Bundespatentgericht:
Urteil vom 17. Juni 2009
Aktenzeichen: 5 Ni 10/09
(BPatG: Urteil v. 17.06.2009, Az.: 5 Ni 10/09)
Tenor
1.
Das deutsche Patent 44 06 740 wird für nichtig erklärt.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 2. März 1994 angemeldeten deutschen Patents 44 06 740 (Streitpatent), dessen Erteilung am 27. Januar 2005 veröffentlicht worden ist. Es trägt die Bezeichnung "Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine" und umfasst 8 Ansprüche. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
1. Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine, bei der eine Lage eines Bogens (15) durch mindestens ein Messelement (11, 23) gemessen und Bogenhalter (3, 19) von durch Signale des mindestens einen Messelements (11, 23) gesteuerten Stellgliedern (9, 21) verschoben werden, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, wobei die Bogenhalter (3, 19) in einer Ebene allseits beweglich angeordnet sind.
Wegen der weiter angegriffenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift DE 44 06 740 B4 verwiesen.
Die Klägerin ist der Meinung, das Streitpatent sei gegenüber der Offenbarung der ursprünglichen Patentanmeldung unzulässig erweitert. Außerdem macht sie geltend, dass der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche nicht neu sei und sich für den Fachmann jedenfalls in naheliegender Weise aus dem vorveröffentlichten Stand der Technik ergebe. Dazu beruft sich die Klägerin auf folgende Druckschriften:
-DD 90 145 (NiK1) -DE 33 11 197 A1 (NiK2) -DE 25 20 232 A1 (NiK3) -EP 0 184 145 A2 (NiK4) -US 5 040 460 (NiK5) -DE 33 01 722 A1 (NiK6).
Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 44 06 740 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2009 überreichten Hilfsanträge 1 und 2 -in dieser Reihenfolge.
Die Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 lauten wie folgt:
Hilfsantrag 1:
1. Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine, bei der eine Lage eines Bogens (15) durch Messelemente (11, 23) gemessen und Bogenhalter (3, 19) von durch Signale der Messelemente (11, 23) gesteuerten Stellgliedern (9, 21) verschoben werden, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, wobei die Bogenhalter (3, 19) in einer Ebene durch mit den Bogenhaltern (3, 19) verbundene, unabhängig voneinander steuerbare Stellglieder (9, 21) beweglich angeordnet sind.
Hilfsantrag 2:
1. Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine, bei der eine Lage eines Bogens (15) durch Messelemente (11, 23) gemessen und Bogenhalter (3, 19) von durch Signale der Messelemente (11, 23) gesteuerten Stellgliedern (9, 21) verschoben werden, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, wobei die Bogenhalter (3, 19) in einer Ebene durch mit den Bogenhaltern (3, 19) verbundene, unabhängig voneinander steuerbare Stellglieder (9, 21) beweglich angeordnet sind, wobei zwei Stellglieder (9) unabhängig voneinander in Förderrichtung des Bogens und ein Stellglied (21) quer zur Förderrichtung des Bogens aktivierbar sind.
Für die Unteransprüche 2 bis 8 der beiden Hilfsanträge wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. Juni 2009 Bezug genommen.
Nach Auffassung der Klägerin sind auch die hilfsweise beanspruchten Gegenstände nicht patentfähig; zudem liege eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs vor.
Hinsichtlich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit tritt die Beklagte der Klägerin in allen Punkten entgegen.
Gründe
Die zulässige Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 PatG), ist begründet.
I.
Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine. Eine Bogendruckmaschine weist in der Regel mehrere hintereinander angeordnete Druckwerke auf, die von den Bogen nacheinander durchlaufen werden. Dabei werden in den jeweiligen Druckwerken sukzessiv unterschiedliche Bedruckungsmaßnahmen an einem Bogen vorgenommen. Beispielsweise können unterschiedliche Druckbilder an verschiedenen Stellen des Bogens aufgedruckt und/oder dasselbe Druckbild mit jeweils unterschiedlichen Farben (Mehrfarbendruck) aufeinander folgend übereinander gedruckt werden. Es versteht sich, dass die auf ein und denselben Bogen nacheinander aufgebrachten "Teildrucke" relativ zueinander exakt ausgerichtet sein müssen, um ein optisch ansprechendes, den Qualitätsstandards entsprechendes Druckbild zu erhalten.
Die Lage der "Teildrucke" auf dem Bogen relativ zueinander ist der sogenannte "Passer". Zum Erhalt eines korrekten Passers muss der Bogen während des Transports nach Lage (Position in Bogenlaufrichtung und quer dazu) und Orientierung (Drehlage) exakt ausgerichtet sein.
Mit der Erzielung eines exakten Passers beschäftigt sich das Streitpatent. Es geht aus von einem Stand der Technik, wie er durch die DD 90 145 (NiK 1) bzw. durch die DE 33 11 197 A1 (NiK 2) bekannt ist. Gemäß Streitpatentschrift wird bei dem aus NiK 1 bekannten Verfahren die Lage eines Bogens durch elektrische Messelemente erfasst. Durch die aus der Messung resultierenden Signale der Messelemente werden Bogenfördermittel wie z. B. Vorgreifer oder auch Druckträger verstellt. Zu dem Verfahren zum passgenauen Zuführen von Bögen nach NiK 2 gibt die Streitpatentschrift an, dass der von Saugleisten an den Vordermarken festgehaltene Bogen seitlich ausgerichtet wird. Dabei sei ein Sensor vorgesehen, der den Hub der Seitenziehbewegung entsprechend der Bogen-Istlage steuert (Absätze [0002], [0003] der Streitpatentschrift).
Ausgehend von diesem Stand der Technik besteht die Aufgabe der streitpatentgemäßen Weiterbildung darin, in einer Bogendruckmaschine Anlageund Passerfehler vor der Bogenübergabe durch eine Lagekorrektur des in Laufrichtung an seiner Vorderkante durch Bogenhalter erfassten Bogens zu beseitigen oder weitestgehend zu minimieren (Absatz [0004] der Streitpatentschrift).
Diese Aufgabe soll gelöst werden durch eine Vorrichtung zur Passerkorrektur, bei der online die aktuelle Ist-Lage eines jeden Bogens festgestellt und nach einem Vergleich von Sollund Ist-Lage eine gegebenenfalls erforderliche Lagekorrektur des Bogens sowohl in Förderrichtung als auch quer dazu vorgenommen wird. Die Lagekorrektur soll dabei vor einer Übergabe des Bogens an das nachfolgende Bogenfördermittel durchgeführt werden und der Bogen während der Ausrichtbewegung im Bogenhalter sicher gehalten sein (Absatz [0006] der Streitpatentschrift). Die offenbarte Vorrichtung zur Passerkorrektur weist in der erteilten Fassung (H0) des Anspruchs 1 folgende Merkmale auf:
1/H0 Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine, 2/H0 die Vorrichtung weist mindestens ein Messelement (11, 23) auf, 2.1/H0 das Messelement (11, 23) misst eine Lage eines Bogens (15), 2.2/H0 das Messelement (11, 23) sendet Signale aus, 3/H0 die Vorrichtung weist Stellglieder (9, 21) auf, die durch die Signale des Messelements (11, 23) gesteuert werden, 4/H0 die Vorrichtung weist Bogenhalter (3, 19) auf, 4.1/H0 die Bogenhalter (3, 19) werden von den Stellgliedern (9, 21) verschoben, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, 4.2/H0 die Bogenhalter (3, 19) sind in einer Ebene allseits beweglich.
II.
Als Fachmann legt der Senat in Übereinstimmung mit den Parteien ein interdisziplinär arbeitendes Team aus einem Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau und einem Ingenieur der Fachrichtung Messund Regelungstechnik zugrunde, das bei einem Hersteller von Bogendruckmaschinen mit der Entwicklung von Einrichtungen zur Bogenförderung und -führung betraut ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.
1. Nach dem Verständnis dieses Fachmanns beruht die Vorrichtung zur Passerkorrektur nach dem erteilten Patentanspruch 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Aus der DE 33 01 722 A1 (NiK 6) ist eine Vorrichtung zur passgerechten Zuführung von Bogen zu einer Bogendruckmaschine bekannt (Seite 4, Zeilen 1, 2 i. V. m. Seite 7, Zeilen 20, 21; Figur 1), bei der ein Bogen zur Erzeugung der passgerechten Positionierung in seiner Lage verschoben werden kann (Anspruch 1 --> "durch eine Ausrichtevorrichtung bewegt"; S. 7, Z. 25). Die vorbekannte Vorrichtung ist demnach eine Vorrichtung zur Passerkorrektur im Sinne des o. g. Merkmals 1/H0. Zur Feststellung der Lage des Bogens 13 sind Messelemente vorgesehen, welche Signale weitergeben (Sensoren 9/16 der Abtasteinrichtung 25; vgl. die Ansprüche 7, 10; Figur 5 und die hier wiedergegebene Figur 3 der NiK 6). Die von Merkmal 2/H0 umfasste Variante betreffend eine Mehrzahl von Messelementen und ihre Funktion nach den Merkmalen 2.1/H0 und 2.2/H0 ist damit bei dieser Vorrichtung ebenfalls verwirklicht. Zur Lagekorrektur des Bogens wird dieser auf einem Saugkasten 5 lagefixiert (Seite 8, 4. Absatz). Der Saugkasten bildet somit einen Bogenhalter im Sinne des Merkmals 4/H0. Dieser Bogenhalter wird anschließend mitsamt dem festgehaltenen Bogen auf die von einer digitalen Steuerelektronik verarbeiteten Signale der Messelemente 9/16 hin quer zur Förderrichtung verschoben (Seite 8, 4. und letzter Absatz; Seite 10, letzter Absatz der NiK 6). Dies entspricht Merkmal 4.1/H0 des Streitpatents.
Der insoweit geschilderte Funktionsablauf setzt die Existenz von Stellgliedern für die Verschiebung des Bogenhalters (Saugkasten 5) zwingend voraus. Denn ohne Stellglieder, also Bauteile, die die Bewegung verursachen, kann der Saugkasten nicht maschinell verschoben werden (vgl. Seite 10, letzter Absatz). Stellglieder gemäß Merkmal 3/H0 liest der Fachmann aus diesem Funktionsablauf deshalb ohne Weiteres mit.
Schließlich kann der Bogen durch die Vorrichtung nach NiK 6 außer der Verschiebung quer zur Förderrichtung auch in Förderrichtung ausgerichtet werden. In NiK 6 ist dazu ausgeführt, dass für den Fall einer fließenden Bogenzuführung "mittels besonderer Steuerung des Saugkastens" eine Ausrichtung sowohl hinsichtlich der Seitenkante als auch hinsichtlich der Vorderkante des Bogens vorgenommen werden kann (Seite 9, 2. Absatz). Nähere Angaben zur konstruktiven Realisierung der "besonderen Steuerung" macht NiK 6 allerdings nicht. Nach Überzeugung des Senats liegt es aber für den Fachmann nahe, das für die Seitenkantenausrichtung in der NiK 6 vorgeschlagene Prinzip der Verschiebbarkeit des Saugkastens (Seite 8, 4. Absatz) auch für die Vorderkantenausrichtung zur Anwendung zu bringen. Denn es ist kein Grund erkennbar, warum der Fachmann angesichts der für die Seitenkantenausrichtung vorgeschlagenen Verschiebbarkeit des Saugkastens mit festgehaltenem Bogen für die Vorderkantenausrichtung eine andere Lösung suchen würde. Vielmehr wird er von der Seitenverschiebbarkeit ausgehend mit dem Hinweis "mittels besonderer Steuerung des Saugkastens eine Ausrichtung ... auch der Vorderkante" (Seite 9, 2. Absatz) den Bogenhalter auch für die Vorderkantenausrichtung verschiebbar und somit insgesamt in einer Ebene (Förderrichtung + Querrichtung) beweglich ausbilden. Die Korrekturbewegungen in Längsund Querrichtung müssen dann zwangsläufig auch voneinander unabhängig steuerbar sein, denn bei einer Fehlausrichtung des Bogens gibt es ebenfalls keine feste Abhängigkeit zwischen Längsund Querposition (vgl. Figur 3, Pos. 13). Ist der Bogenhalter aber nach Längsund Querrichtung jeweils unabhängig bewegbar, so ist er in besagter Ebene auch "allseits" bewegbar. Denn die Ebene ist durch lediglich zwei orthogonal zueinander orientierte Richtungen definiert, die "alle Seiten" der Ebene darstellen. Demnach ist auch das Merkmal 4.2/H0 bei der aus NiK 6 entnehmbaren Vorrichtung verwirklicht.
Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass bei der geschilderten Arbeitsweise der Vorrichtung nach NiK 6 Messung und Verschiebung des Bogens auch "im Greiferschluss" (desselben Bogenhalters) erfolgen, wie es die Patentinhaberin durch den Wortlaut des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vorgeschrieben sehen will.
Der von der Patentinhaberin außerdem geäußerten Auffassung, der Fachmann würde zur Realisierung der in NiK 6 angegebenen "besonderen Steuerung des Saugkastens" zur Vorderkantenausrichtung (Seite 9, 2. Absatz) den Bogen bei Erreichen des zugehörigen Messelements 16 durch Sauglufteinwirkung stoppen und damit den Bogenhalter nur in Seitenrichtung, nicht aber in Förderrichtung beweglich ausgestalten (zu Merkmal 4.2/H0), folgt der Senat nicht. Denn eine positionsgenaue Bremsung des Bogens durch Saugwirkung mit der für eine Passerkorrektur erforderlichen Präzision, bei der es auf Bruchteile von Millimetern ankommen kann, erscheint aus maschinentechnischer Sicht äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Der Fachmann würde eine solche Lösung jedenfalls mit Skepsis betrachten und die bereits für die Seitenkantenausrichtung als geeignet vorgeschlagene Verschiebung des Bogenhalters mit festgehaltenem Bogen unbedingt favorisieren.
Auch vermochte die Patentinhaberin den Senat nicht davon zu überzeugen, dass "allseits beweglich" in o. g. Merkmal 4.2/H0 des Patentanspruchs 1 grundsätzlich auch eine -bei der Vorrichtung nach NiK 6 nicht vorhandene -Verdrehbarkeit des Bogenhalters um die Hochachse der Förderebene einschließt. Denn schon allein mit einer Verschiebbarkeit des Bogenhalters in Längsrichtung und unabhängig davon in Querrichtung ist jeder beliebige Punkt der Ebene anfahrbar. Damit ist ein durch den jeweiligen maximalen Verstellweg begrenzter Flächenbereich innerhalb der Ebene vollständig abgedeckt und nach "allen" Seiten (Länge und Breite) ansteuerbar ("allseits" --> "nach allen Seiten", Duden -Deutsches Universalwörterbuch 6. Auflage 2006 [CD-ROM]). Die Verdrehbarkeit des Bogenhalters liest der Fachmann auch nicht in Zusammenschau mit den Angaben der streitpatentgemäßen Beschreibung in "allseits beweglich" hinein. Denn gerade in Bezug auf die Erfindungsmerkmale ist dort lediglich von einer Lagekorrektur des Bogens sowohl in Förderrichtung als auch quer dazu die Rede, von einer Verdrehung aber gerade nicht (Absatz [0006]). Lediglich für das Ausführungsbeispiel nach den Figuren 2, 3 (Anlegetisch mit Saugleiste) ist eine unabhängige Aktivierbarkeit der beiden an den axialen Enden der Saugleiste angeordneten Stellglieder angegeben (Absatz [0014], linke Spalte, vorletzte Zeile bis rechte Spalte, 5. Zeile), welche eine Verdrehung um eine Hochachse ermöglicht. Spezielle Ausgestaltungen nach einem Ausführungsbeispiel müssen aber nicht zwangsläufig am Gegenstand bereits des Hauptanspruchs verwirklicht sein. Dementsprechend ist eine unabhängige Aktivierbarkeit der Stellglieder (auch der in derselben Richtung wirkenden) auch im Streitpatent erst Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 5. Somit besteht auch unter Einbeziehung der Angaben in der Beschreibung kein Anlass, in "allseits beweglich" gemäß o. g. Merkmal 4.2/H0 des Patentanspruchs 1 eine grundsätzliche Verdrehbarkeit des Bogenhalters hineinzulesen.
2. Zum Hilfsantrag 1 (H1) Auch die Vorrichtung zur Passerkorrektur nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
In Form einer Merkmalsgliederung lautet dieser Patentanspruch 1 wie folgt (Abwiechungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch Streichung und Fettdruck hervorgehoben):
1/H1 Vorrichtung zur Passerkorrektur in einer Bogendruckmaschine, 2/H1 die Vorrichtung weist mindestens ein Messelement Messelemente (11, 23) auf, 2.1/H1 das Messelement (11, 23) misst die Messelemente (11, 23) messen eine Lage eines Bogens (15), 2.2/H1 das Messelement (11, 23) sendet die Messelemente (11, 23) senden Signale aus, 4.1/H1 die Bogenhalter (3, 19) werden von den Stellgliedern (9, 3/H1 die Vorrichtung weist Stellglieder (9, 21) auf, die durch die Signale des Messelements der Messelemente (11, 23)
gesteuert werden, 4/H1 die Vorrichtung weist Bogenhalter (3, 19) auf, 21) verschoben, während der Bogen (15) von den Bogenhaltern (3, 19) festgehalten ist, 4.2/H1 die Bogenhalter (3, 19) sind in einer Ebene allseits durchmit den Bogenhaltern (3, 19) verbundene, unabhängigvoneinander steuerbare Stellglieder (9, 21) beweglich.
Wie aus vorstehender Merkmalsgliederung ersichtlich, besteht hinsichtlich der Merkmale 1 bis 4.1 der Unterschied zum erteilten Patentanspruch 1 nur darin, dass grundsätzlich mehr als ein Messelement vorgesehen ist. Dieses ist aber -wie oben zum Hauptantrag ausgeführt -aus NiK 6 bekannt. Hinsichtlich der Merkmale 1/H1 bis 4.1/H1 ergibt sich daher im Ergebnis keine andere Bewertung gegenüber dem Stand der Technik nach NiK 6 als zum erteilten Patentanspruch 1. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird deshalb auf die diesbezüglichen obenstehenden Ausführungen verwiesen.
Auch zu der Verschiebbarkeit von Bogenhaltern durch mit ihnen verbundene, unabhängig voneinander steuerbare Stellglieder (Merkmal 4.2/H1) kommt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun. Denn aus NiK 6 unmittelbar entnehmbar ist die Verschiebbarkeit des Bogenhalters (Saugkasten 5) durch Stellglieder in Seitenrichtung. Mit der Angabe "mittels besonderer Steuerung des Saugkastens 5 eine Ausrichtung ... auch der Vorderkante" (Seite 9, 2. Absatz) ist dem Fachmann -wie oben zu Merkmal 4.2/H0 dargelegt -auch die Verschiebbarkeit des Bogenhalters in Förderrichtung und damit auch ein zusätzlicher unabhängiger Antrieb (Stellglied) nahegelegt. Zu näheren Einzelheiten hierzu wird auf diese Darlegungen zu Merkmal 4.2/H0 verwiesen, die hier gleichermaßen Gültigkeit haben.
3. Zum Hilfsantrag 2 (H2) Die Vorrichtung zur Passerkorrektur nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Dieser Patentanspruch 1 fügt dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 bei ansonsten gleichlautenden Merkmalen 1 bis 4.2 eine weiteres Merkmal 4.3/H2 hinzu. Dieses lautet:
4.3/H2 zwei Stellglieder (9) sind unabhängig voneinander in Förderrichtung des Bogens und ein Stellglied (21) quer zur Förderrichtung des Bogens aktivierbar.
Die Merkmale 1 bis 4.2 vermögen eine Patentfähigkeit nicht zu begründen. Dies ergibt sich aus den diesbezüglichen Ausführungen zu Hilfsantrag 1, die hier in gleicher Weise gelten. Die bloße Existenz unabhängig voneinander aktivierbarer Stellglieder als solche ist schon aus NiK 6 entnehmbar, nämlich ein Antrieb für die Querbewegung des Bogenhalters und ein weiterer Antrieb für dessen Bewegung in Förderrichtung.
Nicht entnehmbar aus NiK 6 ist die im Merkmal 4.3/H2 geforderte Verwendung zweier Stellglieder, die unabhängig voneinander in Förderrichtung des Bogens aktivierbar sind. Sinn und Zweck dieser beiden Stellglieder ist es, die Verdrehung des Bogenhalters um eine Hochachse der Förderebene zu ermöglichen. Dadurch können Schieflagen des Bogens korrigiert werden. Bei der in NiK 6 angegebenen Variante der Verschiebbarkeit des Saugkastens 5 nur nach der Seite (Figur 2 der NiK 6) findet die Vorderkantenausrichtung des Bogens an vorderen Anschlägen 11 des Anlegetisches 1 statt (vgl. Seite 8, 2. Absatz; Figuren 1, 2). Dabei wird eine eventuelle Schieflage der Bogenvorderkante bei einseitigem Anlaufen des Bogens gegen die Anschläge ausgeglichen, indem der Bogen sich infolge seiner Bewegungsenergie um den einseitigen Anschlagpunkt dreht, bis die Vorderkante insgesamt entlang der Anschlaglinie anliegt und damit ausgerichtet ist. NiK 6 sieht jedoch nicht vor, dass der Bogen am Anlegetisch stoppt und damit durch den Saugkasten auch in Förderrichtung ausgerichtet wird; die vorderen Anschläge fehlen (Seite 7, 2. Absatz; Seite 9, 2. Absatz). Damit kann eine Schieflage des Bogens an dieser Stelle der Maschine (Anlegetisch) nicht mehr korrigiert werden.
Die Möglichkeit zur Schieflagekorrektur ist aber für eine vollständige Passerausrichtung unerlässlich. Sie liegt bei einer Weiterentwicklung einer Vorrichtung zur Passerkorrektur daher grundsätzlich im Blickfeld des Fachmanns. Der Fachmann wird demnach auch bei der anschlaglosen Variante nach NiK 6 nicht an einen Verzicht auf eine Schieflagekorrektur denken, sondern diese einer in NiK 6 nicht dargestellten Einrichtung zuschreiben. Eine Drehlage-Ausrichtung mit Anschlagwirkung, wie sie NiK 6 in der Variante mit nur nach der Seite verstellbarem Saugkasten vorsieht, lässt sich aber nur bei der Zuführung zum Druckwerk mit Erfolg verwirklichen (NiK 6 betrifft die passgerechte Zuführung; vgl. Bezeichnung Deckblatt Feld 54, Anspruch 1, Seite 1 Zeile 1). Innerhalb der Druckmaschine stromabwärts vom ersten Druckwerk wird der Bogen nämlich von Zylinder zu Zylinder durch Greifeinrichtungen "weitergereicht", wobei die Greifeinrichtung des übergebenden Zylinders erst öffnet, wenn die Greifeinrichtung des übernehmenden Zylinders bereits geschlossen ist. Der Bogen ist auf diese Weise ununterbrochen im Greiferschluss und daher relativ zum jeweiligen Bogenfördermittel ortsfest. Eine Relativverschiebung des Bogens losgelöst vom Bogenfördermittel ist auf diese Weise gar nicht möglich.
Angesichts dieses Sachverhalts, der zum grundlegenden Fachwissen des Fachmanns gehört, ist der Fachmann ausgehend vom Stand der Technik nach NiK 6 geradezu gezwungen, eine Möglichkeit für die dort nicht entnehmbare Schieflagekorrektur ohne Anschlagwirkung zu finden. Abgesehen davon, dass die Verwendung zweier axial beabstandeter, in Förderrichtung unabhängig aktivierbarer Antriebe ein sich dem Fachmann schon aus seinen Grundlagenkenntnissen maschinenbaulicher Konstruktionslehre ohne Weiteres ergebendes Konstruktionsprinzip zur Schieflagekorrektur darstellt, kennt der Fachmann dieses Prinzip auch aus seiner fachspezifischen Tätigkeit im einschlägigen Fachgebiet der Passerund Registerkorrektur bei Bogendruckmaschinen. Denn dort war dieses Prinzip am Anmeldetag des Streitpatents bereits mehrfach vorgeschlagen. Belegt wird dies durch die Entgegenhaltungen DD 90 145 (NiK 1) und US 5 040 460 (NiK 5), die beide in der mündlichen Verhandlung diskutiert wurden. Die dort beschriebenen Bogenhalter weisen axial beabstandete und unabhängig voneinander aktivierbare Antriebe zur Schieflagekorrektur auf (vgl. NiK 1, Spalte 5, Zeilen 20 bis 29 i. V. m Figur 3; vgl. NiK 5, Spalte 6, Zeilen 36 bis 52 i. V. m. Figuren 2, 3). Demnach ist die Kenntnis des besagten Konstruktionsprinzips dem präsenten Fachwissen des Fachmanns zuzurechnen. Dieses Prinzip angesichts der zur Schieflagekorrektur fehlenden Angaben in NiK 6 an die aus dieser Druckschrift entnehmbare Vorrichtung -zumal in der in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lediglich prinziphaft angegebenen Weise -zu übernehmen, ist naheliegend.
4.
Nach alledem kann das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes der unzulässigen Erweiterung sowie die Zulässigkeit des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 ebenso wie die Neuheit ihrer Gegenstände dahinstehen.
5.
Hinsichtlich der Unteransprüche ist ein eigenständiger erfinderischer Gehalt weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich (BGH Urt. v. 12. Dezember 2006 -X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 -Schussfädentransport).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 17.06.2009
Az: 5 Ni 10/09
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