Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 5. März 1998
Aktenzeichen: 12 U 177/97
(OLG Köln: Urteil v. 05.03.1998, Az.: 12 U 177/97)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 18. Juli 1997 - 17 O 96/97 - teilweise geändert.
Die Klage wird (insgesamt) abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt,
1. darin einzuwilligen, einen weiteren Geschäftsanteil der Beklagten in Höhe von 2.000 DM zu erwerben,
2. die ihr mit Schreiben der Beklagten vom 2.12.1996 übermittelte Beteiligungserklärung (Kopie ist dem Urteil als Anlage beigefügt) zu unterzeichnen und an die Beklagte zu übergeben.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg, da die Klägerin verpflichtet ist, einen weiteren Geschäftsanteil der Beklagten zum Wert von 2.000 DM zu erwerben und eine entsprechende Beteiligungserklärung zu unterzeichnen. Folglich ist die Widerklage begründet und der Klageantrag zu 3. hätte dann, wenn insoweit nicht die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre, als unbegründet abgewiesen werden müssen.
I.
Der Widerklage der Beklagten kann der Erfolg nicht versagt werden, weil der gemeinsame Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten vom 21.6.1995, auf den sich das Begehren der Beklagten stützt, rechtswirksam ist.
1.
Es ist davon auszugehen, daß Vorstand und Aufsichtsrat für die Beschlußfassung zuständig waren.
Im Hinblick darauf, daß die Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes, die diesen Organen die ihnen obliegenden Aufgaben zuweisen, nicht die Aussage enthalten, daß Vorstand und/oder Aufsichtsrat für die Genossen verbindliche Regelungen über den Erwerb von Pflichtanteilen treffen können, fehlt es allerdings (eindeutig) einer gesetzlich begründeten Kompetenz dieser Organe.
Durch § 16 II 2 der Satzung der Beklagten in der Fassung des Ànderungsbeschlusses der Vertreterversammlung vom 7.11.1990 wird aber bestimmt, daß jedes Mitglied, dem eine Wohnung überlassen worden ist, einen angemessenen Beitrag zur Aufbringung der Eigenleistung durch Óbernahme eines weiteren Geschäftsanteils zu übernehmen hat, wobei es Vorstand und Aufsichtsrat überlassen wurde, hierzu Grundsätze festzusetzen. Von dieser Ermächtigung haben die beiden Organe durch ihren Beschluß vom 21.6.1995 Gebrauch gemacht.
Da die Bestimmung darüber, ob und in welchem Umfang die Mitglieder der Genossenschaft Pflichtanteile zu übernehmen haben, durch die Satzung (Statut) zu regeln ist, vgl. § 7a II GenG (wobei § 16 II Nr. 3 GenG für die Einführung oder Erweiterung einer solchen Pflicht sogar eine qualifizierte Mehrheit vorschreibt; aber auch eine Absenkung der Beteiligungspflichten ist Sache des zur Ànderung des Statuts berufenen Gremiums, insoweit gilt hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit lediglich § 16 IV GenG), spricht deshalb viel dafür, daß es der Vertreterversammlung versagt ist, einen wesentlichen Ausschnitt aus der ihr durch §§ 43a, 16 I GenG zugewiesenen Kompetenz zur Ànderung der Satzung auf ein anderes Organ zu übertragen. Diese Frage braucht aber hier nicht weiter vertieft zu werden. Denn auch wenn deshalb von einer ursprünglichen Nichtigkeit der durch den Beschluß vom 7.11.1990 vorgenommenen Satzungsänderung auszugehen sein sollte, so könnte sich die Klägerin darauf vorliegend nicht mehr mit Erfolg berufen. Das Genossenschaftsgesetz enthält zwar keine eigenständige Regelung darüber, ob und auf welche Weise nichtige Beschlüsse der General- bzw. Vertreterversammlung geheilt werden können. In Rspr. und Schrifttum besteht aber Einvernehmen darüber, daß insoweit die Bestimmungen gem. § 242 AktG entsprechend anzuwenden sind (Schubert/Steder, Genossenschaftshandbuch, Stand 5/97, § 51 GenG RN 3; Müller, GenG, 1. Aufl., § 51 RN 36; Lang/ Weidmüller/Metz/Schaffland, GenG, 33. Aufl. 1997, § 51 RN 39; Hettrich/Pöhlmann, GenG, 1995, § 51 RN 1; Meyer/Meulenberg/ Beuthien, GenG, 12. Aufl., § 51 RN 10 a.E.). Da die fragliche Satzungsänderung am 5.3.1991 in das Genossenschaftsregister eingetragen worden ist und seitdem ein Zeitraum von (erheblich) mehr als 3 Jahren bis zur Einreichung der Klage verstrichen ist, ist ein ursprünglich (eventuell) vorhanden gewesener Rechtsmangel geheilt.
2.
Der Senat vermag dem Landgericht allerdings nicht zu folgen, soweit es den Beschluß vom 21.6.1995 wegen einer Verletzung des genossenschaftlichen Treuegebots für nichtig erachtet hat.
a) Die Klägerin wird allerdings (entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung) nicht durch die in der Entscheidung BGHZ 132, 84 = NJW 1996, 1765, 1768 = DB 1996, 1273 aufgestellten Grundsätze daran gehindert, einen derartigen Verstoß mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses im vorliegenden Rechtsstreit geltend zu machen. Zwar hat der BGH in der genannten Entscheidung - in Abweichung von älterer Rechtsprechung - dahin entschieden, daß die Einhaltung der Treuepflicht nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des Genossenschaftsrechts gehört und deshalb nicht zur Nichtigkeit eines entsprechenden Beschlusses der Hauptversammlung führt, sondern nur zu dessen Anfechtbarkeit. Vorliegend geht es aber nicht um die Wirksamkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung (bzw. der Vertreterversammlung, die wegen der hohen Mitgliederzahl der Beklagten gem. § 43a GenG an die Stelle der Hauptversammlung getreten ist), sondern um einen gemeinsamen Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat, so daß die genannte Rspr. nicht unmittelbar einschlägig ist. Sie ist aber auch nicht auf diesen Fall übertragbar. Eine Differenzierung von Rechtsmängeln nach Anfechtbarkeit und Nichtigkeit kommt nämlich nur in Betracht, wo das Gesetz dies ausgestaltet hat und dem jeweiligen Mangel unterschiedliche Rechtsfolgen beimißt. Dies ist zwar bei Beschlüssen der Haupt- oder Vertreterversammlung der Fall. Denn nach § 51 GenG sind derartige Beschlüsse in bestimmten Fällen anfechtbar und das Gesetz regelt das Anfechtungsverfahren und die Folgen. Daneben werden von der Rspr. seit jeher die Regeln des Aktienrechts über die Nichtigkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung und die darauf gestützte Nichtigkeitsklage (§§ 241, 249 AktG) im Genossenschaftsrecht sinngemäß angewendet. Die Frage, wie sich Mängel von Beschlüssen des Aufsichtsrats und/oder Vorstands auswirken und wie diese geltend zu machen sind, ist aber weder im AktG noch im GenG geregelt, für eine Differenzierung nach bloßer Anfechtbarkeit einerseits und Nichtigkeit andererseits fehlen deshalb Anknüpfungspunkte. Rspr. und Schrifttum gehen deshalb seit langem (und vom BGH NJW 1993, 2307, 2309 bestätigt) davon aus, daß inhaltlich oder verfahrensmäßig fehlerhafte (und damit "unrechtmäßige" oder "rechtswidrige") Beschlüsse dieser Organe grundsätzlich nichtig sind. Wenn die von der Klägerin vertretene Auffassung, der streitige Beschluß sei unter Verletzung der genossenschaftlichen Treuepflicht ergangen, zutreffend wäre, würde dies folglich auch zu seiner Nichtigkeit führen.
b) Der vorgetragene Sachverhalt rechtfertigt jedoch nicht die Feststellung, daß die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin die ihr obliegende Treuepflicht verletzt hat.
In Rspr. und Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß eine Entscheidung über die Einführung oder Erweiterung einer Pflichtbeteiligung mit mehreren Geschäftsanteilen nicht beliebig zulässig ist, sondern die Pflichtbeteiligung dort ihre Grenze hat, wo die Größenordnung schlechthin wirtschaftlich nicht vertretbar ist und für die Mitglieder unzumutbar wäre (BGH BB 1978, 1134; OLG Oldenburg WM 1992, 1105, 1108; Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland a.a.O. § 16 RN 25 u. Müller, GenG, 2. Aufl. 1991, § 7a RN 31 u. § 16 RN 20, jeweils m.w.N), wobei auch eine Rolle spielt, inwieweit zusätzliche Belastungen für den Genossen bei dem Erwerb der Mitgliedschaft voraussehbar waren.
Davon, daß die Klägerin selbst durch die Óbernahme eines weiteren Geschäftsanteils von 2.000 DM finanziell in unzumutbarer Weise belastet würde, kann nicht ausgegangen werden. Óber ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nichts vorgetragen worden. Der Umstand allein, daß sie in einer Wohnung mit nach heutigen Wohnverhältnissen eher unterdurchschnittlicher Ausstattung lebt, ist insoweit nicht aussagekräftig, da bescheidener Lebensstil einerseits und gute oder zumindest auskömmliche Vermögensverhältnisse andererseits einander nicht ausschließen.
Ob es für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten auf die wirtschaftlichen Verhältnisse anderer Mitglieder der Genossenschaft ankommt, erscheint zweifelhaft, kann aber zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Es sind nämlich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß eine ins Gewicht fallende Anzahl von Mitgliedern der Beklagten so schlecht gestellt ist, daß die Óbernahme eines Pflichtteils von 2.000 DM für sie unzumutbar wäre. Daß es einzelne Mitglieder geben mag, für die der Erwerb eines weiteren Pflichtteils eine nicht mehr tragbare finanzielle Belastung darstellt, kann ebenfalls unterstellt werden. Die genossenschaftliche Treuepflicht ist jedoch nicht dahin zu verstehen, daß ein Beschluß über den Erwerb von Pflichtteilen nur dann zulässig ist, wenn bei keinem einzigen Mitglied die Schwelle der Zumutbarkeit nicht überschritten wird. Ein derartiges Verständnis würde die Handlungsfähigkeit der Genossenschaft in unangemessener Weise einschränken und wäre auch erkennbar mit den Intentionen des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen, der 1973 bewußt entgegen einer bis dahin teilweise vertretenen Auffassung das Prinzip der Einstimmigkeit bei der Einführung oder Erweiterung einer Pflichtbeteiligung abgelehnt hat (s. dazu Müller a.a.O. § 16 RN 20). Es kann deshalb nur darauf ankommen, ob eine in Anbetracht der Größe der Beklagten ins Gewicht fallende Anzahl von Mitgliedern durch die vorgesehene Pflichtbeteiligung in unvertretbarer Weise überfordert wird. Dies läßt sich jedoch auf der Grundlage des unterbreiteten Sachverhalts nicht feststellen.
Es ist nämlich zum einen zu berücksichtigen, daß die Beklagte auf Antrag Ratenzahlung in Höhe von 25 DM/monatlich bewilligt, also nur einen Betrag laufend einfordert, der auch bei bescheidenen Einkommensverhältnissen üblicherweise noch als Sparbeitrag zur Verfügung steht. Da die Genossen zwecks Erlangung einer Wohnung mit günstigem Mietzinsniveau sowie eventuell weiterer wirtschaftlicher Vorteile der Beklagten beigetreten sind, ist es für sie regelmäßig nicht unzumutbar, einen derartigen relativ geringen Beitrag nicht anderweitig, sondern bei der Beklagten "anzusparen". Dieser Belastung steht zudem ein nicht geringer Vorteil gegenüber. Es ist heutzutage nämlich weitgehend üblich, daß Mieter bei Beginn des Mietverhältnisses eine Kaution zu stellen haben (und zwar sogleich in vollem Umfang; die Bewilligung von Ratenzahlung erfolgt regelmäßig nicht, da der Vermieter mit Nutzungsbeginn über die ganze Sicherheit verfügen will), die bei Ausschöpfung des gem. § 550b I 1 BGB zulässigen Rahmens bereits dann den Betrag von 2.000 DM übersteigt, wenn die Miete mehr als 666,66 DM/Monat beträgt; die in Wohnungen der Beklagten wohnenden Mitglieder sind jedoch von der Stellung einer Mietsicherheit befreit. Auch was die Verzinsung des fraglichen Betrags angeht, ist die Situation für die Mitglieder der Beklagten günstiger. Denn während der Mieter nach § 550b II 2 BGB nur einen Zinssatz erwarten kann, wie er auf Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist gewährt wird (derzeit weitgehend 1,5 %), garantiert die Beklagte eine Verzinsung des Anteils mit 4 %.
Soweit es sich bei den Mitgliedern der Beklagten um Personen handelt, denen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, ist zwar davon auszugehen, daß sie einen Sparbeitrag von 25 DM/Monat nicht aufzubringen vermögen, da die Regelsätze einen entsprechenden "Spar-Anteil" nicht enthalten. Aber auch insoweit wird eine unzumutbare Belastung vermieden, da die monatlichen Raten zum Erwerb des Pflichtanteils Voraussetzung für die Erlangung einer Wohnung in den Häusern der Beklagten sind und deshalb von den Sozialämtern als notwendige Kosten der Wohnungsbeschaffung angesehen und übernommen werden.
3. Da der angefochtene Beschluß in Ausführung der Satzung lediglich die korporationsrechtlichen Beziehungen der Genossen zu der Beklagten regelt und keine gesonderten schuldrechtlichen Beziehungen zu ihnen begründet oder ändert, scheidet eine Óberprüfung des Beschlusses an den Maßstäben des AGB-Gesetzes nach dessen § 23 I letzte Alternative aus (vgl. BGH 103, 219, 224 = NJW 1988, 1729, 1730).
II.
Da es sich bei dem Klageantrag zu 3. - wie unter I.2.a) bereits angeschnitten - weder um eine Anfechtungsklage nach § 51 GenG noch um eine Nichtigkeitsklage in entsprechender Anwendung der §§ 241, 249 AktG handelt, da sie sich nicht gegen einen Beschluß der General- bzw. Vertreterversammlung richtet, ist das Begehren prozessual als allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO zu werten. Das insoweit erforderliche Feststellungsinteresse war bei Einreichung der Klage gegeben, denn da die Beklagte die Klägerin für verpflichtet hält, einen weiteren Geschäftsanteil von 2.000 DM zu erwerben, hat die Klägerin ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, den Beschluß, aus dem die Beklagte diese Verpflichtung herleitet, auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dieses Feststellungsinteresse ist aber nachträglich wieder entfallen. Es entspricht gefestigter Rspr., daß für die negative Feststellungsklage, mit der Ansprüche des Prozeßgegners vorbeugend abgewehrt werden sollen, das insoweit an sich stets unproblematisch zu bejahende Feststellungsinteresse dann entfällt, wenn der Beklagte die Leistung einklagt und diese Klage nicht mehr ohne Zustimmung des Feststellungsklägers zurücknehmen kann. Die vorliegende auf Feststellung der Nichtigkeit des fraglichen Beschlusses gerichtete Klage ist der Sache nach aber eine negative Feststellungsklage, denn es soll damit die Feststellung erreicht werden, daß der Beklagten insoweit keine Rechte zustehen. Nachdem über die Leistungswiderklage der Beklagten verhandelt worden war und sie somit nicht mehr einseitig zurückgenommen werden konnte, entfiel das Feststellungsinteresse, da den Interessen der Klägerin auch durch die Abweisung der auf Durchsetzung des Beschlusses gerichteten Widerklage hinreichend Rechnung getragen werden konnte. Diesem Gesichtspunkt hat die Klägerin durch die Erledigungserklärung Rechnung getragen. Eine zusätzliche Belastung der Klägerin mit Kosten tritt insoweit nicht ein. Zwar war der Klageantrag aus den unter I. dargelegten Gründen nicht begründet. Da zwischen Klage und Widerklage jedoch wirtschaftliche Identität besteht (wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat), erfolgt keine Wertaddition.
Beschwer der Klägerin und Berufungsstreitwert: 2.000 DM.
Für einen höheren Wertansatz besteht kein Anlaß, da aus den bereits erwähnten Gründen die Vorschrift des § 247 AktG nicht einschlägig ist, da es sich bei der Klage nicht um eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage handelte, sondern um eine (negative) Feststellungsklage gem. § 256 ZPO.
OLG Köln:
Urteil v. 05.03.1998
Az: 12 U 177/97
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