Bundespatentgericht:
Urteil vom 15. November 2001
Aktenzeichen: 3 Ni 6/01

(BPatG: Urteil v. 15.11.2001, Az.: 3 Ni 6/01)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 21.000,--DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 17. Juni 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 9112 500 vom 8. Oktober 1991 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 536 475 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 592 00 468 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine Dichtungsmatte für den Einsatz im Tiefbau zur Isolation von Erdreich gegen Flüssigkeiten und umfaßt 6 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

"Dichtungsmatte für den Einsatz im Tiefbau zur Isolation von Erdreich gegen Flüssigkeiten, insbesondere Wasser, mit zwei äußeren, aus Fasermaterial bestehenden Schichten, zwischen die ein Pulver aus mineralischem Dichtungsmaterial, zB Bentonit, eingebracht ist, sowie die beiden Schichten miteinander in Verbindung stehen, dadurch gekennzeichnet, daß zwischen den beiden Schichten (1, 2) ein Aerovlies (3) eingebracht ist, in welches das Pulver (4) aus mineralischem Dichtungsmaterial eingelagert ist, sowie die beiden Schichten (1, 2) mit dem dazwischen befindlichen Aerovlies (3) miteinander vernäht sind."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus sei der Begriff "Aerovlies" zu unbestimmt. Zur Begründung beruft sich die Klägerin auf die Anlagen K 2 J. Lünenschloß, W. Albrecht "Vliesstoffe", Georg Thieme Verlag 1982, K3 EP0445788A1, K4 EP0278419A2, K 5 DE-OS 23 21 362, K 6 F.-F. Zitscher: Empfehlungen für die Anwendung von Kunststoffen im Erdund Wasserbau, in: DIE BAUTECHNIK 5/1982, S 145 - 151, K 7 US-PS 4 565 468, K 8 AU-A-69263/91, K 9 AU-A-17406/83, K10 US-PS 3 928 696 und K11 DE7133997U, K12 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.3. des Europäischen Patentamts vom 7. Februar 1996, K13 Schreiben von Prof. D... vom 16. Oktober 1992, K14 "Bentofix"-Prospekt, Stand: Juli 1995.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 536 475 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.

Der Senat hat nicht erkennen können, daß dem Streitpatent der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit entgegensteht, Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a EPÜ, Art 56 EPÜ.

I.

1) Nach den Angaben der Streitpatentschrift ist aus dem Stand der Technik eine Dichtungsmatte bekannt (s StrPS Sp 1 Z 1 - Sp 2 Z 5), die im Tiefbau zur Isolierung von Erdreich gegen Flüssigkeiten eingesetzt wird und bei der zwischen den beiden äußeren Lagen, die aus Fasermaterial bestehen, ein mineralisches Dichtungsmaterial in Pulverform, zB Bentonit, eingebracht ist. Die Verbindung zwischen den Faserschichten erfolgt durch Vernadelung, die den Scherkräften, die durch den Neigungswinkel beim Verlegen der Matten entstehen, entgegenwirkt.

Dennoch kann es vorkommen, daß die Faserschichten sich gegeneinander verschieben.

2) Vor diesem Hintergrund hat das Streitpatent die Aufgabe (StrP Sp 2 Z 6-9), eine Dichtungsmatte zur Verfügung zu stellen, die zur Aufnahme hoher Scherkräfte in der Lage ist.

3) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 eine

"Dichtungsmatte für den Einsatz im Tiefbau zur Isolation von Erdreich gegen Flüssigkeiten, insbesondere gegen Wasser mit folgenden Merkmalen:

1.

Die Dichtungsmatte weist zwei äußere Schichten (1, 2) auf, 1.1 die aus Fasermaterial bestehen.

2.

Zwischen die äußeren Schichten (1, 2) ist ein Aerovlies (3) eingebracht, 2.1 in welches ein Pulver (4) aus mineralischem Dichtungsmaterial, z.B. Bentonit, eingelagert ist.

3.

Die beiden äußeren Schichten (1, 2) sind mit dem dazwischen befindlichen Aerovlies (3) miteinander vernäht."

II.

1.

Der Patentanspruch 1 des Streitpatents gibt dem Fachmann, einem Bauingenieur (FH) mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Abdichtung von Erdreich gegen Flüssigkeiten, eine klare und eindeutige Lehre zum technischen Handeln.

Patentanspruch 1 des Streitpatents betrifft eine Dichtungsmatte mit zwei äußeren aus Fasermaterial bestehenden Schichten, zwischen die ein Pulver aus mineralischem Dichtungsmaterial eingebracht ist. Nach der Lehre des Patentanspruchs 1 ist zwischen den beiden Schichten ein Aerovlies eingebracht, in welches "das Pulver", d.h. das gesamte zwischen den beiden äußeren Schichten befindliche Pulver, eingelagert ist. Diese Angabe, wie auch die weitere Angabe im Patentanspruch 1, daß die beiden äußeren Schichten mit dem dazwischen befindlichen Aerovlies miteinander vernäht sein sollen, geben dem Fachmann eine ausreichende Lehre für die Herstellung der beanspruchten Dichtungsmatte. Bereits aus der Formulierung im Patentanspruch 1 erkennt der Fachmann, daß mit dem Begriff "Aerovlies" ein Vlies gemeint ist, in das das gesamte aus mineralischem Dichtungsmaterial bestehende Pulver eingelagert werden kann. Dieser Sachverhalt findet auch eine Stütze in der Beschreibung der Streitpatentschrift. So ist in Spalte 2, Zeilen 21 bis 23 ein "Vlies mit einem hohen Porenanteil pro Volumeneinheit" als sogenanntes "Aerovlies" bezeichnet, und in Spalte 2, Zeilen 44 bis 47 ist nochmals ausgeführt, daß das Aerovlies "einen hohen Luftanteil pro Volumenelement" besitzt und daß seine Poren "zur Aufnahme des pulverförmigen mineralischen Dichtungspulvers dienen". Damit ist für den Fachmann klar, welche Art von Vlies er für die Herstellung der Dichtungsmatte nach dem Patentanspruch 1 verwenden soll.

2.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu, was auch die Klägerin nicht in Abrede stellt. Keine der Entgegenhaltungen zeigt eine Dichtungsmatte mit allen im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen.

3.

Die Klägerin hat den Senat nicht davon überzeugen können, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Vom gesamten, von der Klägerin entgegengehaltenen Stand der Technik betreffen lediglich die von ihr als Anlagen K3 und K4 vorgelegten europäischen Offenlegungsschriften 0 445 788 und 0 278 419 Dichtungsmatten mit den im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmalen. Allein schon die im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 angegebene Maßnahme, das zwischen den äußeren Schichten angeordnete Pulver aus mineralischem Dichtungsmaterial in ein Aerovlies einzulagern, ist keiner der Entgegenhaltungen zu entnehmen. Gemäß der Druckschrift EP 0 445 788 A1 (K3) kann die Trägerschicht zwar eine Kombination von groben und feinen miteinander vernadelten Vliesstoffen sein, "wobei ... der grobe Vliesstoff vorzugsweise der Bentonitschicht zugewandt ist" (S 4 Zeilen 46 bis 48). Das besagt jedoch, daß die Bentonitschicht nicht wie beim Streitpatent in einem Aerovlies eingelagert ist. Ausgehend von der Verwendung von grobem Vliesstoff in der Trägerschicht kann die Entgegenhaltung K3 dem Fachmann die Maßnahme, den gesamten Bentonit zwischen den äußeren Schichten in einem Aerovlies einzulagern, auch nicht nahelegen, da ihre Lehre von der des Streitpatents wegführt. Gemäß dieser Druckschrift soll der feste mechanische Verbund von Trägerund Deckschicht mit der dazwischen gelagerten Tonschicht

(z.B. Bentonitschicht) nämlich "durch eine spezielle Kombination von Teilchengrößen, Quellvermögen und Schichtdicke der Tonschicht einerseits und der Vliesstoffparameter andererseits" bewirkt werden (vgl S 2, Zeilen 42 bis 46). Dadurch kommt zum Ausdruck, daß an der Zwischenschicht aus quellfähigem Ton, die durch Vernadelung mit den beiden äußeren Schichten verbunden ist, in jedem Fall festgehalten werden soll und lediglich bestimmte, im Patentanspruch 1 der europäischen Offenlegungsschrift K3 näher angegebene Parameter für den Ton und die eingesetzten Vliesstoffe beachtet werden sollen. Auch die Entgegenhaltung K4 lehrt nichts anderes, als eine Zwischenschicht aus quellfähigem Ton zwischen einer Trägerund einer Deckschicht anzuordnen, wobei alle drei Schichten miteinander vernadelt sind. Da die Vernadelung durch die Bentonitschicht erfolgt, ergibt sich eine intensive Vermischung von Fasern und Bentonit. Man erhält dadurch eine faserverstärkte Dichtungsmatte, die in der Lage ist, Schubkräfte von der Deckschicht durch die Bentonitschicht in die Trägerschicht zu übertragen (vgl K4, S 5, Zeilen 10 bis 13 sowie K3, S 4, Zeilen 10 bis 13).

Demgegenüber wird bei der Dichtungsmatte nach dem Patentanspruch 1 des Streitpatents die Aufnahme hoher Schubkräfte dadurch bewirkt, daß zum einen, wie vorstehend ausgeführt, das Pulver der Zwischenschicht in einem Aerovlies eingelagert ist, und zum anderen die beiden äußeren Schichten mit dem dazwischen befindlichen Aerovlies miteinander vernäht sind. Beide Maßnahmen haben zur Folge, daß eine Relativbewegung der beiden äußeren Schichten gegeneinander unterbunden wird. Durch die Einbettung in das Aerovlies wird eine Relativbewegung der sich mit Feuchtigkeit ergebenden gallertartigen Masse wesentlich behindert, und das Vernähen führt zu einer wesentlich höheren Festigkeit der gesamten Dichtungsmatte (vgl Sp 2, Zeilen 30 bis 43 des Streitpatents). Durch das Vernähen werden nämlich die äußeren Schichten punktuell fixiert, so daß sich die Dichtungsmatte nach der Aufnahme von Feuchtigkeit in den Punkten der Naht überhaupt nicht oder nur geringfügig und in den Nachbarbereichen etwas mehr verbreitern kann und auf diese Weise dem Quelldruck entgegenwirkt (vgl Sp 3, Zeilen 23 bis 29 der Streitpatentschrift). Wie ohne weiteres auch aus der Zeichnung des Streitpatents ersichtlich ist, wird durch die Nähte und durch die verbreiterten Nachbarbereiche ein Abscheren der gallertartigen Masse in dem Aerovlies zusätzlich behindert.

Die Entgegenhaltungen K3 und K4 geben dem Fachmann aus diesem Grunde keine Anregung, die aufnehmbare Schubkraft einer Dichtungsmatte in der vorstehend geschilderten Weise zu bewirken.

Eine solche Anregung erhält der Fachmann auch nicht durch die Druckschrift K7, die eine Dichtungsmatte beschreibt, deren Zwischenschicht zwischen den beiden äußeren Schichten ebenfalls nur aus dem Pulver eines mineralischen Dichtungsmaterials besteht, und deren Schichten zwar zunächst miteinander vernäht werden, jedoch so, daß beim Aufquellen des Dichtungsmaterials die Fäden zerrissen werden und die Schichten dann nicht mehr miteinander in Verbindung stehen. Für den Gedanken, ein Aerovlies mit eingelagertem Pulver als Zwischenschicht zu verwenden und die Schichten bleibend miteinander zu vernähen, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Streitpatentschrift ergibt, findet sich auch hier kein Anknüpfungspunkt.

Der übrige, im Verfahren befindliche Stand der Technik liegt insgesamt weiter ab. Die Entgegenhaltung K2 befaßt sich mit der Herstellung von Vliesstoffen, und die Veröffentlichung K6 betrifft Empfehlungen für die Anwendung von Kunststoffen im Erdund Wasserbau und ist von der Klägerin entgegengehalten worden, weil im dortigen Abschnitt 2.4.3 ganz allgemein gelehrt wird, daß die Verbindung von einzelnen Schichten untereinander u.a. durch Vernadeln oder Vernähen erfolgen kann. Die Anlagen K5, K10 und K11 haben Erosionsschutzmatten und die Anlage K9 ein Drainagematerial zum Inhalt. Die Druckschrift K8 betrifft keine Dichtungsmatte, sondern ein Abdichtverfahren vor Ort, bei dem der Bentonit auf Abdichtungsmaterialien 14 oder 20 aufgebracht wird, nicht aber in ein Aerovlies eingebettet ist, das zwischen zwei äußeren Schichten, die dann mit dem Aerovlies miteinander vernäht werden, eingelagert ist. Die in der mündlichen Verhandlung überreichten Anlagen K12, K13 und K14 stellen keinen relevanten Stand der Technik dar, da sie nachveröffentlicht sind. Somit kann auch keine der als Anlagen K2 und K5 bis K14 eingereichten Entgegenhaltungen dem Fachmann in Zusammenschau mit den Entgegenhaltungen K3, K4 oder K7 nahelegen, eine Dichtungsmatte zu schaffen, bei der entsprechend Patentanspruch 1 des Streitpatents das Pulver aus mineralischem Dichtungsmaterial in einem Aerovlies eingelagert ist, und die beiden äußeren Schichten und das Aerovlies miteinander vernäht sind.

Patentanspruch 1 des Streitpatents ist mithin rechtsbeständig.

4. Die ebenfalls mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Unteransprüche 2 bis 5 betreffen zweckmäßige, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Dichtungsmatte nach dem Patentanspruch 1, auf den sie zurückbezogen sind; sie sind daher ebenfalls rechtsbeständig.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Riegler Trüstedt Schmidt-Kolb Sredl Fa






BPatG:
Urteil v. 15.11.2001
Az: 3 Ni 6/01


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