Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. September 2002
Aktenzeichen: 9 W (pat) 66/01

(BPatG: Beschluss v. 18.09.2002, Az.: 9 W (pat) 66/01)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 und 2, Beschreibung, Seiten 1 bis 11 (mit am 18.09.2002 telefonisch genehmigten Änderungen), Zeichnung Figur 1,

- jeweils eingegangen per Telefax am 17. September 2002 -

Zeichnungen Figuren 2 bis 7 gemäß Offenlegungsschrift.

Anmeldetag ist der 4. September 1990 mit der in Anspruch genommenen Priorität der japanischen Anmeldung P 1-22 88 08 vom 4. September 1989. Die Bezeichnung lautet: "Aufhängungssteuersystem für Kraftfahrzeuge".

Gründe

I.

Die Patentanmeldung ist beim Deutschen Patentamt, jetzt Deutsches Patent- und Markenamt, am 4. September 1990 unter Inanspruchnahme der Unionspriorität der Anmeldung JP-P 1-22 88 08 in Japan vom 4. September 1989 mit der Bezeichnung

"Aufhängungssteuersystem für Fahrzeuge"

eingegangen. Die Prüfungsstelle für Klasse B 60 G des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung geprüft und mit Beschluß vom 12. September 2001 zurückgewiesen. Sie ist der Auffassung, die Lehre des Anspruchs 1 sei unklar und unvollständig. Es möge zwar sein, daß genau im Falle der Resonanzfrequenz des Sensors die Bildung des Mittelwertes über der festen Eigenzeit ein konkretes und sinnvoll verwendbares "modifiziertes Sensorsignal" ergebe. Die ständige Mittelwertbildung über die Eigenzeit unabhängig von der wirklich anstehenden Anregungsfrequenz führe aber schon bei geringfügig von der Resonanzfrequenz abweichender Anregungsfrequenz dazu, daß jeder Mittelwert aus einer Reihe von aufeinanderfolgenden Mittelwerten in unkontrollierbarer Weise von seinen Nachbarmittelwerten abweiche. Eine solche Folge von wesentlich voneinander abweichenden Mittelwerten, d.h. "modifizierten Steuersignalen", im Bereich der Resonanzüberhöhung könne sicher nicht ohne weitere Maßnahmen in der "zweiten Einrichtung" des Anspruchs 1 zu einem Aufhängungssteuersignal umgeformt werden. Derartige Maßnahmen seien jedoch im geltenden Anspruch 1 nicht angesprochen und auch in den weiteren Anmeldungsunterlagen nicht erkennbar, so daß eine klare und vollständige Lehre fehle.

Die Anmelderin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluß und hat sinngemäß beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den in der Beschlußformel angegebenen Unterlagen zu erteilen.

Sie hat der Prüfungsstelle in allen Punkten widersprochen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Aufhängungssteuersystem für Kraftfahrzeuge, miteiner Anzahl von Aufhängungen zwischen einem Fahrzeugaufbau (10) und wenigstens einem Rad (11) zur Dämpfung von Relativbewegungen zwischen dem Fahrzeugaufbau und dem Rad, welche Aufhängungen eine mit Hilfe eines Steuersignals variable Aufhängungscharakteristik aufweisen, wenigstens einem Sensor (102, 104) zur Überwachung von Trägheitskräften, die auf den Fahrzeugaufbau (10) ausgeübt werden, und zur Erzeugung von für die Trägheitskräfte repräsentativen Sensorsignalen, einer Steuereinrichtung (100) mit einem Mikroprozessor (110) zur Bestimmung des Aufhängungssteuersignals für die variable Aufhängungscharakteristik unter Berücksichtigung der Sensorsignale, dadurch gekennzeichnet, daß in der Steuereinrichtung (100)

zunächst ein modifiziertes Sensorsignal aus einem Mittelwert der Sensorsignale über einen Zeitraum gebildet wird, der im wesentlichen einem Zyklus der Resonanzfrequenz des Sensors (102, 104) entspricht, undanschließend das Aufhängungssteuersignal auf der Basis des modifizierten Sensorsignals gebildet wird."

Dadurch soll die Aufgabe gelöst werden, ein Aufhängungssteuersystem zu schaffen, das den Einfluß der Resonanzfrequenz eines Trägheitskraftsensors verringert.

Dem geltenden Patentanspruch 1 schließt sich ein auf diesen bezogener Patentanspruch 2 an.

II.

Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie in dem sich aus der Beschlußformel ergebenden Umfang Erfolg.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 sind zulässig.

Die Merkmale nach dem geltenden Patentanspruch 1 sind in den ursprünglich eingereichten Unterlagen in den Patentansprüchen 1, 3 und 4 in Verbindung mit Seite 8, Zeilen 1 bis 24 der Beschreibung offenbart. Die Merkmale nach Patentanspruch 2 sind in dem ursprünglich eingereichten Patentanspruch 2 in Verbindung mit Seite 6, Zeile 36, bis Seite 7, Zeile 1, der Beschreibung offenbart.

2. Die Erfindung ist in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein durchschnittlicher Fachmann sie ausführen kann (§ 34 (4) PatG).

Als durchschnittlicher Fachmann ist im vorliegenden Fall ein Diplomingenieur des Kraftfahrzeugbaus mit Erfahrung in der Entwicklung von Fahrwerken, insb. von Steuerungen zur Niveauregelung von Kraftfahrzeugen anzusehen.

Ein solcher Fachmann weiß unbestritten, daß mit den im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen die Aufgabe gelöst wird, ein Aufhängungssteuersystem zu schaffen, das den Einfluß der Resonanzfrequenz eines Trägheitskraftsensors verringert. Durch die Mittelwertbildung der Sensorsignale über einen Zeitraum, der im wesentlichen einem Zyklus der Resonanzfrequenz des Sensors entspricht, werden die während der Resonanz des Sensors entstehenden überhöhten Signale innerhalb einer positiven und einer negativen Schwingungsphase gegeneinander aufgehoben. Derart wird ein genauer Mittelwert für das Sensorsignal gebildet. Dies gilt exakt für den Resonanzbereich.

Wenn die Erregerfrequenz für den Sensor von dessen Resonanzfrequenz abweicht, trifft es zwar zu, daß die überhöhten Signale des Sensors während einer Mittelwertbildung nicht mehr vollständig ausgeglichen werden, wie auch die Anmelderin eingeräumt hat. Bei kleineren Abweichungen der Erregerfrequenz von der Resonanzfrequenz des Sensors stimmt der dann ermittelte Mittelwert nicht mehr genau mit dem tatsächlich sich in dieser Zeitspanne ergebenden Mittelwert überein; die Abweichungen sind aber verhältnismäßig gering, so daß die ermittelten Mittelwerte durch teilweise Kompensierung der dann noch vorhandenen überhöhten Signale des Sensors jedenfalls noch genauer sein können als ohne besondere Vorkehrungen. Bei einer Erregerfrequenz, die nur noch halb so groß ist wie die Resonanzfrequenz des Sensors, sind der Mittelwert einmal für eine obere Hälfte und einmal für eine untere Hälfte einer gesamten Schwingung gebildet. In diesem Fall findet kein Ausgleich der überhöhten Signale mehr statt. Da der Abstand der Erregerfrequenz von der Resonanzfrequenz aber schon verhältnismäßig groß ist, ergibt sich im Verhältnis zum Resonanzbereich nur noch eine verhältnismäßig geringe Überhöhung des Sensorsignals. Ein dann ohne Ausgleich gebildeter Mittelwert ist daher nur noch mit einem verhältnismäßig kleinen Fehler behaftet und so auch für die Bildung eines Aufhängungssteuersignals brauchbar. Über das allgemeine Fachwissen hinausgehende zusätzliche Angaben, um auch noch solche Fehler auszugleichen, mögen deshalb je nach Aufwand technisch auch noch sinnvoll erscheinen. Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle sind sie allerdings für eine vollständige und klare Lehre zwingend nicht erforderlich.

3. Das gewerblich anwendbare Aufhängungssteuersystem ist gegenüber dem Stand der Technik neu und beruht gegenüber diesem auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das Aufhängungssteuersystem nach der JP 63-130 418 A weist die Merkmale nach dem Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 auf. Es ergibt sich daraus keine Anregung, die anstehende Aufgabe durch die im kennzeichnenden Teil dieses Patentanspruchs 1 angegebene Mittelwertbildung der Sensorsignale zu lösen.

Aus der DE 24 54 601 C3 ist eine Einrichtung zur Ermittlung des Mittelwertes einer sich periodisch ändernden elektrischen Größe bekannt, bei der die Abtastfrequenz das nfache der Änderungsfrequenz beträgt. Da es sich hierbei allerdings um eine konstante Änderungsfrequenz handelt, kann aus der Druckschrift kein Lösungsansatz hergeleitet werden, wie ein Mittelwert gebildet werden soll, wenn die Änderungsfrequenz nicht konstant ist. Das anmeldungsgemäße Problem der Sensorresonanz und seiner Kompensation ist in der gesamten Druckschrift nicht angesprochen.

In Hewlett-Packard Journal, April 1968, Seiten 2 bis 16 fehlt ebenfalls ein Bezug zu einer definierten Mittelwertbildung, bei dem eine Steuereinrichtung im Augenblick der Resonanzfrequenz des Sensors eine Kompensation des Meßfehlers herbeiführen kann.

Es bedurfte deshalb einer erfinderischen Tätigkeit, um zu dem Aufhängungssteuersystem nach Patentanspruch 1 zu gelangen, was im übrigen von der Prüfungsstelle auch nicht bestritten worden ist.

Das angemeldete Aufhängungssteuersystem nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist deshalb patentfähig. Mit ihm ist es auch der Gegenstand des rückbezogenen Patentanspruchs 2, der eine vorteilhafte, zumindest nicht selbstverständliche Weiterbildung des Aufhängungssteuersystems nach Patentanspruch 1 betrifft.

Petzold Winklharrer Dr. Fuchs-Wissemann Borkbr/Fa






BPatG:
Beschluss v. 18.09.2002
Az: 9 W (pat) 66/01


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