Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 29. März 1993
Aktenzeichen: 6 W 13/93
(OLG Köln: Beschluss v. 29.03.1993, Az.: 6 W 13/93)
1. Bei der Auslegung des Unterlassungsgebotes einer Beschlußverfügung kann der Inhalt der Antragsschrift berücksichtigt werden, wenn die Wirksamkeit der Verfügung in dem Beschluß ausdrücklich von der gleichzeitigen Zustellung der Antragsschrift abhängig gemacht worden ist.
2. Der Inhalt der Antragsschrift kann im Hinblick auf den Schutzumfang der Beschlußverfügung eine Beschränkung des Unterlassungsgebotes allein auf die identische Wiederholung der verbotenen Handlung ergeben, wenn dies als eindeutige Intention des Antragstellers aus der Antragsschrift hervorgeht.
3. Ist verboten worden, mit der Aussage "Zum Europapreis" für ein Arzneimittel zu werben, weil hierdurch der unrichtige Eindruck erweckt wird, das Arzneimittel werde in ganz Europa und/oder (in Deutschland) zu einem besonders günstigen Preis angeboten, verstößt der Antragsgegner mit einer neuerlichen Werbung gleichen Inhalts trotz Hinzufügung eines Sternchenvermerks schuldhaft gegen das Unterlassungsgebot, wenn der Vermerk nicht hineichend deutlich ist bzw. nicht zureichend aufklärt.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluß der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29.12.1992 - A. Z.: 31 O 519/91 SH I - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Schuldnerin auferlegt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der
Schuldnerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne
Erfolg.
Die Ordnungsgeldanträge der Gläubigerin
vom 19. März 1992 und vom 5. August 1992 sind begründet.
Die mit diesen Anträgen beanstandeten
Werbungen der Schuldnerin sind zwar nicht identisch mit der
Anzeige, die Gegenstand der Beschlußverfügung des Landgerichts vom
7. Oktober 1991 ist. Sie stellen dennoch jeweils einen Verstoß
gegen das Unterlassungsverbot dieser Beschlußverfügung dar, denn
im Kern sind sie mit der am 7. Oktober 1991 untersagten Werbung
gleichartig und werden damit vom Verbotsumfang der
Beschlußverfügung erfaßt.
Zutreffend geht das Landgericht davon
aus, daß sich nach ständiger Rechtsprechung der Verbots- bzw.
Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur auf die mit der
verbotenen Form identischen Verletzungsfälle beschränkt, sondern
auch solche Handlungen erfaßt, die von der Verbotsform nur
unbedeutend abweichen oder deren Abweichungen den "Kern der
Verletzungshandlung" unberührt lassen und die damit ihrerseits
schon (implizit) Gegenstand der Prü-fung im Erkenntnisverfahren
waren (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 6. Aufl.,
Kap. 57 Rnr. 12 m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten ebenfalls für
das mit der Beschlußverfügung vom 7. Oktober 1991 ausgesprochene
Unterlassungsgebot. Der Tenor dieser Entscheidung bietet für eine
Einschränkung des Gebots ausschließlich auf die konkret untersagte
Werbung keine Handhabe. Aber auch die Antragsschrift des Gläubigers
vom 27.09.1991, die zu dem Erlaß der Beschlußverfügung geführt hat,
läßt sich nicht in einem den Verbotsumfang des Unterlassungsgebots
einschränkenden Sinne verstehen. Zwar ist diese Antragsschrift der
Gläubigerin bei der Bestimmung des Schutzumfangs der
Beschlußverfügung zu berücksichtigen, denn das Landgericht hat
ausweislich Ziffer 3. der einstweiligen Verfügung deren
Wirksamkeit ausdrücklich von der gleichzeitigen Zustellung der
Antragsschrift abhängig gemacht. Der Antragsschrift kann aber
entgegen der Ansicht der Schuldnerin nicht entnommen werden, daß
die Gläubigerin die Bewerbung der Aussage "Zum Europapreis" mit
Sternchenvermerk, wie sie auch mit den Ordnungsmittelanträgen
beanstandet wird, nicht zum Gegenstand der beantragten
einstweiligen Verfügung machen und dementsprechend diese Werbung
vom Schutzumfang der einstweiligen Verfügung gerade ausnehmen
wollte. Dagegen spricht schon der ausdrückliche Hinweis der
Gläubigerin auf Blatt 5 der Antragsschrift, wonach der sogenannte
Sternchenvermerk der Aussage "Zum Europapreis" nicht den Charakter
der Irreführung nehme. Wenn die Gläubigerin auf Blatt 6 der
Antragsschrift erklärt, diese Frage könne aber dahinstehen, weil
nur die dann vom Landgericht auch untersagte Werbung "zur Debatte
stehe", läßt sich dies aus der Sicht des Schuldners lediglich dahin
verstehen, daß es im Erkenntnisverfahren für den Erlaß der
einstweiligen Verfügung nicht erforderlich sei, sich mit der
Werbung mit dem Sternchenvermerk auseinanderzusetzen, weil
Grundlage des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung eine
Anzeige ohne Sternchenvermerk sei. Eine weitergehende
Interpretation dieser Erklärung der Gläubigerin läßt die
Antragsschrift - auch aus der Sicht der Schuldnerin - nicht zu.
Sind somit die Grundsätze der
sogenannten Kernlehre vorliegend uneingeschränkt anwendbar, sind
jedoch die mit den Ordnungsgeldanträgen beanstandeten Werbungen
der Schuldnerin als objektive Verstöße gegen das Unterlassungsgebot
vom 7. Oktober 1991 anzusehen.
Bei der Bestimmung des Schutzumfangs
dieses Unterlassungsgebots ist in erster Linie auf den Tenor der
Beschlußverfügung abzustellen, aus dem sich unmißverständlich
ergibt, daß die Werbung mit der Angabe "Zum Europapreis" gemäß § 3
UWG, somit als irreführende Werbeaussage, untersagt wird.
Weiterhin ist die Antragsschrift des Gläubigers vom 27. September
1991 zu berücksichtigen. Wie schon erwähnt war die Wirksamkeit der
einstweiligen Verfügung vom Landgericht in Ziff. 3 der
Beschlußverfügung ausdrücklich von der gleichzeitigen Zustellung
dieser Antragsschrift abhängig gemacht worden; das Landgericht hat
damit zum Ausdruck gebracht, daß es die in der Antragsschrift von
der Gläubigerin vertretene Rechtsauffassung teilt. Die Gläubigerin
hat durch Vorlage einer Kopie der Zustellungsurkunde auch
nachgewiesen, daß die Antragsschrift zusammen mit der einstweiligen
Verfügung der Schuldnerin zugestellt worden ist (wie von der
Schuldnerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 1992 zunächst auch
bestä-tigt und erst im Schriftsatz vom 3. Februar 1993 in Frage
gestellt). Bei Einbeziehung der Antragsschrift der Gläubigerin ist
danach Kern des Verbots vom 7. Oktober 1991 u.a. die Untersagung
der Werbung mit der Angabe "Zum Europapreis" als irreführend
gemäß § 3 UWG, weil durch diese Angabe der unrichtige Eindruck
erweckt werde, "C." werde in ganz Europa, zumindest aber in allen
Ländern der Europäischen Gemeinschaft vertrieben, weiterhin, weil
zudem der irreführende Eindruck erweckt werde, "C." werde zu einem
besonders günstigen Preis angeboten, wie er auch in anderen Ländern
Europas - im Gegensatz zu den in der Bundesrepublik Deutschland
höher liegenden Arzneimittelpreisen - gefordert werde.
Die den Ordnungsmittelanträgen der
Gläubigerin zugrundeliegenden Werbungen der Schuldnerin sind aber
gerade in dieser Weise irreführend.
Zwar läßt sich nicht allgemein sagen,
daß ein sogenannter Sternchenvermerk stets ungeeignet sei, einer
Blickfangwerbung die Irreführung zu nehmen. Es kommt vielmehr - wie
auch sonst - auf die konkrete Gestaltung dieses Vermerks an,
insbesondere also darauf, ob er ausreichend groß und deutlich ist,
um eine Irreführung des Verkehrs auszuschließen.
Bei der Werbung in der "P." vom März
1992, die dem ersten Ordnungsmittelantrag der Gläubigerin
zugrundeliegt, mag es zweifelhaft sein, ob der dortige
Sternchenvermerk diesen Anforderungen genügt. Zwar ist er in sehr
kleinen Buchstaben gehalten; er befindet sich aber unmittelbar
unterhalb der Angabe "Zum Europapreis", die er näher erläutern
soll. Dennoch ist er nicht geeignet, die Irreführung durch die
Werbeaussage "Zum Europapreis" zu verhindern. Auch wenn C. in
Àsterreich, Spanien, England, Frankreich, Italien, Belgien und
Portugal auf dem Markt sein und der in Deutschland geforderte Preis
dem Durchschnitt der in diesen Ländern geforderten Preisen
entsprechen sollte, was die Gläubigerin bestreitet, stellen diese
im Sternchenvermerk der Schuldnerin genannten Länder nicht Europa
dar. Die mit der Beschlußverfügung untersagte Irreführung des
Verkehrs durch die Angabe "Zum Europapreis" darüber, daß "C." nicht
in ganz Europa oder zumindest nicht in allen Ländern der
Europäischen Gemeinschaft angeboten werde, wird somit auch bei den
Verkehrskreisen nicht beseitigt, die den Sternchenvermerk
wahrnehmen und lesen.
Dies vermögen die Mitglieder des Senats
als Mitglieder eines Fachsenats für gewerblichen Rechtsschutz aus
eigener Sachkunde ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens
festzustellen. Zwar gehören die Mitglieder des Senats nicht zu den
von den Werbungen der Schuldnerin angesprochenen Verkehrskreisen,
in erster Linie den Àrzten. Es geht vorliegend jedoch nicht um
Fragen, die eine besondere - z.B. medizinische - Fachkunde
voraussetzen, sondern um die Beurteilung allgemeiner Begriffe. Es
sind aber keine Umstände ersichtlich und auch dem Sachvortrag der
Schuldnerin nicht zu entnehmen, aus denen sich ergibt, daß diese
Begriffe wie die Werbeangabe "Zum Europapreis" sowie die im
Sternchenvermerk enthaltenen Hinweise von den Àrzten aufgrund
ihrer besonderen Fachkunde anders als vorstehend ausgeführt
beurteilt werden.
Danach steht fest, daß die mit dem
Ordnungsmittelantrag der Gläubigerin vom 19. März 1992
beanstandete Werbung der Schuldnerin in der "P. " von März 1992
gegen das Unterlassungsgebot der Beschlußverfügung vom 7. Oktober
1991 verstößt.
Dies gilt jedoch ebenfalls für die mit
dem zweiten Ordnungsmittelantrag der Gläubigerin beanstandete
Werbung der Schuldnerin in der Àrztezeitung vom 27. Juli 1992.
Diese Werbung wird schon deshalb von
dem Schutzumfang des Unterlassungsgebots vom 7. Oktober 1991
erfaßt, weil das Sternchen und die dazu gehörende Erläuterung
derart unauffällig gestaltet sind, daß sie zumindest von einem
nicht unbeachtlichen Teil der von der Werbung angesprochenen Àrzte
nicht bemerkt werden, die Werbung damit letztlich der von der
Beschlußverfügung untersagten Werbeangabe "Zum Europapreis" ohne
Sternchenvermerk entspricht. Das hinter der Angabe "Zum
Europapreis" angebrachte Sternchen wirkt - zumal bei flüchtigter
Betrachtungsweise - nicht als Hinweis auf eine an anderer Stelle
in der Werbeanzeige befindliche Aufklärung, sondern eher wie ein
weiteres Sternchen zu den unübersehbaren 12 Europa-Sterne der
Anzeige. Hinzu kommt, daß sich die zu diesem Sternchen gehörende
Erläuterung nicht gut sichtbar in nächster Nähe zu dem Sternchen
befindet. Sie ist vielmehr nahezu unleserlich unmittelbar über dem
Fließtext angebracht und - wenn überhaupt - nur bei mühsamen Suchen
zu finden. Schon deshalb kann sie ihre aufklärende Wirkung zu der
blickfangmäßig herausgestellten Angabe "Zum Europapreis"
insbesondere bei dem flüchtigen Betrachter nicht entfalten. Davon
abgesehen ist die Erläuterung in dem Sternchenvermerk auch
inhaltlich aus den vorstehend zu der Werbung der Schuldnerin in der
"P." vom März 1992 ungeeignet, eine Irreführung der angesprochenen
Àrzte über die Werbeaussage "Zum Europapreis" auszuschließen. Somit
ist auch bei dieser Werbung ebenfalls ein objektiver Verstoß der
Schuldnerin gegen das Unterlassungsgebot vom 7. Oktober 1991
gegeben.
In Óbereinstimmung mit der
angefochtenen Entscheidung ist weiterhin davon auszugehen, daß die
Schuldnerin jeweils auch schuldhaft (fahrlässig) in der vom
Landgericht dargestellten Weise gehandelt hat und deshalb gegen sie
dievom Landgericht verhängten Ordnungsgelder (nebst der jeweils
ersatzweise verhängten Ordnungshaft) festzusetzen waren. Insoweit
wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug
genommen. Das Beschwerdevorbringen der Schuldnerin gibt keinen
Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung des Verschuldens der
Schuldnerin und der Höhe der vom Landgericht festgesetzten
Ordnungsgelder.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1 ZPO.
Beschwerdewert: 25.000,-- DM.
OLG Köln:
Beschluss v. 29.03.1993
Az: 6 W 13/93
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2e5027e70558/OLG-Koeln_Beschluss_vom_29-Maerz-1993_Az_6-W-13-93