Verwaltungsgericht Münster:
Beschluss vom 12. August 2004
Aktenzeichen: 1 L 1018/04

(VG Münster: Beschluss v. 12.08.2004, Az.: 1 L 1018/04)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Kammer kann über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entscheiden, weil der Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht (§ 100 VwGO) gegenstandslos ist. Der Akteneinsichtsantrag geht ins Leere. Die vergaberechtlichen Unterlagen, in die die Antragstellerin Einsicht nehmen will, liegen der Kammer nicht vor. § 100 VwGO begründet keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Beiziehung von Verwaltungsakten.

II. Der Antrag der Antragstellerin,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, sich weiterhin am Vergabeverfahren, Ausschreibung von Entsorgungsleistungen, Los 1, der Beigeladenen zu beteiligen und insbesondere einer Verlängerung der Bindefrist zuzustimmen,

ist unzulässig.

1. Es mag offen bleiben, ob bereits der Verwaltungsrechtsweg durch die bundesrechtliche Regelung des ausschließlichen Rechtsschutzes nach §§ 102, 104 Abs. 2 GWB ausgeschlossen ist (§ 40 Abs. 1 S. 1, letzter Halbsatz VwGO), auch wenn der Antrag nicht unmittelbar gegen die Auftraggeberin gerichtet ist, aber das mit dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgte Beschleunigungsinteresse sowie das darauf aufbauende Konzentrationsinteresse bestehen dürften, der Antrag der Antragstellerin auf die Durchführung des Vergabeverfahren selbst ausgerichtet ist und erhebliche, für die Antragstellerin nachteilige Folgen erst infolge eines vergaberechtlichen Zuschlags der Auftraggeberin eintreten können. Die Kammer kann die Frage des Rechtswegs dahingestellt lassen, weil vor der Vergabekammer bereits ein Verfahren eingeleitet ist, an dem die Antragstellerin beteiligt ist, es damit keiner Verweisung des Rechtsschutzverfahrens bedarf (vgl. § 115 GWB) und der Antrag der Antragstellerin jedenfalls unzulässig ist.

2. Die Antragstellerin hat kein berechtigtes Rechtsschutzinteresse für ein v o r l ä u f i g e s Rechtsschutzverfahren, dass z u s ä t z l i c h z u dem bzw. neben d e m V e r g a b e n a c h p r ü f u n g s v e r fa h r e n bei der Vergabekammer N. durchgeführt wird. Ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse ist u. a. dann nicht gegeben, wenn der Antragstellerin bereits ein anderer und effektiverer Rechtsschutz zur Seite steht (vgl. dazu nur Ehlers, in: Schoch u. a., VwGO, Vorbem. § 40 Rn. 81, 87 und 89 m. w. N.). Das ist der Fall.

a) Die in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren von der Antragstellerin geltend gemachten kommunalrechtlichen Einwendungen aus § 107 Gemeindeordnung NRW werden bereits in dem als Hauptsacheverfahren geführten Vergabenachprüfungsverfahren untersucht. Wegen der Ausschreibung der Beigeladenen wird das Vergabenachprüfungsverfahren VK 123 und VK 456 bei der Vergabekammer N. durchgeführt. Die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die Beigeladene sind an dem Vergabenachprüfungsverfahren beteiligt. Nach der Rechtsprechung des zuständigen Vergabesenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat die Vergabestelle die Einhaltung der Bestimmung des § 107 Gemeindeordnung NRW zu beachten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juni 20002 - Verg 18/02 -, z. B. NWVBl. 2003 S. 1932 = NZBau 2002 S. 626 = VergabeR 2002 S. 471 = ZfBR 2002 S. 471; Beschluss vom 12. Januar 2000 - Verg 3/99 -, z. B. NZBau 2000 S. 155 = NVwZ 2000 S. 714 = NWVBl. 2000 S. 356). Der Kammer ist nicht ersichtlich, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 09. April 2003 - Verg 43/02 -, NZBau 2003 S. 578, seine Rechtsprechung zum Prüfungsumfang des Vergabenachprüfungsverfahrens aufgehoben hat. Das Urteil des 1. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. September 2002 (- I ZR 293/99 -, z. B. NJW 2003 S. 586 = NVwZ 2003 S. 246 = NWVBl. 2003 S. 158) steht nicht entgegen. Die Entscheidung schließt die Prüfung des § 107 Gemeindeordnung NRW im Rahmen des Vergabeverfahrens nicht aus. Sie betrifft nicht alle der in § 104 Abs. 2 GWB benannten Rechte, sondern allein Ansprüche aus § 1 UWG (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juni 2002 - Verg 18/02 -, a.a.O.).

Das Vergabenachprüfungsverfahren begründet für die Antragstellerin effektiveren Rechtsschutz. Anders als der auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Antrag der Antragstellerin gewährt das Vergabenachprüfungsverfahren bereits die Prüfungsintensität eines Hauptsacheverfahrens, wobei die Vergabekammer an die Anträge nicht gebunden ist (§ 114 GWB), den Sachverhalt von Amts wegen erforscht (§ 110 GWB) und auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 112 GWB). Bis eine solche Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer ergeht, sind die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin vorläufig gesichert. Bis zur (Hauptsache-)Entscheidung der Vergabekammer und darüberhinausgehend bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach § 117 Abs. 1 GWB darf die Beigeladene den Zuschlag nicht erteilen (§ 115 Abs. 1 GWB). Sollte die Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer unterliegen, kann sie weiteren vorläufigen Rechtsschutz nach § 118 Abs. 1 und 2 GWB erreichen. Eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auf zusätzlichen vorläufigen Rechtsschutz bedarf es daneben nicht zum Schutz eventueller Rechte der Antragstellerin. Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die die prozessuale Notwendigkeit eines weiteren Verfahrens rechtfertigen könnten.

Die Einwendung der Antragstellerin, die Vergabekammer habe zu erkennen gegeben, dass ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 107 Gemeindeordnung NRW nicht berücksichtigt werde, führt zu keiner anderen Entscheidung. Die Antragstellerin hat keine substantiierten Tatsachen vorgetragen, nach denen die Gefahr bestehen könnte, dass die Vergabekammer den Einwand aus § 107 Gemeindeordnung NRW nicht prüfen werde. Unter Mitberücksichtigung der oben angeführten Rechtsprechung des Vergabesenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf bleibt wahrscheinlich, dass die Vergabekammer den Sachverhalt auch anhand des § 107 Gemeindeordnung NRW untersucht. Die Befürchtung, dass die Vergabekammer § 107 Gemeindeordnung NRW nicht „berücksichtige", dürfte allenfalls darauf beruhen, dass die Vergabekammer zu der für die Antragstellerin nachteiligen Sachentscheidung neigt, eine wirtschaftliche Betätigung im Sinne des Kommunalrechts liege wegen der gesetzlichen Fiktion des § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Gemeindeordnung NRW schon nicht vor und § 107 Abs. 2 Satz 2 Gemeindeordnung NRW sei - anders als § 107 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung NRW - nicht drittschützend und/oder nicht verletzt. Wenn die Antragstellerin eine davon abweichende materielle Rechtsauffassung vertritt, kann dies nicht das prozessuale Recht zusätzlichen Rechtsschutzes begründen.

Schließlich trifft die Annahme der Antragstellerin nicht zu, dass eine wirtschaftliche Beteiligung der Antragsgegnerin effektiv „nur" verhindert werden könne, wenn die Antragsgegnerin es unterlasse, einer Bindefristverlängerung zuzustimmen. Ein Verstoß gegen § 107 Gemeindeordnung kann nicht „nur so" (vgl. Schriftsatz vom 11. August 2004), sondern ebenfalls durch das gleichzeitig anhängige Vergabenachprüfungsverfahren unterbunden werden. Wenn im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahren § 107 Gemeindeordnung NRW geprüft wird (vgl. dazu oben) und wenn die Antragsgegnerin - auch unter Berücksichtigung des § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Gemeindeordnung NRW - gegen die kommunalrechtliche Vorschrift verstoßen sollte, würden die hier streitigen Entsorgungsleistungen der Antragsgegnerin auf dem Gebiet der Beigeladenen im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens unterbunden. Die Vergabekammer und/oder der Vergabesenat bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf treffen die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern (§ 114 Abs. 1 GWB). Dass sich die Beigeladene über eine solche vergaberechtliche Entscheidung hinwegsetzen sollte, ist in keiner Weise ersichtlich.

b) Über einen kommunalrechtlichen Unterlassungsanspruch kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht im Übrigen nicht endgültig entschieden werden. Eine solche Entscheidung kann der materiellen Rechtskraft allenfalls in Bezug auf die Regelung des vorläufigen Zustandes fähig sein.

c) Weitere Gründe für einen neben dem Vergabenachprüfungsverfahren erforderlichen weiteren Rechtsschutz legt die Antragstellerin nicht dar. Sie sind der Kammer auch sonst nicht ersichtlich.

3. Besteht für ein neben dem Vergabenachprüfungsverfahren zusätzliches verwaltungsgerichtliches Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz kein berechtigtes Rechtsschutzinteresse, kann dahingestellt bleiben, welche rechtlichen Folgen die Umstände begründen, dass das Begehren der Antragstellerin allein gegen eine Verfahrenshandlung der Antragsgegnerin und nicht gegen die Sachentscheidung „Zuschlag" der Beigeladenen (vgl. § 44a VwGO) und auf eine zu Lasten der Antragsgegnerin erfolgende Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sein dürfte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05. Mai 2004 (BGBl. I S. 718). Die Kammer schätzt insoweit den von der Antragstellerin geltend gemachten Schaden auf ca. 50.000 EUR, den es wegen der Vorläufigkeit des Rechtsschutzverfahrens mit der Hälfte ansetzt.






VG Münster:
Beschluss v. 12.08.2004
Az: 1 L 1018/04


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