Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Mai 2005
Aktenzeichen: 30 W (pat) 180/03

(BPatG: Beschluss v. 23.05.2005, Az.: 30 W (pat) 180/03)

Tenor

Die Beschwerden der Widersprechenden werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Für die Waren

"diätetische Erzeugnisse für nichtmedizinische Zwecke auf der Basis von Vitaminen; diätetische Erzeugnisse für nichtmedizini- sche Zwecke auf der Basis von Eiweiß; diätetische Erzeugnisse für nichtmedizinische Zwecke auf der Basis von Kohlehydraten"

eingetragen ist die Wort-/Bildmarkesiehe Abb. 1 am Ende Widerspruch wurde erhoben ua aus der am 19. April 1985 unter 1 076 168 nach Teillöschung jetzt noch für die Waren

"pharmazeutische Drogen, diätetische Nähr-, Kräftigungs- und Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Vitaminpräparate, außer Haarpräparate"

eingetragenen 1995 verlängerten Wortmarkepro vitalissowie aus der am 8. August 1990 unter 1 162 277, nach Teillöschungua noch für folgende Waren

"Fleisch, Fisch, Wild und Geflügel sowie Waren daraus in frischer, tiefgefrorener, geräucherter und teilzubereiteter Form, auch in Form von Frikadellen oder als Extrakt; Wurstwaren und Wurstkonserven; Wild- und Geflügelfleischpasteten; Fertiggerichte, im wesentlichen bestehend aus Fleisch und Fisch; Fischsülzen und Marinaden; Fleisch-, Fisch-, Wild-, Geflügel-, Gemüse-, Obst- und Suppenkonserven, auch als Tiefkühlkost; Fleisch-, Fisch-, Frucht- und Gemüsegallerten; konserviertes und getrocknetes Obst und Gemüse, einschließlich Katoffelmehl für Nahrungszwecke und Mixed Pickles; Wurst-, Fleisch-, Fisch-, Geflügel- und Gemüsesalate"

eingetragenen 1990 verlängerten Wortmarke Provital.

Die Markenstelle für Klasse 5 hat mit Erstprüferbeschluß die eingetragene Marke wegen Verwechslungsgefahr mit den beiden Widerspruchsmarken gelöscht.

Auf die Erinnerung und Erhebung der Einrede der Nichtbenutzung durch den Inhaber der angegriffenen Marke hat die Erinnerungsprüferin die Widersprüche wegen fehlender Glaubhaftmachung der Benutzung zugewiesen, da die von den Widersprechenden eingereichten eidesstattlichen Versicherungen nur firmenmäßig unterzeichnet seien. Zudem könnten die genannten Umsatzzahlen keiner konkreten Ware zugeordnet werden.

Die Widersprechenden zu I und II haben Beschwerde eingelegt.

Die Widersprechende zu I hat keine Begründung vorgetragen.

Die Widersprechende zu II hat eine neue eidesstattliche Versicherung vorgelegt zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke für Wurstwaren. Nachdem der Inhaber der angegriffenen Marke hierauf die Benutzung zugestanden hat für Rohwurst, Teewurstspezialitäten, Leberwurstspezialitäten, Corned Beef, Geflügelspezialitäten, Portionswürste und Aufschnitthat die Widersprechende zu II hierzu vorgetragen, dass demnach auch die Oberbegriffe im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke, hier insbesondere "Fleisch, Wild und Geflügel sowie Waren daraus und Wurstwaren" heranzuziehen seien, insbesondere die, die aufgrund ihres geringen Fettanteiles für eine diätetische Ernährung geeignet und als von Haus aus gesunde Lebensmittel anzusehen seien.

Die Widersprechenden zu I und II beantragen (sinngemäß), den Beschluss der Markenstelle vom 13. März 2003 aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.

Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt, die Widersprüche zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Beschwerden haben in der Sache keinen Erfolg.

Die angegriffene Marke ist nicht gemäß § 9 Absatz 1 Nr 2, § 42 Absatz 2 Nr 1 MarkenG zu löschen, weil sie den Widerspruchsmarken nicht so ähnlich ist, dass die Gefahr von Verwechslungen besteht.

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st Rspr, vgl WRP 2004, 1281 Mustang; WRP 2004, 907 Kleiner Feigling).

Widerspruch der Widersprechenden zu II 1. Nachdem der Inhaber der angegriffenen Marke auf die von der Widersprechenden zu II vorgelegten Benutzungsunterlagen die Benutzung im oben genannten Umfang zugestanden hat für die oben genannten speziellen Wurstwaren, Geflügelwaren sowie Corned Beef sind der Prüfung der Verwechslungsgefahr die Warenbegriffe "Wurstwaren, Geflügel, Rindfleischkonserven" zugrunde zu legen, jedoch nicht weitergehend die Warenoberbegriffe "Fleisch" und Wild".

In Anwendung der sog. erweiterten Minimallösung erhält nämlich die Benutzung für eine Spezialware die Marke auch für einen, diese Spezialware umfassenden, nicht zu weiten Warenoberbegriff rechtswirksam, so dass die Widersprechende nicht auf die tatsächlich gegenwärtig vertriebenen Waren in allen Einzelheiten festgelegt ist (vgl Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl § 26 Rdn 212).

Eine Ähnlichkeit der beiderseitigen Waren ist anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbes ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe - so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein können, sie stammten aus demselben oder ggf wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl Ströbele/Hacker aaO § 9 Rdn 57).

Dabei ist für die Ähnlichkeit der Waren nicht die Feststellung gleicher Herkunftsstätten entscheidend, sondern die Erwartung des Verkehrs von einer Verantwortlichkeit desselben Unternehmens für die Qualität der Waren (vgl BGH GRUR 1999, 731 Canon II).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine eher entferntere Warenähnlichkeit der Vergleichswaren anzunehmen. Zwar werden die Nahrungsmittel inzwischen von vielen Herstellern fast bei allen Sorten von Lebensmitteln auch als Diätversionen angeboten, sei es fett- oder zuckerreduziert oder auch mit besonderen Zusätzen angereichert wie mit Vitaminen oder anderen gesundheitsfördernden Stoffen. Dies gilt insbesondere auch für Wurstwaren oder Geflügelprodukte, die auch von der Widersprechenden zu II als sogenannte Wellnessprodukte angeboten werden, da sie entweder fettreduziert sind oder als Ersatz pflanzliche Fette enthalten oder mit Zusatzstoffen wie beispielsweise L-Carnitin versehen sind.

Bei den vom Inhaber der angegriffenen Marke beanspruchten diätetischen Erzeugnissen handelt es sich hingegen nicht um Nahrungsmittel im eigentlichen Sinn, sondern um Nahrungsergänzungsmittel, da sie jeweils auf der Basis von Vitaminen, Eiweiß und Kohlehydraten, dh mit diesen Inhaltsstoffen als Hauptbestandteilen angeboten werden. Anders als bei den oben genannten Wellnessprodukten werden einem Nahrungsmittel nicht Vitamine anteilsmäßig beigemengt oder beispielsweise Kohlehydrate als zusätzliche Ballaststoffe beigefügt oder der Eiweißgehalt erhöht bzw reduziert, sondern diese Nahrungsergänzungsmittel werden in nahezu reiner Form als Vitamin-, Eiweiß, oder Kohlehydratpräparate angeboten meist in Pulver-, Tabletten- oder flüssiger Form. Diese dienen dann neben der eigentlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln dazu,um zB bei einer Muskelaufbaudiät die jeweilige Zufuhr von Vitaminen, Eiweiß und Kohlehydraten auch dosieren zu können.

Somit ergeben sich bei den Vergleichswaren hinsichtlich Art, Herstellung, Verwendungszweck und Vertriebsweg wesentliche Unterschiede.

2. Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer deutlich unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu II aus.

"Vital" leitet sich vom lateinischen "vitalis" für "lebengebend" ab und steht auch in der deutschen Sprache für "lebenswichtig, voller Lebenskraft, im Besitz seiner vollen Leistungskraft" (vgl Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 4. Aufl CD-ROM) und hat in Bezug auf die beanspruchten Waren beschreibende Bedeutung. Pro hat die Bedeutung für die Marke erlangt erst in der Zusammenschreibung der beiden beschreibenden Teile seine Eigenprägung und damit Schutzfähigkeit. Dementsprechend beschränkt sich der Schutzumfang der Marke als Abwandlung aus beschreibenden Angaben nur auf diese Eigenprägung (vgl BGH GRUR 2003, 963 AntiVirus/AntiVir).

3. Angesichts einer eher entfernten Warenähnlichkeit und einer unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu II hält die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand ein, um eine Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke zu II ausschließen zu können.

So ist bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit maßgeblich auf den jeweiligen Gesamteindruck der Zeichen abzustellen, der bei mehrgliedrigen Marken auch durch einzelne Bestandteile geprägt werden kann. Dabei nimmt der Verkehr eine Marke so auf, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl Ströbele/Hacker aaO § 9 Rdn 152). Dabei können auch kennzeichnungsschwache oder schutzunfähige Elemente den Gesamteindruck einer Marke mitbestimmen oder sogar wesentliches Gewicht für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erlangen (vgl Ströbele/Hacker aaO § 9 Rdn 345, 409). Diese dürfen deshalb nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben, auch wenn sie für sich gesehen keine selbständig kollisionsbegründende Wirkung zu entfalten vermögen.

In ihrer Gesamtheit unterscheiden sich die Vergleichsmarken indessen klar und unverwechselbar in allen für die Beurteilung des Gesamteindrucks wesentlichen Kriterien. So verfügt die angegriffene Marke im Gegensatz zur Widerspruchsmarke als reiner Wortmarke über ein besonders auffällig ausgestaltetes Bildelement sowie den Namenszug des Inhabers der angegriffenen Marke.

Somit kommt Verwechslungsgefahr nur dann in Betracht, wenn der zur Widerspruchsmarke "Provital" ähnlich gebildete Wortbestandteil "pro vitae" der angegriffenen Marke in der angegriffenen Marke allein kollisionsbegründend prägen würde.

Bei mehrteiligen Marken kommt eine Verwechslungsgefahr dann in Betracht, wenn Ähnlichkeiten in Einzelbestandteilen vorliegen, die die jeweilige Marke kolli-

sionsbegründend prägen können. Selbständig kollisionsbegründend ist einer von mehreren Markenbestandteilen nach der Rechtsprechung des BGH dann, wenn er den Gesamteindruck der mehrgliedrigen Marke prägt und wenn die übrigen Markenteile für die angesprochenen Verkehrskreise in einer Weise zurücktreten, dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (vgl Ströbele/Hacker aaO § 9 Rdn 374). Zwar gilt der Grundsatz, dass der Bildbestandteil gegenüber dem Wortbestandteil einer Wort-/Bildmarke in der Regel zurücktritt. Dabei ist aber zu beachten, dass beschreibende oder kennzeichnungsschwache Markenteile zwar nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben dürfen, ihnen aber grundsätzlich die Eignung fehlt, den Gesamteindruck einer Marke zu prägen (vgl Ströbele/Hacker § 9 Rdn 409, 411).

Bei dem Wortbestandteil "pro vitae" der angegriffenen Marke handelt es sich um eine erkennbare Abwandlung des Begriffs "pro vita" in der Bedeutung "für das Leben, für die Lebenskraft", so dass dieser Bestandteil als Abwandlung einer beschreibenden Angabe und damit kennzeichnungsschwacher Markenteil die angegriffene Marke nicht selbständig kollisionsbegründend prägen kann.

Anhaltspunkte für andere Fälle der Verwechslungsgefahr ergeben sich nicht.

Widerspruch der Widersprechenden zu I Der Widerspruch kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil eine rechtserhaltende Benutzung der betreffenden Widerspruchsmarke insb für den Zeitraum des § 43 Abs 1 S 2 MarkenG nicht glaubhaft gemacht wurde.

Hinsichtlich der Widersprechenden zu I war die Benutzung im Erinnerungsverfahren zulässig bestritten worden und der Widerspruch wegen fehlender Glaubhaftmachung zurückgewiesen worden.

Im Beschwerdeverfahren waren von der Widersprechenden zu I keine neuen Glaubhaftmachungsunterlagen vorgelegt worden.

Da von einer Fortgeltung der Nichtbenutzungseinrede auszugehen ist - eine einmal in der Vorinstanz wirksam erhobene Einrede der mangelnden Benutzung, ist insoweit auch für alle weiteren Instanzen rechtswirksam (Ströbele/Hacker aaO § 43 Rdn 7) - war eine Glaubhaftmachung durch die Widersprechende zu II weiterhin erforderlich. Der Senat war nicht gehalten, die Widersprechende zu I gem § 139 ZPO auf den Umfang ihrer Obliegenheit zur Glaubhaftmachung hinzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß § 71 Abs 1 MarkenG.

Dr. Buchetmann Winter Hartlieb Hu Abb. 1






BPatG:
Beschluss v. 23.05.2005
Az: 30 W (pat) 180/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2b4cef08e78e/BPatG_Beschluss_vom_23-Mai-2005_Az_30-W-pat-180-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share