Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 4. August 1997
Aktenzeichen: A 12 S 2007/97
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 04.08.1997, Az.: A 12 S 2007/97)
1. Die Verpflichtung des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs umfaßt in der Regel auch die Anordnung des Erscheinens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens, wenn ein Beteiligter dies beantragt (§ 98 VwGO iVm §§ 402, 397 ZPO). Diese Regelung findet keine Anwendung auf die Beiziehung und Verwertung der bei Gericht vorhandenen - nicht verfahrensbezogen erhobenen - Gutachten in Asylsachen.
Gründe
Der Antrag bleibt ohne Erfolg, weil er die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG), der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) und der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 S. 4 AsylVfG entsprechend darlegt, jedenfalls rechtfertigt das Antragsvorbringen nicht die Zulassung der Berufung.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache nur dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein wird. Darüber hinaus muß die Antragsschrift wenigstens einen Hinweis auf den Grund enthalten, der die Anerkennung der grundsätzlichen, d.h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache rechtfertigen soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.07.1984, BVerwGE 70, 24; Beschluß des Senats vom 18.08.1988 - A 12 S 930/88 - m.N.). Diesen Anforderungen entspricht das Antragsvorbringen nicht.
Die Fragestellung ist, so wie sie gestellt ist, zu allgemein gehalten. Desweiteren ist nicht dargelegt, daß über die zum kausalen Zusammenhang zwischen (drohender) Verfolgung und Flucht bereits bestehende Rechtsprechung hinaus, wie sie auch in der Antragsschrift zitiert ist, weitergehender Klärungsbedarf besteht, zumal das Bundesverwaltungsgericht auch für das Vorliegen von Verfolgungsbetroffenheit zum Zeitpunkt der Ausreise maßgeblich auf die besonderen Umstände des Falles abgestellt hat (vgl. BVerwGE 87, 141 im Anschluß an BVerwGE 87, 52; vgl. grundsätzlich zum Kausalzusammenhang Verfolgung-Flucht-Asyl: BVerfGE 80, 344; BVerwGE 85, 139, 140).
Die Ausführungen zur Divergenz des angegriffenen Urteils von der in der Antragsschrift zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts legen schon nicht dar, welchen Rechtssatz das Verwaltungsgericht in Abweichung von dieser aufgestellt haben soll. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr seiner Entscheidung das auch in der Antragsschrift zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 87, 141) zugrunde gelegt. Eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung eines Rechtssatzes stellt keine Divergenz dar.
Die Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 17.01.1995 ist ebenfalls nicht dargelegt. So wird bereits nicht korrekt aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts zitiert, abgesehen davon hat sich das Verwaltungsgericht inhaltlich im Zusammenhang mit der "Sippenhaft" dem o.a. Senatsurteil angeschlossen. Das Vorbringen in der Antragsschrift richtet sich im übrigen gegen die Sachverhaltsfeststellung und -würdigung durch das Verwaltungsgericht, was weder eine Divergenz noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs bedeutet.
Mit der Behauptung, das Gericht habe die gestellten Hilfsbeweisanträge zu Unrecht abgelehnt, ist der Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht dargelegt. Denn damit ist noch nicht gesagt, daß das Verwaltungsgericht den gestellten Beweisanträgen in prozeßrechtlich unzulässiger Weise nicht entsprochen habe. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verwehrt dem Gericht zwar, einen als erheblich angesehenen Beweisantrag unter Verstoß gegen die jeweilige Prozeßordnung abzulehnen (BVerfG, Beschluß vom 08.11.1978, BVerfGE 50, 32, 35; Beschluß vom 29.11.1983, BVerfGE 65, 305, 307). Dagegen schützt das Recht auf rechtliches Gehör nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrages (vgl. BVerfG, Beschluß vom 31.07.1985 - 2 BvR 489/85; BVerwG, Beschluß vom 07.10.1987, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31).
Die Ablehnung des Beweisantrags auf Ladung des Zeugen C. hat das Verwaltungsgericht - aus seiner Sicht konsequent - als unerheblich abgelehnt. Damit ist der vom Verwaltungsgericht herangezogene Ablehnungsgrund als solcher prozessual statthaft. Er findet im Prozeßrecht "eine Stütze". Ob er tatsächlich vorliegt - sachlich richtig war -, ist für die Frage, ob das rechtliche Gehör versagt wurde, im Grundsatz unerheblich.
Es ist weiterhin nicht dargelegt, daß die Ablehnung der Beweisanträge auf UA 15 (gemeint UA 14 und UA 15 erster Absatz) im Prozeßrecht keine Stütze findet. Der Senat pflichtet dem Verwaltungsgericht bei, daß schon Zweifel bestehen, ob der Kläger überhaupt bezüglich der Behauptung, er habe im Nordirak wiederholt Unterstützungsdienste für die Kämpfer der ARKG geleistet, sowie, es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß dem MIT dies bekannt geworden sei, einen Beweisantrag gestellt hat. Wenn das Verwaltungsgericht den "Beweisantrag" deshalb abgelehnt hat, weil es die substantiierte Darlegung der Eignung des Beweismittels vermißt hat, so ist dies ein an sich zulässiger Ablehnungsgrund. Wie bereits ausgeführt, bietet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, daß ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird. Was den Zeugen Saleh angeht, so hat das Verwaltungsgericht diesen Beweisantrag ebenfalls als unerheblich, und damit prozessual zulässig abgelehnt.
Schließlich ist die Verletzung rechtlichen Gehörs auch insoweit nicht dargelegt, als die Antragsschrift die Ablehnung der Anhörung der Gutachter Oberdiek, Rumpf und Kaya rügt.
Auch im Verwaltungsrechtsstreit ist das Verwaltungsgericht gemäß § 98 VwGO i.V.m. §§ 402, 397 ZPO in der Regel verpflichtet, das Erscheinen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens anzuordnen, wenn ein Beteiligter dies beantragt, weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will. Dem Antrag muß lediglich entnommen werden können, in welche allgemeine Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll. Von dem Beteiligten kann nicht verlangt werden, daß er die Fragen, die er an den Sachverständigen richten will, im voraus im Einzelnen formuliert. Denn das Ziel der Sachverständigenladung nach §§ 402, 397 ZPO ist nicht die Vernehmung des Sachverständigen durch den Richter, sondern die Vorlegung und unmittelbare Stellung von Fragen des Beteiligten (BVerwG, Urteil vom 09.03.1984, NJW 1984, 2645; BGH, Urteil vom 21.10.1986, NJW-RR 1987, 339). Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht das Sachverständigengutachten als nicht erläuterungsbedürftig angesehen hat. Es gehört zur Gewährung des rechtlichen Gehörs, daß den Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt wird, einem Sachverständigen nach Vorlegen des schriftlichen Gutachtens Fragen zu stellen, ihm Bedenken vorzutragen oder ihn um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten zu bitten (vgl. BGH a.a.O.).
Diese Kriterien finden jedoch hier keine Anwendung, weil sie voraussetzen, daß das Gericht ein Gutachten nach Maßgabe der §§ 402ff. ZPO eingeholt hat. Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall lediglich die fraglichen schriftlichen Gutachten, die in anderen Verfahren eingeholt worden waren, als Urkunden beigezogen (vgl. zur Beiziehung der bereits vorliegenden, anderweitig erstellten schriftlichen Gutachten und Auskünfte BVerwG, Beschluß vom 28.06.1990, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 224). Es hat danach auf die Einholung von Sachverständigengutachten verzichtet, vielmehr hat es sich das nötige Fachwissen durch die erwähnte Beiziehung anderweitig erstellter und schriftlich vorliegender Gutachten und Auskünfte als Urkunden verschafft (vgl. zur gebührenrechtlichen Beurteilung der Einführung und Verwertung des bei Gericht vorhandenen - nicht verfahrensbezogen erhobenen - Auskunftsmaterials in Asylsachen für das Entstehen einer Beweisgebühr: verneinend VGH Baden-Württemberg, Senatsbeschluß vom 24.03.1993 - A 12 S 462/92 -, Beschluß vom 05.03.1996 - A 14 S 2458/94 -, OVG Koblenz, Beschluß vom 30.07.1990, NVwZ-RR 1991, 221 mit zahlreichen Nachweisen; VGH München, Beschluß vom 22.06.1992, NVwZ-RR 1993, 223; Gerold-Schmidt BRAGO, 11. Aufl. § 34 Rdnr. 22 m.w.N.). In den Fällen der Beiziehung anderweitig erstellter Gutachten und ihrer Verwertung - unabhängig von der Frage, ob darin eine Beweiserhebung im Wege des Urkundsbeweises gesehen wird - finden die §§ 402ff. ZPO keine Anwendung (vgl. hierzu auch: BVerfG, Beschluß vom 18.01.1990, InfAuslR 1990, 161, 164 und Beschluß vom 30.11.1993, BayVBl. 1994, 144; Leipold in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 402 Rdnr. 54; zum Ganzen Schenk in Hailbronner, AuslR, § 78 Rdnr. 110, 111). Hieraus folgt, daß den Beteiligten anders als bei einem gerichtlich bestellten Sachverständigengutachten - kein Anspruch auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des anderweitig erstellten Gutachtens und zur Stellung von Fragen zusteht. Bleiben bei den anderweitig erhobenen Gutachten Fragen offen, steht es den Beteiligten frei, Beweisanträge auf Einholung von Sachverständigengutachten zu stellen (vgl. dazu allerdings Senatsbeschluß vom 10.09.1995 - A 12 S 2328/95 -, AuAS 1996, 10 und Beschluß des Gerichtshofs vom 13.12.1994, AuAS 1995, 56; Hess. VGH, Beschluß vom 17.01.1996, NVwZ-Beilage Nr. 6/1996, 43; OVG Münster, Beschluß vom 18.05.1994, NWVBl. 1994, 392; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 18.06.1993, InfAuslR 1993, 349, 353). Schließlich sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, soweit es um die Befragung der Sachverständigen zu einzelnen Opfern von Mißhandlungen nach Abschiebung in die Türkei geht.
Im übrigen wird auf § 78 Abs. 5 S. 1 AsylVfG verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§§ 83b Abs. 1, 87a Abs. 1 AsylVfG n.F.).
VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 04.08.1997
Az: A 12 S 2007/97
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