Verwaltungsgericht Gießen:
Beschluss vom 23. Februar 2012
Aktenzeichen: 4 L 4634/11.GI

(VG Gießen: Beschluss v. 23.02.2012, Az.: 4 L 4634/11.GI)

Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung bestehen an der Auskunftspflicht innerhalb der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011 keine durchgreifenden Zweifel.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2 500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen seine Heranziehung im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011.

Mit Bescheid des Hessischen Statistischen Landesamts vom 14. November 2011 wurde die Verpflichtung des Antragstellers festgestellt, den Erhebungsbogen zum Zensus 2011 vollständig und wahrheitsgemäß auszufüllen und ihm dafür eine Frist bis zum 5. Dezember 2011 gesetzt, innerhalb derer dieser Erhebungsbogen beim Hessischen Statistischen Landesamt oder an die von diesem beauftragte systemform MediaCard GmbH zu übersenden sei, alternativ der Auskunftsverpflichtung online über www.zensus2011.de nachzukommen. Für den Fall, dass dieser Verpflichtung nicht innerhalb der Frist nachgekommen werde, würde gegen den Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 300 Euro festgesetzt. Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 am 13. Dezember 2011 vor dem Verwaltungsgericht Gießen Klage erhoben, die unter der Geschäftsnummer 4 K 4635/11.GI geführt wird und über die bislang nicht entschieden ist. Zugleich hat der Antragsteller dem Gericht den ausgefüllten Erhebungsbogen vorgelegt, der vom Gericht an das beklagte Land Hessen weitergeleitet worden ist. Zugleich hat der Antragsteller beantragt, dem Hessischen Statistischen Landesamt aufzugeben, die im Erhebungsbogen enthaltenen personenbezogenen Daten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage nicht zu verarbeiten.

Der Antragsteller hält seine Verpflichtung zur Auskunftserteilung für rechtswidrig. Zur Begründung führt er im Wesentlichen an: Die Datenerhebung entspreche nicht in vollem Umfang den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem €Volkszählungsurteil€ vom 15. Dezember 1983 aufgestellt habe. Zu rügen seien teilweise verfassungswidrige Regelungen bzw. Unterlassungen in den gesetzlichen Grundlagen dieser Volkszählung, teilweise aber auch € vom Gericht näher aufzuklärende € Mängel im Verwaltungsvollzug. Dabei stehe im Vordergrund, dass mit der Datenerhebung und -verarbeitung eine private Firma beauftragt sei und dass Namen und Vornamen von Wohnungsbenutzern ohne deren Zustimmung vom Auskunftspflichtigen als Hilfsmerkmale erhoben würden.

Der Antragsgegner verteidigt die Art und Weise der Datenerhebung und weiteren Datenverarbeitung. Als Eigentümer des Objekts A-Straße, A-Stadt sei der Antragsteller auskunftspflichtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Gerichtsakten des Klageverfahrens 4 K 4635/11.GI, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Der Antrag muss erfolglos bleiben (1.), so dass die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zur Last fallen (2.) und wobei der Streitwert auf die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwertes festzusetzen ist (3.).

1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft. § 123 Abs. 5 VwGO steht dem nicht entgegen, denn der Antragsteller hat über das Gericht den ausgefüllten Erhebungsbogen dem Antragsgegner zukommen lassen, so dass sich damit die Fristsetzung mit Androhung eines Zwangsgeldes im Bescheid vom 14. November 2011 auch aus Sicht des Antragsgegners erledigt hat. Die Auskunftspflicht des Antragstellers selbst wurde nicht durch den Bescheid vom 14. November 2011 begründet, sondern folgt unmittelbar aus § 18 Abs. 1, 2 i.V.m. § 6 ZensG 2011 und ist so einem Aussetzungsantrag nicht zugänglich.

Der Antragsteller hat € auch unter Berücksichtigung der weiteren Aufklärung durch das Gericht € keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

Die vom Antragsteller gegen das Bestehen seiner Auskunftspflicht im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011 erhobenen Einwände greifen nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtungsweise nicht durch. Der Antragsteller berücksichtigt nicht hinreichend, dass die von ihm angeführten Rechtsnormen in ihrem Zusammenwirken und nicht jeweils isoliert zu betrachten sind. Auszugehen ist von § 5 Abs. 1 Satz 1 BStatG, wonach Bundesstatistiken grundsätzlich durch Gesetz angeordnet werden. Solche Gesetze sind das Zensusvorbereitungsgesetz 2011 vom 8. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2808), aufgrund dessen der Antragsteller als auskunftspflichtiger Eigentümer des Objekts im A-Straße, A-Stadt, festgestellt wurde, und das Zensusgesetzes 2011 vom 8. Juli 2009 (BGBl. I S. 1781) sowie das Hessische Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz 2011 vom 23. Juni 2010 (GVBl. I S. 178). Ergänzend heranzuziehen sind das Hessische Landesstatistikgesetz vom 19. Mai 1987 (GVBl. I S. 67) sowie die allgemeinen, auf Bundes- und Landesebene bestehenden Datenschutzgesetze. Aufgrund des dadurch gewährleisteten Standards ist davon auszugehen, dass die im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung erhobenen Daten dem Schrankenvorbehalt des Rechts auf €informationelle Selbstbestimmung€ entsprechen und so nichts im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil des Ersten Senats vom 15. Dezember 1983 € 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 € (BVerfGE 65, 1 <47 ff.>; €Volkszählungsurteil€) für die Erhebung und Verarbeitung von Daten für statistische Zwecke aufgestellten Kriterien zu erinnern ist:

Soweit der Antragsteller rügt, dass nicht bestimmt sei, was unter €Erhebungen€ im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 ZensG 2011 zu verstehen sei, erschließt sich die Bedeutung dieses Begriffs zwanglos aus der für personenbezogene Daten geltenden Regelung des § 3 Abs. 2 BDSG für den Bundesbereich und der des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HDSG für den Landesbereich. Als €Erheben€ wird allgemein das Beschaffen von Daten über den Betroffenen verstanden. Für den Begriff der €Erhebungsmerkmale€ enthält § 10 Abs. 1 Satz 2 BStatG eine Legaldefinition dahin, dass es sich dabei um Angaben über persönliche und sächliche Verhältnisse handelt, die zur statistischen Verwendung bestimmt sind. Unter den wie zuvor bestimmten Begriff des Erhebens können damit auch Hilfsmerkmale im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 3 BStatG als Angaben, die der technischen Durchführung von Bundesstatistiken dienen, fallen. Bei der Haushaltsbezogenheit handelt es sich um eine gesetzgeberische Einschätzungsprärogative der Erhebungsmerkmale, die von daher nicht zu beanstanden ist.

Soweit der Antragsteller rügt, dass als Hilfsmerkmal unter €W1€ entsprechend § 6 Abs. 3 Nr. 3 ZensG 2011 nach Vor- und Nachnamen von bis zu zwei Personen gefragt wird, die am 9. Mai 2011 in der Wohnung wohnten, und meint, es käme für deren Benennung auf ihre Zustimmung an, bedarf es keiner weiteren Klärung, ob diese Regelung dem Schrankenvorbehalt des Rechts auf €informationelle Selbstbestimmung€ unterfällt (vgl. BVerfGE 65, 1 <43 ff>), da der Antragsteller ausweislich der von ihm gemachten Angaben als Selbstnutzer von dieser Problematik nicht betroffen ist. Eine der beiden weiteren Personen, die nach der Zahlenangabe unter €W8€ am 9. Mai 2011 in dieser Wohnung wohnten, hat der Antragsteller jedenfalls nicht benannt. Unabhängig davon hat das Gericht keine Bedenken gegen die Erhebung dieses Hilfsmerkmals auch ohne ausdrückliche Zustimmung Betroffener, denn die entsprechenden Daten dürften als Gegenstand einer einfachen Melderegisterauskunft zumindest mit Zuordnung zur Anschrift allgemein übermittelt werden.

Das Statistikgeheimnis wird durch die §§ 16, 21 BStatG gewährleistet. Dabei hat das Gericht keine Zweifel, dass die Verpflichtung aus § 19 Abs. 1 Satz 1 ZensG 2011, die Hilfsmerkmale von den Erhebungsmerkmalen €zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen und gesondert aufzubewahren€, den verfassungsmäßigen Anforderungen genügt. Hierbei ist zu beachten, dass mit dem Zensusgesetz 2011 erstmals versucht wird, einen registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung durchzuführen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur 1987 durchgeführten Volkszählung, der die relative Unbestimmtheit des verwendeten Zeitbegriffs zu rechtfertigen vermag. Der Hinweis des Antragstellers, dass bei der Gestaltung der Erhebungsbögen eine Trennung von Erhebungs- und Hilfsmerkmalen bei den Fragen €W1€ und €W8€ gar nicht möglich sei, ist von dem Antragsgegner in der Antragserwiderung vom 11. Januar 2011 dahin entkräftet worden, dass der beauftragte Verwaltungshelfer zwei Images erstelle, die voneinander getrennt gespeichert würden. Die vom Antragsteller geäußerten Bedenken teilt das Gericht schon deshalb nicht, weil durch § 19 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 ZensG 2011 mit der Verpflichtung, Hilfsmerkmale spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen und Erhebungsunterlagen zu vernichten, ein spätester Schlusspunkt gesetzt ist.

Soweit der Antragsteller die Vergabe statistischer Arbeiten an die private Firma systemform MediaCard GmbH rügt, ist diese Einschaltung eines Verwaltungshelfers nach § 6 Abs. 1 HessLStatG gerechtfertigt. Die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 HessLStatG wird vom Gericht nicht bezweifelt. Das Gericht sieht nicht, dass der Bund mit dem Zensusgesetz 2011 eine abschließende Regelung getroffen habe, die die Anwendung von Landesrecht insoweit sperre. Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller eine Verletzung von Länderrechten nach Art. 84 Abs. 1 GG geltend zu machen befugt wäre. Das Gericht hat aufgrund des Vortrags im Schriftsatz des Antragsgegners vom 15. Februar 2012, in dem eine Zertifizierung des Verwaltungshelfers nach den Standards der DIN ISO 9001 (2008), 27001 (2005) und 14001 (2004) angeführt worden ist, keine durchgreifenden Zweifel daran, dass diese Firma den an sie zu stellenden Anforderungen genügt und vom Antragsteller erhobene Daten dort entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verarbeitet werden. ISO 9001 bezieht sich auf die Qualität und Zuverlässigkeit der Leistungen und Lieferungen, ist aber keine Produktzertifizierung; ISO 27001-Zertifizierungen auf der Basis von IT-Grundschutz geben Behörden und Unternehmen die Möglichkeit, ihre Bemühungen um Informationssicherheit und die erfolgreiche Umsetzung internationaler Normen unter Anwendung der IT-Grundschutz-Methodik nach innen und außen zu dokumentieren; ISO 14001 ist eine Umweltmanagementnorm.

Soweit der Antragsteller die besondere Zuständigkeit des Bayerischen Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung nach § 9 Abs. 3 Satz 2, 3 ZensG 2011 für die Zusammenführung der Datensätze und Haushaltegenerierung rügt, ist gegen diese Zuordnung nichts zu erinnern. Sie entspricht der Möglichkeit arbeitsteiligen Vorgehens, die hier umso unbedenklicher ist, als sie auf einer legislativen Beschlussfassung beruht.

Schließlich bestehen auch gegen die Befugnis zur Übermittlung von Tabellen und Einzelangaben an oberste Bundes- und Landebehörden sowie an Statistikstellen der Gemeinden und Gemeindeverbände nach § 22 ZensG 2011 keine durchgreifenden Bedenken. Aufgrund der Vorgaben insbesondere des § 22 Abs. 2 Satz 2, 3 ZensG 2011 kann bei vorausschauender Betrachtung jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kein Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht festgestellt werden.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil er unterlegen ist.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1, 2 GKG. Dabei geht das Gericht von Auffangstreitwert des § 52 Abs. 1 GKG in Höhe von 5 000 Euro aus, ermäßigt diesen aber im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, auf die Hälfte (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der am 7./8. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen).






VG Gießen:
Beschluss v. 23.02.2012
Az: 4 L 4634/11.GI


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