Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 21. Oktober 2010
Aktenzeichen: 2 K 89.09

(VG Berlin: Urteil v. 21.10.2010, Az.: 2 K 89.09)

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 29. April 2009 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Einsicht in

das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ha. vom 19. Dezember 2005 zur Frage eines Anspruchs der Kunden der P. aus § 781 BGB, §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 ESAEG und

die gutachterliche Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Be. vom 15. Juni 2005 zur Berechnung von Zahlungsansprüchen von Kunden der P. im Rahmen des P.

zu gewähren, mit Ausnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Dritter aber einschließlich der die P. betreffenden Tatsachen, sowie Ablichtungen für die Klägerin hiervon zu fertigen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Zugang zu zwei Rechtsgutachten, die von der Beklagten zu Ansprüchen von Anlegern der P. (im Folgenden: Ph.) eingeholt wurden.

Die Ph. ist ein Wertpapierhandelsunternehmen und als Institut der Beklagten zugeordnet. Sie bot ihren Kunden die Beteiligung an dem Produkt €P.)€ an. Bei dieser Anlage beteiligten sich die Investoren gemeinsam an Termingeschäften, die die Ph. aber nicht in dem Umfang durchführte, den sie in den Kontoauszügen gegenüber den Anlegern darstellte. Vielmehr täuschte sie Geschäftsaktivitäten nur vor und verwendete neu eingehende Kundengelder für Auszahlungen. Nach dem Tod des geschäftsführenden Gesellschafters der Ph. informierte die neue Geschäftsführung die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die am 15. März 2005 den Entschädigungsfall feststellte.

Die Anleger der Ph. konnten innerhalb der einjährigen Anmeldefrist ihre Entschädigungsansprüche anmelden. Zu der Höhe der Ansprüche holte die Beklagte zunächst die gutachterliche Stellungnahme des von ihr bevollmächtigten Rechtsanwalts Dr. Be. vom 15. Juni 2005 zur Berechnung von Zahlungsansprüchen von Kunden der P. im Rahmen des €P.€ ein. Der Gutachter stellte das Geschäftsmodell der Ph., deren Antragsformulare und Vertragsbedingungen (Broschüre M. und Allgemeine Geschäftsbedingungen) sowie die Informationen für die Anleger über Kontoentwicklungen / Salden (Einzahlungsbestätigungen, Gutschriften, Kontoauszüge / Abrechnungen, Saldenbestätigung vom 15. Oktober 2004, Kontoentwicklung) dar und äußerte sich auf dieser Grundlage zu den vertraglichen Vereinbarungen über die Bestimmung des Auszahlungsguthabens und zu der Frage, ob ein abstraktes Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis vorliegt. In vergleichbarer Weise ging Prof. Dr. Ha. in dem für die Beklagte erstellten Rechtsgutachten vom 19. Dezember 2005 zur Frage eines Anspruchs der Kunden der P. aus § 781 BGB, §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 ESAEG vor. Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Inhaltsverzeichnisse der Gutachten Bezug genommen.

Die Klägerin meldete im Mai 2005 bei der Beklagten Entschädigungsansprüche an. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 11. Dezember 2008 beantragte sie Einsicht in die Rechtsgutachten, soweit sie €neben den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der P. keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter€ enthalten, und bat um Mitteilung, wann sie die Akteneinsicht und Fertigung von Abschriften durch ihren Verfahrensbevollmächtigten vornehmen könne. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Januar 2009 mit der Begründung ab, das Offenlegen der Gutachten könne nachteilige Auswirkungen auf laufende Gerichtsverfahren haben, die Vertraulichkeit von Beratungen der Behörden beeinträchtigen und die Verschwiegenheitspflicht aus anderen Gesetzen verletzen.

Den Widerspruch der Klägerin wies die BaFin mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2009 zurück. Die Widerspruchsbehörde vertrat die Auffassung, der Anspruch auf Informationszugang sei ausgeschlossen, weil beide Gutachten detaillierte vertrauliche Informationen über die P. enthielten, die in ihrer Gesamtheit gegen ein unbefugtes Offenbaren geschützt seien. Insoweit seien die Maßstäbe des Gesetzes über das Kreditwesen übertragbar, auf dessen Grundlage die BaFin der Beklagten beispielsweise ein Sondergutachten aus dem Jahre 2003 über die Ph. übermittelt habe. Mit der Insolvenz sei der Geheimnisschutz für die Ph. nicht entfallen. Ferner stützte sich die Widerspruchsbehörde auch auf die weiteren von der Beklagten genannten Ausschlussgründe, wobei sie ausführte, dass die Gutachten erläuterungsbedürftig seien und ihre isolierte Herausgabe daher zu Spekulationen und Fehlinterpretationen mit Auswirkungen auf anhängige Gerichtsverfahren und die laufenden Entscheidungen der Beklagten über Entschädigungen führen könnten.

Die Klägerin hat am 29. Mai 2009 Klage auf Informationszugang erhoben. In dem Rechtsstreit zwischen den Beteiligten über die Entschädigung war die Klägerin in Höhe des zuletzt verfolgten Zahlungsanspruchs erfolgreich (Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. September 2010 - 20 O 597/09 -).

Die Klägerin meint, Ausschlussgründe lägen nicht vor: Die Sorge, einen Prozess zu verlieren, sei kein Informationsverweigerungsgrund. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Herausgabe von Ablichtungen der Gutachten Beratungen von Behörden beeinträchtigen könne. Der Entscheidungsfindungsprozess der Beklagten sei längst abgeschlossen, da sie bereits Teilentschädigungen gewähre und nunmehr regelmäßig in den Klageverfahren unterliege. Gründe des Geheimnisschutzes könnten dem Anspruch nicht entgegenstehen, weil Geheimnisse der Ph. nicht schutzwürdig seien. Dies folge daraus, dass deren eigentlicher Geschäftszweck als Finanzdienstleistungsunternehmen darin bestanden habe, kontinuierlich gegen geltendes Recht, insbesondere gegen schwerwiegende Straftatbestände zu verstoßen und auf diese Weise flächendeckend ihre Kunden zu betrügen und zu schädigen. Auch der Insolvenzverwalter der Ph. bejahe kein Geheimhaltungsinteresse und habe unter dem 29. Juni 2005 und 5. Oktober 2005 ausführlich über deren Geschäftsbetrieb berichtet. Im Übrigen ergebe sich aus der dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) zu Grunde liegenden Richtlinie, dass die Information der Anleger ein wesentlicher Bestandteil des Anlegerschutzes sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 29. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Einsicht in die folgenden Unterlagen zu gewähren mit Ausnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Dritter (ausgenommen die P.):

- das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ha. vom 19. Dezember 2005 zur Frage eines Anspruchs der Kunden der P. aus § 781 BGB, §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 ESAEG,

- die gutachterliche Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Be. vom 15. Juni 2005 zur Berechnung von Zahlungsansprüchen von Kunden der P. im Rahmen des P.

sowie darüber hinaus die Beklagte zu verpflichten, Ablichtungen der Gutachten zu fertigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf die vorgelegten Inhaltsverzeichnisse vor:

Bei den Gutachten handele es sich um Sachgesamtheiten, die von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Ph. in einer Weise durchdrungen seien, dass bei einer Unkenntlichmachung der schützenswerten Belange ein Informationszugang auf diesem Weg nicht mehr erfolgen könne. Grundlage der Gutachten seien €Unternehmensdaten der Ph., Antragsunterlagen einzelner Anleger, Allgemeine Geschäftsbedingungen der Ph., Kontoauszüge individueller Kunden, Berichte des Wirtschaftsprüfers der Ph. sowie Berichte und andere Unterlagen des Insolvenzverwalters€. Die Gutachten enthielten vertrauliche Informationen über den Geschäftsbetrieb der Ph., die bislang auch von dem Insolvenzverwalter nicht zugänglich gemacht worden seien. Bei dem Gutachten von Rechtsanwalt Dr. Be. stehe einem Informationszugang auch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht entgegen, die uneingeschränkt alles erfasse, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden sei. Durch den Informationszugang würden auch die Durchführung der laufenden Gerichtsverfahren und innerbehördliche Beratungen beeinträchtigt. Die Gutachter verneinten nach eingehender Prüfung der relevanten Unterlagen und Unternehmensdaten der Ph. die Entschädigungsfähigkeit der in Abrechnungen und €Kontoauszügen€ ausgewiesenen Scheingewinne und bildeten damit die wesentliche Grundlage für die Entscheidungen [ihre Entscheidungen] über Entschädigungsanträge von Anlegern der Ph.. Die Entschädigungen würden von den Anlegern im Regelfall akzeptiert und jedenfalls seien Klagen von Anlegern auf eine höhere Entschädigung überwiegend erfolglos geblieben. In einem für sie erfolgreichen Musterverfahren sei die Revision beim BGH anhängig; mit einer Entscheidung werde in der zweiten Jahreshälfte 2011 gerechnet. Solange diese Entscheidung noch nicht vorliege, könne weiterhin der behördliche Entscheidungsprozess durch den Informationszugang beeinträchtigt werden, da sie regelmäßig ihre Entscheidungspraxis anhand von Gerichtsentscheidung unter Zuhilfenahme der Gutachten überprüfe. Der Anspruch auf Informationszugang müsse die Wertungen des jeweiligen Prozessrechts und den Anspruch auf ein faires Verfahren berücksichtigen und könne nur für solche Informationen gelten, die auf der Grundlage des geltenden Beweisrechts in einen Zivilprozess eingeführt werden könnten. Sie könne daher nicht gezwungen werden, die in den Gutachten erwogenen rechtlichen Argumente offenzulegen, um dadurch den Prozessgegner in seiner Prozessführung zu begünstigen. Zudem bestehe die Gefahr, dass bei einem Informationszugang einzelne Argumente aus den Gutachten herausgegriffen würden, um in einer öffentlichen Diskussion über die Richtigkeit der vorliegenden Entscheidungen unangemessenen Druck auf die Gerichte und die beteiligten Richter auszuüben. Die Gutachten könnten auch nicht offengelegt werden, weil sie der unmittelbaren Vorbereitung von Entscheidungen dienten. Soweit Gutachten regelmäßig nicht als vorbereitende Maßnahmen anzusehen seien, liege hier eine Ausnahme vor, denn die Rechtsgutachten könnten nach ihrem Zweck, eine Entscheidung vorzubereiten, nicht vom weiterhin erforderlichen Entscheidungsfindungsprozess losgelöst werden. Ferner stehe dem Anspruch entgegen, dass es sich bei den Gutachten um urheberrechtlich geschützte Werke handele, deren Verfasser die Nutzungsrechte nicht an die Beklagte übertragen hätten. Insoweit zeige auch die Regelung des Informationsfreiheitsgesetzes zum Schutz des geistigen Eigentums, dass in der Übergabe der Werke keine konkludente Übertragung von Nutzungsrechten liegen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Die Ablehnung der begehrten Informationsgewährung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; sie hat Anspruch auf Einsicht in die im Tenor näher bezeichneten Unterlagen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen; amtliche Information im Sinne dieses Gesetzes ist jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung (§ 2 Nr. 1 Satz 1 IFG).

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Der Behördenbegriff des Informationsfreiheitsgesetzes entspricht nach dem Willen des Gesetzgebers demjenigen des § 1 Abs. 4 VwVfG (vgl. BT-Drs. 15/ 4493, S. 7; Urteile der Kammer vom 7. Juni 2007 - VG 2 A 130.06 - und des OVG Berlin-Brandenburg vom 6. November 2008 - OVG 12 B 50.07 -, beide: Juris). Danach ist als Behörde jede Stelle anzusehen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dem Verwaltungsverfahrensgesetz liegt ein materieller Verwaltungsbegriff zugrunde, der durch die klassische Negativklausel, Verwaltung sei die Tätigkeit außerhalb von Rechtsetzung und Rechtsprechung, umschrieben wird (vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 1 Rn. 165).

In diesem Sinne handelt die Beklagte bei der Entschädigung von Anlegern als Behörde. Sie ist ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes, das bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingerichtet ist und im Rechtsverkehr handeln, klagen oder verklagt werden kann (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz - EAEG -). Bei der ihr durch § 6 Abs. 3 EAEG zugewiesenen Aufgabe, im Entschädigungsfall die Gläubiger eines ihnen zugeordneten Instituts zu entschädigen, nimmt sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (vgl. dazu BT-Drs. 13/10188, S. 17, und VG Berlin, Beschluss vom 1. Juli 2009 - VG 1 K 74.09 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2009 - OVG 1 L 65.09 -, BVerfG, Beschluss vom 10. März 2010 - 1 BvR 2582/09 - ) eine Verwaltungsaufgabe wahr. Die von der Beklagten zur Erfüllung ihrer Entschädigungsaufgabe eingeholten und zu den Vorgängen genommen Gutachten dienen daher auch amtlichen Zwecken im Sinne des § 2 Nr. 1 Satz 1 IFG.

2. Dem Anspruch der Klägerin stehen keine Ausschlussgründe entgegen. Die Beklagte hat sich insoweit auf § 3 Nr. 1 Buchst. g), Nr. 3 Buchst. b) und Nr. 4 IFG i.V.m. § 15 EAEG u.a. und § 43 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sowie auf § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG und § 6 Satz 1 IFG berufen. Maßstab für die Prüfung von Ausschlussgründen ist zunächst, ob deren Vorliegen plausibel dargelegt ist; dabei müssen die Angaben nicht so detailliert sein, dass Rückschlüsse auf die geschützte Information möglich sind, sie müssen aber so einleuchtend und nachvollziehbar sein, dass das Vorliegen von Ausschlussgründen geprüft werden kann (vgl. Urteil der Kammer vom 10. September 2008 € VG 2 A 167.06 € m.w.N.). Dabei muss die Behörde für jede einzelne Information darlegen, aus welchen Gründen sie vom Informationszugang ausgeschlossen werden soll. Es ist grundsätzlich nicht möglich, bestimmte Arten von Dokumenten als "Sachgesamtheiten" allein auf Grund ihrer typischen Eigenschaften und üblichen Fassung ohne Feststellung ihres konkreten Inhalts insgesamt vom Informationszugang auszunehmen (vgl. zur Verschwiegenheitspflicht nach 9 Abs. 1 Satz 1 KWG: Hess. VGH, Beschluss vom 30. April 2010 - 6 A 1341/09 - Juris). Die Beklagte konnte in diesem Sinne nicht substantiiert und nachvollziehbar darlegen, dass die Voraussetzungen der vorgenannten Vorschriften erfüllt sind.

a. Nach § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann auf die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens, den Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren oder die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder disziplinarischer Ermittlungen. Das Gerichtsverfahren als Teil der Rechtspflege soll vor Beeinträchtigungen durch das Bekanntwerden verfahrensrelevanter Informationen geschützt werden. Es soll sichergestellt werden, dass die Gerichte das laufende Gerichtsverfahren unter Einhaltung der jeweils einschlägigen Prozessordnung und unter Wahrung der verfassungsmäßigen Verfahrensrechte der Parteien führen können. Die Beteiligten, d. h. auch die öffentliche Hand, sollen ihre prozessualen Rechte gleichberechtigt wahrnehmen können. Hierzu zählt auch die Fähigkeit, über den Streitgegenstand frei disponieren zu können. Ebenso wird die Befugnis der Beteiligten geschützt, im Rahmen der jeweiligen Verfahrensordnungen darüber verfügen zu können, ob und in welchem Umfang sie Dritten Informationen über Gegenstand und Inhalte des von ihnen geführten Gerichtsverfahrens zugänglich machen (vgl. Urteil der Kammer vom 11. Juni 2008 - VG 2 A 69.07 -,).

Dies bedeutet indes nicht, dass die öffentliche Hand Informationen zurückhalten kann, die der Bürger benötigt, um etwa in einem Amtshaftungsprozess die Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns nachzuweisen (vgl. Urteil der Kammer vom 26. Juni 2009 - VG 2 A 62.08 -, m.w.N.). Daher sind entgegen der Ansicht der Beklagten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Darlegungs- und Beweislast nicht auf den Anspruch auf Informationszugang zu übertragen. Denn § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG dient nicht dem Schutz der öffentlichen Hand vor Klagen der Bürger (vgl. Berger/Roth/Scheel, IFG, § 3 Rn. 72), sondern schützt die Rechtspflege vor nachteiligen Beeinträchtigungen, die jedenfalls nicht eintreten können, wenn zusätzliche Informationen dazu führen, dass ein Zivilgericht ein materiell richtiges Urteil fällen kann (vgl. Schoch, IFG, § 3 Rn. 89, m.w.N.). Den aus der Aktenkenntnis möglicherweise resultierenden Vorteil, besser vortragen zu können, weil der Bürger die der Behörde vorliegenden Umstände kennt, hat die Beklagte aufgrund ihrer besonderen Bindung an Gesetz und Recht hinzunehmen (vgl. zu § 9 Abs. 1 Satz 2 IFG Berlin: Urteil der Kammer vom 7. Oktober 2010 - VG 2 A 71.10 -). Daher kommt es nicht darauf an, ob in den Gutachten Rechtsansichten vertreten werden, die der Klägerin noch nicht bekannt sind, und die sie daher ohne den streitbefangenen Informationszugang nicht in ein zivilgerichtliches Verfahren einbringen könnte. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann es sich jedenfalls nicht nachteilig auf die durch § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG geschützte Rechtspflege auswirken, wenn die Entscheidungsfindung des Zivilgerichts durch zusätzliche Argumente auf eine breitere Basis gestellt werden könnte.

b. Nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Zweck der Vorschrift ist es, einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch innerhalb der Behörde zu gewährleisten. § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG schützt nur den eigentlichen Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung, d. h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin den eigentlichen Vorgang des Überlegens; die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung sind ebenso wie das Ergebnis der Willensbildung nicht von § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG geschützt (vgl. Urteil der Kammer vom 22. Oktober 2008 € VG 2 A 114.08 € m.w.N.). Daher scheidet dieser Ausschlussgrund schon deshalb aus, weil es sich bei den schriftlichen Gutachten nur um eine Beratungsgrundlage handeln kann, die von der Behörde zur Entscheidungsfindung durch die dazu berufenen Beschäftigten eingeholt wurde. Rückschlüsse auf den Meinungsbildungsprozess innerhalb der Behörde können die Gutachten schon deshalb nicht zulassen, weil sie von behördenexternen Sachverständigen verfasst wurden, die nicht unmittelbar zur Entscheidung berufen sind.

Unabhängig davon dürfte es sich auf die Beratungen bei der Beklagten nicht behindernd oder hemmend auswirken können, wenn außenstehende Dritte vom Inhalt der Gutachten Kenntnis erlangen. Ob das Bekanntwerden der fraglichen Informationen solche Auswirkungen haben kann, muss notwendigerweise prognostiziert werden, wobei an die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer die möglicherweise eintretende Beeinträchtigung ist. Dies wiederum bemisst sich insbesondere nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an einem ungestörten Verlauf des in Frage stehenden behördlichen Willensbildungsprozesses (vgl. auch dazu Urteil der Kammer vom 22. Oktober 2008 € VG 2 A 114.08 € m.w.N.). Auf dieser Grundlage spricht schon der Zeitablauf dagegen, dass Beratungen der Beklagten noch negativ beeinflusst werden könnten. Die Beklagte hat bereits die grundlegende Entscheidung getroffen, dass sie den betroffenen Anlegern Teilentschädigungen gewähren wird, und sie hat sich festgelegt, welche Faktoren sie bei der Bemessung der Entschädigung berücksichtigt. Diese Entscheidung setzt die Beklagte nunmehr durch Mitteilungen über die Höhe der Teilentschädigungen um und sie verteidigt sich in Klageverfahren gegen Antragsteller, die eine höhere Entschädigung begehren.

c. Nach § 3 Nr. 4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt.

§ 3 Nr. 4 IFG regelt das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Informationsfreiheitsgesetz und Vorschriften, die eine Geheimhaltungspflicht anordnen, sei es in Form von Berufsgeheimnissen, besonderen Amtsgeheimnissen oder der Einstufung einer Information als Verschlusssache. Was nach anderen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 22/08 -, Juris). Die Beklagte hat auch insoweit nicht plausibel gemacht, dass die Rechtsgutachten Informationen enthalten, die als Amtsgeheimnisse durch § 15 Satz 1 EAEG und § 9 Abs. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) / § 8 des Wertpapierhandelsgesetzes (WphG) bzw. als anwaltliches Berufsgeheimnis durch § 43a BRAO geschützt sind.

Nach § 15 Satz 1 EAEG dürfen Personen, die bei der Entschädigungseinrichtung beschäftigt oder für sie tätig sind, fremde Geheimnisse, insbesondere Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, nicht unbefugt offenbaren oder verwerten. In vergleichbarer Weise bestimmen § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG und gleichlautend § 8 Abs. 1 Satz 1 WphG, dass die bei der Bundesanstalt beschäftigten Personen die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, nicht unbefugt offenbaren oder verwerten dürfen. Ein solches unbefugtes Offenbaren oder Verwerten liegt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4 Nr. 5 KWG insbesondere dann nicht vor, wenn Tatsachen an eine Entschädigungseinrichtung weitergegeben werden, soweit diese die Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. In diesem Fall gilt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 5 KWG die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG für die bei der genannten Stelle beschäftigten Personen entsprechend.

Maßgeblich ist nach diesen Vorschriften übereinstimmend, dass es sich bei den geschützten Geheimnissen Dritter um Tatsachen, insbesondere um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handeln muss. Als solche Geheimnisse werden allgemein alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat (BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2009 € BVerwG 7 C 18.08 -). Danach bestehen hier auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten unter Berücksichtigung der Inhaltsverzeichnisse der beiden Gutachten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gutachter Erkenntnisse über die Ph. verwertet haben, die nicht bereits von der Ph. selbst öffentlich gemacht wurden oder die jedenfalls seit der Insolvenz der Ph. offenkundig sind. Das (betrügerische) Geschäftsmodell der Ph. ist Gegenstand einer Vielzahl von Darstellungen, die sich im Internet abrufen lassen (vgl. z.B. http://de.wikipedia.org/€), und der Insolvenzverwalter der Ph. hat sich in seinen - auch der Klägerin bekannten - Berichten vom 29. Juni 2005 und 5. Oktober 2005 gegenüber dem Insolvenzgericht ausführlich dazu geäußert, in welchen Geschäftsbereichen die Ph. tätig war, welche Vereinbarungen sie mit den Anlegern getroffen hat und welche Wertpapiergeschäfte tatsächlich durchgeführt oder nur vorgetäuscht wurden.

Die Kammer kann den Inhaltsverzeichnissen der Gutachten entnehmen, dass die Gutachter nur solche Unterlagen der Ph. verwendet haben, die von der Ph. selbst der Öffentlichkeit oder jedenfalls ihren Anlegern zugänglich gemacht wurden. Einer Beweiserhebung über den genauen Inhalt der Gutachten bedarf es auch unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht, da die Beklagte nicht darlegen konnte, welche weiteren Informationen in den Gutachten dargestellt werden, die nicht bereits offenkundig sind. Die von den Gutachtern verwendeten Erkenntnisquellen werden in dem Gutachten des Rechtsanwalts Dr. Be. unter €II. Tatsächliches€ und in dem Gutachten des Prof. Dr. Ha. unter A. I. €Sachverhalt€ im Wesentlichen übereinstimmend dargestellt. Danach lagen den beiden Gutachtern als Unterlagen zur Bestimmung des Gegenstandes der Verträge der Ph. mit ihren Anlegern die Broschüre €M. und die Allgemeine Geschäftsbedingungen der Ph. vor. Ferner haben sie sich für ihre rechtlichen Erwägungen auf Informationen für die Anleger über Kontoentwicklungen / Salden bezogen und dabei die Einzahlungsbestätigungen, Gutschriften, Kontoauszüge / Abrechnungen und die Saldenbestätigung genannt. Insoweit ergibt sich aus den von der Klägerin mit der Klageschrift vorgelegten Anlagen ohne weiteres, dass ihr die Struktur und der übliche Inhalt dieser Unterlagen auch aus ihren eigenen Anlagekonten bei der Ph. bekannt sind.

Zusätzlich ergibt sich aus der Fragestellung der Gutachten, dass es in erster Linie um die rechtliche Einordnung von Willenserklärungen der Ph. geht, die diese gegenüber ihren Anlegern abgeben hat. Das Gutachten des Rechtsanwalts Dr. Be. enthält unter der Überschrift €Rechtliches€ die Untergliederungen €1. Vertragliche Vereinbarungen über die Bestimmungen des Auszahlungsguthabens€ und €2. Abstraktes Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis€€, wobei jeweils auf die vorgenannten Unterlagen Bezug genommen wird. Im Gutachten von Prof. Dr. Ha. wird unter €I. Zur Frage eines Anspruchs aus § 781 BGB€ ebenfalls auf €die von Ph. übersandten Dokumente€ Bezug genommen, und unter €II. Zur Frage eines Anspruchs aus §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 ESAEG in Bezug auf fingierte Gewinne€ wird die allgemein bekannte Erkenntnis verwendet, dass die Kontounterlagen für die Anleger Gewinne ausweisen, die von Ph. tatsächlich nicht erzielt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass das von der BAFin im Widerspruchsbescheid angesprochene Sondergutachten aus dem Jahre 2003 über die Ph. Grundlage für die streitbefangenen Gutachten war, ergeben sich aus den Inhaltsverzeichnissen nicht. Auch in der mündlichen Verhandlung ließen die Vertreter der Beklagten die Frage unbeantwortet, welche Erkenntnismittel die Gutachter darüber hinaus verwendet haben könnten.

Im Übrigen wäre jedenfalls ein berechtigtes Interesse des Rechtsträgers am Schutz interner Informationen zu verneinen. Ein solches Interesse besteht nach der Rechtsprechung der Kammer, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen (vgl. Urteil vom 26. Juni 2009 - VG 2 A 62.08 -, Juris, m.w.N.). Infolge der Insolvenz kann diese Situation hier nicht mehr vorliegen. Selbst wenn die Eröffnung des Konkursverfahrens den Geheimnisschutz nicht generell entfallen lässt (vgl. VG Frankfurt am Main zu § 9 KWG: Urteil vom 28. Januar 2009 -7 K 4037/07.F - Juris), kann jedenfalls bei Ph. ein Geheimhaltungsinteresse bezogen auf eine Geschäftstätigkeit, die durchgehend auf Straftaten basiert, nicht schutzwürdig sein (so VG Frankfurt am Main, Urteil vom 12. März 2008 -7 E 5426/06 - Juris).

Für die in § 43a Abs. 2 BRAO geregelte Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwalt Dr. Be. gilt im Ergebnis nichts anderes. Der Rechtsanwalt ist gemäß § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich nach § 43a Abs. 2 Satz 2 BRAO auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist. Dies gilt jedoch gemäß § 43a Abs. 2 Satz 3 BRAO nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Informationen, die Rechtsanwalt Dr. Be. von der Beklagten erhalten hat, sind nur dann geheimhaltungspflichtig, wenn diese Informationen durch die Beklagte geheim gehalten werden müssen. Dies ist € wie ausgeführt € hier nicht der Fall.

d. Der Ausschlussgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift soll der Antrag auf Informationszugang abgelehnt werden für Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung, soweit und solange durch die vorzeitige Bekanntgabe der Informationen der Erfolg der Entscheidung oder bevorstehender behördlicher Maßnahmen vereitelt würde. Insoweit regelt § 4 Abs. 1 Satz 2 IFG, dass Ergebnisse der Beweiserhebung und Gutachten oder Stellungnahmen Dritter regelmäßig nicht der unmittelbaren Entscheidungsvorbereitung nach Satz 1 dienen. Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass Gutachten nur unter besonderen Umständen geschützt sein können, wobei nach der Gesetzesbegründung eine Ausnahme in Verfahren der Forschungs- und Kulturförderung bis zum Abschluss des Verfahrens geboten sein kann (vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 14). Solche aus dem Gegenstand des Verfahrens abgeleiteten Gründe zeigt die Beklagte indes nicht auf. Sie argumentiert vielmehr mit dem Zweck der Gutachten, eine behördliche Entscheidung vorzubereiten, die jedoch Beweisergebnissen und Gutachten typischerweise innewohnt, denn sonst wäre es überflüssig, sie einzuholen. Im Übrigen konnte die Beklagte nicht plausibel machen, welche Entscheidungen noch vorbereitet werden.

e. Der Anspruch auf Informationszugang besteht nach § 6 Satz 1 IFG nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Der Begriff des €geistigen Eigentums€ erfasst den gewerblichen Rechtsschutz (Markenrecht, Patentrecht, Gebrauchs- und Geschmacksmusterrecht) und das Urheberrecht (vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 14). Das Urheberrecht schützt nach §§ 1 und 2 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz € UrhG) jedes Werk der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Zu den geschützten Werken gehören insbesondere Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Die Gutachten können daher grundsätzlich urheberrechtlichen Schutz genießen. Bei der Beurteilung eines wissenschaftlichen Werkes ist allerdings zu beachten, dass die wissenschaftliche Lehre, ihr Sprachgebrauch und die Ergebnisse, zu denen sie gelangt, urheberrechtlich frei und jedermann zugänglich sind (vgl. Urteile der Kammer vom 22. Oktober 2008 € VG 2 A 60.08 € und € VG 2 A 29.08 € m.w.N. aus der Rechtsprechung zum Urheberrecht; vgl. zu rechtswissenschaftlichen Gutachten auch KG, Urteil vom 30. Mai 2005 - 26 U 14/04 -, Juris).

Es kann hier dahinstehen, ob es sich bei den beiden streitbefangenen Gutachten um urheberrechtlich geschützte Werke handelt. Denn jedenfalls ist ausgeschlossen, dass Rechte ihrer Verfasser verletzt werden, wenn die Klägerin Kenntnis von dem Inhalt der Gutachten erlangt. Durch den Anspruch auf Informationszugang, insbesondere das Recht auf Fertigung von Kopien, werden vor allem das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG und das Verbreitungsrecht nach § 17 UrhG berührt (vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 14). Auch das Erstveröffentlichungsrecht gemäß § 12 UrhG kann betroffen sein (vgl. dazu Schoch, IFG, § 6 Rn. 32). Der Schutz dieser Rechte steht dem Informationszugang jedoch nicht entgegen, wenn die Verfasser der Gutachten der Behörde entsprechende Nutzungsrechte eingeräumt haben. Die Beklagte hat ihrem eigenen Vorbringen zufolge keine Vereinbarung mit den Gutachtern über Nutzungsrechte getroffen. Daher beantwortet sich gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 und 1 UrhG die Frage, ob ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, ob es sich um ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht handelt, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht reichen und welchen Einschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt, nach dem von beiden Partnern zugrunde gelegten Vertragszweck. Nach dem dieser Bestimmung zugrunde liegenden Übertragungszweckgedanken räumt ein Nutzungsberechtigter im Zweifel nur in dem Umfang Nutzungsrechte ein, den der Vertragszweck unbedingt erfordert; dies bedeutet, dass im Allgemeinen nur diejenigen Nutzungsrechte stillschweigend eingeräumt sind, die für das Erreichen des Vertragszwecks unerlässlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 68/08 - Juris).

Die hier streitbefangenen Gutachten wurden nach dem Vorbringen der Beklagten gegen Entgelt angefertigt, um der Beklagten die grundlegenden rechtlichen Erkenntnisse zu verschaffen, die sie zur Entscheidung über Ansprüche der Anleger in dem Entschädigungsfall Ph. benötigt. Sie dienen der Beklagten ferner vereinbarungsgemäß zur Fertigung der Begründungen ihrer Entscheidungen gegenüber den Antragstellern. Die Beklagte hat auch in dem vorliegenden Verfahren wiederholt die besondere Bedeutung der Rechtsgutachten als Grundlage für ihre Entscheidungen und deren Begründung betont. Dieser umfassende Zweck der entgeltlich gefertigten Gutachten lässt sich ersichtlich nur erreichen, wenn die Beklagte unbeschränkt durch verbleibende Rechte der Verfasser jederzeit auf die Gutachten zugreifen und deren Inhalte als eigene Erklärungen gegenüber Dritten verwenden kann. Ein solches Nutzungsrecht erfasst dann aber grundsätzlich auch das Recht der Behörde zur Informationsgewährung nach dem Informationsfreiheitsgesetz (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 23. Juni 2010 - 7 K 1424/09.F -, Seite 28 des Urteilsabdrucks; Berger/Roth/Scheel, IFG, § 6 Rn. 11). Denn dabei handelt es sich um einen € wenn auch untergeordneten € Teil der Aufgabenstellung der Behörde, für deren Zwecke die Gutachten gefertigt wurden. Soweit die Beklagte meint, allein aus der Übergabe eines Gutachtens folge keine Übertragung von Nutzungsrechten (so auch Schoch, IFG, § 6 Rn. 36; Rossi, IFG, § 6 Rn. 55), mag dies zutreffen, wenn keine vertraglichen Beziehungen zwischen der Behörde und dem Verfasser des Gutachtens bestehen, beispielsweise wenn das Gutachten für einen Bürger verfasst wurde, der das Gutachten mit seinen Antragsunterlagen der Behörde vorlegt. Hier jedoch handelt es sich um Gutachten, die auf vertraglicher Grundlage und gegen Entgelt für eine Behörde für deren Zwecke und deren Aufgabenerfüllung erstellt wurden und bei denen sich daher aus dem Vertragszweck auch die Übertragung von Nutzungsrechten ergibt.

f. Aus den bereits dargelegten Gründen steht dem Anspruch der Klägerin auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch § 6 Satz 2 IFG nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.

Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung des § 6 Satz 1 IFG (Übertragung von Nutzungsrechten bei Rechtsgutachten, die im Auftrag einer Behörde gegen Entgelt erstellt worden sind) grundsätzliche Bedeutung hat.






VG Berlin:
Urteil v. 21.10.2010
Az: 2 K 89.09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2777d52c6b3e/VG-Berlin_Urteil_vom_21-Oktober-2010_Az_2-K-8909




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