Kammergericht:
Beschluss vom 4. August 2005
Aktenzeichen: 1 W 397/03
(KG: Beschluss v. 04.08.2005, Az.: 1 W 397/03)
1. Die Bestellung von fehlenden Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG durch das Gericht ist auch möglich, wenn über das Vermögen der Aktiengesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist.
2. Dem Insolvenzverwalter steht gegen den Bestellungsbeschluss kein Beschwerderecht zu.
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Juni 2003 wird unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde abgeändert:
Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird als unzulässig verworfen.
Der Beteiligte zu 1) hat den Beteiligten zu 2) bis 7) die im Verfahren der Erstbeschwerde und der sofortigen weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten nach einem Wert von 3.000 EUR zu erstatten.
Gründe
A.
Die Gesellschaft ist seit dem 25. Januar 2000 beim Amtsgericht Charlottenburg zuletzt mit einem Grundkapital von 49.797.193,50 EUR im Handelsregister eingetragen. Mit einem Beschluss vom 7. Juni 2002 hat das Amtsgericht Cottbus die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Gesellschaft angeordnet. Mit einem Beschluss vom 1. August 2002 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen eröffnet und der Beteiligte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Auf den Antrag des damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrates ist der Beteiligte zu 2) mit Zustimmung des Beteiligten zu 1) mit einem Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23. Juli 2002 zum Mitglied des Aufsichtsrates bestellt worden. Nachdem alle bisherigen Aufsichtsratsmitglieder einschließlich der Ersatzmitglieder im Februar 2003 ihre Ämter niedergelegt haben, hat der Beteiligte zu 2) mit einem Schreiben vom 6. Februar 2003 beim Registergericht beantragt, den Aufsichtsrat nach § 104 Absatz 2 AktG um die Beteiligten zu 3) bis 7) zu ergänzen. Entsprechend diesem Antrag sind die Beteiligten zu 3) bis 7) mit einem Beschluss vom 10. Februar 2003 zu Mitgliedern des Aufsichtsrates bestellt worden. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1) sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat unter anderem die Auffassung vertreten, dass eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern während der Insolvenz nicht in Betracht komme. Mit Beschluss vom 13. Juni 2003 hat das Landgericht Berlin den Beschluss des Amtsgerichts vom 10. Februar 2003 aufgehoben, soweit die Beteiligten zu 3), 4) und 6) bestellt worden sind. Im Übrigen hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Beteiligten zu 2) bis 7) als der Aufsichtsrat der Gesellschaft mit Schriftsatz vom 17. Juli 2003, der am gleichen Tag beim Kammergericht eingegangen ist, sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Diesem Rechtsmittel hat sich der Beteiligte zu 1) mit dem Ziel angeschlossen, dass der Beschluss des Amtsgerichts insgesamt aufgehoben wird.
B.
I.
1. Das Rechtsmittel ist als von den Beteiligten zu 2) bis 7) selbst eingelegt anzusehen. In dem Rechtsmittelschriftsatz vom 17. Juli 2003 wird zwar - entsprechend der Abfassung des Beschlusses des Landgerichts - der Aufsichtsrat selbst als Beteiligter bezeichnet und nicht die unter dessen Bezeichnung aufgeführten Personen. In dem Schriftsatz vom 15. April 2003 erklärt der Verfahrensbevollmächtigte auch, dass er von dem bestellten Aufsichtsrat beauftragt sei. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass hier Rechte des Aufsichtsrates als Organ, das als nicht beteiligtenfähig angesehen werden müsste (vgl. dazu BGHZ 122, 342, 345), geltend gemacht werden sollen. Denn ausweislich der Begründung werden hier Verletzungen der Rechte der einzelnen zunächst gerichtlich bestellten Personen bzw. des Beteiligten zu 2) als Antragsteller gerügt.
2. Die von dem Beteiligten zu 4) als Vorsitzendem des Aufsichtsrates erklärte Rücknahme des Rechtsmittels steht einer Entscheidung nicht entgegen. Denn die Rücknahme war mit der Einschränkung verbunden, dass die Beteiligten sich wirksam auf eine bestimmte Zusammensetzung des Aufsichtsrates geeinigt hätten. Eine derartige Vereinbarung konnte zwischen den Beteiligten aber nicht getroffen werden, weil die Bestimmung der Aufsichtsratsmitglieder nur der Hauptversammlung oder dem Gericht obliegt.
3. Auch im Übrigen ist die sofortige weitere Beschwerde, die fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist nach §§ 22 Absatz 1 Satz 1, 29 Absatz 4 FGG eingegangen ist, zulässig, Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) ergibt sich daraus, dass mit dem Beschluss des Landgerichts sein als Aufsichtsratsmitglied nach § 104 Absatz 1 und 2 AktG gestellter Antrag vom 10. Februar 2003 teilweise zurückgewiesen worden ist. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) bis 7) folgt jedenfalls aus ihrer Stellung als Aktionäre der Gesellschaft, die den Antrag auf gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrates ebenfalls hätten stellen können. Dies reicht auch im Rahmen des § 20 Absatz 2 FGG für die Annahme einer Beschwerdebefugnis aus (vgl. Senat Rpfleger 1990, 365; Keidel/Kahl, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 20 Rn. 51 m.w.N.). Darauf, dass der Beteiligte zu 6) sein Amt als Aufsichtsratsmitglied mit Schreiben vom 6. Oktober 2003 niedergelegt hat, kommt es für die Frage der Zulässigkeit nicht an.
II.
Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. Es führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses, soweit das Landgericht der Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1) stattgegeben hat. Denn diese war als unzulässig zu verwerfen.
6Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass auch in der Insolvenz einer Aktiengesellschaft diese über das Organ eines Aufsichtsrates verfügt und dass aus diesem Grund auch eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 Absatz 1 und 2 AktG in Betracht kommt. Durch eine derartige gerichtliche Bestellung werden aber Rechte des Insolvenzverwalters nicht berührt, so dass diesem für die Einlegung der sofortigen Beschwerde die Befugnis fehlte, § 20 Absatz 1 FGG.
1. Durch den Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Aktiengesellschaft wird die Auflösung der Gesellschaft herbeigeführt (§ 262 Absatz 1 Nr. 3 AktG). Dies führt allerdings nicht zur Anwendung der aktienrechtlichen Abwicklungsvorschriften (§ 264 Absatz 1 AktG), sondern zur Abwicklung nach den Regeln der Insolvenzordnung, wenn es nicht zu einer Reorganisation des Unternehmens kommt. Dies steht der Annahme des Fortbestehens der Organstruktur und damit des Weiterbestehens eines Aufsichtsrates aber nicht entgegen. Die Fortdauer der Organstruktur ist schon deshalb erforderlich, weil die Gesellschaft als Insolvenzschuldnerin sonst weder handlungsfähig noch in der Lage wäre, einen Gesellschaftswillen durch Beschlussfassung zu bilden. Dass eine Handlungsfähigkeit notwendig ist und diese nicht ins Leere geht, zeigt sich daran, dass dem Insolvenzverwalter zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Gesellschaft nach § 80 Absatz 1 InsO uneingeschränkt zusteht, für gesellschaftsinterne Angelegenheiten aber keine Zuständigkeit geschaffen ist. Es verbleibt vielmehr ein von den Insolvenzvorschriften nicht erfasster gesellschaftsrechtlicher Zuständigkeitsbereich, der sich etwa auf die Vertretung der Gesellschaft als Schuldner im Insolvenzverfahren (§ 151 Absatz 1 Satz 2, 156 Absatz 2 Satz 1, 158 Absatz 2, 163 Absatz 1 InsO) und jedenfalls in diesem Zusammenhang auch auf die Durchführung von Hauptversammlungen sowie auf Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse bezieht, die keinen Bezug zur Insolvenzmasse haben. Die Notwendigkeit der Vertretung der Gesellschaft erfordert damit auch die Aufrechterhaltung der Strukturen für die Auswahl, Bestellung und Abberufung der Vertretungsorgane und damit das Vorhandensein eines Aufsichtsrates. Die Aufrechterhaltung dieser Strukturen im Insolvenzverfahren entspricht aus diesen Gründen allgemeiner Auffassung (vgl. zur InsO: Hüffer in Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 264 Rn. 40; zur KO: RGZ 81, 332, 337; Kraft in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 264 Rn. 50; Wiedemann in Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 264 Anm. 26, jew. mit Nachweisen aus der älteren Rspr.). Von ihr geht dabei auch die Insolvenzordnung selbst aus, wie sich aus § 101 InsO ergibt, nach dem die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten des Schuldners bei juristischen Personen unter anderem auch die Aufsichtsratsmitglieder trifft.
2. Die von dem Beteiligten zu 1) gegen diesen Ausgangspunkt geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch.
a) Dabei kommt es nicht auf die Streitfrage an, ob es nach der Insolvenzordnung, nach der im Gegensatz zur Konkursordnung auch neu erworbene Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehören, § 35 InsO, noch insolvenzfreies Vermögen geben kann, das nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, sondern der des Vorstands unterliegt (vgl. dazu Hüffer, aaO, § 264 Rn. 46f.). Denn unabhängig von dem Vorhandensein derartigen Vermögens ist eine Vertretung der Gesellschaft - wie aufgezeigt - auch in anderem Zusammenhang notwendig.
b) Diese Aufgaben stehen überdies auch nicht nur im Zusammenhang mit einer möglichen Reorganisation des Unternehmens, die hier nach dem Vorbringen der Beteiligten nach entsprechenden Bemühungen unstreitig Anfang 2003 und damit vor der Bestellung der Beteiligten zu 3) bis 7) zu Mitgliedern des Aufsichtsrates durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 10. Februar 2003 gescheitert war. Eine Vertretung der Gesellschaft ist auch im Zusammenhang mit einer Abwicklung notwendig. Insoweit kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob der Insolvenzverwalter eine Vertretung und Aufrechterhaltung der Organstruktur für erforderlich hält oder ob eine solche objektiv sinnvoll ist. Denn die Aufrechterhaltung der Organstruktur bedeutet zugleich eine Wahrnehmung der Rechte der ansonsten an der Insolvenz nicht beteiligten Aktionäre. Dass es - wie hier behauptet - insoweit im Einzelfall zu Reibungsverlusten und Streitigkeiten wegen der gegenläufigen Interessen der Gläubiger und des Insolvenzverwalters kommen kann, liegt in der Natur der Sache und ist - wie das Landgericht zutreffend ausführt - hinzunehmen. Es entspricht der gesetzlichen Konzeption, nach der der Schuldner im Insolvenzverfahren weiterhin mit Rechten ausgestattet ist.
c) Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Aufrechterhaltung eines Aufsichtsrates im Rahmen des Insolvenzverfahrens wegen etwaiger Vergütungsansprüche. Denn diese richten sich in keinem Fall gegen die Masse (vgl. RGZ 81, 332, 338f.; Hüffer, aaO, § 264 Rn. 52; Kraft in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 264 Rn. 47; Wiedemann in Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 264 Anm. 27), so dass die Interessen der Gläubiger, deren Befriedigung das Insolvenzverfahren dient, nicht beeinträchtigt sein können.
123. Bleibt die Organstruktur einer Aktiengesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbeeinflusst, ist daraus folgend nicht nur von dem Weiterbestehen eines Aufsichtsrates auszugehen, sondern auch unter Anwendung des § 104 Absatz 1 und 2 AktG eine Ergänzung des Aufsichtsrates durch die gerichtliche Bestellung von Mitgliedern vorgesehen. Denn durch die gerichtliche Bestellung soll gerade die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates erhalten bleiben. Eine rechtlich bedeutsame Beeinträchtigung kann bei einem derartigen Antragsverfahren nach § 20 Absatz 2 FGG aber nur gegenüber etwaigen Antragstellern oder Antragsberechtigten vorliegen, zu denen etwa Gläubiger gerade nicht zählen (vgl. dazu Semler in Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 104 Rn. 113; Mertens in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 104 Rn. 21; Meyer-Landrut in Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 104 Anm. 9; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 145 Rn. 32). Nichts anderes kann dann aber für den die Interessen der Gläubiger vertretenden Insolvenzverwalter gelten.
Soweit der Beteiligte zu 1) meint, seine Beteiligung an dem Ergänzungsverfahren sei erforderlich gewesen, weil durch die gerichtliche Bestimmung der Mitglieder die Pflichten nach § 101 InsO berührt werden, trifft dies nicht zu: Die In § 98 InsO vorgesehenen Sanktionen geben dem Insolvenzverwalter nicht das Recht, auf die Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane Einfluss zu nehmen. Er muss insbesondere den Aufsichtsrat so hinnehmen, wie er zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung besetzt ist. Erst recht gilt dies für die gerichtliche Bestimmung von Mitgliedern des Aufsichtsrats, die die in den §§ 97-99, 101 InsO normierten Schuldnerpflichten nicht treffen können, weil sie erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft bestellt worden sind.
4. Nach alldem ist der Beschluss des Landgerichts auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 2) bis 7) und die Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1) unter Auferlegung der entsprechenden Kosten nach § 13a Absatz 1 Satz 2 FGG insgesamt als unzulässig zu verwerfen.
III.
Die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 1) ist zwar zulässig (allgemein: Keidel/Kahl, a.a.O., vor § 19 Rn. 4), sie bedurfte als unselbständige Anschlussbeschwerde nicht der Einhaltung der Frist von zwei Wochen nach den §§ 22 Absatz 1 Satz 1, 29 Absatz 4 FGG. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1) ergibt sich aus der teilweisen Erfolglosigkeit seines Rechtsmittels. Sie hat aber aus den vorstehenden Gründen keinen Erfolg, weil seine sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen war.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Absatz 1 Satz 2 FGG, die Entscheidung über den Geschäftswert auf den §§ 131 Absatz 2, 30 Absatz 2 KostO.
KG:
Beschluss v. 04.08.2005
Az: 1 W 397/03
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