Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Juli 2009
Aktenzeichen: 9 W (pat) 103/04

(BPatG: Beschluss v. 22.07.2009, Az.: 9 W (pat) 103/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Einsprechende hat gegen das am 23. Dezember 1994 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Tragflügel mit Mitteln zum Verändern des Profils"

Einspruch eingelegt. Die Patentabteilung 22 des Deutschen Patentund Markenamts hat nach Prüfung des Einspruchs das Patent mit Beschluss vom 9. Juli 2004 in vollem Umfang aufrechterhalten. Zur Begründung führt sie aus, dass der Einspruch unzulässig sei, da er nicht ausreichend substantiiert sei. Denn die Einspruchsbegründung habe sich nur mit Teilaspekten und nicht mit der gesamten patentierten Lehre befasst. Der Einspruchsbegründung sei nämlich zu dem Merkmal "Mittel zur Verminderung von Überschallstößen im hinteren Bereich der oberen Flügelschale" nichts zu entnehmen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Einsprechende mit seiner Beschwerde. Nach Auffassung des Einsprechenden ist der Einspruch zulässig. Denn eine Verpflichtung zu einer Gegenüberstellung der Merkmale des Patentanspruchs 1 Punkt für Punkt mit dem bekannten Gegenstand ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Vielmehr reiche es für die Zulässigkeit aus, wenn sich die Einspruchsbegründung mit dem eigentlichen Kern der erfindungsgemäßen Lehre befasse. Bei dem im angegriffenen Beschluss angeführten Merkmal "Mittel zur Verminderung von Überschallstößen im hinteren Bereich der oberen Flügelschale" handele es sich nicht um ein eigenständiges Merkmal, sondern um eine Wirkungsoder Zweckangabe. Ausführungen zu diesem Merkmal seien daher in der Einspruchsbegründung nicht erforderlich.

Der Einspruch sei nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Denn ein Tragflügel mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sei aus der WO 96/07852 A1 bekannt.

Die Einsprechende beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren. Der Einspruch sei nicht zulässig, da sich die Einspruchsbegründung nicht mit der gesamten Erfindung befasse. Außerdem sei er unzulässig, da zum Stand der Technik eine nach dem Anmeldetag des Streitpatents angemeldete und veröffentlichte Schrift angeführt sei, jedoch dem Einspruchsschriftsatz nicht zu entnehmen sei, ob diese Schrift mit den prioritätsbegründenden Unterlagen der älteren, allein maßgebenden ursprünglichen Anmeldung beim Schweizer Patentamt übereinstimmt. Außerdem sei der beanspruchte Gegenstand patentfähig, da die angeführte WO 96/07852 A1 keinen Tragflügel mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 zeige.

Der Patentanspruch 1 gemäß Streitpatent lautet:

Tragflügel, bei dem als Mittel zur Verminderung von Überschallstößen im hinteren Bereich der oberen Flügelschale wenigstens ein durch Verformung mittels steuerbarer Betätigungsmittel örtlich überhöhbarer Abschnitt der Flügelhaut vorgesehen ist, der sich über einen wesentlichen Teil der Flügelspannweite erstreckt, dadurch gekennzeichnet, dass der verformbare Abschnitt (14) der Flügelhaut aus einem Faserverbundwerkstoff besteht, dessen Fasern orthotrop so ausgerichtet sind, dass die Flügelhaut in Richtung der Flügeltiefe eine geringe und in Richtung der Flügelspannweite eine große Biegesteifigkeit aufweist.

Dem Patentanspruch 1 schließen sich die erteilten Patentansprüche 2 bis 11 an.

II.

Die statthafte Beschwerde ist zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg, da der Einspruch unzulässig ist.

1. Bei Tragflügeln für den transsonischen Geschwindigkeitsbereich kommt es im hinteren Teil des Tragflügelprofils zu Überschallstößen, die in Abhängigkeit von der Strömungsgeschwindigkeit auf der Oberseite des Tragflügels in unterschiedlichen Tiefenbereichen des Tragflügels auftreten und die zu einer Erhöhung des aerodynamischen Widerstandes führen und damit wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebes eines Flugzeuges haben.

Zur Verminderung dieser Überschallstöße ist jeweils im hinteren Bereich der oberen Flügelschale wenigstens ein durch Verformung mittels steuerbarer Betätigungsmittel örtlich überhöhbarer Abschnitt der Flügelhaut vorgesehen, der sich über einen wesentlichen Teil der Flügelspannweite erstreckt.

Mit dem Streitpatent soll die Tragflügelhaut des Tragflügels so ausgestaltet werden, dass die Überhöhung der Flügelhaut in Richtung der Flügeltiefe in einem engen Bereich durchführbar ist, die Betätigungskräfte verringert werden können und die Verformung über die Zeit genau reproduzierbar ist.

Diese Aufgabe wird gemäß der Erfindung gelöst mit einem Tragflügel mit folgenden Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents:

Tragflügela) Der Tragflügel weist Mittel zur Verminderung von Überschallstößen auf. b) Die Mittel sind im hinteren Bereich der oberen Flügelschale angeordnet. c) Als Mittel ist wenigstens ein durch Verformung örtlich überhöhbarer Abschnitt der Flügelhaut vorgesehen. d) Die Verformung erfolgt mittels steuerbarer Betätigungsmittel. e) Der überhöhbare Abschnitt erstreckt sich über einen wesentlichen Teil der Flügelspannweite. f) Der verformbare Abschnitt der Flügelhaut besteht aus einem Faserverbundwerkstoff.

g) Die Fasern des Faserverbundwerkstoffs sind orthotrop ausgerichtet.

h) Die Ausrichtung der Fasern ist derart, dass die Flügelhaut in Richtung der Flügeltiefe eine geringe und in Richtung der Flügelspannweite eine große Biegesteifigkeit aufweist.

Ein patentgemäßer Tragflügel 2 ist hier wiedergegeben. Die überhöhbaren Abschnitte im hinteren Bereich der oberen Flügelschale 4 sind mit der Bezugsziffer 8, 8a und 8b bezeichnet.

2. Der Einspruch ist unzulässig.

Nach § 59 Abs. 1 Satz 2 bis 5 PatG kann ein Einspruch nur auf einen der in § 21 PatG genannten Widerrufsgründe gestützt werden. Außerdem ist der Einspruch zu begründen. Zur Begründung sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen anzugeben. Darunter ist die Gesamtheit der Tatsachen zu verstehen, aus denen die vom Einsprechenden begehrte Rechtsfolge, nämlich der Widerruf des Patents, hergeleitet wird. Diese Angaben müssen, soweit sie nicht schon in der Einspruchsschrift enthalten sind, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist schriftlich nachgereicht werden.

Die Begründung eines Einspruchs genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nur dann, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände so vollständig darlegt, dass der Patentinhaber und insbesondere das Patentamt daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können (BGH X ZB 14/86 -Streichgarn; BGH X ZB 24/86 -Alkyldiarylphospin; BGH X ZB 10/87 - Datenkanal). Diesen Anforderrungen genügt die vom Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist vorgelegte Einspruchsbegründung nicht.

2.1 Der Einsprechende hat sich in der Begründung des Einspruchs nicht mit der Gesamtheit der im Patentanspruch 1 angegebenen Erfindung, sondern lediglich mit Teilaspekten und Teilmerkmalen der Erfindung auseinandergesetzt.

Der Einsprechende stützt seinen Einspruch auf mangelnde Neuheit des beanspruchten Gegenstands. Denn aus der WO 96/07852 A1 sei ein Tragflügel mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents bekannt. Beim Vergleich des beanspruchten mit dem bekannten Gegenstand werden wesentliche Merkmale des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht abgehandelt. So fehlen Behauptungen, an welcher Stelle der entgegengehaltenen WO-Schrift die Merkmale a) und b) des Patentanspruchs 1 des Streitpatents offenbart sind.

a) Entgegen der Auffassung des Einsprechenden handelt es sich bei diesen Merkmalen nicht um Wirkungsund Zweckangaben, sondern um für den beanspruchten Gegenstand wesentliche Merkmale. Beim Gegenstand des Streitpatents geht es nämlich darum, an einer bestimmten Stelle des Tragflügels, nämlich im hinteren Bereich der oberen Flügelschale, überhöhbare, verformbare Abschnitte anzuordnen (Merkmale a) bis e) entsprechend dem Oberbegriff des Patentanspruch 1 des Streitpatents). Nur bei einer Anordnung der verformbaren Abschnitte in diesem Bereich der Tragflügel lassen sich Überschallstöße vermindern und der aerodynamische Widerstandsbeiwert verringern. Daher sind in der Begründung des Einspruchs Ausführungen zu diesem Punkt und vor allem zu den Merkmalen a) und b), in denen die Anordnung der überhöhbaren Abschnitte angegeben ist, unerlässlich.

b) Diese beanspruchte Anordnung war auch nicht ohne Weiteres der Beschreibung oder den Figuren der WO 96/07852 A1 zu entnehmen. Die WO-Schrift betrifft einen "multifunktionalen Konstruktionskörper". Sie umfasst insgesamt 82 Seiten Beschreibung, 36 Patentansprüche und 108 Figuren. Wie der Einsprechende einräumt, sind Tragflügel nicht ausdrücklicher Gegenstand dieser Entgegenhaltung. Vielmehr geht es dort um einen beliebig verwendbaren, multifunktionalen, im Makround Mikrobereich konkretisierbaren Konstruktionskörper (M-Körper)" (Seite 1, Absatz 2 der WO-Schrift), der aus einer Menge Vj mit einer Teilmenge Ejn von Energieleitern und einer Teilmenge Ijm von Grundkörperteilen mit einer verformbaren, kraftübertragenden Teilmenge Esj und einer verformbaren Teilmenge ELj besteht (Patentanspruch 1 der WO-Schrift). Eine Beziehung zu einem Tragflügel ist offensichtlich nicht erkennbar.

Den Figuren ist ebenfalls nicht ohne Weiteres entnehmbar, ob beim angeführten Stand der Technik die Merkmale a) und b) realisiert sind. Beispielsweise ist hier die Figur 3 dieser Entgegenhaltung wiedergegeben.

Die in dieser und in den weiteren Figuren dargestellten Gegenstände lassen keinerlei Bezug zu einem Tragflügel erkennen, so dass auch eine Anordnung überhöhbarer Abschnitte an einem Tragflügel nach den Merkmalen a) und b) des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht, erkennbar ist.

Damit waren Patentinhaber und Patentamt ohne unzumutbaren Aufwand und ohne eigene Ermittlungen nicht in der Lage, die Bestandsfähigkeit des Patents gegenüber dem im Einspruchsschriftsatz genannten Stand der Technik zu beurteilen. Vielmehr wären zur ausreichenden Substantiierung des Einspruchs gerade angesichts dieser grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem beanspruchten und dem bekannten Gegenstand und angesichts des Umfangs der Entgegenhaltung konkrete Angaben erforderlich, an welcher Stelle dieser Schrift welches Merkmal des Streitgegenstands aus welchem Grunde für den Fachmann als offenbart angesehen werden soll. Diese Ausführungen fehlen bezüglich der Merkmale a) und b) vollständig.

Das Patentamt war daher nicht in der Lage, aus der Begründung des Einspruchs abschließende Folgerungen für das Vorliegen des Widerrufsgrundes der mangelnden Patentfähigkeit zu ziehen.

2.2 Der Einspruch ist auch unzulässig, da der Einsprechende seine Behauptungen nicht auf einen für das Streitpatent relevanten Stand der Technik gestützt hat.

Die vom Einsprechenden angeführte WO 96/07852 A1 ist am 5. September 1995 und somit nach dem Anmeldetag des Streitpatents vom 23. Dezember 1994 als PCT-Anmeldung angemeldet worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 14. März 1996. In der WO 96/07852 A1 wird die Priorität einer Schweizer Voranmeldung vom 5. September 1994 in Anspruch genommen, die vor dem Anmeldetag des Streitpatents liegt. Bestimmungsstaat ist u. a. Deutschland (über das europäische Patent benannt).

Nach § 3 Abs 2 Satz 1 gilt als Stand der Technik der Inhalt einer internationalen Patentanmeldung nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung. Anmeldeamt ist hier das Schweizer Patentamt. Zu berücksichtigender Stand der Technik ist allein die beim Schweizer Patentamt ursprünglich eingereichte Fassung der Anmeldung. Die WO-Anmeldung ist als Stand der Technik nicht relevant, da ihre Anmeldung nach dem Anmeldetag des Streitpatents erfolgte. Der Einsprechende hat seinen Einspruch jedoch ausschließlich auf diese nicht relevante WO-Schrift gestützt. An keiner Stelle der Einspruchsbegründung wird eine Behauptung aufgestellt, dass diese WO-Schrift mit der ursprünglichen Schweizer Anmeldung vollständig oder bezüglich der hier relevanten Passagen übereinstimmt. Eine Überprüfung dieser Übereinstimmung ist dem Patentamt nicht ohne Weiteres möglich, da kein direkter Zugang zu Schweizer Patentanmeldungen besteht. Eine Gleichsetzung des Inhalts der WO-Schrift mit dem Inhalt des Schweizer Anmeldung ist nicht zulässig, da bekanntlich häufig erhebliche Unterschiede zwischen einer prioritätsbegründenden Anmeldung und einer Nachanmeldung bestehen. Beispielsweise wird darauf hingewiesen, dass sich derartige Unterschiede zwangsläufig bei der Inanspruchnahme mehrerer Prioritäten ergeben.

2.3 Der Einsprechende hat in der Einspruchsbegründung zusätzlich in der WO 96/07852 A1 zitierte 13 Literaturstellen angeführt. Im Einspruchsschriftsatz wird jedoch keinerlei Beziehung zwischen diesen Literaturstellen und dem beanspruchten Gegenstand hergestellt und sie werden auch nicht zu einem Widerrufsgrund angeführt, so dass der Einspruch auch insoweit unzulässig ist.

Pontzen Bork Bülskämper Friehe Ko






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Az: 9 W (pat) 103/04


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