Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 2. Dezember 2013
Aktenzeichen: 6 W 69/13
(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 02.12.2013, Az.: 6 W 69/13)
1. Die Entscheidung über die Aussetzung eines Patent- oder Gebrauchsmusterverletzungsverfahrens im Hinblick auf ein Einspruchs-, Nichtigkeits- oder Löschungsverfahren ist aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen, die dem mit der Verletzungsfrage befassten Gericht vorbehalten ist. Wird gegen die Aussetzung Beschwerde eingelegt, hat das Beschwerdegericht die Entscheidung nur darauf zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung vorliegen und ob das Landgericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
2. Der Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterliegen dabei die abstrakten Leitlinien der Ermessensausübung. Dazu gehört die Frage, welche Erfolgswahrscheinlichkeit der Angriff gegen den Rechtsbestand des Klageschutzrechts haben muss, um eine Aussetzung zu rechtfertigen.
3. Jedenfalls wenn im kontradiktorischen Löschungsverfahren die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters unter Berücksichtigung des für die Aussetzungsentscheidung maßgeblichen Standes der Technik erstinstanzlich bejaht wird, ist zum Schutz des Gebrauchsmusterinhabers die gleiche Zurückhaltung bei der Aussetzung des Verletzungsprozesses geboten wie im Patentverletzungsprozess.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 04.06.2013 (Az. 2 O 148/12) aufgehoben.
Gründe
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten wegen Gebrauchsmusterverletzung Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Rückruf aus den Vertriebswegen geltend und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht. Er ist Inhaber des am 24.02.2007 angemeldeten und am 21.06.2007 eingetragenen Gebrauchsmusters DE 20 2007 002 727, das am 26.07.2007 im Patentblatt bekanntgemacht wurde (Klagegebrauchsmuster). Es schützt ein Stanzwerkzeug zur Ablängung und Endenbearbeitung von Flachstabmaterial für Fensterbeschläge.
Die Beklagten zu 1 hat ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster im Umfang der Ansprüche 1, 3, 5-19 und 26 eingeleitet. Mit Beschluss vom 14.03.2013 (Anlage CBH 10) wurde das Klagegebrauchsmuster von der Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) teilgelöscht, soweit es über den Gegenstand des vom hiesigen Kläger gestellten Hilfsantrags 3 hinausgeht. Hilfsantrag 3 sieht folgenden Wortlaut des Hauptanspruchs 1 vor, der Gegenstand des vorliegenden Verletzungsstreits ist (ohne Bezugszeichen):
Stanzwerkzeug zur Ablängung und Endenbearbeitung von mindestens zwei an einem Ende miteinander verbundenen Flachstäben für Fensterbeschläge, mit mindestens einem druckmittelbetätigten Antriebszylinder für den Hubantrieb eines Werkzeughalters mit mindestens einem eingebauten Stanzwerkzeug, nämlich einem Loch-, Präge- oder Ablängstempel, das mit einer Matrize zusammenwirkt, einer U-förmigen nach drei Seiten offenen Einlegeöffnung für das zu bearbeitende Flachstabmaterial, einer feststehenden Platte mit Durchgangsöffnungen zur Führung der Werkzeugstempel, die als Abstreifer für das Stanzabfallmaterial wirkt, sowie mindestens einem Abführkanal für das Abfallmaterial, dadurch gekennzeichnet, dass der mindestens eine Loch-, Präge- oder Ablängstempel achsparallel zur Längsachse des Antriebszylinders versetzt an der Kolbenstange des Arbeitskolbens des Antriebszylinders befestigt ist und eine Verdrehsicherung bildet, wobei der bzw. die Werkzeugstempel durch die Kolbenstange sowie die Führungs- und Abstreifplatte geführt ist bzw. geführt sind und einen oberen Abfallspalt zwischen einer Verlängerung der Führungs- und Abstreifplatte und einer Ausnehmung einer Zwischenmatrize für das Abfallmaterial sowie einen unteren Abfallspalt zwischen der Unterseite der Zwischenmatrize und einer unteren Schutzabdeckung des Werkzeugs, wobei die U-förmig ausgebildeten Abfallspalte nach drei Seiten offen sind.
Die Beklagte zu 1 hat gegen den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung vom 14.03.2013 Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin die vollständige Löschung des Klagegebrauchsmusters erstrebt.
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, stellt her und vertreibt eine Beschlagstanze mit der Typenbezeichnung B... (angegriffene Ausführungsform). Der Kläger ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Hauptanspruchs 1 wortsinngemäßen Gebrauch. Die Beklagten leugnen die Verletzung und bestreiten die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die Beschwerde der Beklagten zu 1 gegen den Beschluss des DPMA vom 14.3.2013 ausgesetzt. Die Entscheidung über die Beschwerde sei für das vorliegende Verletzungsverfahren vorgreiflich; die angegriffene Ausführungsform falle in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. Die Kammer übe ihr Ermessen gemäß § 19 S. 1 GebrMG aber dahin aus, den Verletzungsstreit auszusetzen. Anders als im Patentverletzungsstreit sei im Gebrauchsmusterverletzungsstreit eine Aussetzung bereits dann sachgerecht, wenn Zweifel bestünden, ob die Schutzfähigkeit des mit dem Löschungsverfahren angegriffenen Gebrauchsmusters bestätigt werde. Die erstinstanzliche Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA sei als sachverständige Stellungnahme zu würdigen: Die Kammer vermöge die positive Einschätzung der Schutzfähigkeit aber unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht zu teilen; sie habe deshalb durchgreifende Zweifel am Bestand des Klagegebrauchsmusters. Die neu in den Hauptanspruch 1 aufgenommenen Abfallspalte ergäben sich neuheitsschädlich aus der Offenlegungsschrift DE 102 00 137 vom 12.09.2002 (Ast 7 im Löschungsverfahren). Die dortige Zeichnung offenbare zumindest einen oberen Abfallschacht, der U-förmig und nach drei Seiten offen sei. Die Zeichnung sei im Bereich des oberen Abfallschachts identisch mit der Figur 10 des Klagegebrauchsmusters. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, weshalb das Klagegebrauchsmuster die entsprechende Ausgestaltung der Abfallspalte offenbaren solle, nicht aber die Entgegenhaltung. Die U-Form ergebe sich quasi automatisch aus der in der Entgegenhaltung vorgesehen Schutzabdeckung. Gleiches gelte für den unteren Abfallspalt. Dass die in der Entgegenhaltung gezeigten Abfallspalte nach drei Seiten offen seien, ergebe sich aus Abschnitt 0011 der Beschreibung. Da diese Passage nicht zwischen den beiden Flachstäben unterscheide, gehe die Kammer von einer Offenbarung eines U-förmigen, nach hinten offenen Abfallspalts für den Schnittbereich des unteren Flachstabs aus und damit von einer im unteren Bereich weiter rechts liegenden Endkante der Rückwand oder Bodenplatte als Basis des U. Zwar sei dies der Zeichnung nicht entnehmen; da die Gebrauchsmusterabteilung aber eine zeichnerische Darstellung der Basis des U bei der Beurteilung der Offenbarung des Klagegebrauchsmusters nicht für erforderlich gehalten habe, sei auch insoweit nicht ersichtlich, weshalb für die Entgegenhaltung ein anderen Maßstab gelten sollte. Eine etwa erforderliche Übertragung der U-Form des oberen Abfallspalts auf den unteren Abfallspalt stelle keinen schutzbegründenden erfinderischen Schritt dar.
Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht der Kläger geltend, das Landgericht habe ermessensfehlerhaft einen unrichtigen Maßstab an die Beurteilung des Rechtsbestands des Klagegebrauchsmusters angelegt; bloße Zweifel an der Schutzfähigkeit reichten jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht aus. Dieser unrichtige Maßstab sei auch für die Aussetzungsentscheidung relevant geworden. Zudem sei das rechtliche Gehör des Klägers in relevanter Weise verletzt worden; die Entgegenhaltung DE 102 00 137 offenbare keinen unteren Abfallspalt, der nach drei Seiten offen und U-förmig sei. Auch offenbare sie weitere Merkmale des Klagegebrauchsmusters nicht; es bleibe offen, ob der Fachmann die Entgegenhaltung mit weiterem Stand der Technik kombinieren könne und werde.
Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen. Sie weisen darauf hin, dass es keine Bindung des Verletzungsgerichts an die Einschätzung im Löschungsverfahren gebe. Zudem sei die Aussetzung auch deshalb zwingend, weil der Löschungsantrag allein von der Beklagten zu 1 gestellt worden sei; der Beklagte zu 2 habe lediglich die Einrede der fehlenden Rechtsbeständigkeit nach § 13 GebrMG erhoben. In dem Beschluss komme mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass die Kammer das Klagegebrauchsmuster für nicht rechtsbeständig halte. Zudem bringe der angefochtene Beschluss zum Ausdruck, dass das Klagegebrauchsmuster auch wegen mangelnder Offenbarung (d.h. fehlender gewerblicher Anwendbarkeit) gelöscht werden könne.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat im Beschluss vom 24.07.2013 die Auffassung vertreten, die Kombination der - von der Gebrauchsmusterabteilung herangezogenen - Entgegenhaltungen (M..., Stanze S2, DE 203 20 344) mit der Entgegenhaltung DE 102 00 137 liege für den Fachmann nahe. Es handele sich bei allen Vorrichtungen um Stanzen zum Ablängen und zur Endenbearbeitung von Flachstabmaterial für Fensterbeschläge, die sich nur in Einzelheiten unterschieden. Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör liege nicht vor.II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Allerdings hat der Senat den Aussetzungsbeschluss nur in beschränktem Umfang zu überprüfen. Das Landgericht hat die Aussetzung allein auf § 19 S. 1 GebrMG gestützt. Nach dieser Vorschrift steht es im Ermessen des Verletzungsgerichts, die Verhandlung bis zur Erledigung eines anhängigen und für die Entscheidung vorgreiflichen Löschungsverfahrens auszusetzen. Dementsprechend hat das Beschwerdegericht bei einer sofortigen Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss (§§ 252, 567 ZPO) nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung vorliegen und ob das Landgericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Die für die Aussetzungsentscheidung erforderliche Interessenabwägung ist vom Landgericht zu treffen und vom Beschwerdegericht unabhängig davon hinzunehmen, ob es selbst zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 6. Aufl., Rn. 1625; Senat GRUR 1979, 850 - Fixierstrebe).
2. Der Ausgang des Löschungsverfahrens, welches das Klagegebrauchsmuster betrifft, ist für die Entscheidung im Verletzungsprozess vorgreiflich. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters wortsinngemäßen Gebrauch macht. Diese Einschätzung nimmt der Kläger als ihm günstig hin; die Beklagten haben den Aussetzungsbeschluss nicht angefochten (zu dieser Möglichkeit vgl. Kühnen, a.a.O., Rn. 1623, 1626) und bringen gegen die Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals ebenfalls keine Einwendungen vor. Die Bejahung der Verletzungsfrage, die auf die Anwendung anerkannter patentrechtlicher Grundsätze gestützt wird, braucht jedenfalls in dieser Situation nicht im Einzelnen überprüft zu werden. Auf die Frage, ob die Bejahung der Vorgreiflichkeit auch im Fall der Aussetzung nach § 19 S. 1 GebrMG aus den vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR-RR 2003, 359 m.w.N.) dargelegten Erwägungen stets hinzunehmen ist, kommt es hier nicht an.
Die Vorgreiflichkeit besteht auch hinsichtlich des Beklagten zu 2. Dass dieser am Löschungsverfahren nicht beteiligt ist, ändert daran entgegen der Auffassung der Beklagten nichts. § 19 GebrMG setzt nicht voraus, dass das Löschungsverfahren zwischen denselben Parteien geführt wird wie das Verletzungsverfahren.
3. Auch wenn auf der Rechtsfolgenseite die Interessenabwägung, wie ausgeführt, als solche nicht überprüft werden kann, sind die Leitlinien, die das Landgericht dabei angewandt hat, als Grundlagen der Ermessensausübung vom Beschwerdegericht überprüfbar. Dazu gehört insbesondere die Frage, ob eine Aussetzung schon bei Zweifeln am Rechtsbestand des Schutzrechts geboten ist oder ob es hierfür der Feststellung bedarf, dass mit einem höheren Grad an Wahrscheinlichkeit von der Schutzunfähigkeit auszugehen ist. Insoweit geht es nicht um die dem Ermessen des Landgerichts vorbehaltene prognostische Würdigung der Frage, wie die Erfolgsaussichten des Angriffs auf den Rechtsbestand des Klageschutzrechts angesichts des entgegengehaltenen Standes der Technik zu beurteilen sind. Vielmehr geht es um die abstrakte Rechtsfrage, ob für die Aussetzung schon ein relativ geringes Risiko einer Löschung, eines Widerrufs oder einer Nichtigerklärung ausreichen kann oder ob insoweit ein erhebliches Risiko zu fordern ist. Da eine einheitliche Beurteilung dieser Rechtsfrage unabhängig von der Anwendung im konkreten Einzelfall erforderlich ist, unterliegt die Entscheidung des Landgerichts insoweit der rechtlichen Überprüfung im Beschwerdeverfahren.
Für den Patentverletzungsprozess ist anerkannt, dass eine Aussetzung in erster Instanz im Regelfall nur dann gerechtfertigt ist, wenn mit erheblicher Wahrscheinlichkeit von einem Widerruf oder einer Nichtigerklärung des Klagepatents ausgegangen werden kann. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die Aussetzung angesichts der begrenzten Laufzeit des Schutzrechts und der häufig langen Zeitdauer bis zur endgültigen Klärung des Rechtsbestands typischerweise einen erheblichen Eingriff in die Rechtsposition des Patentinhabers bedeutet. Bei der vom Verletzungsgericht zu treffenden Prognoseentscheidung fällt außerdem jedenfalls im ersten Zugriff ins Gewicht, dass das Patent nur erteilt wird, wenn und soweit das Patentamt aufgrund sachkundiger technischer Prüfung die Schutzfähigkeit der beanspruchten technischen Lehre bejaht hat; auch dies spricht dafür, bei der Aussetzung des Verletzungsprozesses Zurückhaltung walten zu lassen.
Für die fakultative Aussetzung nach § 19 S. 1 GebrMG wird teilweise unter Hinweis auf die Systematik der §§ 11, 13 GebrMG und auf die auch hier gravierenden Auswirkungen der Aussetzung für den Schutzrechtsinhaber die Anwendung desselben strengen Maßstabs befürwortet (vgl. LG München I Mitt. 2012, 184 juris-Rn. 68; Mes, PatG, 3. Aufl., § 19 GebrMG Rn. 5). Die Gegenauffassung, die auch das Landgericht vertritt, will demgegenüber im Grundsatz bereits Zweifel am Rechtsbestand des Gebrauchsmusters für eine Aussetzung ausreichen lassen (vgl. Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 19 GebrMG Rn. 6; Fitzner/Lutz/Bodewig/Kircher, PatG, § 19 GebrMG Rn. 9 m.w.N.). Dies wird zum einen mit der fehlenden behördlichen Prüfung der Rechtsbestands vor der Eintragung des Gebrauchsmusters, zum anderen mit der vom Patentrecht abweichenden Kompetenzverteilung im Gebrauchsmusterrecht begründet, nach der das Verletzungsgericht zur eigenen Entscheidung über den Rechtsbestand des Gebrauchsmusters berufen sein kann.
Der Streitfall erfordert keine grundsätzliche Stellungnahme zu dieser Kontroverse. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gebrauchsmusterabteilung über den Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Form bereits positiv entschieden und dabei den Stand der Technik, auf den das Landgericht seine Zweifel an der Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters gegründet hat, bereits vollständig gesehen und gewürdigt hat (Anlage CBH 10, S. 9).
Jedenfalls in einer solchen Situation ist es im Regelfall nicht gerechtfertigt, den Verletzungsprozess bei bloßen Zweifeln am Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters auszusetzen. Aufgrund der Prüfung und Bejahung der Schutzfähigkeit durch die fachkundige Gebrauchsmusterabteilung besteht nunmehr eine Vermutung zugunsten des Rechtsbestands des Gebrauchsmusters, der zumindest gleiches Gewicht beizumessen ist wie derjenigen, die an die Erteilung eines Patents anknüpft. Denn die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung ist aufgrund eines kontradiktorischen Verfahrens ergangen, bei dem der Löschungsantragsteller die Erwägungen, die aus seiner Sicht gegen den Rechtsbestand sprechen, ins Verfahren einführen kann und muss. Wenn das Schutzrecht gleichwohl von der technisch kompetenten Gebrauchsmusterabteilung in einem für die Verletzung relevanten Umfang bestätigt wird, liegt darin ein erhebliches Indiz zugunsten der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters.
Der Hinweis auf die Kompetenzverteilung im Verletzungs- und Löschungsverfahren vermag nicht zu überzeugen. Wie sich aus § 19 S. 2 GebrMG ergibt, ist das Verletzungsgericht bei Vorliegen eines Löschungsantrags gerade nicht befugt, die Klage wegen der seines Erachtens fehlenden Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters abzuweisen; es hat den Rechtsstreit dann vielmehr zwingend auszusetzen. Die Verwerfungskompetenz liegt also nicht beim Verletzungsgericht, sondern bei der Gebrauchsmusterabteilung und ggf. beim Bundespatentgericht. Diese Zweiteilung entspricht strukturell der Situation im Patentverletzungsprozess. Kann das Verletzungsgericht lediglich die (mehr oder weniger wahrscheinliche) Möglichkeit feststellen, dass sich das Klagegebrauchsmuster im Löschungsverfahren als schutzunfähig erweist, steht die Aussetzung in seinem Ermessen (§ 19 S. 1 GebrMG), bei dessen pflichtgemäßer Ausübung - wiederum parallel zur Situation im Patentverletzungsprozess - im Interesse der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen die Wahrscheinlichkeit einer Löschung zu berücksichtigen ist. Wenn das Klagegebrauchsmuster mit dem Löschungsantrag angegriffen wird, besteht somit eine Kompetenzverteilung, die derjenigen im Patentverletzungsprozess weitgehend entspricht. Jedenfalls wenn - wie im Streitfall - im Löschungsverfahren die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters unter Berücksichtigung des für die Aussetzungsentscheidung maßgeblichen Standes der Technik erstinstanzlich bejaht wird, ist zum Schutz des Gebrauchsmusterinhabers die gleiche Zurückhaltung bei der Aussetzung des Verletzungsprozesses geboten wie im Patentverletzungsprozess. Im Regelfall muss dann festgestellt und begründet werden, dass trotz der erstinstanzlichen Bejahung der Schutzfähigkeit im Löschungsverfahren mit erheblicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass das Gebrauchsmuster in dem für den Verletzungsprozess maßgeblichen Umfang keinen Bestand haben wird.
4. Die Anwendung der vom Landgericht für zutreffend erachteten Ermessensleitlinie (Aussetzung bei bloßen Zweifeln am Rechtsbestand) ist für die Aussetzungsentscheidung relevant. Eine eigene Prüfung anhand des soeben dargestellten Maßstabs ist dem Senat als Beschwerdegericht allerdings versagt; die Frage, ob eine Löschung des Klagegebrauchsmusters aufgrund der eingelegten Beschwerde überwiegend wahrscheinlich ist, ist Teil der Ermessensentscheidung, die das Beschwerdegericht nicht vorwegnehmen darf. Die sofortige Beschwerde gegen die Aussetzungsentscheidung wäre allerdings unbegründet, wenn aufgrund des im Beschwerdeverfahren erreichten Sach- und Streitstandes bereits feststünde, dass auch bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs keine andere Entscheidung getroffen werden könnte. Wegen der dem Landgericht obliegenden Ermessensausübung wird dies allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen.
Im Streitfall kann der Senat nicht ausschließen, dass die Ermessensentscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das Landgericht den soeben dargestellten Maßstab zugrundegelegt hätte. Die im angefochtenen Beschluss dargestellten Bedenken gegen die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA (Anlage CBH 10) erscheinen jedenfalls nicht zwingend. Das gilt gerade auch für die Entgegenhaltung DE 102 00 137, die das Landgericht zur Begründung des Naheliegens der neu hinzugekommenen Merkmale (oberer und unterer Abfallspalt, jeweils U-förmig ausgebildet und nach drei Seiten offen) herangezogen hat. Die Gebrauchsmusterabteilung hat darauf hingewiesen, dass die in der Zeichnung der DE 102 00 137 gezeigte Vorrichtung aufrecht stehend betrieben werde, so dass die Schneidabfälle einfach fallen gelassen würden, ohne dass Abfallschächte verstopfen könnten. Wenn dies zuträfe, wäre erklärungsbedürftig, welchen Anlass der Fachmann haben soll, die genannte Schrift als Anregung für die Abfallspalte nach dem jetzt maßgeblichen Hauptanspruch 1 heranzuziehen; der Hinweis darauf, dass es sich auch insoweit um Stanzwerkzeuge zum Ablängen und zur Endenbearbeitung von Flachstabmaterial für Fensterbeschläge handelt, wäre insoweit möglicherweise nicht ausreichend. Zudem zeigt die Begründung des angefochtenen Beschlusses, dass die Entgegenhaltung mit Blick auf die fraglichen Merkmale durchaus Interpretationsspielraum lässt. Somit kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass auch bei Anwendung der zutreffenden Ermessensleitlinie keine andere Entscheidung als die des Landgerichts in Betracht gekommen wäre.
Auf mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG) hat das Landgericht die angefochtene Aussetzungsentscheidung entgegen der Darstellung der Beklagten nicht gestützt; dies wäre im Übrigen angesichts der Regelung des § 3 Abs. 2 GebrMG mit der Bejahung einer Verletzung durch die angegriffene Ausführungsform nicht in Einklang zu bringen.
Der angefochtene Aussetzungsbeschluss ist daher aufzuheben. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. OLG Düsseldorf InstGE 2, 229 juris-Rn. 3).
OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 02.12.2013
Az: 6 W 69/13
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