Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 2. Oktober 2003
Aktenzeichen: 6 U 167/02
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 02.10.2003, Az.: 6 U 167/02)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 07.08.2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), gegen das sich die Beklagte mit der Berufung wendet.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hilfsweise stellt die Klägerin auch in der Berufungsinstanz die im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Hilfsanträge.
Die Beklagte beantragt,
die Klage auch mit dem Hilfsantrag abzuweisen.
In der Berufung stützt die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren ergänzend darauf, dass die Aufstellung von Kfz-Anhängern mit Werbeplakaten im öffentlichen Verkehrsraum - unabhängig von der Frage eines Verstoßes gegen § 16 Hessisches Straßengesetz - auch deshalb wettbewerbswidrig sei, weil hierdurch die Verkehrsteilnehmer belästigt würden und zudem die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt werde.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1.
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte im Zusammenhang mit der Aufstellung von Kfz-Anhängern mit Werbetafeln im öffentlichen Verkehrsraum deshalb gegen § 16 Hessisches Straßengesetz verstoßen hat, weil es sich hierbei um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung im Sinne § 16 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Straßengesetz handelte und die Beklagte über eine entsprechende Erlaubnis nicht verfügte. Denn auch wenn dies zu bejahen wäre, könnte ein solcher Verstoß gegen § 16 Hessisches Straßengesetz nicht den Vorwurf wettbewerbswidrigen Verhaltens nach § 1 UWG begründen.
Der erkennende Senat hat zwar in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dass ungenehmigte Werbemaßnahmen im öffentlichen Verkehrsraum, die sich als Sondernutzung darstellen, zugleich als wettbewerbswidrig (§ 1 UWG) einzustufen sind, wenn sich der Werbende hierdurch einen ungerechtfertigten Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft (vgl. - betreffend die Werbung an Bauzäunen - Urteile vom 02.03.95 - 6 U 99/93 - und vom 27.05.97 - 6 U 96/96 - sowie - betreffend die Werbung an Glascontainern - Urteile vom 04.07.96 - 6 U 54/96 - und vom 24.10.96 - 6 U 157/96). An dieser Beurteilung, die auf den seinerzeit anerkannten Grundsätzen über die wettbewerbsrechtliche Bewertung von Verstößen gegen außerwettbewerbsrechtliche Normen beruhte, kann jedoch im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Wettbewerbswidrigkeit von Gesetzesverstößen (vgl. insbesondere WRP 2000, 1116 ff. - Abgasemissionen; WRP 01, 255 - Verbandsklage gegen Vielfachabmahner) nicht mehr festgehalten werden.
Nach den vom Bundesgerichtshof in den genannten Entscheidungen entwickelten Grundsätzen ist für die Beurteilung der genannten Frage zunächst von Bedeutung, ob es sich bei der Norm, die im Zusammenhang mit dem zu überprüfenden Wettbewerbsverhalten verletzt wird, um eine wertneutrale oder um eine wertbezogene, das heißt dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter dienende Vorschrift handelt. Nur im letztgenannten Fall indiziert die Verletzung einer derartigen wertbezogenen Norm grundsätzlich die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit mit der Folge, dass es regelmäßig nicht der Feststellung weiterer Unlauterkeitsumstände bedarf (vgl. BGH - Abgasemissionen - a.a.O., Seite 1120). Der Grundsatz, dass die Verletzung einer wertbezogenen Norm die Unlauterkeit des damit zusammenhängenden Wettbewerbsverhaltens indiziert, gilt jedoch dann nicht, wenn der Verstoß gegen die Norm dem eigentlichen Wettbewerbsverhalten lediglich vor- oder nachgelagert ist (vgl. hierzu BGH - Abgasemissionen - a.a.O.) oder wenn der Gesetzesverstoß zwar zeitlich mit dem Wettbewerbsverhalten zusammenfällt, jedoch lediglich anlässlich dieses Wettbewerbsverhaltens mitverwirklicht wird (vgl. hierzu BGH - Verbandsklage gegen Vielfachabmahner - a.a.O., Seite 258). In diesen Fällen begründet der - vor- oder nachgelagerte bzw. lediglich mitverwirklichte - Verstoß gegen die wertbezogene Vorschrift nur dann die Wettbewerbswidrigkeit, wenn die verletzte Norm zugleich jedenfalls sekundären Marktbezug aufweist, das heißt dazu bestimmt ist, die Gegebenheiten eines bestimmten Marktes festzulegen und so auch gleiche rechtliche Voraussetzungen für die auf diesem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen (vgl. BGH - Abgasemissionen - a.a.O., Seite 1121; Verbandsklage gegen Vielfachabmahner - a.a.O., Seite 258). Stellen sich tatsächlich vorhandene Auswirkungen auf die Wettbewerbslage dagegen als bloßer Reflex der beabsichtigten andersartigen Wirkung der wertbezogenen Norm dar (vgl. hierzu BGH - Verbandsklage gegen Vielfachabmahner - a.a.O., Seite 258), kommt ein Verstoß gegen § 1 UWG nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, ob sich derjenige, der gegen eine solche Norm verstößt, damit einen Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft (vgl. hierzu BGH - Abgasemissionen - a.a.O., Seite 1121).
Zu der Frage, welche Konsequenzen sich aus den dargestellten, die Verletzung wertbezogener Normen betreffenden Grundsätzen im Hinblick auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Verstößen gegen wertneutrale Vorschriften ergeben, hat der Bundesgerichtshof - soweit ersichtlich - bisher noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann insoweit zunächst nicht mehr daran festgehalten werden, dass allein die Absicht, sich durch Verstoß gegen wertneutrale Normen einen Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen, den Vorwurf wettbewerbswidrigen Verhaltens im Sinne von § 1 UWG rechtfertigt (a.A. insoweit OLG Karlsruhe, GRUR-RR 01, 143). Denn da - wie ausgeführt - der Vorsprungsgedanke auch bei der Verletzung wertbezogener Normen eine Wettbewerbswidrigkeit noch nicht ohne weiteres begründet, kann bei Verstößen gegen wertneutrale Vorschriften - erst recht - nichts anderes gelten. Ebenso wenig erscheint es gerechtfertigt, die dargestellten, vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Verletzung wertbezogenen Normen in gleicher Weise auf die Verletzung wertneutraler Normen anzuwenden. Denn dann wäre die vom Bundesgerichtshof nach wie vor vorgenommene Differenzierung zwischen wertbezogenen und wertneutralen Normen im Ergebnis bedeutungslos. An die Wettbewerbswidrigkeit von Gesetzesverstößen müssen daher bei Verletzung wertneutraler Normen jedenfalls höhere Anforderung gestellt werden als bei der Verletzung wertbezogener Normen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats erscheint es sachgerecht, für die Wettbewerbswidrigkeit eines Verstoßes gegen wertneutrale Normen stets zu verlangen, dass es sich bei der verletzten Norm um eine Vorschrift mit jedenfalls sekundärem Marktbezug im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt. Denn nur ein solcher Marktbezug der verletzten Norm kann die ausreichende Rechtfertigung dafür bilden, einen Mitbewerber über die Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 UWG zur Beachtung einer wertneutralen Vorschrift zu zwingen. Demgegenüber kann bei der Missachtung wertbezogener Vorschriften auf das Erfordernis des Marktbezugs der betreffenden Vorschrift - wie ausgeführt - dann verzichtet werden, wenn der Gesetzesverstoß dem Wettbewerbsverhalten weder vor- noch nachgelagert ist oder lediglich mitverwirklicht wird, sondern unmittelbar mit dem Wettbewerbsverhalten begangen wird. Der Grund hierfür, nämlich der hohe Rang der mit der wertbezogenen Norm geschützten wichtigen Gemeinschaftsgüter, entfällt jedoch bei der Verletzung lediglich wertneutraler Vorschriften.
Bei Anwendung der genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist ein Verstoß gegen § 1 UWG nicht gegeben, weil es sich bei der Regelung des § 16 Hessisches Straßengesetz, die eine Sondernutzung öffentlicher Straßen von eine Erlaubnis abhängig macht, um eine wertneutrale Norm ohne auch nur sekundären Marktbezug handelt. Die Vorschrift dient dazu, eine geregelte Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums zu gewährleisten und insbesondere eine übermäßige Inanspruchnahme dieses Raums durch einzelne zu Lasten der anderen Verkehrsteilnehmer zu verhindern. Das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung dieses Gesetzeszwecks kann nicht als so überragend angesehen werden, dass es gerechtfertigt wäre, die genannte Regelung als dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter - wie etwa dem der Gesundheit der Bevölkerung (vgl. hierzu BGH - Abgasemissionen - a.a.O., Seite 1120) dienende wertbezogene Norm einzustufen.
Im Hinblick auf die genannte Zielsetzung des Gesetzes lässt § 16 Hessisches Straßengesetz auch jeden Marktbezug vermissen, da die Vorschrift auch nicht sekundär dazu bestimmt ist, die Gegebenheiten eines bestimmten Marktes festzulegen und so auch gleiche rechtliche Voraussetzungen für die auf diesem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen. Die Auswirkungen, die eine unerlaubte Sondernutzung der öffentlichen Straße durch Werbeplakate auf den Wettbewerb zwischen Werbetreibenden haben kann, sind vielmehr als bloßer Reflex einer ihrer Funktion nach nicht marktbezogenen Regelung anzusehen.
Ob in Fällen der Werbung im öffentlichen Verkehrsraum ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis etwas anderes gelten kann, wenn bei dieser Gelegenheit zugleich in private Eigentums- und Besitzrechte eingegriffen wird (vgl. hierzu OLG Karlsruhe a.a.O.) erscheint zweifelhaft, da nach Auffassung des erkennenden Senats auch die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften über den Schutz von Eigentum und Besitz nicht ohne weiteres als "wertbezogen" in dem hier in Rede stehenden Sinn verstanden werden können; die Frage kann jedoch dahinstehen, weil im vorliegenden Fall derartige private Rechte Dritter ohnehin nicht betroffen sind.
2.
Die beanstandete Aufstellung von Kfz-Anhängern mit Werbeplakaten verstößt auch nicht deshalb gegen § 1 UWG, weil hierdurch die Verkehrsteilnehmer belästigt und die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt würden. Ob derartige Erwägungen Anlass sein können, Werbung im Außenbereich bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen, ist eine rechtspolitische Frage, die - soweit ein Eingreifen für erforderlich erachtet wird - nur der Gesetzgeber entscheiden kann. Gerade im Hinblick auf das bereits jetzt schon vorhandene Ausmaß an Öffentlichkeitswerbung, der der Verbraucher sich nicht oder nur schwer entziehen kann, bietet § 1 UWG jedenfalls keine geeignete Grundlage dafür, der Beklagten gerade die streitgegenständlichen Werbemaßnahmen zu untersagen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), da er für die Frage, nach welchen Maßstäben Verstöße gegen wertneutrale Normen zugleich als wettbewerbswidrig eingeordnet werden können, noch höchstrichterlichen Klärungsbedarf gesehen hat. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dem erkennenden Senat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und der Verkündung des vorliegenden Urteils die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 15.05.2003 - I ZR 292/00 - Ausschreibung von Vermessungsleistungen - (WRP 03, 1350) und vom 03.07.2003 - I ZR 211/01 - Telefonischer Auskunftsdienst (WRP 03, 1347) nicht bekannt waren.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 02.10.2003
Az: 6 U 167/02
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