Oberlandesgericht Rostock:
Beschluss vom 23. Februar 2007
Aktenzeichen: 8 W 99/06
(OLG Rostock: Beschluss v. 23.02.2007, Az.: 8 W 99/06)
Der Ermäßigungstatbestand des KV 1211 Nr. 2 GKG kommt auch dann zum Tragen, wenn das Gericht wegen widerstreitender Kostenanträge nach einem Teilanerkenntnis gemäß § 93 ZPO in einem Schlussurteil über die Kosten zu entscheiden hat.
Tenor
Die Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Rostock gegen den Beschluss des Landgerichtes Rostock vom 17.10.2006 (Az. 4 O 87/06) wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert wird auf 272 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer Klage vom 28.02.2006 begehrte die Klägerin Zahlung von 5.554,46 EURO. Mit Schriftsatz vom 29.03.2006 erkannte der Beklagte einen Teil der Forderung in Höhe von 5.268,61 EURO an. Daraufhin erließ das Landgericht Rostock unter dem 03.04.2006 ein Teil-Anerkenntnisurteil. Mit Schriftsatz vom 28.04.2006 erklärte die Klägerin Klagerücknahme im Hinblick auf die verbliebene Forderung. Das Landgericht Rostock erließ sodann unter dem 24.05.2006 ein Schlussurteil, welches mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen war. Hierbei setzte sich die Kammer mit § 93 ZPO auseinander, weil der Beklagte sein Teil-Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast erklärt hatte.
Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 23.06.2006 die Festsetzung der Kosten. In dem daraufhin am 28.08.2006 erlassenen Beschluss legte die Rechtspflegerin beim Landgericht Rostock drei Gerichtsgebühren gemäß KV 1210 GKG zugrunde. Hiergegen legte der Beklagte Erinnerung ein. Zur Begründung führte er aus, dass vorliegend der Ermäßigungstatbestand des KV 1211 GKG einschlägig sei, weil das Verfahren durch Teil-Anerkenntnis und Klagerücknahme erledigt worden sei. Das Landgericht half der Erinnerung nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Rostock mit Beschluss vom 17.10.2006 und ermäßigte die Gerichtsgebühren auf eine Gebühr, mithin auf 136 EURO.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Rostock vom 19.10.2006. Er ist der Auffassung, eine solche Ermäßigung entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers zum KV 1211 GKG. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamburg vom 04.05.2005 (Az. 8 W 91/05, MDR 2005, 1195) vertritt der Bezirksrevisor die Auffassung, eine Ermäßigung käme nur dann in Betracht, wenn das gesamte Verfahren durch ein Anerkenntnisurteil beendet werde, welches weder eines Tatbestandes noch der Entscheidungsgründe bedürfe. Allein die ausführliche Begründung im Schlussurteil vom 24.05.2006 zeige, dass das Verfahren gerade nicht mit der Klagerücknahme und dem Anerkenntnis Erledigung gefunden habe.
Das Landgericht Rostock half der Beschwerde mit Beschluss vom 20.10.2006 nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
II.
Die zulässige Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Rostock gegen die Entscheidung über die Erinnerung ist gemäß § 66 Abs. 2 GKG zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht Rostock angenommen, dass vorliegend nur eine Gerichtsgebühr angefallen ist, weil die Voraussetzungen der Nr. 1a, 2 KV 1211 GKG gegeben sind.
Ob eine Gebührenermäßigung nach KV 1211 Nr. 2 GKG entfällt, wenn ein Teil-Anerkenntnisurteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen ist, weil die Parteien im Hinblick auf den Kostenpunkt widerstreitende Anträge gestellt haben und die Kostenentscheidung deshalb nach § 93 ZPO ergeht, wird in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers diskutiert. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine Ermäßigung dann nicht in Betracht käme, wenn das Gericht noch über die Kosten des Rechtsstreites nach den §§ 91, 93 ZPO zu entscheiden habe (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 03.11.1999, Az. 8 W 337/99, MDR 2000, 111; OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2001, Az. 23 W 389/01, AGS 2002, 183; OLG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2005, Az. 8 W 91/05, MDR 2005, 1195; LG Magdeburg, Beschluss vom 08.07.2003, Az. 9 O 1235/01, Juristisches Büro 2004, 325; Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 307 Rdnr. 21;Zöller-Herget, ZPO, § 93, Rdnr. 7 - ohne Begründung; Zöller-Vollkommner, ZPO, § 307, Rdnr. 12 - ohne Begründung; Oesterreich/Winter/Hellstab, GKG KV 1211 Rdnr. 23, Herget in: MDR 1995, 1097; Lappe, in: NJW 1996, 1185, 1186). In einem solchen Fall könne nämlich schon nicht von einer Beendigung des gesamten Verfahrens durch Anerkenntnis gesprochen werden, denn ein Anerkenntnisurteil müsse stets ohne jede Sachprüfung ergehen. Dies entspräche auch dem gesetzgeberischen Willen, denn bei Schaffung des Ermäßigungstatbestandes sei es erkennbar darum gegangen, den Entscheidungsaufwand des Gerichtes zu minimieren. Dies werde auch daran deutlich, dass der Gesetzgeber im Falle einer streitigen Kostenentscheidung im Rahmen des § 91a ZPO von einer Gebührenprivilegierung nach KV 1211 GKG ausdrücklich abgesehen habe (vgl. BT-Drucksache, 15/1971, 159 - 160). Nicht anders seien jene Fälle zu betrachten, in denen der Beklagte anerkennt, aber eine Entscheidung über die Kosten nach § 93 ZPO begehre. Schließlich ergebe sich eine solche Auslegung aus dem Ermäßigungstatbestand selbst. Die Kostenvorschrift des KV 1211 GKG solle die Berechnung nämlich möglichst einfach handhabbar gestalten. Eine einfache Handhabung entfalle jedoch dann, wenn Ausnahmen von den postulierten Grundsätzen in die Vorschriften hineingelesen würden, für die sich keine sonstigen Anhaltspunkte bieten würden.
Demgegenüber vertritt der Senat mit der wohl herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung, dass die Anwendung des KV 1211 Nr. 2 GKG kein Anerkenntnis im Kostenpunkt voraussetzt. Der Ermäßigungstatbestand kommt auch dann zum Tragen, wenn das (Teil-) Anerkenntnisurteil infolge streitiger Kostenanträge zu begründen ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28.05.1996, Az. 1 W 4275/95, Juristisches Büro 1997, 93 - 94; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.01.1997, Az. 13 W 4/97, MDR 1997, 399 - 400; OLG München, Beschluss vom 14.10.1997, Az. 11 W 2624/97, MDR 1998, 242; OLG Bremen, Beschluss vom 29.01.2001, Az. 2 W 4/01, Juristisches Büro 2001, 373, OLG Dresden, Beschluss vom 06.09.2001, Az. 3 W 1117/01, Juris; OLG Köln, Beschluss vom 30.01.2002, Az. 4 WF 11 /02, FamRZ 2003, 1766 - 1767; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.11.2002, Az. 3 W 3373/02, MDR 2003, 295; OLG Naumburg, Beschluss vom 25.02.2004, Az. 6 W 13/04, Juristisches Büro 2004, 324 - 325; Münchener Kommentar - Mussieliak, ZPO, § 308, Rdnr. 30; Zöller-Greger, ZPO, § 254, Rdnr. 27 - ohne Begründung; Hartmann, Kostengesetz, KV 1211 GKG, Rdnr. 9; Schneider, zur Gebührenermäßigung nach GKV Nr. 1211 b, AGS 2003, 121; Schneider, Gerichtskosten, BRAGO-Report 2002, 73 - 74; Solltemann, in: MDR 1995, 1096). Dafür sprechen neben dem Wortlaut des Gesetzes vor allem teleologische und systematische Argumente.
Nach dem klaren Wortlaut der Norm ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf eine Gebühr, wenn das gesamte Verfahren durch Anerkenntnisurteil beendet wird. Eine Differenzierung danach, ob das Anerkenntnisurteil wegen gegensätzlicher Kostenanträge begründet werden musste, enthält die genannte Vorschrift ebenso wenig wie eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Anerkenntnisurteilen, nämlich solche mit oder ohne Gründe. Jede andere Auslegung des Ermäßigungstatbestandes würde dazu führen, eine insoweit eindeutige Regelung unklar werden zu lassen.
Auch die systematischen Überlegungen in Bezug auf § 91a ZPO vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Bei dem völlig unterschiedlichen Gewicht der Prüfungserfordernisse kommt eine Übertragung der für § 91a ZPO geregelten Rechtsfolgen auf den Fall des § 93 ZPO nicht in Betracht. Überlassen nämlich die Parteien in einem Vergleich die Kostenregelung dem Gericht, so wird für die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO eine weitgehende Auseinandersetzung mit dem Streitstoff erforderlich, sodass im Hinblick auf Wortlaut, Systematik und Zweck der Kostenvorschriften eine Gebührenermäßigung ausgeschlossen ist. Solche Anknüpfungspunkte sind für den Fall einer Kostenentscheidung im Anerkenntnisurteil aber nicht gegeben. Das ist auch durchaus sinnvoll, weil die Überprüfung der Voraussetzungen des § 93 ZPO eine Auseinandersetzung mit dem Streitstoff des Rechtsstreits gerade nicht erfordert. Hier geht es nur um die sehr eingeschränkte Frage, ob der Beklagte zur Klage Anlass gegeben und rechtzeitig anerkannt hat.
Gegen einen Ausschluss des Ermäßigungstatbestandes sprechen auch teleologische Erwägungen. Zwar wollte der Gesetzgeber im Rahmen des KV 1211 GKG den Umfang richterlicher Tätigkeiten beim Anfall der Gebühren berücksichtigen (vgl. BT-Drucksache 15/1971, a.a.O.). Diese Intention hat er aber gerade nicht zum Anlass genommen, Anerkenntnisurteile im Hinblick auf den jeweiligen Begründungszwang für die Kostenentscheidung zu differenzieren. Das ist auch konsequent, denn der zu erbringende Arbeitsaufwand richtet sich eben nicht nur nach jenem Begründungszwang. Unter Umständen kann schon das Erreichen eines materiellen Anerkenntnisses einen erheblichen Arbeitsaufwand auslösen. Dass aber bei KV 1211 GKG die eventuellen Schwierigkeiten, in der Sache eine Anerkenntnis zu erzielen, zu berücksichtigen wären, behauptet auch die Gegenansicht nicht. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber mit der Einführung bestimmter Gebührenermäßigungstatbestände dafür entschieden, nicht auf den Aufwand im Einzelfall, sondern auf eine typisierte Betrachtung abzustellen. Ein Anerkenntnis aber führt in der Regel zu einem geringeren richterlichen Arbeitsaufwand, welcher in etwa mit dem nach einer Klagerücknahme vergleichbar ist. Gleichsam spiegelbildlich verursachte die Erledigungserklärung nach § 91a ZPO typischerweise einen größeren Aufwand als die ihr nahestehende Klagerücknahme. Ein solches typisierende Betrachtung, nämlich das Abstellen auf die Entscheidung durch Anerkenntnisurteil als einfach fassbare Voraussetzung einer Gebührenermäßigung, ist im Massengeschäft des Kostenansatzes nicht zuletzt auch aus Gründen der Handhabbarkeit und auch aus solchen der Durchschaubarkeit geboten.
Der angesetzten Gebührenermäßigung steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Kammer zur Beendigung des Rechtsstreits zwei Urteile, nämlich das Teil-Anerkenntnisurteil vom 03.04.2006 und das Schlussurteil vom 24.05.2006, erlassen hat. Denn auch das Eingreifen mehrerer Verfahrensbeendigungs- und zugleich Ermäßigungstatbestände und die Beendigung des gesamten Verfahrens im Rahmen einer Gesamtkostenentscheidung in einem Schlussurteil führen zu einer Gebührenermäßigung gemäß KV 1211 Nr. 1a, 2 GKG, wenn beide Ermäßigungstatbestände schließlich zusammengenommen die Beendigung des gesamten Verfahrens zur Folge haben. Insofern musste es auch ohne Auswirkungen bleiben, dass die Kostenentscheidung formal Bestandteil eines Schlussurteils geworden ist. Denn das beruht allein auf der Notwendigkeit, unter Einbeziehung der durch Klagerücknahme beendeten übrigen Teile des Verfahrens gemäß § 308 Abs. 2 ZPO eine Gesamtkostenentscheidung zu treffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.
OLG Rostock:
Beschluss v. 23.02.2007
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