Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Dezember 2004
Aktenzeichen: 19 W (pat) 47/02
(BPatG: Beschluss v. 15.12.2004, Az.: 19 W (pat) 47/02)
Tenor
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe
I Das Deutsche Patent- und Markenamt - Patentabteilung 52 - hat das auf die am 28. Januar 1997 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 197 02 931 mit der Bezeichnung "Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Stellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung" im Einspruchsverfahren durch Beschluß vom 12. Juni 2002 mit der Begründung widerrufen, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Verstellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung undeiner Auswerteelektronik, die Positionssignale von inkrementalen Positionsgebern feststellt und anhand der Positionssignale Positionsdaten, die einem Flankenwechsel entsprechen, und festgestellte digitale Zustände der Positionsgeberin einem nicht flüchtigen Speicher abspeichert, wobeials inkrementale Positionsgeber zumindest zwei elektrisch versetzte Hall-Sensoren vorgesehen sind."
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet:
"Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Stellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung, insbesondere bei Verstellmotoren in Kraftfahrzeugen, wobei zur Nachlauferfassung eine Auswerteelektronik vorgesehen ist, die Auswerteelektronik Positionssignale von Positionsgebern feststellt und die Auswerteelektronik die festgestellte Zustände der Positionssignale bzw. die Zustände der Positionsgeber, in einem nichtflüchtigen Speicher abspeichert, dadurch gekennzeichnet, dass die Abspeicherung bereits zu einem Zeitpunkt durchführbar ist, an welchem das letzte mögliche Positionssignal noch nicht eingetroffen ist."
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet:
"Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Stellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung, insbesondere bei Verstellmotoren in Kraftfahrzeugen, wobei zur Nachlauferfassung eine Auswerteelektronik vorgesehen ist, die Auswerteelektronik Positionssignale von Positionsgebern feststellt und die Auswerteelektronik die festgestellte Zustände der Positionssignale bzw. die Zustände der Positionsgeber, in einem nichtflüchtigen Speicher abspeichert, dadurch gekennzeichnet, dass die Auswerteelektronik zeitweise von der Versorgungsspannung abschaltbar ist und mit einer Pufferung versehen ist, die genügend groß ist zur Positionserfassung und Abspeicherung nach Abschaltung der Auswerteelektronik von der Versorgungsspannung, bei Verwendung von zumindest zwei gegeneinander versetzten Positionssignalen nachträglich, das heißt bei erneutem Anschalten der Auswerteelektronik an die Versorgungsspannung, eine eindeutige Drehrichtungszuordnung durch Nachkorrigieren und Zuordnung des letzten Flankenwechsels einer der Positionsgeber durch die Auswerteelektronik vornehmbar ist."
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 lautet:
"Verfahren zur Nachlauferfassung von elektrischen Verstellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung undeiner Auswerteelektronik, die Positionssignale von inkrementalen Positionsgebern feststellt und anhand der Positionssignale Positionsdaten, die einem Flankenwechsel entsprechen, und festgestellte digitale Zustände der Positionsgeberin einem nicht flüchtigen Speicher abspeichert, wobeials inkrementale Positionsgeber zumindest zwei elektrisch versetzte Hall-Sensoren vorgesehen sind."
Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine Nachlauferfassung bei vorzeitiger Abschaltung von der Versorgungsspannung und eine Speicherung von Positionsdaten zur nachträglichen Positionskorrektur bei Wiederanschaltung an die Versorgungsspannung sowie eine Verkürzung der für die Nacherfassung notwendigen Zeit zu ermöglichen (Sp 1 Z 25 bis 31).
Die Patentinhaberin ist der Ansicht, daß die Einfügung "Positionsdaten, die einem Flankenwechsel entsprechen" im geltenden Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sich für den Fachmann insbesondere aus der Patentschrift Spalte 3 Zeilen 31 bis 34 ergäbe. Die Anordnung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 sei für den Fachmann nacharbeitbar, da er hierfür auf Grund seines Fachwissens ein physikalisches Modell zugrundelegen würde, das in der Patentschrift jedoch nicht beschrieben sei. Das gelte auch im Zusammenhang mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2. Da im erteilten Patentanspruch 1 auch Verfahrensmerkmale enthalten seien, sei ein Kategoriewechsel zu einem Verfahrensanspruch gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 zulässig. Im übrigen sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung der jeweiligen Anträge auch neu und beruhte auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten: Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2004, Patentansprüche 2 bis 9 gemäß Patentschrift, hilfsweise mit Patentansprüchen 1 bis 8 nach Hilfsantrag 1, Patentansprüchen 1 bis 7 nach Hilfsantrag 2, mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3, sämtlich übereicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2004, mit den übrigen Unterlagen gemäß Patentschrift.
Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag 3 Merkmale enthielte, die ursprünglich nicht offenbart wären. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 wäre für den Fachmann nicht nacharbeitbar. Der Patenanspruch 1 in der Fassung der jeweiligen Anträge sei aus diesen Gründen nicht gewährbar.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die zulässigen Beschwerde hat keinen Erfolg, da der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag 3 gegenüber dem ursprünglich Offenbarten unzulässig erweitert und daher nicht gewährbar ist, und die Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Verstellmotoren in Kraftfahrzeugen des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 nicht patentfähig ist, weil die Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 (4) PatG).
Als zuständiger Durchschnittsfachmann ist ein Diplomphysiker anzusehen, der auf dem Gebiet von inkremental messenden Meßsystemen arbeitet und hierbei mit den Problemen beim Einsatz derartiger Systeme in Kraftfahrzeugen vertraut ist.
Hauptantrag und Hilfsantrag 3 Entgegen der Meinung der Patentinhaberin ist das Merkmal "Positionsdaten, die einem Flankenwechsel entsprechen" im Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 3 in der Patentschrift und den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbart.
In der Patentschrift, die hier mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmt, wird im Rahmen des Ausführungsbeispieles auf Spalte 3, Zeilen 31 bis 34 ausgeführt, dass bis zum letzten Flankenwechsel gewartet werden muß, bevor die Positionsdaten abgespeichert werden können. Der letzte Flankenwechsel legt somit fest, wann Positionsdaten abgespeichert werden. Der Flankenwechsel macht jedoch keine Aussage über die Art und Größe der Positionsdaten, die somit auch nicht einem Flankenwechsel entsprechen können.
Weitere Hinweise auf die von der Patentinhaberin gewünschte Festlegung sind weder den Figuren noch der restlichen Beschreibung zu entnehmen.
Der Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 3 ist deshalb gegenüber dem ursprünglich Offenbarten unzulässig erweitert und daher nicht gewährbar.
Hierbei kann es dahingestellt bleiben, dass durch den Kategoriewechsel von einer Anordnung zu einem Verfahren, wie im Hilfsantrag 3 geschehen, der Schutzbereich des Patents unzulässig erweitert wird.
Hilfsantrag 1 und 3 Gemäß § 34 (4) PatG muß eine Erfindung in der Anmeldung und somit auch in der Patentschrift so deutlich und vollständig offenbart sein, daß ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 (4) PatG).
Sinn dieser Vorschrift ist es, die Anmelderin zu veranlassen, die Lehre, für die er die Erteilung eines Patents erstrebt, in einem solchen Umfang zunächst der Erteilungsbehörde und durch deren Vermittlung später der Öffentlichkeit aufzudecken, daß es einem Fachmann möglich ist, diese Lehre praktisch zu verwirklichen, und ein Patent, bei dem dieser Sinn des Gesetzes verfehlt wurde, auf Einspruch oder Nichtigkeitsklage durch Widerruf oder Nichtigerklärung wieder aus der Welt zu schaffen (vgl BGH, GRUR 1984, 272, 273 reSp Abs 4 - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre schon dann zu verneinen, wenn der Durchschnittsfachmann diese nur unter großen Schwierigkeiten und nicht oder nur zufällig ohne vorherige Mißerfolge zur Erreichung des angestrebten Erfolges praktisch verwirklichen kann (vgl BGH, GRUR 1980, 166, 168 re Sp vorletzter Abs - Doppelachsaggregat).
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob der Durchschnittsfachmann durch die Angaben, wie sie im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 angegeben sind, mit Hilfe der Beschreibung in die Lage versetzt ist, ohne große Schwierigkeiten widerspruchsfrei anzugeben, wie er zur Nachlauferfassung von elektrischen Stellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung das letzte mögliche Positionssignal zu einem Zeitpunkt abspeichern kann, wenn es noch nicht eingetroffen ist.
Nach Überzeugung des Senats ist diese Frage zu verneinen.
Die Patentinhaberin verwies im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf, dass dies nur mit Hilfe eines physikalischen Modells, das den wahrscheinlichen Verlauf des Nachlaufs beschreibt, möglich wäre. Die vorliegende Beschreibung enthält hierzu, wie die Patentinhaberin auch eingeräumt hat, keine Angaben.
Für den Durchschnittsfachmann ist nun unklar, dass er ein physikalisches Modell zur Lösung benötigt und wie dieses physikalische Modell dann aussehen soll. Er kommt demnach mit Hilfe des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 zu keiner für ihn eindeutigen und widerspruchsfreien Festlegung. Er kann auch nicht mit Hilfe der Patentbeschreibung dieses Problem lösen.
Im Rahmen des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 stellt sich die weitere Frage, ob der Durchschnittsfachmann durch die Angaben, wie sie dort angegeben sind, mit Hilfe der Beschreibung in die Lage versetzt ist, ohne große Schwierigkeiten widerspruchsfrei anzugeben, wie eine eindeutige Drehrichtungszuordnung durch Nachkorrigieren und Zuordnung des letzten Flankenwechsels einer der Positionsgeber durch die Auswerteelektronik vornehmbar ist.
Nach Überzeugung des Senats ist auch diese Frage zu verneinen.
Denn der Fachmann benötigt hierfür - wie zum Hilfsantrag 1 - Kenntnisse von einem von der Patentinhaberin zugrunde gelegten physikalischen Modell, das den wahrscheinlichen Verlauf des Nachlaufs beschreibt.
In der Beschreibung Spalte 3 Zeile 55 bis Spalte 4 Zeile 1 ist im Zusammenhang mit Figur 2 angegeben, dass die Spalte mit Bezugszeichen 22 einen möglichen neuen Zustand der Inkrementalgeber nach erneutem Einschalten des Systems zeigt. Die Werte sollen dann anzeigen, ob Änderungen im Zustand neu zu alt eingetreten sind. Bei einem Wert von 1 ist demnach eine Korrektur von Position und Drehrichtung eindeutig möglich, bei einem Wert von 2 ist eine Korrektur nicht eindeutig möglich. Wie also das Nachkorrigieren und das Zuordnen des letzten Flankenwechsels erfolgen soll, bleibt für den Durchschnittsfachmann entweder offen oder ist - wie im Fall des Wertes 2 - nicht möglich. Er kommt demnach mit Hilfe des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 zu keiner für ihn eindeutigen und widerspruchsfreien Festlegung. Dieses Problem kann er auch nicht mit Hilfe der Anmeldungsbeschreibung lösen.
Da es nicht möglich ist, ohne Kenntnisse des von der Patentinhaberin zugrunde gelegten physikalischen Modells widerspruchsfrei die oben aufgeworfenen Fragen zu klären, ist der erkennende Senat zur Überzeugung gekommen, daß die Anordnung zur Nachlauferfassung von elektrischen Stellmotoren mit inkrementaler Positionserfassung in der Patentschrift in der Fassung des Hilfsantrags 1 bzw. 2 nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Durchschnittsfachmann sie ausführen kann. Der jeweilige Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 ist somit nicht gewährbar.
Mit dem Patentanspruch 1 in der Fassung der jeweiligen Anträge sind auch die auf diesen jeweils rückbezogenen Patentansprüche nicht gewährbar.
Das Patent war demnach zu widerrufen.
Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dipl.-Ing. Groß
Pr
BPatG:
Beschluss v. 15.12.2004
Az: 19 W (pat) 47/02
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