.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Antragsteller wurde am 26. August 2003 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten A bestellt, dem ein Totschlag zur Last gelegt wurde. Nach 13 Hauptverhandlungstagen verurteilte die 6. große Strafkammer € Schwurgericht € des Landgerichts Kassel den Angeklagten am 15. Dezember 2004 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller am 16. Dezember 2004 Revision ein. Die Revision wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 7. September 2005 als offensichtlich unbegründet verworfen. Der Antragsteller beantragt die Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von insgesamt 11.000,- €.
I.
Dem Antragsteller ist für das erstinstanzliche Verfahren eine Pauschvergütung in Höhe von 325,- € zu bewilligen.
Für das erstinstanzliche Verfahren gilt § 99 BRAGO. Gemäß dieser Vorschrift ist in besonders umfangreichen oder schwierigen Strafsachen dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt auf Antrag eine Pauschvergütung zu bewilligen, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht. Maßgebend für diese Beurteilung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Vergleich mit einem entsprechenden Verfahren vor dem jeweiligen Gericht. Dabei ist insbesondere abzustellen auf den zeitlichen Aufwand, den der Verteidiger auf die Sache verwenden muss und den Grad der Schwierigkeit der Strafsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Anhaltspunkte für die Bemessung des zeitlichen Aufwands sind vor allem der Umfang der Akten und die Dauer der Hauptverhandlung, wobei ein als unterdurchschnittlich zu qualifizierender Aspekt des Verfahrens einen überdurchschnittlichen anderen Aspekt zu kompensieren vermag, da es auf eine Gesamtbetrachtung ankommt. Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass eine intensive und sorgfältige Vorbereitung der Termine, zu der das Erarbeiten des Prozessstoffs sowie Gespräche mit dem Angeklagten gehören, eine selbstverständliche Pflicht des Verteidigers als Organ der Rechtspflege ist. Das gilt auch für Besuche des Verteidigers eines inhaftierten Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt (vg. Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2001 € 2 ARs 191/01 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind in dem vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung gegeben. Der Umfang der Ermittlungsakten mit annähernd 600 Seiten und die mittlere Dauer der Hauptverhandlung mit 4 Stunden und 22 Minuten liegen allerdings nicht über dem Durchschnitt vergleichbarer Schwurgerichtsverfahren. Besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art, die das Verfahren von anderen Verfahren abheben würde, sind ebenfalls nicht gegeben. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Schwurgerichtsverfahren wegen ihrer vom Gesetzgeber anerkannten generellen Schwierigkeit bereits die höchsten Gebührensätze aufweisen. Der Antragsteller stützt seinen Antrag auch im Wesentlichen darauf, dass das Verfahren fast vollständig €unter dem Geltungszeitraum des RVG€ mit wesentlich höheren Gebührensätzen stattgefunden habe. Dieser Gesichtspunkt kann für die Zuerkennung einer Pauschvergütung jedoch keine Rolle spielen. Nach der hier maßgeblichen Übergangsvorschrift des § 61 Abs.1 S. 1 RVG ist die BRAGO weiter anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt vor dem 1. Juli 2004 gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Aufgrund dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung können Änderungen des Gebührenrechts auch nicht auf dem Umweg über eine Pauschalvergütung berücksichtigt werden. Insoweit gelten die bisherigen Kriterien weiter. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats rechtfertigt jedoch die Teilnahme des Antragstellers an der Zeugenvernehmung B am 14. Oktober 2003 von 10.00 Uhr bis 12.25 Uhr die Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 325,- €, was der gesetzlichen Gebühr für einen Fortsetzungstermin entspricht.
II.
Für das Revisionsverfahren kann der Antragsteller keine Pauschgebühr beanspruchen.
Die Gebühr für das Revisionsverfahren bemisst sich nach neuem Recht, da das Rechtsmittel nach dem 1. Juli 2004 eingelegt worden ist (§ 61 Abs.1 S.2 RVG). Zuständig ist zwar grundsätzlich der Einzelrichter (§ 42 Abs.3 S.1 i.V.m. § 51 Abs.2 S.4 RVG). Dieser hat jedoch die Sache mit Beschluss vom 13. Dezember zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 42 Abs.3 S.2 i.V.m. § 51 Abs.2 S.4 RVG).
Der Anwendungsbereich der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG ist gegenüber § 99 BRAGO erheblich eingeschränkt. Nach dem neuen Recht ist eine Pauschgebühr nur noch zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind. Diese Einschränkung ist nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Dr. 15/1971 S.203) gerechtfertigt, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden sind, bei denen die zugrunde liegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren oder die Teilnahme an Haftprüfungsterminen. Für diese Tätigkeiten steht dem Pflichtverteidiger nach neuem Recht ein gesetzlicher Gebührenanspruch gemäß VV Nummern 4102 Nr.1 und Nr.3 zu. Gleiches gilt für die Dauer der Hauptverhandlung, da das Vergütungsverzeichnis für den Pflichtverteidiger für mehr als 5 bzw. 8 Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine Zuschläge zu den Hauptverhandlungsgebühren vorsieht (vgl. VV Nummern 4122 und 4123). Die bisherigen Grundsätze für die Bewilligung einer Pauschgebühr sind damit nur noch sehr eingeschränkt anwendbar.
Weitere Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar sind. Damit soll verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger ein Sonderopfer erbringt. Zur Stellung des Pflichtverteidigers hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 6. November 1984 € 2 BvL 16/83 u.a. ausgeführt: €Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238 (241)). Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteht ihr Zweck ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE a.a.O. S. 242; vgl. auch BGHSt 3, 395 (398)). Der vom Gerichtsvorsitzenden ausgewählte und beigeordnete Rechtsanwalt darf die Übernahme der Verteidigung nicht ohne wichtigen Grund ablehnen (§ 49 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 BRAO), sondern muß - gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen - die ihm übertragene Verteidigung führen. Ein Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers ist ebenfalls nur aus wichtigem Grund zulässig (vgl. BVerf- GE a.a.O. S. 244 m. w. N.). Im Gegensatz zum gewählten Verteidiger, der seine Aufgaben in der Hauptverhandlung im Falle kurzfristiger Verhinderung durch sonstige Geschäfte von einem anderen Verteidiger wahrnehmen lassen kann (vgl. BGHSt 15, 306 (308)), hat der Pflichtverteidiger stets und ununterbrochen an der Verhandlung teilzunehmen. Er darf zu seiner Entlastung weder Untervollmacht erteilen (vgl. BGH, Strafverteidiger 1981, S. 393) noch einem Referendar Verteidigerfunktionen übertragen (vgl. § 139 StPO; BGH, NJW 1958, S. 1308 f.). Im übrigen weist die Strafprozeßordnung dem Pflichtverteidiger die gleichen Aufgaben zu wie dem Wahlverteidiger. Wie dieser hat er auch die gleichen standesrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Angesichts dieser umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht des Anwaltsstandes angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers aus § 97 BRAGO liegt indessen erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers. Diese Begrenzung ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne daß er sich dieser Belastung entziehen könnte, gewinnt die Höhe des Entgelts für ihn existenzielle Bedeutung. Eine Verteidigung zu den verkürzten Gebühren des § 97 BRAGO könnte dann dem Pflichtverteidiger ein unzumutbares Opfer abverlangen. Schon das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie § 99 BRAGO, ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 (321 f.); 54, 251 (271)).€
Sinn und Zweck der Pauschgebühr ist es danach nicht, dem Verteidiger einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie soll nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., RVG § 51 Rdn.2). Die Bewilligung einer Pauschgebühr kommt nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Soweit das OLG Hamm in dem Beschluss vom 17. Februar 2005 € 2 (s) Sbd VIII 11/05 (Strafo 2005,173) die Voraussetzungen der €Unzumutbarkeit€ i.S. des § 51 Abs.1 S.1 RVG zumindest immer dann für gegeben erachtet, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt sowohl als €besonders schwierig€ als auch als €besonders umfangreich€ anzusehen ist, lehnt der Senat diese Gleichsetzung ab, da sie nach den vorstehenden Ausführungen weder dem Wortlaut des § 51 Abs.1 S.1 RVG noch dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung für das Revisionsverfahren zurückzuweisen. Der Senat verkennt nicht, dass sich der Antragsteller mit dem umfangreichen Urteil des Landgerichts Kassel (77 Seiten) und dem Protokoll der 13-tägigen Hauptverhandlung zu befassen hatte und die Revisionsbegründung immerhin 12 Seiten umfasste. Besondere Schwierigkeiten sind jedoch weder dargetan noch ersichtlich. Jedenfalls wird dem Antragsteller aber kein Sonderopfer abverlangt. Gemäß VV Nr. 4131 steht ihm für das Revisionsverfahren eine Gebühr in Höhe von 505,- € zu. Die gesetzliche Gebühr nach der BRAGO betrug bislang 225,- €. Schon aufgrund der deutlichen Anhebung der Gebühren kann von einem Sonderopfer nicht gesprochen werden.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 14.12.2005
Az: 2 ARs 154/05
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