Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 22. Mai 2006
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. IX 53/06

(OLG Hamm: Beschluss v. 22.05.2006, Az.: 2 (s) Sbd. IX 53/06)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt mit seinem Schriftsatz vom 31. Januar 2006 mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger vor dem Bezirksjugendschöffengericht Bochum die Gewährung einer "Pauschvergütung gemäß § 51 RVG". Er hält seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger durch die ihm zustehenden gesetzlichen Gebühren, die bisher noch nicht rechtskräftig festgesetzt sind, nicht für hinreichend vergütet. Das Verfahren sei nämlich im Hinblick auf den Aktenumfang, dreier mit dem Mandanten geführter Besprechungen, der Dauer der Hauptverhandlung einschließlich An- und Abreise von ca. vier Stunden und im Hinblick auf seinen Beitrag zur Erledigung des Verfahrens in einem Termin besonders umfangreich gewesen.

Zu diesem Antrag hat der Vertreter der Staatskasse unter dem 13. April 2006 Stellung genommen und dabei den Tätigkeitsumfang des Antragstellers zutreffend dargestellt. Auf diese, dem Antragsteller bekannte Darstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-) Gebühren berechnen sich nach Auffassung des Senats auf (netto) 1160,- €, die "Wahlverteidigermittelgebühren" auf (netto) 1450,- € und die "Wahlverteidigerhöchstgebühren" auf 2600,- €:

Denn der Antragsteller hat neben der Grundgebühr, der gerichtlichen Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr in dem führenden Verfahren 23 Js 809/05 = 28 Ls 152/05 in drei weiteren, später hinzuverbundenen Verfahren die Grundgebühr sowie die (gerichtliche) Verfahrensgebühr verdient, weil er in diesen Verfahren nach Anklageerhebung aber vor Verbindung mit dem führenden Verfahren tätig wurde. In den restlichen Verfahren wurde der Antragsteller durch Akteneinsichten nach Verbindung mit dem führenden Verfahren tätig. Diese Tätigkeit ist damit durch die Grund- und Verfahrensgebühr im führenden Verfahren bereits abgegolten.

In den Verfahren, in denen der Antragsteller nach Anklageerhebung, aber vor Verbindung tätig wurde (Akteneinsicht), hat er neben der Grundgebühr, die dem Rechtsanwalt für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall zusteht, auch die gerichtliche Verfahrensgebühr verdient. Denn mit dieser wird das Betreiben des Geschäftes einschließlich der Information sowie die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung abgegolten. Dabei ist es von der Systematik der Gebührentatbestände her grundsätzlich nicht möglich, dass nur eine Grundgebühr und ggfls. eine Terminsgebühr entstehen (vgl. Burhoff, StV 2006, 207 ff, 211). Die Tätigkeit des Antragstellers in diesen drei Verfahren vor ihrer Verbindung mit dem führenden Verfahren löst deshalb auch die (gerichtliche) Verfahrensgebühr aus.

Insgesamt berechnen sich die gesetzlichen Gebühren vor diesem Hintergrund entsprechend der Stellungnahme der Staatskasse deshalb wie folgt:

führendes Verfahren 23 Js 809/05, Bd. I

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,- €

Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 112,- €

Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG 184,- €

verbundenes Verfahren 23 Js 855/05, Bd II

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,- €

Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 112,- €

verbundenes Verfahren 23 Js 1041/05, Bd III

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,- €

Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 112,- €

verbundenes Verfahren 23 Js 1211/05, Bd. VI

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,- €

Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 112,- €

___________

1160,- €

Der Vertreter der Staatskasse hat in Übereinstimmung mit dem Vorsitzenden des Bezirksjugendschöffengerichts das Verfahren als "besonders schwierig" angesehen. Er sieht das Verfahren im Ergebnis auch als "besonders umfangreich" an und hat demgemäss die Gewährung einer Pauschgebühr befürwortet.

II.

Der Antrag auf Bewilligung einer "Pauschvergütung" war abzulehnen.

Da die Beiordnung des Antragstellers zum Pflichtverteidiger des früheren Angeklagten Q erstmalig im führenden Verfahren am 31. August 2005 erfolgte, ist auf die Sache das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anzuwenden (§ 61 Abs. 1 Satz 1, 2. Altern. RVG). Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG liegen jedoch nicht vor. Das Verfahren stellt sich weder als "besonders schwierig" noch als "besonders umfangreich" dar. Die gesetzlichen Gebühren erscheinen für den Antragsteller deshalb auch nicht als unzumutbar niedrig.

Das Verfahren war nicht "besonders schwierig" i.S.v. § 51 Abs. 1 RVG. Zur Frage, wann ein Verfahren "besonders schwierig" ist, hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99 BRAGO fest, da das RVG insoweit keine Änderungen erbracht hat (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 17. Februar 2005 in 2 (s) Sbd. VIII 11/05). Dabei ist es zwar in der Regel geboten, sich der sachnahen Einschätzung des Gerichtsvorsitzenden anzuschließen. (vgl. dazu Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Der Senat macht davon in ständiger Rechtsprechung aber dann eine Ausnahme, wenn diese Stellungnahme nicht nachvollziehbar ist bzw. die vorliegenden Umstände nicht zutreffend würdigt. Davon ist hier auszugehen. Das Verfahren mag "schwierig" gewesen sein, "besonders schwierig" war es dagegen nicht. Die vom Antragsteller selbst vorgetragenen Umstände betreffen ausschließlich den Umfang des Verfahrens. Soweit der Gerichtsvorsitzende auf die "Vielzahl der Anklagen" verweist, betrifft auch dies den Umfang des Verfahrens, aber nicht seinen Schwierigkeitsgrad im Sinne von § 51 RVG.

Das Verfahren war zum anderen - entgegen der Auffassung des Antragstellers - auch nicht "besonders umfangreich" i.S.v. § 51 Abs. 1 RVG. Auch insoweit bleibt, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG derjenigen des § 99 BRGO entspricht, die bisherige Rechtsprechung des Senats zum besonderen Umfang eines Verfahrens grundsätzlich anwendbar. "Besonders umfangreich" ist eine Strafsache, wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand in einzelnen Verfahrensabschnitten oder in der Gesamtschau erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer zum Vergleich heranzuziehenden "normalen" Strafsache zu erbringen hat (vgl. Beschluss des Senats vom 24. Oktober 2005 in 2 (s) Sbd. VIII 196/05, http://www.burhoff.de/rspr/texte/bx_00026.htm und die Nachweise bei Burhoff in StraFo 1999, 261, 263 in Fn 30).

Nach diesem Maßstab stellt sich das vorliegende Verfahren im Vergleich zu einem "normalen" Verfahren vor dem Strafrichter des Amtsgerichts weder in den einzelnen Verfahrensabschnitten ( gerichtliches Verfahren und Hauptverhandlung) noch in der Gesamtschau dieser Abschnitte als besonders umfangreich dar.

Bis zur Hauptverhandlung umfasst die Akte zwar rund 1000 Blatt. In dem Verfahrensabschnitt "gerichtliches Verfahren" ist der Antragsteller durch (mehrfache) Akteneinsicht und durch drei Besprechungen tätig geworden. Diese Tätigkeit kann in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Vertreters der Staatskasse jedenfalls noch nicht als besonders umfangreich i.S.v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG bewertet werden. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller in diesem Verfahrensabschnitt die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr insgesamt vier mal "verdient" hat. Im Hinblick auf diesen Gebührenumfang kann die Tätigkeit des Antragstellers jedenfalls nicht als besonders umfangreich gewertet werden.

Das Verfahren stellt sich auch in dem Verfahrensabschnitt "Hauptverhandlung" nicht als besonders umfangreich dar. Eine Verhandlungsdauer der eintägigen Hauptverhandlung von einer Stunde und 30 Minuten ist auch bei einem Verfahren vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts noch als durchschnittlich zu bewerten. Das ergibt sich auch daraus, dass das RVG für eine überdurchschnittliche Terminsdauer vor dem Amtsgericht jetzt einen Zuschlag vorsieht (nach Nr. 4110 VV RVG 92,- € bei einer Hauptverhandlung von fünf bis zu acht Stunden und 184,- € nach Nr. 4111 VV RVG bei einer Hauptverhandlung von über acht Stunden). Bei einer Terminsdauer von einer Stunde und 30 Minuten ist noch nicht annähernd diese Zuschlagsgebühr erreicht. Unter diesem zeitlichen Aspekt ist das Verfahren deshalb nicht besonders umfangreich. Bei dieser Bewertung bleiben die Fahrzeiten des Antragstellers zunächst unberücksichtigt. Erst wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr aus den eigentlichen Kriterien des § 51 RVG vorliegen, sind bei der Bemessung der Pauschgebühr auch die Fahrzeiten, die der Antragsteller aufbringen musste, um von seiner Kanzlei zum Gericht zu gelangen zu berücksichtigen (vgl. Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, Kommentar, § 51, Fahrzeiten, RdNr. 86). Das ist hier nicht der Fall.

Das Verfahren stellt sich in der Hauptverhandlung auch nicht im Hinblick auf ein "verfahrensabkürzendes Verhalten" des Antragstellers als besonders umfangreich dar. Allein der Umstand, dass der Antragsteller zur Verkürzung des Verfahrens beigetragen hat, führt nicht dazu, dass das Verfahren stets als "besonders umfangreich" angesehen werden muss. Das hätte ansonsten zur Folge, dass in der Praxis jedes Verfahren, in dem der Angeklagte (letztlich) geständig ist, so eingeordnet werden müsste. Dass der Antragsteller für einen Beitrag zur Verkürzung des Verfahrens einen besonderen zusätzlichen zeitlichen Aufwand erbrachte, ist nicht ersichtlich. Die Hauptverhandlung war bereits von dem Vorsitzenden "nur" für einen Verhandlungstag terminiert. Zeugen waren nicht geladen. Der Angeklagte ist in der Hauptverhandlung dann auch nach einer lediglich zehnminütigen Verhandlungsunterbrechung von seiner bestreitenden Einlassung abgewichen und hat im Wesentlichen ein Geständnis abgelegt.

Diese Bewertung gilt auch in der Gesamtschau der vom Antragsteller entwickelten Tätigkeiten aus beiden Verfahrensabschnitten. Unter diesen Umständen stellen sich die dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen Gebühren auch nicht als unzumutbar dar. Bei dem Merkmal der "Unzumutbarkeit" handelt es sich um eine zusätzliche, neben den Eingangskriterien der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs eingefügte Voraussetzung des § 51 Abs. 1 RVG, die jedenfalls dann nicht in Betacht kommt, wenn keines der beiden Eingangskriterien erfüllt ist.

Nach allem war der Antrag damit abzulehnen.






OLG Hamm:
Beschluss v. 22.05.2006
Az: 2 (s) Sbd. IX 53/06


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