Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 29. April 1998
Aktenzeichen: 6 U 158/97
(OLG Köln: Urteil v. 29.04.1998, Az.: 6 U 158/97)
Die werbliche Auslobung eines Arzneimittels (hier: Lipidsenker) als "hochpotent" bzw. "besonders hochpotent" wird von nicht nur unerheblichen Teilen sowohl des nichtmedizinischen Laienpublikums als auch der angesprochenen medizinischen Fachkreise in Bezug zur Wirksamkeit des Präparates (Wirkstoffes) gesetzt. Eine solche Werbeaussage ist daher relevant irreführend, wenn mit ihr ohne weitere Differenzierung nur die dosis- bzw. konzentrationsabhängige -relative- Wirkstärke der Substanz herausgestellt werden soll.
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 22. Juli 1997 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 460/97 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gründe
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der
Antragsgegnerin ist zwar insgesamt zulässig. In der Sache hat das
Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil die
zuvor im Beschlußverfahren erlassene einstweilige Verfügung
betreffend die hier allein noch in Rede stehenden Aussagen in der
Beilage "Cardio-News" zur Ausgabe Nr. 14/1997 der Münchener
Medizinischen Wochenschrift bestätigt. Das Verbot dieser Aussagen
erweist sich auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens
der Antragsgegnerin in der Berufung nach Maßgabe von § 3 UWG als
berechtigt.
An der Zulässigkeit des der bestätigten Beschlußverfügung
zugrundeliegenden Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung
konnten dabei von vornherein keine Zweifel bestehen. Aus den vom
Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils
(dort Seite 16/17) im einzelnen dargestellten Gründen, auf die der
Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO
Bezug nimmt, ist insbesondere davon auszugehen, daß die nach
Maßgabe von § 25 UWG für das Vorliegen des Verfügungsgrundes der
Dringlichkeit sprechende Vermutung im Streitfall nicht widerlegt
ist. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für eine etwaige
dringlichkeitsschädliche frühere Kenntnis der Antragstellerin des
hier beanstandeten Wettbewerbsverstoßes war danach die
Erkennbarkeit der absoluten Wirkung des Präparates der
Antragsgegnerin (30 %ige Senkung des LDL-Cholesterinspiegels). Daß
die Antragstellerin aber in dringlichkeitsschädlicher Zeit bereits
Kenntnis eben dieses Umstands erlangt hätte, läßt sich weder dem
Vortrag der Antragsgegnerin entnehmen, die im übrigen die in erster
Instanz gegenüber dem Verfügungsgrund der Dringlichkeit noch
vorgebrachten Einwände mit ihrer Berufung nicht wieder aufgreift,
noch läßt sich dies dem Sachverhalt im übrigen entnehmen.
Der mithin zulässige Verfügungsantrag ist im hier allein noch zu
beurteilenden Umfang, nämlich hinsichtlich der unter lit. a) des
Unterlassungsbegehrens aufgeführten Aussagen auch begründet.
Die Antragstellerin hat die tatsächlichen Voraussetzungen des
insoweit geltend gemachten Irreführungstatbestandes gemäß § 3 UWG
in einer für die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung
ausreichenden Weise glaubhaft gemacht.
An der Passivlegitimation der Antragsgegnerin bestehen dabei von
vornherein keine Zweifel. Zwar ist nicht die Antragsgegnerin
selbst, sondern die B. Vital GmbH & Co. KG im Impressum der
Beilage der Münchener Medizinischen Wochenschrift als "freundliche
Unterstützerin" aufgeführt, so daß die grundsätzliche Frage
aufgeworfen war, inwiefern der Antragsgegnerin die in der
vorbezeichneten Beilage unter dem Beitrag "Neue Substanzen, alte
Probleme" enthaltenen Aussagen
"In Deutschland steht mit dem HMG-CoA
Reduktase-Hemmer Cerivastatin die Einführung eines hochpotenten
Lipidsenkers bevor"
und/oder
"Mit dem HMG-CoA Reduktase-Hemmer
Cerivastatin soll nun ein besonders hochpotenter und
leberselektiver Lipidsenker eingeführt werden"
zuzurechnen sind. Da die Antragsgegnerin jedoch die vorstehenden
Àußerungen für zutreffend hält und sich vor allem auch berechtigt
sieht, diese z.B. im Rahmen von Presseinformationen gegenüber den
Fachmedien selbst zu verbreiten, besteht jedenfalls auf ihrer Seite
die Gefahr der erstmaligen Begehung der als Verstoß gegen § 3 UWG
gerügten Wettbewerbshandlung, so daß jedenfalls unter diesem
Gesichtspunkt die als materielle Anspruchsvoraussetzung des
Unterlassungsanspruchs erforderliche Begehungsgefahr zu bejahen
ist.
Die in Rede stehenden Aussagen sind auch geeignet, zumindest
einen nicht unerheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs in
wettbewerblich relevanter Weise über die Eigenschaft des von der
Antragsgegnerin produzierten Lipidsenkers Cerivastatin (Lipobay) in
die Irre zu führen.
Dabei ist von vornherein davon auszugehen, daß die
vorbezeichneten Aussagen unter Zugrundelegen des allgemeinen
Sprachverständnisses, wie es in nicht medizinischen Fachkreisen
verbreitet ist, zumindest mißverständlich und geeignet sind, über
die (absolute) Wirksamkeit bzw. Effizienz des Lipidsenkers
Cerivastatin der Antragsgegnerin in die Irre zu führen. Denn die
hinsichtlich eines Arzneimittels bzw. einer pharmazeutischen
Substanz ausgelobte Eigenschaft "potent/hochpotent" wird jedenfalls
von einem nicht unbeachtlichen Teil des nichtmedizinischen
Laienpublikums auch in Bezug zur Wirksamkeit des Arzneimittels
gesetzt. Die mit dem Begriff "potent" verbundene Wortbedeutung
"fähig" wird dabei auf das Arzneimittel selbst übertragen, bzw. als
dessen Fähigkeit verstanden, die gewünschten Wirkungen, nämlich die
Heilung, zumindest aber Linderung der gesundheitlichen
Beeinträchtigungen im Rahmen der Indikation herbeizuführen. Von
diesem Verständnis ausgehend besagt also das einer pharmazeutischen
Substanz bzw. einem Arzneimittel zugeordnete Attribut "hochpotent",
daß es sich hierbei um ein Produkt handele, welches in besonderem
Maße Heilerfolge bzw. Linderungseffekte herbeiführen könne und
daher in diesem Sinne wirkungsstark sei. Daß die hier in Rede
stehenden Àußerungen im Bereich des nichtmedizinischen Publikums
in diesem Sinne verstanden werden können, räumt die Antragsgegnerin
im Ergebnis selbst ein, indem sie - allerdings in anderem
Zusammenhang - ausführt, daß die auch mit den hier in Rede
stehenden Aussagen nach ihrer, der Antragsgegnerin, Intention
angesprochene Unterscheidung zwischen einerseits der dosis- bzw.
konzentrationsbezogenen relativen Wirkstärke einer Substanz und
andererseits der absoluten Wirksamkeit im Sinne der Effizienz
jedenfalls beim fachlich nicht gebildeten Publikum zu
Mißverständnissen führen könne (Schriftsatz vom 27. Juni 1997, dort
Seite 9 = Bl. 84 d.A.).
Zwischen den Parteien ist dabei weiter unstreitig, daß dem
Lipidsenker Cerivastatin der Antragsgegnerin die - unter
Zugrundelegen des Laienverständnisses - zugewiesene "hohe Potenz"
im Sinne der absoluten Wirksamkeit/Wirkung tatsächlich nicht
zukommt, da der Lipidsenker Cerivastatin der Antragsgegnerin den
LDL-Cholesteringehalt im Blut nur um bis zu 30 % absenkt,
wohingegen andere, auf dem Markt befindliche Produkte - darunter
das der Antragstellerin - den LDL-Cholesteringehalt um bis zu 60 %
reduzieren können.
Die vorstehende, unter Zugrundelegen des allgemeinsprachlichen
Wortgebrauchs ermittelte Irreführungseignung der
verfahrensbetroffenen Aussagen ist jedoch auch auf die von der
Publikation zweifelsohne angesprochenen medizinischen Fachkreise zu
erstrecken. Denn die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, daß
auch innerhalb der medizinischen Fachkreise, jedenfalls aber einem
Teil hiervon ein dem allgemeinsprachlichen Wortgebrauch
entsprechendes Verständnis der Begriffe "potent/hochpotent"
existiert, welches wiederum vom erkennenden Senat - ebenso wie von
der Kammer des in erster Instanz entscheidenden Landgerichts - aus
eigener Sachkunde beurteilt werden kann. Aus den von der
Antragstellerin vorgelegten medizinischen Wörterbüchern und
Nachschlagewerken (Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 7.
Auflage; Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke, 4.
Auflage; Dorland's Illustrated Medicae Dictionary, 24th edition)
geht hervor, daß dort die Begriffe "Potenz/Potentia/Potency" -
bezogen auf medizinische Sachverhalte - in einer dem
allgemeinsprachlichen Wortverständnis entsprechenden Sinne als
"Fähigkeit/Leistungsfähigkeit" bzw. "Fähigkeit eines medizinischen
Mittels, die gewünschten Effekte herbeizuführen ("the power of a
medicinal agent to produce the desired effects") beschrieben wird.
Eine Differenzierung im Sinne der Antragsgegnerin, wonach
"Potenz/potent" im Sinne der relativen, nämlich dosis- bzw.
konzentrationsbezogenen Wirkstärke ("potency") einer
pharmazeutischen Substanz gegenüber der erfolgsbezogenen
Wirksamkeit ("efficacy") zu verstehen sei, läßt sich diesen
Fachpublikationen nicht entnehmen. Auch wenn daher die
Antragsgegnerin für das von ihr zugrundegelegte Verständnis des
Begriffs "hochpotent" im Zusammenhang mit pharmazeutischen
Wirksubstanzen ihrerseits auf pharmakologische Veröffentlichungen,
nämlich die in Fotokopie vorgelegten Auszüge aus Mutschler
('"Lehrbuch der Pharmakologie") sowie Melmon und Morrelli (Clinical
Pharmacology) sowie die Empfehlungen der Europäischen
Arteriosklerose Gesellschaft ("prevention of coronary heart
desease: ...") verweisen kann, ist damit ein auch innerhalb der
medizinischen Fachkreise existierender uneinheitlicher
Sprachgebrauch bzw. ein uneinheitliches Sprachverständnis des
Begriffs "hochpotent/potent" im Zusammenhang mit Arzneimitteln
glaubhaft gemacht. Eben dies reicht aber aus, um die
Irreführungseignung im Sinne der Antragstellerin bejahen zu können.
Denn daß es sich bei dem Kreis des medizinischen Fachpublikums, der
den Begriff "hochpotent/potent" im Zusammenhang mit
pharmazeutischen Substanzen nicht im Sinne der pharmakologischen
Differenzierung, sondern im Sinne des allgemeinsprachlichen
Wortgebrauchs versteht, um einen unerheblichen und für die
wettbewerbliche Beurteilung zu vernachlässigenden Teil handele,
läßt sich weder dem Vortrag der Antragsgegnerin, noch dem
Sachverhalt im übrigen entnehmen. Dagegen spricht im übrigen auch
der Umstand, daß die von der Antragsgegnerin dargestellte
Differenzierung in den wiederum von der Antragstellerin vorgelegten
medizinischen Fachpublikationen überhaupt nicht erwähnt ist.
Ist nach alledem aber davon auszugehen, daß die Antragstellerin
das Vorhandensein eines dem allgemeinen Sprachgebrauch
entsprechenden Verständnisses des Begriffes "potent/hochpotent" im
Zusammenhang mit pharmazeutischen Substanzen auch im Bereich der
medizinischen Fachkreise glaubhaft gemacht hat, kann die
wettbewerbliche Relevanz der dadurch bewirkten Fehlvorstellung über
die - absolute - Wirksamkeit/Effizienz der arzneilichen Substanz
Cerivastatin angesichts des Umstandes, daß diese Fehlvorstellung
geeignet ist, auf das Verschreibungsverhalten der die
verfahrensbetroffene Beilage der Münchener Medizinischen
Wochenschrift lesenden Àrzte Einfluß zu nehmen, ohne weiteres
bejaht werden. Das in der einstweiligen Verfügung unter (a)
ausgesprochene Verbot der in dieser Beilage enthaltenen Aussagen
erweist sich danach auch unter Abwägung des Interesses der
Antragsgegnerin, die in Rede stehenden Aussagen zumindest gegenüber
den Teilen des Fachpublikums zu verwenden, die sie "richtig" bzw.
im Sinne der Antragsgegnerin verstehen gegenüber dem Interesse
desjenigen Teils des Fachpublikums, welches nicht zu falschen
Entscheidungen veranlaßt werden soll, als gerechtfertigt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Gemäß § 545 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung mit ihrer Verkündung
rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 29.04.1998
Az: 6 U 158/97
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