Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 28. Mai 2009
Aktenzeichen: 4 U 35/09
(OLG Hamm: Urteil v. 28.05.2009, Az.: 4 U 35/09)
Tenor
Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 02. Januar 2009 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Antragstellerin vertreibt das als Arzneimittel zugelassene U3 40 mg mit dem Wirkstoff Ginkgo biloba Blätter Trockenextrakt. Eine Tablette enthält 40 mg dieses Extrakts. Als übliche Anwendungsdosis dieses apothekenpflichtigen Mittels sollen dreimal täglich 1 bis 2 Tabletten eingenommen werden.
Die Antragsgegnerin vertreibt seit dem 15.10.2008 unter der Bezeichnung "Q" ein Mittel, das keine arzneimittelrechtliche Zulassung hat. Das als Nahrungsergänzungsmittel vertriebene Produkt enthält 100 mg "Ginkgo biloba Extrakt". Nach der Verzehrempfehlung soll täglich eine Tablette eingenommen werden.
Das sogenannte "rollout" fand ab dem 25.09.2008 statt. Die Antragstellerin kaufte das Mittel am 17.11.2008 und erhielt es einen Tag später. Sie ließ das Produkt analysieren und gelangte zu dem Ergebnis, dass es sich um ein Ginkgo biloba Extrakt mit einem Gehalt von 25,1 % Ginkgoflavonglykose und 6,9 % Terpenlactone handelt.
Die Antragstellerin hat behauptet, die Blätter des Ginkgobaumes seien nie als Lebensmittel verwendet worden, da sie bis zu 2 % gesundheitsschädliche Ginkgogolsäure enthielten. Den Ginkgo biloba Extrakten komme pharmakologische Wirkung zu, die in zahlreichen Quellen dokumentiert sei. Dies gelte auch für die empfohlene Tagesmenge des streitgegenständlichen Produkts.
Die Antragstellerin hat gemeint, ohne arzneimmittelrechtliche Zulassung verstoße der Vertrieb des Mittels gegen das Arzneimittelrecht.
Vorsorglich hat die Antragstellerin geltend gemacht, dass selbst bei unterstellter fehlender pharmakologischer Wirkung das Mittel als Lebensmittel nicht verkehrsfähig sei. Es beinhalte nämlich einen nicht zugelassenen Lebensmittelzusatz im Sinne des § 6 LFGB. Die fehlende Verkehrsfähigkeit als Lebensmittel folge ferner aus Art. 14 EG-Basisverordnung aufgrund einer Gesundheitsgefährdung. Der monographiekonforme Ginkgo biloba Extrakt gehe mit erheblichen Blutdruckrisiken und anderen Nebenwirkungen einher.
Hinsichtlich des Verfügungsgrundes hat die Antragstellerin vorgetragen, sie habe das von der Antragsgegnerin vertriebene Mittel nicht vor dem 18.11.2008 erhalten und erst nach den Laboruntersuchungen beurteilen können, ob ihr der geltend gemachte Verfügungsanspruch zustehe. Ihren Verfügungsantrag hat die Antragstellerin am 18.12.2008 anhängig gemacht.
Die Antragstellerin hat beantragt,
der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken das Mittel "Q"
als Lebensmittel mit einem Gikgobiloba-Extrakt, der durch 22
bis 27 Prozent Flavonglykoside und 5 bis 7 Prozent Terpenlactone charakteri-
siert ist, in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu
lassen und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie hat die Dringlichkeit in Abrede gestellt und dazu vorgetragen, nach der Lebenserfahrung müsse davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin als Marktführerin im Bereich der ginkgobilobahaltigen Arzneimittel das streitgegenständliche Produkt am 15.10.2008 erworben habe. In diesem Zusammenhang hat die Antragsgegnerin auf die mündliche Verhandlung in einem anderen Rechtsstreit vor dem hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg verwiesen. In Anwesenheit des Justiziars der Antragstellerin sei am 02.10.2008 eine Werbung für das Produkt Q gezeigt worden.
Der Leiter der Forschungsabteilung der Antragstellerin, Herr Dr. N, habe spätestens am 28.10.2008 im Rahmen eines Vortrags des Herrn Dr. F Kenntnis von dem Produkt erlangt. Das praktisch gleiche Referat von Herrn Dr. F habe der Leiter der analytischen Entwicklung der Antragstellerin, Herr Dr. M2, am 30.10.2008 zur Kenntnis nehmen können. Er habe nach der Diskussion über das Referat Herrn Dr. Q2 mitgeteilt, dass die Rechtsanwälte längst dran seien und man noch hören werde.
Am 28.10.2008 sei die Produktnatur des streitgegenständlichen Produkts auf dem deutschen Rechtstag für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls erörtert worden. Die Veranstaltung habe der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin moderiert.
Die Antragsgegnerin hat den Verfügungsantrag für nicht hinreichend bestimmt angesehen und gemeint, wegen seiner Vagheit und Weite sei er zumindest unbegründet.
Die Antragsgegnerin hat in der Sache eine pharmakologische Wirkung ihres Produkts bei der empfohlenen Tagesdosierung bestritten und u.a. auf die gutachterliche Stellungnahme von Herrn Dr. T2 verwiesen. Sie hat in Abrede gestellt, dass ihr Mittel ein Funktions- oder Präsentationsarzneimittel sei und dass der von ihr verwendete Ginkgo die charakteristische Zutat ihres Produkts sei. Ginkgoblätter würden auch in Lebensmitteln - vorwiegend in Tees - als Zutaten verwendet. Dabei sei die Verzehrmenge mit derjenigen in ihrem Produkt vergleichbar.
Die Antragsgegnerin hat ferner bestritten, dass es sich bei ihrem Produkt um ein unsicheres Lebensmittel handele. Risiken bestünden allenfalls ab einer Tagesdosis von 120 mg Ginkgo biloba Extrakt.
Die Antragstellerin hat zur Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen der Herren Dr. X vom 12.12.2008 (Anlage AS 4 zur Antragsschrift vom 18.12.2008), Dr. I2 (Anlage AG 9 zur Antragsschrift vom 18.12.2008), Dr. U (Anlage AS 16 zur Antragsschrift vom 18.12.2008) und U2 vom 19.12.2008 (Anlage zum Protokoll vom 02.01.2009) vorgelegt. Die Antragsgegnerin hat zur Glaubhaftmachtung eidesstattliche Versicherungen der Herren Dr. Q2 und Q3 vom 22.12.2008 (Anlage zu Protokoll vom 02.01.2009) vorgelegt.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 02.01.2009 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Es hat sowohl den Verfügungsgrund als auch den Verfügungsanspruch verneint. Aus den eidesstattlichen Versicherungen des Herrn Dr. Q2 und des Herrn Q3 vom 22.12.2008 ergebe sich zum einen, dass wesentliche Mengen des streitgegenständlichen Produkts ab Ende September 2008 in den Markt gelangt seien und dass Abverkäufe ab dem 15.10.2008 erfolgt seien. Mitarbeiter der Antragstellerin in wesentlichen und leitenden Funktionen hätten spätestens Anfang Oktober Kenntnis von dem streitgegenständlichen Produkt erhalten. Nach der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Dr. Q2 vom 22.12.2008 habe Herr Dr. N, Leiter der Forschung und Entwicklung bei der Antragstellerin, bereits am 28.10.2008 von dem Produkt Kenntnis erhalten und Herr Dr. M habe am 30.10.2008 im Anschluss an ein Referat mitgeteilt, dass die Anwälte dran seien. Hieraus ergebe sich, dass die Antragstellerin einen möglichen wettbewerbsrechtlichen Verstoß seitens der Antragsgegnerin zu dem damaligen Zeitpunkt angenommen habe. Angesichts dessen und der Tatsache, dass der Verfügungsantrag erst am 18.12.2008 bei Gericht eingegangen sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin die Angelegenheit als nicht besonders dringlich erachte. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie das streitgegenständliche Produkt erst am 18.11.2008 erhalten habe und es nach dem Vortrag der Antragstellerin entscheidend auf die Zusammensetzung des Gingko biloba Extraktes für die Frage eines Wettbewerbsverstoßes ankomme. Es erscheine nicht lebensnah und sei im Übrigen auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin vor dem 18.11.2008 nicht in der Lage gewesen sei, das streitgegenständliche Produkt zur Analyse der Zusammensetzung käuflich zu erwerben.
Der Verfügungsanspruch sei zu verneinen, weil die Antragstellerin die Tatsache nicht glaubhaft gemacht habe, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt "Q" um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel im Sinne des § 21 AMG handele. Denn die für eine Beurteilung als Arzneimittel entscheidende pharmakologische Wirkung des streitgegenständlichen Produktes bei einer Aufnahme der empfohlenen Tagesdosis von 100 mg/Tag habe die Antragstellerin nicht glaubhaft machen können. Diese entscheidungserhebliche Frage lasse sich mit hinreichender Sicherheit angesichts der vorliegenden widersprüchlichen wissenschaftlichen Äußerungen nur durch die gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens klären, was im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geschehen könne.
Wegen des Inhaltes des Urteiles im Einzelnen wird auf Bl. 104 f. d.A. verwiesen.
Die Antragstellerin greift das Urteil mit der Berufung an, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Antrag weiter verfolgt.
Zur Dringlichkeit trägt die Antragstellerin vor, ihr Chefsyndikus U2 habe erstmals am 02.10.2008 von einem Ginkgo Produkt der Antragsgegnerin gehört. Ende Oktober 2008 hätten auch weitere ihrer Mitarbeiter Kenntnis von dem Produkt erlangt. Seit seiner Kenntnisnahme habe Herr U2 mehrfach in einer T-Filiale nahe dem Stammsitz der Antragstellerin in L versucht, das Produkt zu erhalten. Es sei dort aber bis heute nicht erhältlich. Am 18.11.2008 sei Herr U2 davon unterrichtet worden, dass ein Mitarbeiter der Antragstellerin das Produkt in einer E-Drogerie-Filiale in L habe erwerben können. Daraufhin sei das Mittel unverzüglich zur Analyse in die Laboratorien der Antragstellerin gebracht worden (Anlage BB2). Zuvor habe Herr U2 auch den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin eingeschaltet. Dessen Bemühungen, das Mittel in G Apotheken und über das Internet zu beziehen, seien zunächst gescheitert. Erst am 24.11.2008 habe man das Produkt in der E2 Apotheke bekommen (Anlage BB3).
In der Sache vertieft die Antragstellerin ihre Auffassung, bei monographierten Ginkgo biloba Extrakten handele es sich nicht um Lebensmittelstoffen gleichgestellte Stoffe, die mangels Zulassung nicht verkehrsfähig seien. Die Ginkgo-Spezialextrakte seien wegen ihrer pharmakologischen Wirkung ausschließlich dazu bestimmt, als arzneilicher Wirkstoff verwendet zu werden. In der Fachliteratur gebe es keine Hinweise auf allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnisse über positive ernährungsbezogene Wirkungen. Damit korrespondiere, dass der Spezialextrakt in der normalen, abwechslungsreichen Ernährung normalerweise nicht vorkomme. In diesem Zusammenhang stellt die Antragstellerin das Herstellungsverfahren für Extrakte im Einzelnen dar. Sie trägt dazu vor, aufgrund der pharmazeutischchemischen Herstellungs- und Veränderungsprozesse fehle dem Extrakt die Eigenschaft einer natürlichen Inhaltsstoff-Matrix der Ginkgo-Blätter. Dies zu würdigen, habe das Landgericht in dem angefochtenen Urteil fehlerhaft unterlassen.
In den Mittelpunkt ihrer Berufungsbegründung stellt die Antragstellerin ihren Vortrag zu der von ihr behaupteten pharmakologischen Wirkung der monographiekonformen Ginkgo biloba Extrakte. Damit stehe ihr, so die Rechtsauffassung der Antragstellerin, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, weil das streitgegenständliche Produkt bei der empfohlenen Dosierung wegen pharmakologischer Wirkung als Funktionsarzneimittel nicht verkehrsfähig sei. Dass das Oberlandesgericht Köln in seinem Urteil vom 21.12.2007 zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt sei, stehe dem nicht entgegen; denn zwischenzeitlich habe sich die Sachlage durch die als Anlage BB5 und BB6 vorgelegten Studien erheblich verändert. Diese Studien hätten dem Oberlandesgericht Köln seinerzeit nicht vorgelegen (Anlage BB7). Auch der vom Oberlandesgericht Köln angehörte Sachverständige habe die Studien nicht gekannt. Bei Kenntnis der beiden Studien sei der Sachverständige zu einer anderen Einschätzung gelangt, wie die als Anlage BB8 überreichte Stellungnahme vom 09.03.2009 zeige. Entsprechend sei das Gutachten von Herrn Prof. Dr. N2 von der H-Universität G ausgefallen (Anlage BB9).
Die Antragstellerin bestreitet den Vortrag der Antragsgegnerin, dass 100 mg des Ginkgo-Monographie-Extraktes in der täglichen, normalen Nahrung vorkommen und üblich seien. In der Natur gebe es keine Ginkgo-Blätter, die den Gehalt des Extraktes aufwiesen. Die innere Zusammensetzung eines wässrigen Teeextraktes weiche zudem deutlich von der des Ginkgo-Spezialextraktes ab und zeige, dass die von der Antragsgegnerin vorgelegte gutachterliche Stellungnahme von Herrn Dr. T2 nicht zutreffe. Die Antragstellerin legt weiterhin die Gründe dar, die ihrer Meinung nach gegen die Richtigkeit des Gutachtens von Herrn Dr. T2 sprechen.
Die Antragstellerin trägt vor, die allgemeine Verkehrsauffassung bzw. die allgemeine Verbrauchererwartung über Ginkgo sei von der jahrzehntelangen Verwendung als Arzneistoff geprägt. Gerade hoch angereicherte Ginkgo-Spezialextrakte würden nicht als ernährungsphysiologisch wirkende Nährstoffe angesehen. So weise die Rote Liste 2008 zahlreiche zugelassene apothekenpflichtige Ginkgo-Präparate aus (Anlage AS8), von denen 2008 4,7 Mio. Packungen verkauft worden seien.
Letztlich vertieft die Antragstellerin unter dem Aspekt des lebensmittelrechtlichen Vorsorgeprinzips und unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherung von Herrn Dr. L3 noch ihren von der Antragsgegnerin erstinstanzlich bestrittenen Vortrag zu den mit dem streitgegenständlichen Produkt verbundenen Risiken und Nebenwirkungen, wobei sie namentlich erhebliche Blutungsrisiken herausstellt. Insofern meint die Antragstellerin, dass sich ihr Unterlassungsanspruch auch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 5 LFGB ergebe.
Die Antragstellerin stellt nachfolgenden Antrag:
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 02.01.2009 zum Aktenzeichen 3 O 431/08 wird es der Antragsgegnerin bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Verfügungsbeklagten und Berufungsbeklagten, untersagt,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken das Mittel "Q"
als Lebensmittel mit einem Ginkgobiloba-Extrakt, der durch
22 - 27 % Flavonglykoside und 5 - 7 % Terpenlactone charakterisiert ist, in
den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und/oder
bewerben und/oder bewerben zu lassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.
Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages behauptet die Antragsgegnerin, dass die Darstellung der Antragstellerin zur vermeintlichen Nichtbeschaffbarkeit des streitgegenständlichen Produktes unzutreffend sei. Tatsächlich habe die Antragsgegnerin ab Ende September 2008 bundesweit den Markt mit wesentlichen Mengen des streitgegenständlichen Produktes beliefert. Abverkäufe seien ab dem 15.10.2008 erfolgt. Von wie auch immer gearteten Distributionsproblemen könne mithin nicht die Rede sein. Vielmehr ergebe sich aus der eidesstattlichen Versicherung der Frau L2 vom 18.05.2009 (Anlage BK 1) ebenfalls, dass sich in derselben Straße wie das mehrfach von dem Leiter der Rechtsabteilung der Antragstellerin, Herrn U2, aufgesuchte Drogeriegeschäft T eine E-Filiale befinde. Angesichts der Bedeutung, die die Antragstellerin dem streitgegenständlichen Produkt beimesse, hätte es daher mehr als nahe gelegen, zeitnah den Versuch zu unternehmen, das Produkt wenigstens in einem weiteren nahegelegenen Markt zu kaufen oder jedenfalls einen Dritten damit zu beauftragen. Die konkrete, in der Nähe des mehrfach angesprochenen T-Marktes Q-Straße befindliche E-Filiale verzeichne nachweislich seit dem 19.10.2008 Abverkäufe des streitgegenständlichen Produktes (siehe eidesstattliche Versicherung Anlage BK1). Bezeichnenderweise räume die Antragstellerin selbst ein, einem nicht namentlich benannten Mitarbeiter sei es am 17.11.2008 in einer ebenfalls nicht näher konkretisierten E-Filiale in L gelungen, das Produkt zu erwerben (vgl. BB2). Hätten Mitarbeiter der Antragstellerin bereits im Oktober die nahegelegen E-Filiale aufgesucht, hätten sie das Produkt daher in jedem Fall erwerben können. Im Übrigen ergebe sich aus der vorgenannten eidesstattlichen Versicherung in Anlage BK1 auch, dass das Produkt im streitgegenständlichen Zeitraum im Großraum L in erheblicher Stückzahl verfügbar gewesen sei.
Bei dem streitgegenständlichen Produkt handele es sich im Übrigen um ein sog. Mass-Market-Produkt. Dieses werde daher vorrangig nicht über Apotheken vertrieben und könne somit auch dort in der Regel nicht erworben werden. Der Versuch eines Erwerbs vorrangig über den Vertrieb durch die Apotheke sei daher von vornherein erkennbar zum Scheitern verurteilt gewesen.
Wegen des Vortrages der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung der Antragstellerin ist unbegründet. Das Landgericht hat das Verbotsbegehren der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen, und zwar schon wegen des fehlenden Verfügungsgrundes. Auf das Vorliegen eines Verfügungsanspruches kommt es mithin nicht an.
Zwar streitet hier für die Antragstellerin die Vermutungswirkung des § 12 Abs. 2 UWG. Diese Dringlichkeitsvermutung kann aber durch das eigene zögerliche Verhalten des Gläubigers widerlegt werden (Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kapitel 45 Rdziff. 17 f.). Dabei geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass diese Dringlichkeitsvermutung dann widerlegt ist, wenn der Gläubiger mehr als einen Monat seit Kenntnis vom beanstandeten Wettbewerbsverhalten zuwartet, bis er gerichtlichen Schutz dagegen in Anspruch nimmt (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Ahrens, a.a.O., Kap. 45 Rdziff. 43). Dabei handelt es sich nicht um eine starre Frist im Sinne der §§ 186 f. BGB. Vielmehr ist das Verhalten des Gläubigers insgesamt daraufhin zu beurteilen, ob es zeigt, dass es dem Gläubiger auf vorläufigen Rechtsschutz tatsächlich nicht dringlich ankommt.
Dabei ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass der Justiziar der Antragstellerin, Herr U2, bereits am 02.10.2008 eine Werbung für das streitgegenständliche Produkt zur Kenntnis genommen hat. Auch die Herren Dr. N und Dr. M2 erhielten am 28. bzw. 30.10.2008 davon Kenntnis. Auch der jetzige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat am 28.10.2008 von dem Produkt gehört. Damit muss zu Lasten der Antragstellerin davon ausgegangen werden, dass sie jedenfalls Ende Oktober 2008 wusste, dass die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Produkt auf den Markt bringen wollte.
Es kann der Antragstellerin zwar zugegeben werden, dass allein diese Kenntnis von der Produkteinführung noch nicht ausreichend war, um die sog. Monatsfrist des Senates bereits in Gang zu setzen. Denn es kann der Antragstellerin nicht angesonnen werden, nur auf diese Ankündigung hin bereits im Wege einstweiligen Rechtsschutzes ein Vertriebsverbot für das streitgegenständliche Produkt zu erreichen zu suchen. Sie musste vielmehr das Präparat samt Beipackzettel in Händen haben, um die Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens einigermaßen sicher beurteilen zu können.
Stellt man darauf ab, dass die Antragstellerin das Produkt erst am 18.11.2008 in die Hand bekam, hätte die Antragstellerin durch den Verfügungseingang bei Gericht am 18.12.2008 sogar noch die sog. Monatsfrist des Senates gewahrt. Dies wäre zwar nicht mehr der Fall, wenn man darauf abstellt, dass der Testkäufer der Antragstellerin das Produkt bereits am 17.11.2008 erworben hat. Der Antragstellerin muss aber in diesem Zusammenhang zugebilligt werden, dass sie das Präparat vorher analysierte, bevor sie das Verfügungsverfahren einleitete. Denn die Konsistenz des Präparates und seine Zusammensetzung ist wesentlich für die Angriffstrategie der Antragstellerin. Ihre ganze Argumentation baut darauf auf, dass es sich um einen "monographiekonformen Extrakt" (50 : 1) handelt. Insoweit brauchte sie sich auch nicht allein auf die Angaben im Beipackzettel zu verlassen.
Diese Sichtweise, die allein darauf abstellt, wann die Antragstellerin das Produkt tatsächlich in Händen hielt, greift aber zu kurz. Dass die Antragstellerin sich das Mittel erst am 18.11.2008 beschafft hat, zeigt im Gegenteil, dass es ihr in Wahrheit nicht eilig war, das angestrebte Verbot zu erwirken. Denn der Senat ist nach der eidesstattlichen Versicherung der Frau L2 davon überzeugt, dass sich die Antragstellerin, die das Mittel ja unstreitig haben wollte, das Mittel unschwer hätte deutlich früher besorgen können. So hat sich die Antragstellerin nicht an die Antragsgegnerin selbst gewandt, um das Präparat zu bestellen. So hat sie auch nicht kurzerhand telefonisch in verschiedenen Märkten nach dem Mittel gefragt. Insbesondere hat es Herr U2 nicht versucht, in dem nahegelegenen E-Markt das Mittel zu kaufen. Obwohl Abverkäufe ab dem 19.10.2008 stattfanden, hat es bis zum 18.11.2008 gedauert, bis die Antragstellerin nach ihrem Vortrag erstmals das Mittel zu Analysezwecken erworben hatte. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Frau L2 verzeichneten 6 L E-Filialen seit der 42. Kw (13. - 18.10.) definitive Abverkäufe des streitgegenständlichen Produktes. Sogar in der E-Filiale in der Q-Straße in L, die also in derselben Straße sich befindet, wie der T-Markt, bei der die Antragstellerin vergeblich versucht haben will sich einzudecken, wurde das streitgegenständliche Produkt seit dem 19.10.2008 geführt.
Gerade bei der Einführung eines neuen Produktes wie hier unternimmt ein Gläubiger, der den Vertrieb dieses Produktes als wettbewerbswidrig ansieht, aber alles, um diesen Vertrieb so schnell wie möglich zu unterbinden. Nur dann kann er den Schaden so gering wie möglich halten. Weiß der Gläubiger wie hier die Antragstellerin positiv von der unmittelbar bevorstehenden Einführung des Produktes, unternimmt er jedenfalls von sich aus alles, um des Produktes habhaft zu werden, wenn er sich ohne eine eigene Untersuchung des Produktes für ein Vertriebsverbot noch keinen Erfolg verspricht. Er wartet nicht darauf, bis er mehr oder weniger zufällig in einem von ihm willkürlich ausgewählten Geschäft das Produkt schließlich erhält. Ein Gläubiger, dem wirklich dringlich an einem Vertriebsverbot gelegen ist, macht den Erwerb des benötigten Produktes nicht von solchen Zufälligkeiten abhängig. Denn er verliert dadurch unnötig wertvolle Zeit.
Dass es der Antragstellerin nicht sehr eilig war, zeigt sich weiterhin auch daran, dass ihr Mitarbeiter Dr. X2 schon am 12.12.2008 in der Lage war, das Analyseergebnis an Eides statt zu versichern. Dann muss die Analyse aber bereits zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen sein. Erst am 18.12.2008 ging aber der Verfügungsantrag beim Landgericht Bielefeld ein. Auch wenn man der Antragstellerin einräumen muss, dass die Anfertigung der Antragsschrift eine gewisse Zeit beansprucht, zeigt der Zeitablauf aber auch hier, dass es der Antragstellerin nicht eilig war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 28.05.2009
Az: 4 U 35/09
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2aba498c944c/OLG-Hamm_Urteil_vom_28-Mai-2009_Az_4-U-35-09