Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. April 2000
Aktenzeichen: 30 W (pat) 186/99

(BPatG: Beschluss v. 17.04.2000, Az.: 30 W (pat) 186/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Markenstelle für Klasse 5 - vom 30. April 1999 in der Hauptsache aufgehoben. Wegen der Gefahr von Verwechslungen mit der Marke 677 025 wird die Löschung der Marke 396 14 938 angeordnet.

Gründe I.

Unter der Rollennummer 396 14 938 ist die am 27. März 1996 angemeldete Marke CORSOLVIN als Kennzeichnung für die Waren

"Arzneimittel"

in das Markenregister eingetragen worden.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der rangälteren, seit 1955 für die Waren

"Arzneimittel, nämlich ein Herztonikum"

eingetragenen Marke 677 025 Korodin.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, zwar könnten mit den Marken identische Waren gekennzeichnet werden, der klangliche Abstand der beiden Worte sei aber aufgrund der unterschiedlichen Konsonantenfolgen in der Wortmitte noch ausreichend. Wegen der kennzeichnungsschwachen Anfangsbestandteile "COR"/Kor" und der häufigen Endung "in" würden die Unterschiede in der Wortmitte deutlicher beachtet werden. Eine erhöhte Kennzeichnungskraft könne nicht berücksichtigt werden, denn eine langjährige intensive Benutzung sei von der Widersprechenden nur behauptet aber nicht belegt, also nicht liquide.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt, erneut eine erhöhte Kennzeichnungskraft geltend gemacht und als Beleg eine eidesstattliche Erklärung über die mit dem Präparat seit 1993 umgesetzten Einheiten zu 10 ml Verbrauchsinhalt vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung überreicht sie weiter eine Übersicht der auf dem Gesamtmarkt der fünf wichtigsten Herz-Kreislauf-Präparate (richtig wohl: Cardiotonika) vertriebenen Packungseinheiten und des DM-Umsatzes für die Jahre 1993 bis 1996, sowie Auszüge aus der Zeitschrift "Pharmazeutische Rundschau" über die Empfehlungshäufigkeit bei Cardiotonika in den Jahren 1993, 1995 und 1997. Sie ist der Ansicht, durch diese Unterlagen sei die marktführende Position des Präparates belegt. Der ihrer Marke damit zustehende erhöhte Schutzumfang sei angesichts der Identität der Waren, der angesprochenen allgemeinen Verkehrskreise und der klanglichen Nähe der Marken tangiert.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluß der Markenstelle aufzuheben und (sinngemäß) die eingetragene jüngere Marke zu löschen.

Die Inhaberin der jüngeren Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert, sondern erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatz eingereicht, auf den verwiesen wird.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und den patentamtlichen Beschluß Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, denn es besteht Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfordert eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, wobei eine Wechselbeziehung insbesondere zwischen den Faktoren Ähnlichkeit der Marken, Ähnlichkeit der Waren und Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke erfolgt (stRspr, vgl. zB BGH MarkenR 1999, 297 - HONKA). Nach der Registerlage können mit den Marken identische Waren gekennzeichnet werden, d. h. die jüngere Marke kann ebenso für ein Cardiotonikum, also ein Kräftigungsmittel bei Herzbeschwerden verwendet werden. Allgemein dient ein Tonikum zum Ausgleich von Erschöpfungszuständen, in der Rekonvaleszenz oder zur allgemeinen Kräftigung; schwerwiegende Erkrankungen werden damit nicht behandelt. Bei den Herzmitteln werden Tonika als Stärkungsmittel in der sog. "kleinen Herztherapie (zB "Altersherz") verwendet und sind meist auf pflanzlicher Basis hergestellt (insbesondere Weißdornextrakt, Baldrian, Kampfer). Als "schwächstes Glied" in der Kette der Medikation sind die Risiken einer Falschbehandlung vergleichsweise gering, so daß derartige Mittel häufig auf Empfehlung und zur Selbstbehandlung ohne Einschaltung eines Arztes gekauft werden. Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr maßgebend ist somit der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher (vgl BGH, MarkenR 2000, 140 - ATTACHE/TISSERAND), der allerdings beim Umgang mit Produkten, die mit der Gesundheit zusammenhängen, regelmäßig eine etwas gesteigerte Aufmerksamkeit aufwendet (BGH GRUR 1995, 50 - Indorektal/ Indohexal). Da Herzinsuffizienz gehäuft bei älteren Menschen auftritt, müssen auch diese Verkehrskreise bei der Gewichtung der für die Verwechslungsgefahr zu würdigenden Faktoren miteinbezogen werden.

Der Widerspruchsmarke "Korodin" ist ein erweiterter Schutzumfang zuzubilligen. Die ursprüngliche Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich. Zwar weist der Bestandteil "Koro" auf das lateinische Wort "cor" (die Bezeichnung für "Herz", vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Aufl, S 282) und auf "koronar" (zu den Herzkranzgefäßen gehörend, vgl Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke, 5. Aufl, S 400) hin, zusammen mit dem weiteren Bestandteil "din" ist das Gesamtzeichen jedoch ausreichend phantasievoll, um zur Produktidentifikation zu dienen. Im pharmazeutischen Bereich ist es übliche Praxis, Marken in der Weise zu bilden, daß diese als sogenannte sprechende Zeichen durch eine phantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fachmann erkennbar Wirkstoff- und/oder Anwendungsangaben, die stoffliche Beschaffenheit und/oder das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl BGH GRUR 1998, 815 - Nitrangin). Nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Widersprechenden ist diese ursprünglich durchschnittliche Kennzeichnungskraft durch langjährige umfangreiche Benutzung derart gesteigert worden, daß sie zu einer erhöhten Bekanntheit der Marke im Bereich der Cardiotonika geführt hat. Die von der Widersprechenden in der eidesstattlichen Versicherung vorgelegten Umsatzzahlen über die Verbrauchseinheiten zu 10 ml (zum Zeitpunkt der Eintragung der jüngeren Marke 1996 waren es über 7 Millionen) allein würden zwar einen solchen Rückschluß auf die Bekanntheit der Marke noch nicht zulassen, denn das Medikament der Widersprechenden wird in Packungseinheiten von 10, 40 und 100 ml Inhalt vertrieben (vgl Rote Liste 1999, Nr 53 107 sowie BPatG PAVIS PROMA Kliems, 30 W (pat) 127/99 - Coridilt # Korodin). Die Anzahl von 10 ml Packungseinheiten kann somit nur beschränkt Auskunft über die Anzahl der - für die Beurteilung der Bekanntheit weit wichtigeren - Packungseinheiten geben. Denn nur sie läßt erkennen, wie häufig ein Erwerbsvorgang stattgefunden hat. Die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen bieten jedoch eine ausreichend Grundlage für die Anerkennung eines erweiterten Schutzumfangs. Nach der in der Zeitschrift "Pharmazeutische Rundschau" alljährlich veröffentlichten Studie lag die Empfehlungshäufigkeit der Widerspruchsmarke bei den Cardiotonika im Jahr 1996 bei 91 % und damit im Vergleich zu Konkurrenzprodukten an erster Stelle (zum Vergleich: Diacard N: 86 %, Crataegutt: 43 %). Im Jahr 1997 hat sich der Abstand zu den Vergleichspräparaten sogar erhöht (Korodin: 95 %, Diacard N: 79 %, Crataegutt: 58 %). Die Übersicht des Gesamtmarkts der fünf wichtigsten Herz-Kreislauf-Präparate (richtig wohl: Cardiotonika) belegt, daß die Widerspruchsmarke sowohl beim DM-Gesamtumsatz als auch bei der Anzahl der Packungseinheiten eine führende Stellung hat. In dem Zeitraum von 1993 bis 1996 hielt sie kontinuierlich etwa 1/4 des DM-Gesamtumsatzes, bei Berücksichtigung der Packungseinheiten waren dies sogar 1/3 und darüber (die Unterschiede sind auf die verschiedenen Verkaufspreise zurückzuführen). Damit ist der Sachvortrag ausreichend substantiiert und angesichts des Nichtbestreitens durch die Inhaberin der jüngeren Marke geeignet, der Entscheidung einen erhöhten Bekanntheitsgrad der Widerspruchsmarke zugrunde zu legen.

In diesen erweiterten Schutzumfang der Widerspruchsmarke greift das jüngere Zeichen ein. "CORSOLVIN" und "Korodin" stimmen in den ersten drei und letzten zwei Buchstaben vollständig überein. Die für das Gesamtklangbild wichtigen Faktoren wie Vokalfolge, Silbenzahl und Silbengliederung sind identisch. Auch wenn ein Gleichklang in kennzeichnungsschwachen Elementen (wie "kor" und "in") nicht besonders ins Gewicht fällt, so darf er doch nicht unberücksichtigt bleiben und im Zusammenhang mit weiteren Ähnlichkeiten (hier dem in beiden Marken enthaltenen O in der Mitte) zur Verwechslungsgefahr führen. Die Abweichungen in der - regelmäßig ohnehin weniger beachteten - Wortmitte sind nicht dergestalt, daß sie die Übereinstimmung im übrigen ausreichend beeinflussen könnten. Das Gesamtklangbild wird vielmehr durch die regelmäßig stärker beachteten Übereinstimmungen geprägt, so daß bei der hier gegebenen Sachlage eine Verwechslungsgefahr zu bejahen ist.

Die Beschwerde hat deshalb Erfolg.

Für die Kosten gilt § 71 Abs 1 MarkenG.

Dr. Buchetmann Winter Schwarz-Angele Ko






BPatG:
Beschluss v. 17.04.2000
Az: 30 W (pat) 186/99


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