Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 27. Juni 2012
Aktenzeichen: 2 K 142.11
(VG Berlin: Urteil v. 27.06.2012, Az.: 2 K 142.11)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der als Journalist bei der Tageszeitung €D€€ tätige Kläger begehrt Zugang zu Informationen der Beklagten betreffend das Zulassungsverfahren zur Rechtsanwaltschaft des beigeladenen Rechtsanwaltes S€ im Wege der Akteneinsicht.
Mit E-Mail vom 19. April 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Verweis darauf, dass er für die Tageszeitung €D€€ zu dem Beigeladenen recherchiere, gestützt auf das Berliner Informationsfreiheitsgesetz, die Zurverfügungstellung aller mit dem Zulassungsverfahren des Beigeladenen zur Rechtsanwaltschaft im Zusammenhang stehender schriftlichen Informationen in Kopie.
Mit bei der Beklagten am 18. April und 8. Mai 2011 eingegangenen Schreiben wies der Beigeladene die Beklagte darauf hin, dass er jüngst zum Gegenstand einer Presseberichterstattung in der €W€€ gemacht worden sei, was wohl auf seinen ehemaligen Geschäftspartner, mit dem er sich in Rechtsstreitigkeiten befinde, zurückzuführen sei. Dieser Geschäftspartner habe bereits in der Vergangenheit eine Rufmordkampagne und üble Nachrede ihm gegenüber betrieben. Wegen des Artikels in der €W€€ habe er bereits Ansprüche gegen den Verlag und die Autoren geltend gemacht. Die Beklagte unterliege keinerlei Auskunftsverpflichtungen gegenüber dem Kläger bezüglich möglicher Presseanfragen, die ihn beträfen. Insbesondere dürfe ohne seine vorherige Zustimmung und Inkenntnissetzung keine Auskunft erteilt werden. Bei der Anfrage des Klägers handele es sich um die Verfolgung persönlicher Interessen des ehemaligen Geschäftspartners sowie des Klägers selbst, die dieser vorgeschoben als offizielle Rechercheanfrage geltend gemacht habe. Zudem beträfen die Angaben aus dem Rechtsanwaltszulassungsverfahren Vorgänge, die bereits zwei Jahrzehnte zurücklägen; es bestehe keinerlei öffentliches Interesse daran, derlei personenbezogene persönliche Daten herauszugeben. Er sei auch keine in der Öffentlichkeit stehende Person.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zurverfügungstellung der Unterlagen im Wesentlichen unter Verweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht nach § 76 Abs. 1 BRAO ab. Darüber hinaus stehe einer Akteneinsicht auch § 6 Abs. 1 IFG Bln entgegen. Es überwiege das Privatinteresse des Beigeladenen an der Geheimhaltung, da es sich um personenbezogene Daten handele. Dies sei im Informationsfreiheitsgesetz des Bundes sogar ausdrücklich in § 5 Abs. 2 IFG normiert. Diese gesetzgeberische Wertung auf Bundesebene gebe auch Hinweise für die nach § 6 Abs. 1 IFG Bln vorzunehmende Abwägung bei berufsbezogenen Daten mit der Folge, dass das Privatinteresse des Beigeladenen überwiege. Ein zugunsten des Klägers zu berücksichtigendes Regelbeispiel nach § 6 Abs. 2 IFG Bln liege nicht vor.
Mit hiergegen erhobenem Widerspruch vom 7. Juni 2011 verfolgt der Kläger sein Begehren beschränkt auf den Erhalt folgender Informationen fort:
€1. Informationen über diejenigen Angaben, die Herr S€ im Rahmen der Zulassung zur Anwaltschaft zu seiner Tätigkeit als Agent der Spionageabteilung des ehemaligen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gemacht hat und
2. Informationen über diejenigen Angaben, die Herr S€ im Rahmen der Zulassung zur Anwaltschaft hinsichtlich seiner angeblichen zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf gemacht hat.€
Soweit der Beigeladene bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft den €Ergänzungsfragebogen zum Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für Bewerber mit juristischer Ausbildung in der früheren DDR€ ausgefüllt haben sollte, schränkte der Kläger sein Begehren auf die Übermittlung der vom Beigeladenen gemachten Antworten zu den Fragen II. 2. b und II. 4 des Fragebogens ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: § 76 Abs. 1 BRAO sei nicht einschlägig, da es sich nicht um eine dem Akteneinsichtsrecht entgegenstehende Geheimhaltungsvorschrift des Bundesrechts handele, sondern um eine Bestimmung, die das Verhalten Einzelner regele. Sie betreffe nicht das Handeln der Beklagten als Behörde, sondern richte sich an die einzelnen Vorstandsmitglieder bzw. Mitarbeiter. Sie sei der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht des § 67 BBG nachgebildet. Der Anspruch sei auch nicht nach § 6 Abs. 1 IFG Bln ausgeschlossen, da kein schutzwürdiges Interesse des Beigeladenen an der Geheimhaltung bestehe. Es liege auch kein überwiegendes Privatinteresse auf seiner Seite vor, da er Journalist sei. Zudem sei § 6 Abs. 2 Nr. 1 b IFG Bln einschlägig, da es sich bei den begehrten Informationen um Angaben gegenüber einer Behörde gehandelt habe, die der Beigeladene habe machen müssen, um zur Rechtsanwaltschaft zugelassen zu werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Einem Akteneinsichtsrecht stehe § 17 Abs. 4 IFG Bln in Verbindung mit § 76 BRAO entgegen. Die hierin normierte Verschwiegenheitspflicht betreffe den Vorstand der Rechtsanwaltskammer als Behörde. Es handele es sich um eine drittbezogene Verschwiegenheitspflicht. Die Norm konkretisiere bereichsbezogen auf die anwaltliche Selbstverwaltung die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und gelte im Rahmen des § 17 Abs. 4 IFG Bln absolut, wenn es um den Schutz personenbezogener Daten gehe, weil es sich hierbei um den Kernbereich geheimhaltungsbedürftiger Angelegenheiten handele; es sei insofern ein besonderes Amtsgeheimnis gegeben. Dem Auskunftsanspruch stehe aber auch § 6 Abs. 1 IFG Bln entgegen. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung überwiege das Informationsinteresse des Klägers nicht das Interesse des Beigeladenen an der Geheimhaltung. Es handele sich um personenbezogene Daten, die für den Betroffenen von elementarer Bedeutung seien, da der Kläger nicht lediglich personenbezogene Daten im weiteren Sinne verlange, sondern Angaben aus der Personalakte eines Kammermitgliedes, die dem besonders geschützten Kernbereich von personenbezogenen Daten unterfielen. Dies verdeutliche auch § 58 BRAO, wonach der Rechtsanwalt das Recht auf Einsicht in seine Personalakte nur persönlich oder durch einen anderen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt ausüben könne. Ein Akteneinsichtsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 2 IFG Bln, da der Beigeladene sich in seinem Schreiben vom 8. Mai 2011 gegen eine Preisgabe der begehrten Informationen verwahrt habe und das Regelbeispiel des § 6 Abs. 2 Nr. 1 b IFG Bln nicht einschlägig sei, da mit der Information weitere personenbezogene Daten offenbart würden.
Am 19. August 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er ergänzend aus: Die von der Beklagten angenommene Anwendung des § 76 Abs. 1 BRAO, der dem § 67 BBG entspreche, hätte zur Folge, dass auch Beamte keinerlei Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgeben dürften. Das sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Auch § 6 Abs. 1 und 2 IFG Bln schließe einen Informationsanspruch nicht aus. Er verfolge mit seinem Informationsbegehren nicht lediglich Privatinteressen, sondern recherchiere seit Jahren über Stasi-Verstrickungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Der Antrag sei im Zusammenhang mit seinen journalistischen Recherchen gestellt worden. Er habe Anhaltspunkte für die Annahme, dass die vom Beigeladenen bei seiner Zulassung gemachten Angaben unrichtig seien. Er habe bei der Stasi-Unterlagen-Behörde die Akten zum Beigeladenen eingesehen; aus den dort vorgefundenen Lebensläufen ergebe sich, dass der Beigeladene keine zweijährige Tätigkeit in einem rechtspflegerischen Beruf ausgeübt haben könne. Er wolle nun prüfen, wie die Beklagte damals mit solchen Fällen umgegangen sei und ob der Beigeladene die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit wahren oder mit unwahren Angaben erhalten habe. Die Abwägung der Beklagten sei fehlerhaft unter Heranziehung von Gesichtspunkten zu § 5 IFG des Bundes vorgenommen worden, denn § 6 IFG Bln habe eine wesentlich weitergehende Regelung getroffen. Dem Informationsanspruch könne auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung entgegengetreten werden. Vielmehr müsse das Schutzbedürfnis der in Anspruch genommenen personenbezogenen Daten mit dem entgegenstehenden Informationsinteresse abgewogen werden. Es komme auf die Art der in Rede stehenden personenbezogenen Angaben an. Es sei schlicht nicht vorstellbar, welches Schutzbedürfnis der Beigeladene an der Geheimhaltung der von ihm im Rahmen der Zulassung zur Anwaltschaft gemachten Angaben zu seiner früheren MfS-Tätigkeit haben solle. § 6 IFG Bln habe ersichtlich nicht zum Ziel, eine frühere Tätigkeit für den SED-Geheimdienst weiter geheim halten zu können. Es bestehe aber auch deshalb kein Schutzbedürfnis, da der Beigeladene seine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter der Abteilung Auslandsspionage der MfS-Bezirksverwaltung Leipzig eingeräumt habe, wie dies die eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen vom 14. April 2011 belege. Auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 6 Abs. 2 IFG Bln ergebe sich, dass das Informationsinteresse überwiege. Es liege hier das gesetzliche Regelbeispiel des § 6 Abs. 2 Nr. 1 b IFG Bln vor, da es um Angaben zu den beruflichen Funktionen des Beigeladenen gehe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2011 zu verpflichten, ihm Einsicht in die bei der Beklagten geführte Akte des Beigeladenen zu gewähren, soweit es diejenigen Angaben betrifft, die der Beigeladene im Rahmen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu seiner Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und hinsichtlich seiner zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf gemacht hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte trägt ergänzend vor: § 76 Abs. 1 BRAO stelle wie die Regelungen in § 8 WpHG oder § 9 KWG eine bereichsspezifische Verschwiegenheitspflicht dar, die einer Auskunftserteilung entgegenstehe. Diese Verschwiegenheitspflicht gelte absolut und sei einer Relativierung nicht zugänglich, wie dies bereits das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. und der Verwaltungsgerichtshof Kassel entschieden hätten. Bei § 76 BRAO handele es sich auch nicht um eine mit § 67 BBG vergleichbare allgemeine Vorschrift zur Amtsverschwiegenheit, da die Verschwiegenheitspflicht des § 76 Abs. 1 BRAO nur die Informationen €über Rechtsanwälte, Bewerber und andere Personen€, mithin nur personenbezogene Daten betreffe. Auch § 6 Abs. 1 IFG Bln stehe einer Auskunftserteilung entgegen, da es sich unzweifelhaft um personenbezogene Daten handele, die Teil der Personalakte des Beigeladenen seien. Personalakten unterlägen grundsätzlich der Geheimhaltung. Weiter sei zu berücksichtigen, dass Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz grundsätzlich nur für den Zweck verarbeitet werden dürften, für die sie übermittelt worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie die Akte der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt € soweit erheblich € Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Berlin vom 11. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einsicht in die Akten der Beklagten, in denen sich die Angaben des Beigeladenen befinden, die dieser im Rahmen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemacht hat.
Rechtsgrundlage für das Akteneinsichtsbegehren des Klägers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln. Danach hat jeder Mensch nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln liegen vor. Der Kläger gehört als natürliche Person zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Die Rechtsanwaltskammer ist als landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts des Landes Berlin (§ 62 BRAO, § 28 Abs. 2 lit. b AZG) eine nach § 2 Abs. 1 S. 1 IFG Bln informationspflichtige öffentliche Stelle. Bei den Angaben des Beigeladenen im Rahmen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft handelt es sich auch um Bestandteile von Akten im Sinne des § 3 Abs. 2 IFG Bln. Akten im Sinne dieses Gesetzes sind u. a. alle schriftlich festgehaltenen Gedankenverkörperungen und sonstige Aufzeichnungen, soweit sie amtlichen Zwecken dienen. Die Angaben dienten der Prüfung, ob der Beigeladene die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfüllte; sie befinden sich in der von der Beklagten über den Beigeladenen geführten Personalakte (vgl. §§ 6 ff., 58 BRAO).
Der vom Kläger erstrebten Akteneinsicht steht € entgegen der Auffassung der Beklagten € nicht der Versagungsgrund des § 17 Abs. 4 IFG Bln i.V.m. § 76 Abs. 1 BRAO entgegen. Zwar bleiben nach § 17 Abs. 4 IFG Bln auf Bundesrecht beruhende Geheimhaltungspflichten unberührt. Dem § 76 Abs. 1 BRAO lässt sich eine solche Geheimhaltungspflicht aber nicht entnehmen. Nach § 76 Abs. 1 BRAO haben die Mitglieder des Vorstandes über Angelegenheiten, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Vorstand über Rechtsanwälte, Bewerber und andere Personen bekannt werden, Verschwiegenheit gegen jedermann zu bewahren. Das gleiche gilt für Rechtsanwälte, die zur Mitarbeit herangezogen werden, und für Angestellte der Rechtsanwaltskammer. Wortlaut, Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift legen den Schluss nahe, dass es sich hier nur um eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht handelt. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut sehr allgemein gehalten. Sie postuliert eine Pflicht des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer zur Verschwiegenheit über personenbezogene Daten gegen jedermann. Damit ist der Tatbestand der Geheimhaltungspflicht im Sinne des § 17 Abs. 4 IFG Bln aber noch nicht erfüllt. Es genügt auch nicht, dass der Gesetzgeber die Verschwiegenheitspflicht auf bestimmte Informationen (hier: personenbezogene Daten) beschränkt. Maßgeblich ist vielmehr der besondere Schutzzweck der Norm. Eine Geheimhaltungspflicht ist nur zu bejahen, wenn die Norm dem Schutz besonders sensibler Grundrechtsbereiche dient (zum Beispiel: Post- und Fernmeldegeheimnis, Sozialgeheimnis, Steuergeheimnis), wobei eine bloße grundrechtliche Drittbetroffenheit nicht ausreichend ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2011 € BVerwG 20 F 21.10 € juris Rn. 12 zu § 99 Abs. 1 VwGO und § 9 Abs. 1 KWG). Einen solchen besonderen Bezug weist § 76 Abs. 1 BRAO nicht auf. Nach ihrem Sinn und Zweck zielt die Regelung darauf ab, eine gedeihliche Arbeit des Kammervorstandes zu ermöglichen. Aufgrund der Vielzahl der Aufgaben des Vorstandes wie Zulassungssachen, Aufsichts- und Beschwerdesachen und Zulassungswiderrufsverfahren fallen eine Fülle von Informationen über einzelne Kammermitglieder an. Die Betroffenen haben ein berechtigtes Interesse daran, dass diese personenbezogenen Daten und Erkenntnisse nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangen. Müssten sie dies befürchten, dann wären sie ihrerseits mit Informationen an den Kammervorstand, auf die dieser aber zur Erfüllung seiner Aufgaben angewiesen ist, zumindest zurückhaltend. Sie machen ihre Angaben gegenüber dem Vorstand im Vertrauen darauf, dass diese nur für die Aufgabenerfüllung des Kammervorstandes verwendet werden (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO-Kommentar, 7. Auflage 2008, § 76 Rn. 2 ff. unter Verweis auf die amtliche Begründung). Damit ist diese Pflicht zur Verschwiegenheit weitgehend vergleichbar mit der beamtenrechtlichen Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 37 BeamtStG und § 67 BBG (vgl. Feuerich/Weyland, a.a.O., § 76 Rn. 9; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 2. Auflage 2004, § 76 Rn. 5 ff.), die ebenfalls keine Geheimhaltungspflicht im Sinne des § 17 Abs. 4 IFG Bln darstellt. Auch die Entstehungsgeschichte der Regelung des § 76 BRAO spricht gegen eine solche Geheimhaltungspflicht für personenbezogene Daten. Die Norm stammt aus dem Jahre 1959 und damit aus einer Zeit zu der die Personalakten mit den personenbezogenen Daten noch bei den Landesjustizverwaltungen geführt wurden, die eine Einsicht in diese Akten nicht unter Verweis auf die allgemeine Verschwiegenheitspflicht ihrer Mitarbeiter hätten ablehnen können. Nach der Übertragung der Zuständigkeit für die Führung von Personalakten auf die Rechtsanwaltskammern blieb die Vorschrift des § 76 BRAO unverändert; entgegen der Auffassung der Beklagten kann ihr daher nicht eine Bedeutung als €Personalakten-Geheimhaltungsvorschrift€ beigemessen werden.
Der erstrebten Akteneinsicht steht aber der Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 IFG Bln entgegen. Hiernach besteht das Recht auf Akteneinsicht oder Aktenauskunft nicht, soweit durch die Akteneinsicht oder Aktenauskunft personenbezogene Daten veröffentlicht werden und tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass überwiegend Privatinteressen verfolgt werden (1. Alternative) oder der Offenbarung schutzwürdige Belange der Betroffenen entgegenstehen und das Informationsinteresse (§ 1) das Interesse der Betroffenen an der Geheimhaltung nicht überwiegt (2. Alternative).
Die Angaben des Beigeladenen zu einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR sowie seine Angaben zu seiner mindestens zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder einem rechtsberatenden Beruf sind personenbezogene Daten im oben genannten Sinne, da es sich um Einzelangaben über persönliche Verhältnisse einer bestimmten natürlichen Person handelt (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 BlnDSG).
Die erste Alternative des § 6 Abs. 1 IFG Bln ist nicht erfüllt. Nach dem Vorbringen des Klägers bestehen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, dass überwiegend Privatinteressen verfolgt werden. Der Kläger benötigt die Informationen im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit. Er recherchiert seit Jahren über Stasi-Verstrickungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, und er hat dargelegt, dass nach seiner Auffassung und nach Durchsicht der Akten beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR der Beigeladene bei seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft keine zweijährige Tätigkeit in einem rechtspflegerischen Beruf ausgeübt haben kann. Er will nun prüfen, wie die Beklagte damals mit solchen Fällen umgegangen ist und ob der Beigeladene die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit wahren oder mit unwahren Angaben erhalten hat. Damit nimmt er ein dem Zweck des Gesetzes entsprechendes Informationsinteresse (vgl. § 1 IFG Bln) in Anspruch, das sich nicht in der überwiegenden Verfolgung von Privatinteressen erschöpft.
Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine vom Kläger oder einem ehemaligen Geschäftspartner des Beigeladenen initiierte €Rufmordkampagne€, wie es der Beigeladene geltend macht, liegen nicht vor. Allein der Hinweis des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung, sein ehemaliger Geschäftspartner und die A€, bei der der Kläger beschäftigt sei, hätten sich von derselben Rechtsanwaltskanzlei vertreten lassen, reicht hierfür nicht aus.
Der Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht ist aber nach der zweiten Alternative des § 6 Abs. 1 IFG Bln ausgeschlossen. Dem Informationszugang stehen zunächst schutzwürdige Belange des Beigeladenen entgegen. Der Beigeladene hat der Offenbarung der in Frage stehenden Daten nicht zugestimmt (§ 6 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. IFG Bln); seine Angaben zu einer möglichen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und zu einer mindestens zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder einem rechtsberatenden Beruf im Rahmen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft unterfallen auch nicht den Regelbeispielen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a oder b IFG Bln, wonach schutzwürdige Belange der Betroffenen in der Regel nicht entgegenstehen, soweit sich aus einer Akte ergibt, dass die Betroffenen an einem Verwaltungsverfahren oder einem sonstigen Verfahren beteiligt sind (Nr. 1 a) oder eine gesetzliche oder behördlich vorgeschriebene Erklärung abgegeben oder eine Anzeige, Anmeldung, Auskunft oder vergleichbare Mitteilung durch die Betroffenen gegenüber einer Behörde erfolgt ist (Nr. 1 b) und durch diese Angaben mit Ausnahme von Namen, Titel, akademischer Grad, Geburtsdatum, Beruf, Branchen- oder Geschäftsbezeichnung, innerbetrieblicher Funktionsbezeichnung, Anschrift und Rufnummer nicht zugleich weitere personenbezogene Daten offenbart werden.
Zwar spricht vieles dafür, dass der Beigeladene als Antragsteller im Verfahren zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Beteiligter an einem Verfahren im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a IFG Bln ist und dass der Beigeladene seine Angaben aufgrund einer gesetzlichen oder behördlichen Pflicht gegenüber einer Behörde im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b IFG Bln abgegeben hat. Dies kann aber dahinstehen, da eine Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a oder b IFG Bln jedenfalls daran scheitert, dass mit der Information zugleich weitere personenbezogene Daten offenbart werden. Denn die vom Kläger begehrten Angaben beschränken sich nicht auf die Angabe des Namens, des Geburtsdatums, des Berufes, der innerbetrieblichen Funktionsbezeichnung, der Anschrift oder der Rufnummer des Beigeladenen, sondern umfassen alle vom Beigeladenen gemachten Angaben zu seiner möglichen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR sowie zu einer mindestens zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder einem rechtsberatenden Beruf, womit zweifellos weitere personenbezogene Daten offenbart würden.
28Das Informationsinteresse des Klägers überwiegt auch sonst nicht das Interesse des Beigeladenen an der Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1, 2. Alt. IFG Bln. Im Rahmen der danach gebotenen Einzelfallabwägung ist zu berücksichtigen, dass personenbezogene Daten vom Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) erfasst sind; die Abwägung mit dem entgegenstehenden Informationsinteresse muss diesem grundrechtlichen Schutz angemessen Rechnung tragen. Bei der Frage, welches Gewicht der Offenbarung personenbezogener Daten zukommt, ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos gewährleistet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2001 - 2 BvR 152/01 - NJW 2002, 2164; Beschluss vom 14. September 1989, BVerfGE 80, 367), ist bei der Würdigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen insbesondere die Art der in Rede stehenden personenbezogenen Angaben zu berücksichtigen. Gemessen hieran geht es vorliegend zwar nicht um Angaben, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen und dem Informationszugang daher von vornherein entzogen wären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 1989, a.a.O.). Bei den streitgegenständlichen Daten handelt es sich aber um Personalaktendaten, die sich in der von der Beklagten geführten Personalakte des Beigeladenen befinden. Personalaktendaten sind alle Unterlagen einschließlich der in Dateien gespeicherten, die den Beschäftigten betreffen, soweit sie mit seinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen (vgl. zum Beamtenrecht § 50 Satz 2 BeamtStG, § 84 Abs. 1 LBG). Dies ist hier der Fall, da es sich um Angaben des Beigeladenen zu seinem persönlichen und beruflichen Werdegang im Rahmen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft handelt. Auch besteht hinsichtlich der Vertraulichkeit dieser Personalaktendaten und hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit kein wesentlicher Unterschied zu Personalaktendaten von Angehörigen des öffentlichen Dienstes (vgl. Hartung in Henssler/Prütting § 58 Rn. 2 ff.; Feuerich/Weyland § 58 Rn. 1 ff.). Daher ist bei der vorzunehmenden Abwägung die gesetzliche Wertung aus dem Beamtenrecht (vgl. § 50 S. 3 BeamtStG, § 111 Abs. 2 BBG, § 88 Abs. 2 LBG Bln) heranzuziehen, wonach die Vertraulichkeit von Personalaktendaten grundsätzlich zu wahren ist und eine Ausnahme allenfalls dann in Betracht kommt, wenn höherrangige Interessen die Akteneinsicht bzw. die Auskunftserteilung zwingend erfordern (vgl. Urteil der Kammer vom 12. Oktober 2007 € VG 2 A 136.05 € und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2011 € OVG 12 B 69.07 -). Ein solches höherrangiges Interesse, das die Akteneinsicht bzw. eine Auskunftserteilung zwingend erfordert, sieht das Gericht nicht. Das Informationsinteresse des Klägers ist zwar hoch, weil es ihm um die Aufklärung der Umstände geht, die zur Zulassung des Beigeladenen zur Rechtsanwaltschaft führten, obwohl der Kläger seiner Meinung nach Anhaltspunkte hat, dass der Beigeladene keine zweijährige Tätigkeit in einem rechtspflegerischen Beruf ausgeübt haben kann und darüber hinaus als inoffizieller Mitarbeiter beim Ministerium für Staatssicherheit beschäftigt war. Dieses einfachgesetzlich geregelte Interesse ist aber gegenüber dem grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrecht nachrangig, zumal da die Tätigkeit des Beigeladenen für das Ministerium für Staatssicherheit ohnehin bereits bekannt ist (vgl. eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen vom 14. April 2011).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er mangels Antragstellung kein eigenes Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) eingegangen ist. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis folgen aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Rechtssache sowohl hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des § 76 Abs. 1 BRAO als Versagungsgrund nach § 17 Abs. 4 IFG Bln als auch hinsichtlich der Heranziehung der gesetzlichen Wertung aus dem Beamtenrecht zur Vertraulichkeit von Personalaktendaten im Rahmen der Abwägung nach § 6 Abs. 1, 2. Alt. IFG Bln grundsätzliche Bedeutung hat.
BESCHLUSS
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf
5.000,00 Euro
festgesetzt.
VG Berlin:
Urteil v. 27.06.2012
Az: 2 K 142.11
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