Landgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 17. April 2008
Aktenzeichen: 2-03 O 90/07, 2-03 O 90/07, 2-3 O 90/07, 2-3 O 90/07

(LG Frankfurt am Main: Urteil v. 17.04.2008, Az.: 2-03 O 90/07, 2-03 O 90/07, 2-3 O 90/07, 2-3 O 90/07)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wurde mehrfach wegen Tötungsdelikten verurteilt, zuletzt im Jahre 1983 wegen Mordes. Er verbüßt seit 1983 eine lebenslange Freiheitsstrafe. Über seine Straftaten wurde in den 50er, 60er des vorigen Jahrhunderts sowie über den letzten Fall 1983 bundesweit ausführlich berichtet. Der Kläger ist nunmehr 66 Jahre alt.

Die Beklagte betreibt ein großes Text- und Bildarchiv. Sie gibt dort archivierte Bildnisse zur kommerziellen Nutzung an Massenmedien weiter.

Die Beklagte hielt die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen beiden Fotos (Anlage K 1) des Klägers in ihrem Archiv. Auf Anfrage gab sie die Bilder an die Redaktion der Zeitschrift "Playboy" weiter, ohne die Verwendungsabsicht oder den Textbeitrag, dessen Bebilderung sie dienen sollten, zu kennen.

Die Bilder des Klägers wurden in der Ausgabe Dezember 2006 des Magazins "Playboy" auf Seiten 42 (Bl. 48 d. A.) und 44 (Bl. 49 d. A.) unter der Überschrift "Die Akte .... Psychogramm eines Jahrhundert-Mörders" veröffentlicht.

Der Kläger trägt vor, er sei auf den Bildern nach wie vor gut erkennbar. Er sei tatsächlich auch von allen Lesern des Playboy wiedererkannt worden sei, die ihn heute kennen. Er führt weiter aus, dass es auch der Lebenserfahrung entspreche, dass sich ein über 40 jähriger Mann nicht mehr so verändere, dass er im Alter von 66 Jahren nicht mehr wiederzuerkennen wäre. Eine Einwilligung in die Verwertung der Bilder von seiner Seite habe nicht vorgelegen.

Der Kläger ist der Ansicht, die Verbreitung der alten Aufnahmen zu Zwecken der Veröffentlichung sei unzulässig, da sie in das Recht des Klägers am eigenen Bild eingriffen. Zwar habe ursprünglich ein geschütztes Interesse der Öffentlichkeit an der Bildberichterstattung über den Kriminalfall bestanden. Es sei aber nicht zulässig, noch 20 Jahre nach der letzten Verurteilung Bildnisse des Klägers zu verbreiten oder zu veröffentlichen. Der Persönlichkeitsschutz des Klägers überwiege nun das Berichterstattungsinteresse der Medien.

Der Kläger beantragt,

es der Beklagten bei Vermeidung eines in jedem Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zum Betrag von Euro 250.000,€ ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, bis zu sechs Monaten, zu untersagen,

ohne Zustimmung des Klägers Bildnisse des Klägers zu Zwecken der Veröffentlichung durch Presse- und Medienunternehmen zu verbreiten, wie aus den Fotografien auf den Seiten 42 und 44 der Anlage K 1 (deutsche Ausgabe des Magazins "Playboy" von Dezember 2006 "Die Akte .... Psychogramm eines Jahrhundert-Mörders) ersichtlich.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie hafte nicht für die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Fotos. Aus dem Umstand, dass der Kläger gegen vorausgegangene Veröffentlichungen dieser Aufnahmen nicht vorgegangen sei, lasse auf seine konkludente Einwilligung schließen. Zudem dürften die streitigen Bildnisse gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG als "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" veröffentlicht werden. Diese Qualifizierung gehe nicht deshalb verloren, weil die Taten und die dazu geführten Strafverfahren längere Zeit zurücklägen. Gerade bei Aufsehen erregenden Kriminalfällen bestehe auch viele Jahre nach der Tat noch ein berechtigtes Interesse an der Berichterstattung. Für die Beurteilung sei nur auf die streitigen Bilder abzustellen, nicht aber auf den Textbeitrag. Dieser Text, wie auch Anlass und Intention der Redaktion des Playboy, seien der Beklagten, so behauptet sie unwidersprochen, unbekannt gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte keine eigenen Prüfpflichten verletzt, weil kein offensichtlicher Rechtsverstoß vorgelegen habe.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu.

Zwar geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte durch die Weitergabe der streitgegenständlichen Bilder an die Playboy Deutschland Publishing GmbH Bildnisse des Klägers ohne dessen Zustimmung gemäß § 22 KUG verbreitet hat.

Es liegen Bildnisse des Klägers im Sinne des § 22 KUG vor. Der Kläger ist in dem Magazin Playboy, Ausgabe Dezember 2006, auf S. 42 und 44 klar erkennbar. Allein die Tatsache, dass die Bilder entsprechend alt sind und der Kläger sich altersbedingt verändert hat, schließt die Erkennbarkeit des Klägers nicht aus. Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis ausreichend ist und Erkennbarkeit auch zu bejahen ist, wenn die Bilder an Leute geraten, die auf Grund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die Person zu identifizieren. Daran besteht im Hinblick auf die Untertitel der beiden Aufnahmen, die seine Positionierung verdeutlichen und ihn namentlich (Bild S. 42) bzw. mit der Bezeichnung "Serienkiller" (Bild S. 44) nennen, kein Zweifel.

Eine Verbreitung im Sinne des § 22 KUG durch die Weitergabe der streitgegenständlichen Bilder an die Playboy Deutschland Publishing GmbH ist zu bejahen. Der Begriff der Verbreitung in § 22 KUG ist wesentlicher umfassender als die Verbreitung im Urheberrechtsgesetz. Während das Verbreitungsrecht des § 17 I UrhG nur die öffentliche Verbreitung betrifft, umfasst die Verbreitung des § 22 KUG jede Art der Verbreitung, so z. B. auch die des Verschenkens von Vervielfältigungsstücken im privaten Bereich (vgl. Schricker/Götting, Urheberrecht, 3. Aufl., § 22 KUG Rn. 36). Damit ist die Weitergabe von Bildnissen durch eine Bildagentur an ein Presseunternehmen bereits als Verbreitungshandlung im Sinne des § 22 KUG zu sehen.

Der Kläger hat in die Verbreitung nicht eingewilligt. Eine ausdrückliche Einwilligung wird nicht vorgetragen. Auch von einer konkludenten Einwilligung ist nicht auszugehen, da eine solche dem Bild nicht zu entnehmen ist.

Die Beklagte kann sich jedoch auf die Ausnahme des § 23 KUG berufen. Nach § 23 I Nr. 1 KUG dürfen ohne die erforderliche Einwilligung Bildnisse verbreitet werden, die aus dem Bereich der Zeitgeschichte stammen. Bei den streitgegenständlichen Bildnissen des Klägers handelt es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Personen der Zeitgeschichte sind auch solche Personen, die durch Verknüpfungen mit Ereignissen und Begebenheiten nur vorübergehend in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten (Schricker/Götting, a. a. O., § 23 KUG Rn. 19). Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers erfüllt. Durch die vom Kläger verübten mehrfachen Tötungsdelikte wegen deren er verurteilt wurde, zuletzt im Jahre 1983 wegen Mordes, und die spektakulären Begleitumstände (Kläger ist der einzige Deutsche, der in drei verschiedenen Mordprozessen vor Gericht stand und der einzige Serientäter in der deutschen Kriminalgeschichte, der aus reiner Mordlust tötete) handelt es sich bei dem Kläger um eine "relative" Person der Zeitgeschichte, bei Abbildungen seiner Person um "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte".

Der Befugnis, im Falle einer Ausnahme im Sinne des § 23 I Nr. 1 KUG die Bildnisse des Klägers zu verbreiten, steht auch nicht gem. § 23 II KUG ein berechtigtes Interesse des Klägers gegenüber. Die berechtigten Interessen des Klägers werden durch die Weitergabe der streitgegenständlichen Bildnisse an Playboy Deutschland Publishing GmbH nicht verletzt. Die Weitergabe allein führt noch nicht zu einer Veröffentlichung. So kann es durchaus sein, dass ein Bildarchiv Bilder an eine Zeitung verkauft, die Zeitung sich aber anschließend entschließt, die Bilder nicht zu veröffentlichen. Die Weitergabe des Bildnisse an die Redaktion führte zunächst nur dazu, dass ein ganz beschränkter Personenkreis innerhalb des Zeitungsorgans in Besitz der Bilder gelangte, der sich aufgrund seiner Absicht, einen Artikel über den Kläger abzufassen, sowieso mit der Person des Klägers beschäftigt hatte. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers unter den Gesichtspunkten Anonymitätsinteresse und Rehabilitationsinteresse wurden allein durch die Verbreitung der Bilderdurch Weitergabean die Zeitung somit nicht verletzt.

Eine Verbreitungshandlung i. S. der §§ 22, 23 KUG lag zudem auch in der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Fotos in dem Magazin Playboy, Ausgabe Dezember 2006. Für diese mögliche Verletzungshandlung haftet die Beklagte jedoch nicht nach den Grundsätzen der Störerhaftung.

Als Störer kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder in Anspruch genommen werden, der willentlich und adäquat-kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Weil die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, ob und wieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH GRUR 2001, 1038 € Ambiente.de m. w. Nw., BGH GRUR 2004, 860, 864; OLG Frankfurt, Urteil vom 30.10.2007, Az.: 11 U 9/07, S. 6 der Gründe m. w. Nw.). Art und Umfang der damit gebotenen Kontrollmaßnahmen bestimmen sich nach Treu und Glauben (von Wolff, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 97 Rn. 15).

Wieweit die Prüfungspflichten reichen, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen, sowie mit Blick auf die eigene Verantwortung des unmittelbar handelnden Dritten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Arbeit des als Störer in Anspruch Genommenen nicht über Gebühr erschwert werden und die Verantwortlichen nicht überfordert werden dürfen (OLG Frankfurt, Urteil vom 30.10.2007, Az.: 11 U 9/07, S. 6 der Gründe m. w. Nw.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erstreckten sich die Prüfungspflichten der Beklagten nicht auf die konkrete Presseveröffentlichung in der Ausgabe Dezember 2006 des Magazins "Playboy". Eine Verpflichtung des Betreibers eines Bildarchivs, ausnahmslos oder doch regelmäßig vor Herausgabe von angefordertem Bildmaterial zu prüfen, für welche Zwecke dieses verwendet werden soll, besteht nicht. Eine derart umfangreiche Obliegenheit würde die Betreiber von Archiven gleichermaßen wie die Betreiber von Internetforen in technischer, persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht schlicht überfordern und das Betreiben von umfangreichen Text- und Bildarchiven letztlich wegen der sich aus der Überwachungspflicht ergebenden Haftungsrisiken unmöglich machen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.6.2006, JurPC Web. Dok. 77/2006, Abs. 1 € 34).

Die Beklagte hatte vielmehr nur zu prüfen, ob es sich um Bildnisse handelt, die dem Tatbestand des § 23 Abs. 1 KUG unterfielen und an deren Veröffentlichung überhaupt ein berechtigtes Informationsinteresse bestehen könnte. Dies hat die Beklagte zutreffend angenommen. Denn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit endet bei spektakulären Mordfällen nicht mit der Verurteilung. Demgemäß bildet der Erlass des letztinstanzlichen Strafurteils oder der Zeitpunkt seiner Rechtskraft keine feste Grenze, zumal das aktuelle Informationsinteresse auch die zusammenhängende Darstellung der Tat, ihrer Entstehungsursachen und Hintergründe einschließt, die unter Umständen den vollständigen Abschluss des Strafverfahrens und weitere Nachforschungen voraussetzt (vgl. BVerfGE 35, 202 ff., Rn. 69 € Lebach). Auch die Verbüßung der Straftat führt nicht dazu, dass ein Täter den Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden" (vgl. BVerfG NJW 2000, 1859, 1860 € Lebach II).

Allerdings gewährt das Persönlichkeitsrecht auch verurteilten Straftätern Schutz vor einer zeitlichunbeschränktenBerichterstattung durch die Medien. Eine öffentliche Berichterstattung über einen in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung und Abbildung beeinträchtigt dessen Persönlichkeitsrecht erheblich, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums, insbesondere bei grausamen Taten, negativ qualifiziert wird. Auch der Täter, der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist und die allgemeine Missachtung erweckt hat, bleibt Glied der Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität. Dieser Schutz verbietet eine Berichterstattung, die die Aktualitätsgrenze verlässt, wenn und soweit diese eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken geeignet ist (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 12.07.2007 € 16 U 13/07, S. 7 der Entscheidungsgründe € unter Hinweis auf BVerfGE 35, 202). Er begründetfür die Mediendie Pflicht zur Berücksichtigung der Tragweite ihrer Berichterstattung.

Nur dann, wenn auf der Grundlage gefestigter Rechtsprechung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Abbildungen des Klägers im Rahmen einer Presseberichterstattung zulässig gewesen wäre, hätte die BeklagteeigenePrüfpflichten verletzt. Diese Voraussetzungen liegen jedoch in Anbetracht dessen, dass nicht allein die Verurteilung oder ein bestimmter Zeitablauf die Veröffentlichung von Fotos eines Straftäters hindert, es vielmehr einer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) und der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1, S. 2 GG) bedarf, nicht vor.

Die Beklagte haftet auch nicht deshalb, weil sie nach Bekanntwerden der konkreten Veröffentlichung das Bildmaterial nicht gelöscht hat. Denn die erneute Verwendung von Bildmaterial ist nicht per se rechtswidrig. Ihre Rechtswidrigkeit hängt vielmehr € gleichermaßen wie schon die Erstveröffentlichung € von den Umständen des Einzelfalls ab und bedarf der Güterabwägung in Anwendung der §§ 22, 23 KUG.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger gem. § 91 ZPO zu tragen, da er im Rechtsstreit unterlegen ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.






LG Frankfurt am Main:
Urteil v. 17.04.2008
Az: 2-03 O 90/07, 2-03 O 90/07, 2-3 O 90/07, 2-3 O 90/07


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