Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Juni 2003
Aktenzeichen: 19 W (pat) 20/01
(BPatG: Beschluss v. 02.06.2003, Az.: 19 W (pat) 20/01)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse G 05 B - hat die am 1. April 1999 eingegangene Anmeldung durch Beschluss vom 22. August 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für den zuständigen Fachmann aus einer Zusammenschau der deutschen Offenlegungsschriften 43 38 607 und 197 09 955 ergebe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"Hybridmodell zur Modellierung eines Gesamtprozesses in einem Fahrzeug bestehend aus zumindest einem physikalischen und einem neuronalen Teilmodell, wobei ein Prozessanteil aus dem Gesamtprozess ausschließlich mit dem physikalischen Modell simuliert wird, dadurch gekennzeichnet, dass ein weiterer Prozessanteil aus dem Gesamtprozess ausschließlich mit dem neuronalen Modell simuliert wird undder Gesamtprozess durch eine Zusammenführung der jeweils separat simulierten Prozesse beschrieben wird."
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist im letzten Teilmerkmal das Wort "parallel" eingefügt:
".......
der Gesamtprozess durch eine Zusammenführung der jeweils separat parallel simulierten Prozesse beschrieben wird."
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet unter Berichtigung des Wortes "beschriebenen" in "beschrieben":
"Hybridmodell zur Modellierung der Luftmassenbefüllung bei einem Verbrennungsmotor mit variablem Ventiltrieb bestehend aus zumindest einem physikalischen und einem neuronalen Teilmodell, wobei eine Basisluftmassenbefüllung ausschließlich mit dem physikalischen Modell simuliert wird, der Einfluß der Nockenwellenspreizung des variablen Ventiltriebs ausschließlich mit dem neuronalen Modell simuliert wird unddie Luftmassenbefüllung durch eine Zusammenführung der beiden Teilmodelle beschrieben wird."
Der nebengeordnete Patentanspruch 2 nach Hilfsantrag 2 lautet unter Berichtigung des Wortes "beschriebenen" in "beschrieben":
"Hybridmodell zur Modellierung der Luftmassenbefüllung bei einem Verbrennungsmotor mit elektronischem Ventiltrieb bestehend aus zumindest einem physikalischen und einem neuronalen Teilmodell, wobei eine Basisluftmassenbefüllung ausschließlich mit dem physikalischen Modell simuliert wird, die Steuerzeiten des elektronischen Ventiltriebs ausschließlich mit dem neuronalen Modell simuliert werden und die Luftmassenbefüllung durch eine Zusammenführung der beiden Teilmodelle beschrieben wird."
Es soll die Aufgabe gelöst werden, ein Hybridmodell zur Modellierung eines Gesamtprozesses in einem Fahrzeug anzugeben, mit welchem sich physikalisch schwierig zu beschreibende Prozesse modellieren lassen, ohne dass unplausible Extrapolationsverhalten in Kauf genommen werden müssen (Offenlegungsschrift Sp 1 Z 58 bis 63).
Die Anmelderin beantragt;
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 jeweils nach Haupt- und Hilfsantrag 1, beide am 14. November 2000, sowie jeweils Patentansprüche 2 bis 9 gemäß Offenlegungsschrift, hilfsweise Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2003.
Die Anmelderin vertritt die Ansicht, die deutsche Offenlegungsschrift 43 38 607 lege das anmeldungsgemäße Hybridmodell nicht nahe, da dort ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Führung eines Prozesses in einem geregelten System beschrieben werde. Zur Vereinfachung und Verbesserung der Vorausberechnung eines Prozessparameters werde dort ein neuronales Netzwerk verwendet, dessen Antwort einen Korrekturwert für den von dem parallelen Modell gelieferten Näherungswert bilde. Es würden somit bei dem bekannten Verfahren nicht verschiedene Teilprozesse mit verschiedenen Modellen simuliert. Vielmehr würde ein Prozessparameter berechnet, der durch die Verwendung eines neuronalen Netzwerks korrigiert werde. Beim Hybridmodell des Hilfsantrags 2, wie es im Patentanspruch 1 und 2 angegeben ist, würde der Gesamtprozess und seine Aufteilung in Teilmodelle präzisiert. Die Realisierung des physikalischen und neuronalen Teilmodells sei dem Fachmann mit Hilfe der Angaben in der Anmeldung ohne weiteres möglich.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die zulässige Beschwerde konnte keinen Erfolg haben, weil das Hybridmodell des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sowie nach Hilfsantrag 1 und 2 nicht patentfähig ist.
1. Hauptantrag und Hilfsantrag 1 Das Hybridmodell es Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
Aus der deutschen Offenlegungsschrift 43 38 607 ist mit der Kombination eines mathematischen Modells M in der Recheneinrichtung 2 mit einem neuronalen Netzwerk 8 mit den veränderbaren Netzwerkparametern NP zur Beschreibung eines Prozesses ein Hybridmodell zur Modellierung eines Gesamtprozesses bekannt (Fig 2 iVm Sp 4 Z 38 bis 48). Das bekannte Modell besteht demnach zumindest aus einem physikalischen 2. M und einem neuronalen 8, NP Teilmodell. Ein Prozessanteil aus dem Gesamtprozess wird ausschließlich mit dem physikalischen Modell M simuliert, da bei diesem Prozessanteil neben dem physikalischen Modell kein weiteres Modell, insbesondere kein neuronales Modell zum Einsatz kommt. Bei dem bekannten Hybridmodell wird ebenfalls ein weiterer Prozessanteil aus dem Gesamtprozess ausschließlich mit dem neuronalen Modell 8 simuliert, denn das neuronale Modell wird ebenfalls ausschließlich in diesem Prozessanteil verwendet (Fig 2 iVm Sp 4 Z 36 bis 60). Die bekannten Prozessanteile sind auch unterschiedlich, denn die Modelle können insbesondere andere Eingangsgrößen xM (neuronales Teilmodell) und xN (physikalisches Teilmodell) besitzen (Fig 3 iVm Sp 5 Z 5 bis 24). Der bekannte Gesamtprozess wird durch eine Zusammenführung in der Vorausberechnungseinrichtung 3 der jeweils in der Recheneinrichtung 2 und im neuronalen Netzwerk 8 separat parallel simulierten Prozesse (2, 8) beschrieben (Fig 2, 3 iVm Sp 4 Z 36 bis 48, Sp 5 Z 5 bis 24).
Das bekannte Hybridmodell ist allgemein anwendbar (vgl Anspr 1). Als beispielhafte Verwendung wird die Modellierung des Temperaturverlaufs im Walzgut beim Durchlauf durch eine Walzstraße bzw die Vorausberechnung und Voreinstellung der Walzkraft in den Walzgerüsten einer Walzstraße angegeben (Sp 6, Z 32 bis 46, Anspr 7 bis 9). Eine Anwendung speziell in einem Fahrzeug ist in der deutschen Offenlegungsschrift 43 38 607 nicht angesprochen.
Dieser Unterschied kann jedoch nicht patentbegründend sein, da dem Durchschnittsfachmann, einem Diplominformatiker mit Universitätsabschluß, geläufig ist, das in der deutschen Offenlegungsschrift 43 38 607 beschriebene Hybridmodell überall dort einzusetzen, wo eine Vorausberechnung von Prozessparametern notwendig ist, wie zB in Fahrzeugsteuerungen, wo bereits physikalische neuronale Modelle zum Einsatz kommen, wie zB die deutschen Offenlegungsschriften 197 06 750 und 197 09 955 angeben.
Das Hybridmodell des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 ist somit nicht patentfähig. Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 nicht gewährbar. Nach Fortfall des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 teilen die darauf direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 dessen Schicksal.
2. Hilfsantrag 2 Das Hybridmodell des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist nicht patentfähig, weil die Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 (4) PatG).
Sinn dieser Vorschrift ist es, die Anmelderin zu veranlassen, die Lehre, für die sie die Erteilung des Patents erstrebt, in einem solchen Umfang zunächst der Erteilungsbehörde und durch deren Vermittlung später der Öffentlichkeit aufzudecken, dass es einem Fachmann möglich ist, diese Lehre praktisch zu verwirklichen, und ein Patent, bei dem dieser Sinn des Gesetzes verfehlt wurde, auf Einspruch oder Nichtigkeitsklage durch Widerruf oder Nichtigerklärung wieder aus der Welt zu schaffen (vgl BGH GRUR 1984, 272, 273 re Sp Abs 4 - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre schon dann zu verneinen, wenn der Durchschnittsfachmann diese nur unter großen Schwierigkeiten und nicht oder nur zufällig ohne vorherige Misserfolge zur Erreichung des angestrebten Erfolgs praktisch verwirklichen kann (vgl BGH GRUR 1980, 166, 168 re Sp vorletzter Abs - Doppelachsaggregat).
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob der Durchschnittsfachmann (vgl oben) durch die Angaben, wie sie im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 angegeben sind, mit Hilfe der Beschreibung in die Lage versetzt werden, ohne große Schwierigkeiten widerspruchsfrei anzugeben, mit welchem physikalischen Modell eine Basisluftmassenbefüllung und mit welchem neuronalen Modell der Einfluß der Nockenwellenspreizung des variablen Ventiltriebs bei der Luftmassenbefüllung bei einem Verbrennungsmotor erfolgen soll.
Nach Überzeugung des Senats ist diese Frage zu verneinen.
In der vorliegenden Beschreibung ist als Aufgabe formuliert, ein Hybridmodell zur Modellierung eines Gesamtprozesses in einem Fahrzeug anzugeben, mit welchem sich physikalisch schwierig zu beschreibende Prozesse modellieren lassen, ohne dass unplausible Extrapolationsverhalten in Kauf genommen werden müssen. Zur Lösung dieser Aufgabe ist im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 angegeben, zur Modellierung der Luftmassenbefüllung bei einem Verbrennungsmotor mit variablem Ventiltrieb zumindest ein physikalisches und ein neuronales Teilmodell vorzusehen, wobei eine Basisluftmassenbefüllung ausschließlich mit dem physikalischen Modell simuliert wird und der Einfluß der Nockenwellenspreizung des variablen Ventiltriebs ausschließlich mit dem neuronalen Modell simuliert wird und die Luftmassenbefüllung durch eine Zusammenführung der beiden Teilmodelle beschrieben wird.
Für den Durchschnittsfachmann ist nun unklar, wie das physikalische und das neuronale Modell aussehen solle. Er kommt demnach mit Hilfe des Patentanspruchs 1 zu keiner für ihn eindeutigen und widerspruchsfreien Festlegung. Er kann auch nicht mit Hilfe der Anmeldungsbeschreibung dieses Problem lösen.
Auf Spalte 3 Zeilen 12 bis 20 der Offenlegungsschrift, die mit den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen übereinstimmt, wird in Bezug auf die einzige Zeichnung insbesondere zum neuronalen Modell ausgeführt, dass als Eingangsgrößen für das neuronale Netzwerk neben dem Zylinderhub die Spreizungen der Einlass- und der Auslassventile dienen. Durch das Belernen der Kopplungen des neuronalen Netzes kann am Ausgang des neuronalen Netzwerkes der Einfluß der Nockenwellenspreizung auf die Zylinderbefüllung ermittelt und ausgegeben werden. Die Figur zeigt hierzu diese Eingangsgrößen und die Ausgangsgröße dazwischen das neuronale Netz-Modell für Spreizungseinfluss als "blackbox-Modell", also ohne weitere Angaben zum Modell. Weitere Erläuterungen enthalten die Anmeldungsunterlagen nicht.
Nach Ansicht der Anmelderin weiß der Durchschnittsfachmann, wie er insbesondere das neuronale Netz konstruieren muß. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, da das anspruchsgemäße neuronale Modell nicht durch seine Eingangs- und Ausgangsgrößen charakterisiert werden kann, sondern nur durch die Festlegung der Kopplungen im neuronalen Modell, dh durch welche Maßnahmen innerhalb des neuronalen Netzes aus den Eingangsgrößen die Ausgangsgröße ermittelt wird.
Da es nicht möglich ist, den Aufbau des neuronalen Netzes widerspruchsfrei zu klären, ist der Senat zur Überzeugung gekommen, dass das Hybridmodell zur Modellierung der Luftmassenbefüllung bei einem Verbrennungsmotor mit variablem Ventiltrieb in der Anmeldung in der Fassung des Hilfsantrags 2 nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Durchschnittsfachmann es ausführen kann. Bei dieser Sachlage kommt es auf die Probleme bei der Klärung des Aufbaus des physikalischen Modells nicht mehr an.
Mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist auch der fakultativ nebengeordnete Patentanspruch 2 und die darauf direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 7 nicht gewährbar, da ein Patent nur so erteilt werden kann, wie es beantragt ist (vgl BGH GRUR 1997, 120 -"Elektrisches Speicherheizgerät").
Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dipl.-Ing. Groß
Pr
BPatG:
Beschluss v. 02.06.2003
Az: 19 W (pat) 20/01
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