Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 13. August 1993
Aktenzeichen: 6 U 142/92
(OLG Köln: Urteil v. 13.08.1993, Az.: 6 U 142/92)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 1. Juli 1992 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 28 O 108/92 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beschwer der Beklagten wird auf 20.266,47 DM festgesetzt.
Gründe
E n t s c h e i d u n g s g r ü n
d e
Die Berufung der Beklagten ist
zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Beklagte zu
Recht verurteilt, an die Klägerin einen Schadensersatz i.H.v.
20.266,47 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Januar 1992 zu
zahlen.
Der Schadenserstzanspruch ist aus § 97
Abs. 1 UrhG begründet, da die Beklagte durch die Einblendung eines
Filmausschnittes aus dem Spielfilm "...aber Jonny!" in ihrer
Sendung "Der flotte Dreier" die urheberrechtlichen
Verwertungsrechte der Klägerin gemäß §§ 15 ff. UrhG verletzt
hat.
Die Klägerin ist unstreitig Inhaberin
der ausschließlichen Fernsehauswertungsrechte an dem Spielfilm
"...aber Jonny!" für die deutschsprachigen Länder. Damit besitzt
sie das Senderecht gemäß § 20 UrhG und das Wiedergaberecht gemäß §
22 UrhG, die als urheberrechtliche Verwertungsrechte durch § 97
UrhG geschützt werden. Dabei ist nicht nur der Urheber selbst,
sondern auch der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts zur
Verfolgung der urheberrechtlichen Verletzungshandlungen berechtigt
(Schricker/Wild, UrhG § 97 Rn. 28).
Da die Beklagte vor Ausstrahlung des
Spielfilmausschnittes auch kein einfaches Nutzungsrecht von der
Klägerin erworben hatte, hat sie eine Verletzungshandlung im Sinne
des § 97 UrhG begangen.
Die Beklagte kann sich nicht darauf
berufen, daß die Wiedergabe des Filmausschnittes in ihrer Sendung
als Kurzzitat im Sinne des § 51 Nr. 2 UrhG zulässig gewesen sei und
somit keine Verletzung der Rechte der Klägerin darstelle.
§ 51 Nr. 2 UrhG ist entsprechend
anzuwenden, wenn es sich bei dem zitierenden Werk nicht um ein
Sprachwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG handelt, sondern um ein
Filmwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG (BGH GRUR 1987, 362,
363 - "Filmzitat" -; Ulmer GRUR 1972, 323, 325 f.).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme,
in der die streitgegenständliche Sendung "Der flotte Dreier" auf
Videokassette in Augenschein genommen worden ist, hat der Senat
schon Bedenken, ob es sich bei dieser Sendung um ein
urheberrechtsschutzfä-higes Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG
handelt, das eine persönliche geistige Schöpfung darstellt. Diese
liegt nämlich nur dann vor, wenn der Film sich durch Auswahl,
Anordnung und Sammlung des Stoffes und die Art der Zusammenstellung
der einzelnen Bildfolgen als Ergebnis individuellen geistigen
Schaffens darstellt (BGHZ 90, 219, 222 - "Filmregisseur" -; BGH
GRUR 1987, 362, 363 - "Filmzitat" -). Abgesehen von der
Spielfilmeinblendung beschränkt sich der Inhalt der
streitgegenständlichen Sendung im Wesentlichen jedoch auf
Interviews mit einem durch eine Gesichtsmaske unkenntlich gemachten
Mann, der über seine Berufstätigkeit als "Callboy" berichtet, und
mit einer gleichfalls durch eine Gesichtsmaske unkenntlich
gemachten Frau, die als Kundin von "Callboys" vorgestellt und zu
dem Thema der Sendung sowie zu ihren Beweggründen und Motiven
befragt wird. Beide Interviews erschöpfen sich dabei in einem
Frage- und Antwortspiel zu dem behandelten Thema. Zwar kann
Interviewsendungen nicht grundsätzlich der Werkcharakter
abgesprochen werden; der hierfür nötige schöpferische
Eigentümlichkeitsgrad ist jedoch nur dann zu bejahen, wenn sich
die Interviews durch phantasievolle Fragen, Óberleitungen und
Einwürfe deutlich von einem alltäglichen Geplauder abheben (BGHZ
38, 356, 358 f. - "Fernsehwiedergabe von Sprachwerken" -; BGHZ 79,
362, 367 - "Quizmaster" -). Ob der streitgegenständlichen Sendung
"Der flotte Dreier" ein solcher schöpferischer
Eigentümlichkeitsgrad zukommt, erscheint zweifelhaft; dies kann
jedoch vorliegend offenbleiben.
An einem zulässigen Kurzzitat im Sinne
des § 51 Nr. 2 UrhG fehlt es nämlich schon deshalb, weil die
Einblendung des Filmausschnittes aus dem Spielfilm "...aber Jonny!"
nicht durch einen zulässigen Zitatzweck gerechtfertigt war.
Zwischen der Sendung "Der flotte Dreier" und dem in dieser Sendung
verwendeten Zitat aus dem Spielfilm bestand keine innere
Verbindung, da das Zitat weder als Beleg für eine im zitierenden
Werk vertretene Auffassung dient noch eine Grundlage für
Erörterungen in dem zitierenden Werk bildet (vgl. BGH GRUR 1987,
34, 35 - "Liedertextwiedergabe I" -).
In der Sendung der Beklagten beginnt
die Moderatorin die Óberleitung zu dem Filmausschnitt mit der
Frage "Was sind das für Männer und was sind das für Frauen, die
diese Männer für Sex bezahlen€". Soweit der Filmausschnitt auf
diese Frage, auf die die Moderatorin selbst keine Antwort bietet,
die Frage beantworten soll, erspart sich die Moderatorin durch das
Zitat lediglich eigene Ausführungen, so daß kein zulässiger
Zitatzweck vorliegt (KG GRUR 1970, 616, 618 - "Eintänzer" -).
Mit der weiteren Moderation "Ich zeige
Ihnen jetzt erst einmal einen Ausschnitt aus dem Film ..., der
zeigt, wie schwer man sich als Mann in diesem ungewöhnlichen Beruf
tut" gibt die Moderatorin zwar einen Zweck des folgenden
Filmzitates an, nämlich die Schwierigkeit aufzuzeigen, die ein
Callboy mit seinem "Beruf" und dem eigenen Rollenverständnis hat;
dieser Zweck ist jedoch mit dem betreffenden Filmausschnitt nicht
zu erreichen, da es sich nicht um eine dokumentarische Aufnahme auf
der Grundlage eines authentischen Schicksals, sondern um die
Verfilmung einer fiktiven, zu Unterhaltungszwecken erdachten
Geschichte handelt. Dies ergibt sich auch aus dem Kommentar der
Moderatorin nach der Einblendung des Filmausschnittes, in dem sie
wörtlich erklärt "Das war er also, unser Filmspaß, aber jetzt zur
harten Wirklichkeit". Damit gibt die Moderatorin zu erkennen, daß
sie das Zitat nicht ernstlich zum Beleg über die Schwierigkeiten
eines Mannes in diesem "ungewöhnlichen Beruf" heranziehen will.
Mit diesem Kommentar belegt die Moderatorin selbst, daß der
Filmausschnitt mit dem Thema der Fernsehsendung, nämlich der
"harten Wirklichkeit", nichts zu tun hat.
Auch aus den anschließend gesendeten
Interviews mit den beiden Studiogästen ergibt sich nicht, daß das
Filmzitat zum Beleg eigener Gedanken der Moderatorin diente oder
Grundlage für die Erörterungen mit den Gesprächspartnern bildete
(BGH GRUR 1987, 34, 35 - "Liedertextwiedergabe I "). In dem
eingeblendeten Filmausschnitt ging es lediglich darum, daß eine
"Kundin" auf eine Anzeige hin die Wohnung eines Mannes betrat, der
wohl als "Callboy" inseriert hatte. Der Filmausschnitt zeigt die
Verlegenheit der handelnden Personen, die anschließenden
Verhandlungen über den Preis mit dem Geschäftspartner des
"Callboys" und die einleitenden Gespräche zwischen "Callboy" und
"Kundin" über deren Wünsche. Diese Thematik wird in den beiden
anliegenden Interviews nicht angesprochen. Der männliche
Interviewpartner schilderte auf Frage vielmehr, wie er zu seinem
"Beruf" gekommen war, welche Voraussetzungen man für diese
Tätigkeit erfüllen müsse, welche Leistungen er selbst biete und
welche besonderen Erlebnisse er gehabt habe. Lediglich die von dem
männlichen Interviewpartner genannten Preise stimmten mit denen
überein, die im Film genannt wurden. Selbst bei diesem einzigen
Berührungspunkt gingen weder die Moderatorin noch ihr
Interviewpartner auf den gezeigten Ausschnitt des Spielfilmes
ein.
Ebenso wurde in dem Interview mit der
als "Kundin" vorgestellten Gesprächspartnerin nicht auf den
gezeigten Ausschnitt des Spielfilmes eingegangen. Die
Interviewpartnerin schilderte vielmehr, aus welchen Beweggründen
sie "Callboys" aufsucht, wie häufig sie dies schon getan habe und
welche Erlebnisse sie dabei gehabt habe. Auf die in dem Spielfilm
gezeigten Hemmungen und Unsicherheiten der dort dargestellten
"Kundin" ging weder die Moderatorin noch ihre Gesprächspartnerin
ein.
Auch in den anschließend gesendeten
Gesprächen mit vier verschiedenen Telefonanrufern werden keine
Beiträge zu dem gezeigten Filmausschnitt gebracht, sondern vielmehr
Fragen an die beiden Interviewpartner gestellt.
Nach allem diente der Filmausschnitt
nicht als Grundlage für die vorangegangenen oder folgenden
Eröterungen zum Thema der Sendung, sondern lediglich als
"Dekoration" oder gar als "Blickfang" für diese Sendung, so daß es
an einer inneren Verbindung zwischen der zitierenden Sendung und
dem zitierten Filmausschnitt fehlt.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft,
daß die Einblendung des Filausschnittes belegen solle, daß es sich
bei "Callboys" weder um eine Erfindung noch um eine Erscheinung
jüngster Vergangenheit handelt und daß dieser "Beruf" nicht auf den
Bereich männlicher Homosexualität beschränkt ist, so ist der
Ausschnitt aus einem Unterhaltungsfilm, dem eine erfundene
Geschichte zugrundeliegt, ohnehin nicht geeignet, eine Aussage über
die Realität des "Callboy-Lebens" zu belegen. Darüber hinaus müßte
der Zitatzweck auch in der objektiven Gestaltung des zitierenden
Werkes seinen Niederschlag gefunden haben. Der vorgetragene Zweck
des Zitats, zu belegen, daß der Callboy ein althergebrachter
"Berufsstand" auch im Bereich der Heterosexualität ist, ergibt sich
weder aus der Anmoderation des Filmausschnittes, noch aus dem
Filmausschnitt selbst, noch aus der nachfolgenden Óberleitung zu
den Studiogesprächen. Somit war der - von der Beklagten behauptete
- beabsichtigte Zweck des Zitats in der objektiven Gestaltung der
Sendung nicht erkennbar; es fehlte jeder äußere Bezug zwischen den
Aussagen der Moderatorin und dem Zitat selbst.
Da die Voraussetzungen eines zulässigen
Kurzzitats nach § 51 Nr. 2 UrhG analog nicht vorliegen, hat die
Beklagte durch die Einblendung des Filmausschnittes das
ausschließliche Senderecht der Klä-gerin aus § 20 UrhG
verletzt.
Bei der Bestimmung der Schadenshöhe
macht die Klägerin, der grundsätzlich drei
Berechnungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, zulässigerweise von
derjenigen der Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr, die die
Beklagte hätte entrichten müssen, wenn sie das verletzte Recht
ordnungsgemäß erworben hätte Gebrauch (Lizenzanalogie). Angemessen
ist hierbei ein Lizenzbetrag, den bei vertraglicher Einräumung
eines entsprechenden Nutzungsrechtes ein vernünftiger Lizenzgeber
gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer gewährt hätte (BGH GRUR
1987, 36 - "Liedertextwiedergabe II" -). Der Verletzte darf
grundsätzlich weder besser noch schlechter gestellt werden als ein
vertraglicher Lizenznehmer. Da die Klägerin die alleinige
Inhaberin der Fernsehauswertungsrechte für den
streitgegenständlichen Film im deutschsprachigen Raum ist, hätte
die Beklagte das Senderecht für den von ihr ausgestrahlten
Filmausschnitt nur von der Klägerin und nur zu deren üblichen
Konditionen erwerben können. Daher bildet der von der Klägerin im
Verhältnis zu privaten Fernsehanstalten üblicherweise geforderte
Betrag von 275,00 DM/NFM die angemessene Lizenzgebühr, § 287 Abs. 1
ZPO. Die Klägerin hat dargelegt, daß auch die Beklagte
Lizenzgebühren in dieser Höhe mehrfach an sie gezahlt hat. Zwar
wurden diese von der Klägerin vorgelegten Verträge erst nach der
Ausstrahlung der streitgegenständlichen Sendung abgeschlossen, sie
liegen jedoch in einem zeitlich engen Zusammenhang mit der
ausgestrahlten Sendung, da der erste - vorgelegte - Vertrag weniger
als 3 Wochen nach dieser Sendung geschlossen wurde. Unter diesen
Voraussetzungen ist es nicht hinreichend substantiiert, wenn die
Beklagte die Höhe der angemessenen Lizenzgebühr lediglich mit
Nichtwissen bestreitet. Auch die Tatsache, daß die Klägerin im
Jahre 1991 von öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten lediglich
eine Lizenzgebühr i.H.v. 250,00 DM/NFM zuzüglich Mehrwertsteuer
verlangt hat, ist kein hinreichendes Indiz dafür, daß die
geforderte Lizenzgebühr i.H.v. 275,00 DM/NFM überhöht ist. Die
Klägerin hat - unbestritten - dargelegt, daß diese Lizenzgebühren
auf längerfristige Verträge mit öffentlichrechtlichen
Rundfunkanstalten zurückzuführen sind.
Da der von der Beklagten gesendete
Filmausschnitt unstreitig eine Dauer von 2 Minuten und 25 Sekunden
mit einer Länge von 68,875 NFM hatte, ergibt sich daraus eine
Netto-Lizenz von 18.940,00 DM, so daß zuzüglich Mehrwertsteuer ein
Gesamtbetrag von 20.266,47 DM gerechtfertigt ist.
Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 284, 288
BGB begründet, da sich die Beklagte nach Fristsetzung seit dem 9.
Januar 1992 in Verzug befand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die nach § 546 Abs. 2 ZPO
festzusetzende Beschwer der Beklagten entspricht dem Wert ihres
Unterliegens im Rechtsstreit.
OLG Köln:
Urteil v. 13.08.1993
Az: 6 U 142/92
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