Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Urteil vom 22. Juni 1995
Aktenzeichen: 6 UE 152/92
(Hessischer VGH: Urteil v. 22.06.1995, Az.: 6 UE 152/92)
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Löschung der ihn betreffenden, bei dem Bundeskriminalamt gespeicherten Daten. Gegen ihn waren bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main die Verfahren 71 Js 22890/82, 2 Js 17578/83, 80 Js 27054/83, 71 Js 37326/83, 71 Js 37834/87 und 86 Js 38714/88 anhängig. Sämtliche Verfahren wurden gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Schreiben vom 12. Februar 1988 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers bei dem Bundeskriminalamt, die den Kläger betreffenden Daten "und die Tatsache der anhängig gewesenen Ermittlungsverfahren im Zentralcomputer zu löschen und mir die Löschung förmlich zu bestätigen". Mit Bescheid vom 10. Juni 1988 lehnte das Bundeskriminalamt den Antrag ab und führte zur Begründung aus, gemäß den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen - RKpS - (GMBl. 1981, 120) sei die weitere Aufbewahrung sowohl zur Erfüllung der Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr durch Unterstützung der Sachverhaltsaufklärung, Förderung der Feststellung Verdächtiger sowie durch präventive Verbrechensbekämpfung und Hilfe zur Personenidentifizierung als auch zur weiteren Aufgabenerfüllung und wegen der Wiederholungsgefahr zulässig und erforderlich. Eine Aussonderung habe nur dann zu erfolgen, wenn bei dem Betroffenen u.a. über einen Zeitraum von 10 Jahren Voraussetzungen für die Aufnahme von Erkenntnissen in die kriminalpolizeiliche Sammlung nicht vorlägen. Das sei bei dem Kläger nicht der Fall. Nach den beim Bundeskriminalamt vorhandenen Unterlagen sei der Kläger seit 1977 immer wieder im Zusammenhang mit Handlungen, die mit Strafe bedroht seien, sowohl als Täter als auch als Verdächtiger in Erscheinung getreten. Unter Abwägung des öffentlichen Sicherheitsinteresses und des privaten Schutzinteresses habe die erforderliche Ermessensausübung zur Höherbewertung des öffentlichen Sicherheitsinteresses geführt.
Den am 21. Juni 1988 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1990, den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 19. Februar 1990, zurück.
Am 27. Februar 1990 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er vorgetragen hat, Anlaß für seinen Löschungsantrag sei die Tatsache gewesen, daß er einige Male bei Grenzübertritten und Verkehrskontrollen über Stunden hinweg sistiert worden sei. Man habe ihm vorgehalten, gegen ihn lägen Erkenntnisse vor, die auf Mitteilungen des Bundeskriminalamtes basierten. Er habe einen auf Löschung gerichteten Folgenbeseitigungsanspruch, der gewohnheitsrechtlich anerkannt sei und seine Grundlage in den Freiheitsgrundrechten und dem Rechtsstaatprinzip finde. Die Speicherung und Aufbewahrung der Daten sei unzulässig, weil es hierfür keine hinreichende Rechtsgrundlage gebe, die den Anforderungen genüge, welche das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 (BVerfGE 65, 1 ff.) aufgestellt habe. Das Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes (BKAG) enthalte keine Rechtsgrundlage, denn es weise dem Bundeskriminalamt lediglich Aufgaben zu, verleihe ihm jedoch nicht entsprechende Befugnisse. Die "KpS-Richtlinien" stellten ebenfalls keine gesetzliche Grundlage dar, denn es handele sich nur um Verwaltungsvorschriften.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juni1988 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar1990 zu verpflichten, die über ihn, den Kläger,gespeicherten und/oder aufbewahrten personenbezogenenDaten zu löschen,sowie die Löschung bzw. Vernichtung der personenbezogenenDaten zu beurkunden.Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.Sie hat vorgetragen, die streitgegenständliche Tätigkeit des Bundeskriminalamts finde ihre Rechtsgrundlagen in dem Gesetz über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (BKAG). Danach habe das Bundeskriminalamt u.a. Nachrichten und Unterlagen für die vorbeugende Verbrechensbekämpfung zu sammeln und auszuwerten (§ 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nrn. 1-3 und 7, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 BKAG). Nach den vom Bundesverwaltungsgericht (E 26, 169 ff.) aufgestellten Grundsätzen für die Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen sei eine Aufbewahrung - unabhängig von Löschungsfristen im Bundeszentralregistergesetz, der Einstellung des Verfahrens oder sogar eines Freispruchs - dann gerechtfertigt und notwendig, wenn nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte dafür bestünden, daß der Betroffene aufgrund der Art und Schwere der ihm vorgeworfenen Straftat, nach seiner Persönlichkeit und unter Berücksichtigung des Zeitraumes, während dessen er strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten könnte. Gleichzeitig müsse das öffentliche Interesse an der Aufbewahrung die damit verbundene Beeinträchtigung des Betroffenen sowie den möglichen Nachteil, der ihm durch die Verwertung der Unterlagen entstehen könne, überwiegen. Die in Nr. 5.3 RKpS niedergelegten Grundsätze der zu treffenden Kriminalprognose seien in Verbindung mit Nr. 5.1 Grundlage der der ablehnenden Entscheidung zugrundeliegenden Ermessensentscheidung gewesen. Die Verfahrenseinstellungen stünden der weiteren Aufbewahrung der Daten/Unterlagen nicht entgegen. Nach § 81 b 2. Alternative StPO dürften erkennungsdienstliche Unterlagen auch gegen den Willen des Beschuldigten angefertigt werden, soweit dies für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig sei. Aus dieser Regelung i.V.m. § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, § 5 Abs. 1 BKAG ergäben sich nicht nur die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der Unterlagen, sondern auch Grund und Grenzen für die Berechtigung, einmal aufgenommene Unterlagen aufzubewahren. Dazu sei die Behörde befugt, solange die weitere Aufbewahrung für die bezeichneten Zwecke notwendig sei. Wenn bereits bei einem Freispruch die weitere Aufbewahrung gerechtfertigt sein könne, so müsse dies erst recht für die vorliegenden, den Kläger betreffenden Verfahrensabschlüsse gelten.
Soweit der Kläger die Auskunft begehrt hat, ob und gegebenenfalls an wen personenbezogene Daten des Klägers von der Beklagten weitergeleitet worden seien, hat das Verwaltungsgericht das Verfahren mit Beschluß vom 10. August 1990 abgetrennt und anderweitig fortgeführt.
Mit Urteil vom 27. November 1991 hat es der Klage im übrigen stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, die über den Kläger gespeicherten und/oder aufbewahrten personenbezogenen Daten zu löschen sowie die Löschung bzw. Vernichtung dem Kläger schriftlich zu bestätigen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dem Kläger stehe ein Folgenbeseitigungsanspruch zu, da eine den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen genügende bereichsspezifische gesetzliche Rechtsgrundlage für die Speicherung bzw. Aufbewahrung personenbezogener Daten fehle. Zwar könne es aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein, eine Behördenpraxis, die erst aufgrund eines Wandels der verfassungsrechtlichen Anschauungen den bis dahin angenommenen Einklang mit der Verfassung verliere, für eine Übergangszeit hinzunehmen, bis der Gesetzgeber Gelegenheit gehabt habe, die Regelungslücke zu schließen. Jedoch habe der Gesetzgeber seit dem "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 (BVerfGE 65, 1 ff.) ausreichend Zeit gehabt, dem Wandel der verfassungsrechtlichen Anschauungen Rechnung zu tragen. Die Übergangszeit sei abgelaufen.
Gegen das am 23. Dezember 1991 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. Januar 1992 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, die Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen, auf deren Vernichtung das Löschungsbegehren des Klägers vorrangig gerichtet sei, sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch die spezielle Vorschrift des § 81 b 2. Alt. StPO gedeckt. Diese Norm regele zwar ihrem Wortlaut nach nur die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen; jedoch ergäben sich aus ihr auch Grund und Grenzen der Berechtigung, einmal aufgenommene Unterlagen aufzubewahren. Dazu sei die Behörde befugt, solange die weitere Aufbewahrung der Unterlagen für Zwecke des Erkennungsdienstes "notwendig" sei. Mit diesem Inhalt genüge die Vorschrift insbesondere den rechtstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm, die zur Vornahme belastender Maßnahmen ermächtige. Das gelte unter dem Blickwinkel des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts auch insoweit, als in der Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen ein Eingriff in das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herzuleitende Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erblicken sei. Soweit der Kläger die Löschung anderer beim Bundeskriminalamt über ihn gespeicherter kriminalpolizeilicher Daten begehre, sei auch für diese Speicherung eine wirksame Rechtsgrundlage vorhanden. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG werde durch § 14 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKAG hinreichend Rechnung getragen. Aber auch für den Fall, daß die gesetzlichen Grundlagen für die Beschränkung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung für unzureichend gehalten würden, führe dies nicht zur Unzulässigkeit der Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten und Unterlagen in kriminalpolizeilichen Sammlungen. Mit der Einräumung eines "Übergangsbonus" werde die Notwendigkeit einer Gesetzgebung und des damit verbundenen zeitlichen Aufwands anerkannt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lasse sich die Übergangsfrist nicht in festen Zeitabschnitten bestimmen. Maßgeblich sei, daß Regierung und Parlament im gebotenen Maße tätig würden. Wenn sich die Novellierung des Bundeskriminalamtsgesetzes derzeit noch nicht in einem konkreten Stadium des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens befinde, so sei dies vor allem darauf zurückzuführen, daß die Abstimmung zwischen Bund und Ländern angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit der Regelungsmaterie noch nicht in dem erforderlichen Umfang habe herbeigeführt werden können. Die Voraussetzungen für die Aufbewahrung kriminalpolizeilicher Daten des Klägers beim BKA seien erfüllt. Denn die weitere Speicherung sei zu Zwecken des Erkennungsdienstes notwendig (§ 81 b 2. Alt. StPO) und zur Aufgabenerfüllung des Bundeskriminalamtes erforderlich (§ 14 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKAG).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom27. November 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. November 1991 mit der Maßgabe zu zurückzuweisen, daß der Tenor der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wie folgt gefaßt wird:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juni 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1990 verpflichtet, die Löschung der über ihn, den Kläger, gespeicherten und/oder aufbewahrten personenbezogenen Daten zu verfügen und dem Kläger die Löschung zu bestätigen.
Er schließt sich den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an.
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Heft) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen und den darüber hinausgehenden Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben worden. Sie ist jedoch nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 zweite Alternative VwGO. Der Kläger begehrt eine (stattgebende) Entscheidung über seinen Antrag auf Löschung der ihn betreffenden beim Bundeskriminalamt gespeicherten personenbezogenen Daten und damit den Erlaß eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -. Diese Entscheidung stellt die Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes dar und ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Dem Kläger würde durch eine seinem Löschungsbegehren stattgebende Entscheidung und die Löschung ein Recht umfassend wiedergewährt, das vor der Löschung möglicherweise beeinträchtigt war. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem sogenannten "Volkszählungsurteil" (Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 - BVerfGE 65, 1 ff.) ein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" anerkannt, das auf den in Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - geregelten Grundrechten beruht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfG, a.a.O., S. 43). Die Löschungsentscheidung entfaltet unmittelbare Rechtswirkung nach außen. Zwar dient die Speicherung von Daten in erster Linie verwaltungsinternen Zwecken. Jedoch wird durch eine Entscheidung über die Aufbewahrung bzw. die Löschung der den Kläger betreffenden Daten sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar berührt.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger kann die Löschung der ihn betreffenden bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung verlangen. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist heute allgemein anerkannt und wird aus der Verletzung von Grundrechten bzw. aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet, wonach die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist. Daraus ergibt sich die Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, die rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen zu beseitigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. September 1984 - 4 C 51/80 - BayVBl. 1985, 154 f., und vom 19. Juli 1984 - 3 C 81/82 - DVBl. 1984, 1178 f.).
Es ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, daß die Beklagte die über ihn EDV-mäßig erfaßten Daten weiterhin gespeichert hält. Die Aufbewahrung der den Kläger betreffenden Daten ist rechtswidrig, denn hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über "seine Daten". Grundsätzlich muß er Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden allgemeinen Interesse hinnehmen. Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG jedoch einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, so daß die Grundrechte von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Angesichts der Gefährdung durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken (vgl. zu allem BVerfGE, a.a.O., S. 43 f. m.w.N.). Die Verwendung personenbezogener Daten setzt voraus, daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Daten für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Die Verwendung der Daten ist auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt. Schon angesichts der Gefahren der automatischen Datenverarbeitung ist ein - amtshilfefester - Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich. Als weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen sind Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten wesentlich (BVerfG, a.a.O., S. 46).
Diesen Erfordernissen einer bereichsspezifischen Regelung genügen die §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes vom 29. Juni 1973 - BKAG - (BGBl. I S. 704) auch in Verbindung mit § 14 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 - BDSG - (BGBl. I S. 2954) nicht. Die genannten Normen des BKAG stellen lediglich Aufgabenzuweisungen dar, nicht aber Normen, in denen die Voraussetzungen für die Befugnis zur Speicherung und für die Verpflichtung zur Löschung personenbezogener Daten geregelt sind. Daran ändert auch § 14 BDSG nichts, denn dieser Norm fehlt die Bereichsspezifität.
Auch die Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen - RKpS - (GMBl. 1981, 120 ff.) genügen den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Erfordernissen nicht, denn sie stellen nur verwaltungsinternes Innenrecht dar und haben nicht die geforderte Gesetzesqualität.
Auf § 81 b StPO läßt sich die weitere EDV-mäßige Speicherung der den Kläger betreffenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ebenfalls nicht stützen. Soweit es für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen nach dieser Vorschrift Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Die Vorschrift enthält somit zwei Alternativen. Sie betrifft zunächst diejenigen Lichtbilder, Fingerabdruckblätter, Messungsprotokolle sowie Beurkundungen ähnlicher Maßnahmen, die zur Durchführung eines konkreten Strafverfahrens angefertigt wurden (§ 81 b 1. Alternative StPO), während die Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung erkennungsdienstlicher Unterlagen in kriminalpolizeilichen Sammlungen nach § 81 b 2. Alternative StPO ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einem konkreten Strafverfahren der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten nach § 163 StPO zugewiesen sind, dienen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. Juli 1989 - 1 B 85.89 - DÖV 1990, 117; Hess. VGH, Urteil vom 9. März 1993 - 11 UE 2613/89 - NVwZ-RR 1994, 652 f.). Wesentlich ist allerdings, daß die genannten Maßnahmen in beiden Fällen nur gegen einen "Beschuldigten" angeordnet werden dürfen. Die Anfertigung der genannten Unterlagen muß aus einem konkreten gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens als notwendig erweisen. Nach der zitierten Rechtsprechung dürfen die ursprünglich zur Durchführung eines Strafverfahrens erhobenen Unterlagen jedenfalls dann auch für Zwecke des Erkennungsdienstes aufbewahrt und verwertet werden, wenn und soweit zugleich die für die Anfertigung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen vorliegen (BVerwG, a.a.O.; Hess. VGH, a.a.O.).
Da es hier nicht um die Aufbewahrung oder Speicherung erkennungsdienstlicher Unterlagen, die in erster Linie der Identifizierung von Personen dienen sollen, geht, sondern um die Frage, ob bei der Beklagten andere EDV-mäßig gespeicherte personenbezogene Daten weiterhin gespeichert bleiben dürfen, ist § 81 b StPO auch in seiner zweiten Alternative nicht einschlägig.
Andere Normen, die als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommen, sind nicht ersichtlich.
Der Klage ist auch nicht deshalb der Erfolg versagt, weil dem Bundesgesetzgeber Gelegenheit gegeben werden müßte, noch eine die Speicherung und Aufbewahrung personenbezogener Daten betreffende bereichsspezifische gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen. Zwar kann es aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein, eine Behördenpraxis, die erst aufgrund eines Wandels der verfassungsrechtlichen Anschauungen den bis dahin angenommenen Einklang mit der Verfassung verliert, für eine Übergangszeit hinzunehmen, bis der Gesetzgeber Gelegenheit gehabt hat, die Regelungslücke zu schließen (BVerfG, Beschluß vom 13. Juni 1979 - 1 BvR 699/77 - BVerfGE 51, 268 ff., 288 m.w.N.). Auch ist die Übergangsfrist zum Erlaß von bereichsspezifischen Vorschriften des Datenschutzes nicht in festen Zeitabschnitten zu bestimmen. Entscheidend ist, daß Regierung und Parlament diesen Wandel respektieren und in gebotenem Maße tätig werden, wobei dies von zahlreichen Gegebenheiten abhängt, etwa der allgemeinen Belastung des Gesetzgebers, dem Ablauf der Legislaturperiode, dem Ausmaß an Übereinstimmung der maßgeblichen politischen Kräfte in Parlament und Regierung, der im Sicherheitsbereich unentbehrlichen Abstimmung zwischen Bund und Ländern und vor allem der Intensität des Eingriffs in die Rechte des Einzelnen (BVerfG, a.a.O., S. 288 ff.).
Jedoch ist diese Übergangszeit jedenfalls in Bezug auf die Speicherung von Daten eingestellter Ermittlungsverfahren, inzwischen abgelaufen. Bereits seit Erlaß des Volkszählungsurteils im Jahre 1983 ist dem Gesetzgeber bekannt, daß Gesetzgebungsbedarf besteht. Seitdem sind nahezu 12 Jahre vergangen, ohne daß die bereichsspezifischen Regelungen betreffend die Speicherung und Verwendung von Daten durch das Bundeskriminalamt vom Gesetzgeber erlassen wurden. Dies bedeutet, daß seit nahezu 12 Jahren Betroffene Eingriffe in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ohne Ermächtigungsgrundlage hinnehmen müssen. Zweck der dem Gesetzgeber zustehenden Übergangszeit ist es nicht, eine rechtswidrige Praxis zu legitimieren, sondern ihm ausreichend Zeit für Beratung und Erlaß der entsprechenden Regelungen zu geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 C 42.83 - BVerwGE 84, 375 ff., 384). Diese Gelegenheit hat der Gesetzgeber gehabt. Das BKAG ist zuletzt mit Gesetz vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978) geändert worden. Spätestens bei dieser Gesetzesänderung hätten über den hier nicht einschlägigen § 9 BKAG hinaus bereichsspezifische gesetzliche Regelungen für die Behandlung von personenbezogenen Daten im Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamts geschaffen werden können.
Die verstrichene Zeit von nahezu 12 Jahren ist so lang, daß auch der Gesichtspunkt, die Abstimmung zwischen Bund und Ländern habe angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit der Regelungsmaterie noch nicht in dem erforderlichen Umfang herbeigeführt werden können, nur noch von untergeordneter Bedeutung ist. Auch der Einwand, die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen müsse Grundrechtseingriffe gebieten, um nicht zu Zuständen zu gelangen, die der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünden, vermag unter Berücksichtigung der verstrichenen langen Zeit Grundrechtseingriffe in das Recht der informationellen Selbstbestimmung jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht länger zu rechtfertigen.
Aber auch dann, wenn man davon ausginge, daß die dem Bundesgesetzgeber zustehende Übergangsfrist zur Schaffung einer die Speicherung und Aufbewahrung personenbezogener Daten betreffenden bereichsspezifischen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage derzeit noch nicht abgelaufen wäre, hätte die Klage Erfolg, denn bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes sind die Behörden zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Positionen auf das beschränkt, was im konkreten Fall unerläßlich ist (BVerfG, a.a.O., S. 291 f.). Die Speicherung eingestellter Ermittlungsverfahren über lange Zeit ist nicht unerläßlich, sondern äußerst fragwürdig. Durch Art. 4 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) ist in die Strafprozeßordnung ein Achtes Buch eingefügt worden, das ein bei dem Bundeszentralregister zu führendes zentrales staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister betrifft. Nach § 476 Abs. 2 Satz 2 StPO in der Fassung des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 sind die Daten zwei Jahre nach der Erledigung des Verfahrens zu löschen, wenn der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, es sei denn, vor Eintritt der Löschungsfrist wird ein weiteres Verfahren zur Eintragung in das Verfahrensregister mitgeteilt. Nach Satz 3 der Vorschrift bleiben in diesem Fall die Daten gespeichert, bis für alle Eintragungen die Löschungsvoraussetzungen vorliegen. Aus dieser bundesgesetzlichen Neuregelung betreffend ein anderes bundesweit geführtes, ebenfalls Strafermittlungen betreffendes Register mit einer eingeschränkten Zugriffsberechtigung (vgl. § 474 Abs. 3 Satz 2 StPO) ist für die dem Gesetzgeber zustehende, das BKAG betreffende Übergangsfrist der Schluß zu ziehen, daß im Hinblick auf eine Minimierung des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Löschungsfrist von zwei Jahren - wie im Falle der für das neue staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister geregelten Frist - völlig ausreichend ist. Es erscheint nicht plausibel, daß die personenbezogenen Daten im Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamts zehn Jahre gespeichert gehalten werden dürfen, während der Bundesgesetzgeber für die Staatsanwaltschaften bei Verdachtsermittlungen eine Vorhaltung der Daten für die Dauer von nur zwei Jahren für ausreichend hält.
Geht man auch im vorliegenden Fall von zwei Jahren aus, so hätten alle sechs hier streitigen Eintragungen - die letzte Eintragung betrifft das Verfahren 86 Js 38714/88 und damit ein Verfahren aus dem Jahre 1988 - spätestens Ende 1990 aus dem Register der Beklagten gelöscht werden müssen.
Da der Kläger durch die Aufbewahrung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten nach wie vor in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird, ist sein Folgenbeseitigungsanspruch auf Löschung der Daten gegeben.
Sein zusätzliches Begehren, von der Beklagten eine Bestätigung der Löschung bzw. Vernichtung der Daten zu erhalten, folgt aus dem Folgenbeseitigungsanspruch.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die dem Gesetzgeber zustehende Übergangszeit abgelaufen ist.
Hessischer VGH:
Urteil v. 22.06.1995
Az: 6 UE 152/92
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