Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. März 2003
Aktenzeichen: 21 W (pat) 8/00

(BPatG: Beschluss v. 20.03.2003, Az.: 21 W (pat) 8/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. Dezember 1999 aufgehoben und das Patent 38 00 041 widerrufen.

Gründe

I Auf die am 4. Januar 1988 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 6. Januar 1987 in USA (US 000815) beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene und am 14. Juli 1988 offengelegte Patentanmeldung ist ein Patent unter der Bezeichnung "Medizinische Binde in Rollenform und Verfahren zu ihrer Herstellung" erteilt worden. Die Veröffentlichung der Erteilung ist am 9. Oktober 1997 erfolgt.

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden.

Die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 21. Dezember 1999 das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Die Patentinhaberin verfolgt das Patentbegehren aufgrund der erteilten Unterlagen weiter. Der erteilte Patentanspruch 1, nach Merkmalen gegliedert, lautet:

"1.1. Medizinische Binde in Rollenform zur Entnahme in wahlweise vorbestimmten Längen, 1.2 die ein langgestrecktes Trägermaterial umfaßt, 1.3 das mit einem reaktionsfähigen System imprägniert ist, 1.4 das in Anwesenheit von Wasser aushärten kann, 1.5 wobei das langgestreckte Material in Rollenform aufgewickelt und in 1.6 einem Behälter unter feuchtigkeitsfreien oder trockenen Bedingungen aufbewahrt ist, bis es entnommen wird, dadurch gekennzeichnet,

(a) daß der Behälter ein Spender (11) ist und dieser

(i) Spender das langgestreckte Material aus einer

(ii) feuchtigkeitsdichten Hülse (13) mit einer

(iii) feuchtigkeitsdicht verschließbaren Öffnung an dem Entnahmeende abgibt;

(b) daß das langgestreckte medizinische Material folgendes umfaßt:

(i) ein Trägermaterial (16),

(ii) das Trägermaterial (16) ist mit einem reaktionsfähigen System imprägniert oder beschichtet,

(iii) eine weiche, flexible Schutzumhüllung (18), die das Trägermaterial (16) entlang seiner Länge einschließt und

(c) ein Mittel zum Wiederverschließen der Hülse (13) gegen den Eintritt von Feuchtigkeit, nachdem eine bestimmte Länge der Binde entnommen worden ist."

Die auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 betreffen Ausgestaltungen der Binde nach dem Patentanspruch 1.

Der nebengeordnete Patentanspruch 9 betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer medizinischen Binde in Rollenform.

Dem Gegenstand des Patents liegt die Aufgabe zugrunde, eine medizinische Binde in Rollenform zur Entnahme in wahlweise vorbestimmten Längen zu schaffen, die einerseits optimale Gebrauchseigenschaften aufweist und zum anderen in einer Verpackungsform vorliegt, die schnelle und sparsame Entnahme gewährleistet (S 3, Z 7 bis 10 der Patentschrift).

Die Einsprechende verweist unter anderem auf folgende Druckschriften:

(2) DE 30 33 659 A1

(3) US 4 628 917

(4) FR 360 020

(7) US 4 235 228 Zur Begründung ihrer Beschwerde führt die Einsprechende aus, daß der Gegenstand des Anspruchs 1, ausgehend vom Gegenstand der Druckschrift (2), dem Fachmann durch die Druckschrift (4) nahegelegt sei, da er lediglich den aus (4) bekannten Spender, die wasserdichte Umhüllung des dortigen Trägermaterials und die Mittel zum Wiederverschließen der Hülse auf das Trägermaterial nach (2) zu übertragen brauche. Für die weiche flexible Umhüllung des Trägermaterials liefere die Druckschrift (7) einen entsprechenden Hinweis.

Die Einsprechende hat den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrgenommen und ihre Nichtteilnahme durch Fax vom 30. Januar 2003 mitgeteilt.

Die Einsprechende stellt schriftsätzlich (Beschwerdeschriftsatz vom 4. Februar 2000), den Antrag, den Beschluß der Patentabteilung 45 aufzuheben und das Patent DE 38 00 041 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin führt aus, daß der Gegenstand der Druckschrift (2) den Ausgangspunkt des Patents bilde, Anregungen für die Unterbringung der medizinischen Binde in einem Behälter als Spender hieraus aber nicht hervorgingen. Die Druckschrift (4) sei gattungsfremd, da sie kein in Wasser aushärtbares reaktionfähiges System beinhalte, sondern die Sterilität eines medizinischen Verbandes bezwecke. Demgemäß sei auch keine wasserdampfundurchlässige Hülse bei diesem Stand der Technik vorhanden, sondern lediglich eine Keime zurückhaltende Umhüllung des Verbandmaterials vorgesehen. Die Druckschrift (7) beschreibe keine vollständige Umhüllung des dortigen Trägermaterials sondern nur eine teilweise, die dadurch das diesbezügliche Merkmal des Anspruchs 1 nicht nahezulegen vermochte.

Es sei somit eine erfinderische Tätigkeit notwendig gewesen, um vom genannten Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu kommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze verwiesen.

II Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden ist begründet, denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist dem Durchschnittsfachmann, nämlich dem mit der Herstellung von medizinischen Binden und Verbänden befaßten Techniker, durch den Stand der Technik nahegelegt.

1.) Der Patentanspruch 1 ist formal zulässig, er findet seine Stütze in den ursprünglichen Unterlagen. Weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich jedoch ebenso wie die Erörterung der Frage der Neuheit, denn der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der Druckschrift (2) ist eine medizinische Binde in Rollenform zur Entnahme in wahlweise vorbestimmten Längen (Merkmal 1.1; (2), S 12, Z 2, 3) bekannt. Daß die Entnahme der Binde dabei in "wahlweise vorbestimmten Längen" erfolgt, ergibt sich aus deren Einsatz in der Praxis, da für unterschiedliche Anwendungen unterschiedliche Längen erforderlich sind - diesen Teil des Merkmals 1.1 liest der Fachmann aus (2) deshalb unmittelbar mit. Die bekannte Binde umfaßt ein langgestecktes ("langgestreckt" folgt schon aus der Bindenform) der Trägermaterial (Merkmal 1.2; (2), S 10, Z 9 bis 16, Basismaterial), das mit einem reaktionsfähigen System imprägniert ist (Merkmal 1.3; (2), S 10, Z 9 bis 13, S 6 le Abs, Patentanspruch 1), das in Anwesenheit von Wasser aushärten kann (Merkmal 1.4; (2), S 4, Z 3 bis 8, S 8, Z 9 bis 15), wobei das langgesteckte Material in Rollenform aufgewickelt ist (Merkmal 1.5; (2), S 12, Z 2, 3) und in einem Behälter unter feuchtigkeitsfreien oder trockenen Bedingungen aufbewahrt ist, bis es entnommen wird (Merkmal 1.6; (2), S 11, Z 25 bis S 12, Z 9).

Wenn der Fachmann nun feststellt, daß zB die Entnahme des Bindenmaterials aus der dort vorgesehenen Verpackungsvorrichtung, also dem verschweißten Beutel oder der feuchtigkeitsdichten Alu-Dose (vgl (2), S 12 1. Abs) zu Problemen führt, dergestalt, daß immer dann, wenn nur ein Teil der enthaltenen Menge zur Anwendung kommt, ein feuchtigkeitsdichtes Wiederverschließen der Verpackung schwierig oder unmöglich ist und infolgedessen häufig die restliche Menge nach einer bestimmten weiteren Aufbewahrungszeit unbrauchbar geworden ist, so wird er hier nach Abhilfe suchen und dabei auf die Druckschrift (4) stoßen. Diese zeigt einen antiseptischen chirurgischen Verband (Fig 1, Beschreibung S 1, Z 1 bis 11), der ein langgestecktes medizinisches Trägermaterial aufweist (t in Fig 1) das auf seiner ganzen Länge von einer wasserundurchlässigen Umhüllung umgeben ist (b in Fig 1, Beschreibung S 1, Z 48 bis 52, S 2, Z 74 bis 76). Nachdem von diesem Material eine benötigte Menge abgeschnitten worden ist, wird dessen Ende durch besondere Mittel, vergleiche Verschluß d in Figur 6, 7, sowie Kautschukring O in Figur 7 und Klammer p in Figur 8, gegen den Eintritt von Keimen verschlossen (Beschreibung S 2, Z 20 bis 40).

Darüber hinaus beschreibt die Druckschrift (4) auch eine Entnahmevorrichtung für die vorstehend beschriebene medizinische Binde aus einem Behälter, der nach Art eines Spenders ausgebildet ist, aus welchem die benötigten Längen entnommen werden können (vgl zB Fig 9 bis 11 und Beschreibung S 2, Z 84 bis 100).

Der Fachmann wird nun zur Lösung seines Problems, eine Entnahmemöglichkeit für vorbestimmte Längen für die bekannte Binde nach (2) zu schaffen, die einerseits optimale Gebrauchseigenschaften aufweist und zum anderen in einer Verpackungsform vorliegt, die schnelle und sparsame Entnahme gewährleistet, auf diese aus (4) bekannte Vorrichtung zurückgreifen und sie beim Gegenstand von (2) einsetzen. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin zieht er die Druckschrift (2) in Betracht und zwar zum einen schon deshalb, weil sie seinem Fachgebiet der Binden und Verbände zuzurechnen ist, und zum anderen weil ihr Gegenstand vergleichbaren Bedingungen unterliegt: die Imprägnierung des Trägermaterials mit antiseptischen Wirkstoffen ((4), S 2, Z 64 bis 74) auf der einen, die Imprägnierung des Trägermaterials mit wasseraushärtbaren Stoffen auf der anderen Seite, die Forderung nach Keimfreiheit über den gesamten Aufbewahrungszeitraum auf der einen, die Forderung nach feuchtigkeitsdichter Aufbewahrung auf der anderen Seite.

Dabei wird der Fachmann, entgegen der Ansicht der Patentinhaberin, die in (4) als wasserundurchlässig bezeichnete Umhüllung selbstverständlich als feuchtigkeitsdichte, also wasserdampfdichte Hülse ausbilden, da er ja schon aus (2) weiß, daß von dem verwendeten Imprägnierungsmaterial jede Art von Feuchtigkeit ferngehalten werden muß.

Die sinngemäße Übertragung der aus (4) bekannten Maßnahmen auf den Gegenstand von (2) führt dann dazu, daß der dortige Behälter zu einem Spender wird (Merkmal (a)), das langgestreckte Material in eine feuchtigkeitsdichte Hülle eingebracht wird (Merkmal (a) (ii)), Mittel zum Wiederverschließen der Hülse gegen den Eintritt von Feuchtigkeit, nachdem eine bestimmte Länge der Binde entnommen worden ist, vorgesehen werden (Merkmal (c)), wodurch letztendlich der Spender das langgesteckte Material ((a) (i)) aus einer feuchtigkeitsdichten Hülse (Merkmal (a) (ii)) mit einer feuchtigkeitsdicht verschließbaren Öffnung an dem Entnahmeende abgibt (Merkmal (a) (iii)).

Die noch im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 vorhandenen Merkmale, wonach das langgestreckte medizinische Material (Merkmal (b)) ein Trägermaterial umfaßt (Merkmal (b) (i)) und das Trägermaterial mit einem reaktionsfähigen System imprägniert oder beschichtet ist (Merkmal (b) (ii)) sind bereits im Oberbegriff des Anspruchs 1 enthalten und, wie vorstehend bereits ausgeführt, auch beim Gegenstand von (2) vorgesehen.

Wenn an den Fachmann des weiteren noch herangetragen wird oder aus der praktischen Anwendung heraus sich ergibt, daß die Binde nach (2) einen ungenügenden Tragekomfort bietet, weil sie nach dem Aushärten auf dem betreffenden Körperteil scheuert, schmerzt oder sonstige Unannehmlichkeiten bewirkt, so wird er schon aufgrund seines vorauszusetzenden Fachwissens hier Abhilfe schaffen, da es ihm bekannt ist, daß solchen Beschwerden durch entsprechende Polsterungen begegnet wird. Im übrigen liefert ihm auch der vorliegende Stand der Technik entsprechende Hinweise, vgl. beispielsweise in (2) die Unterfütterung mit Vliesstoffen (S 13, le Abs), in (3) die flache Polsterung 20 oder in (7) die das Trägermaterial teilweise umhüllende Polsterung 14. Der Fachmann ist danach, entgegen der Auffassung der Patentinhaberin, auch ohne weiteres in der Lage, im Bedarfsfalle eine weiche flexible Schutzumhüllung derart vorzusehen, daß diese das Trägermaterial entlang seiner Länge vollständig einschließt.

Es führt auch der Einwand der Patentinhaberin, der Fachmann kenne den Gegenstand der Entgegenhaltung (4) schon seit dem Jahre 1906, ohne daß dies bislang berücksichtigt worden wäre, zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Einwand, das Beweisanzeichen des Zeitfaktors betreffend, versagt regelmäßig dann, wenn die Erfindung aus anderen Gründen nahelag (vgl Schulte PatG 6. Aufl § 4, Rdn 137), was, wie vorstehend ausgeführt, hier der Fall ist. Ob darüber hinaus, wie die Patentinhaberin weiterhin einwendet, die Fachwelt aus einem Vorurteil heraus die Lehre nach (4) nicht aufgegriffen hat, ist nicht ersichtlich und von der Patentinhaberin auch nicht näher spezifiziert worden.

Der Fachmann gelangt somit ohne erfinderisches Zutun ausgehend vom genannten Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1.

2.) Die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 und der nebengeordnete Anspruch 9 müssen schon aus formalen Gründen mit dem Hauptanspruch fallen.

Darüber hinaus enthalten auch die Unteransprüche 2 bis 8 keine patentbegründenden Gegenstände, da sie weitestgehend aus dem Stand der Technik bekannt oder durch diesen nahegelegt sind:

Der Gegenstand des Anspruchs 2 ist durch (2), Seite 12, 1. Absatz, der des Anspruchs 3 durch (2), Seite 10, Zeilen 9ff, der des Anspruchs 4 durch (2), Seite 13, letzter Absatz und (7), Abstract, der des Anspruchs 5 durch (7), Abstract und Spalte 2, Zeilen 63ff, der des Anspruchs 6 durch (2), Seite 6, letzter Absatz und Seite 8, Zeilen 9ff, der des Anspruchs 7 durch (4), Figur 1, 2 und der des Anspruchs 8 durch (4) zB Figur 10 dem Fachmann, wie ohne weiteres ersichtlich, nahegelegt.

Das Verfahren nach Anspruch 9 ergibt sich gleichfalls für den Fachmann in nicht erfinderischer Weise, wenn die nicht erfinderische Binde nach Anspruch 1 hergestellt werden soll, da alle Verfahrensschritte zwingend erforderlich sind, um zu dem gewünschten Produktergebnis zu kommen, eine erfinderische Abweichung ist nicht erkennbar und auch nicht dargetan worden.

Dr. Winterfeldt Klosterhuber Dr. Franz Dr. Kraus Be






BPatG:
Beschluss v. 20.03.2003
Az: 21 W (pat) 8/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2f26643518cd/BPatG_Beschluss_vom_20-Maerz-2003_Az_21-W-pat-8-00




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share