Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Oktober 2004
Aktenzeichen: 23 W (pat) 325/03

(BPatG: Beschluss v. 26.10.2004, Az.: 23 W (pat) 325/03)

Tenor

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 12, Beschreibungsseiten 1, 2 und 2a, diese Unterlagen eingegangen am 21. Oktober 2004, Beschreibung ab Spalte 2, Absatz 0010 und Zeichnung, Figuren 1 bis 6 gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Die Prüfungsstelle für Klasse G01D des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 17. Oktober 2001 eingegangene Patentanmeldung das am 17. April 2003 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung "Umdrehungszähler" (Streitpatent) erteilt.

Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2003, beim Patentamt eingegangenen am selben Tag, ist Namens und im Auftrag der Herren Dr. M... und Dr. T... Einspruch erho- ben und beantragt worden, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, wobei eine Einspruchsgebühr in Höhe von 200,00 EUR entrichtet worden ist. Zur Begründung ist ausgeführt, daß der Gegenstand des Streitpatents nach § 1 PatG nicht patentfähig sei.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sei gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung - EP 0 658 745 B1 (Druckschrift D1)

weder neu noch erfinderisch.

Die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 2, 3, 5, 8 und 9 seien durch die Druckschrift D1 ebenfalls neuheitsschädlich getroffen.

Im übrigen belege der erteilte Patentanspruch 2, daß die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 nicht ausreichten, um die in dessen Oberbegriff genannte Bedingung zu erfüllen, wonach die Sensoranordnung (9) bei jeder Drehzahl des Drehelements (2) pro Umdrehung des Drehelements (2) in mindestens drei Drehstellungen des Drehelements (2) mit Energie versorgbar ist, so daß mittels der Sensoranordnung (9) jeweils eine Drehstellung des Drehelements (2) erfaßbar ist.

Der erteilte Patentanspruch 4 stehe im Widerspruch zum erteilten Patentanspruch 1, da bei der Ausgestaltung nach dem Patentanspruch 4 Drehzahlbereiche aufträten, in denen eine Energieversorgung der Sensoranordnung nicht gewährleistet sei.

Die erteilten Patentansprüche 6 und 7 beträfen aber Weiterbildungen des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 4.

Die erteilten Patentansprüche 10 bis 12 beinhalteten lediglich einfache Befestigungsmöglichkeiten für das Drehelement am Rotationselement, die der Fachmann nach Belieben einsetze, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden.

Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik ferner die Entgegenhaltungen - US-Patentschrift 3 118 075 (Druckschrift D2) und - deutsche Offenlegungsschrift 100 54 470 (Druckschrift D3)

in Betracht gezogen worden, deren letztere einer gemäß § 3 Abs 2 Satz 1 Nr 1 PatG als Stand der Technik geltenden nationalen Patentanmeldung mit älterem Zeitrang entspricht.

Auf eine Mitteilung des zuständigen Rechtspflegers des Bundespatentgerichts vom 8. Oktober 2003, daß der Einspruch unzulässig sei, weil bei Einlegung eines Einspruchs durch mehrere Einsprechende - hier die Herren Dr. M... und Dr. T... - nur eine Einspruchsgebühr eingezahlt worden sei, ist für die Einspre- chenden mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2003 darauf hingewiesen worden, daß der Einspruch insofern zulässig sei, als die Herren Dr. M... und Dr. T... seit Jahren als BGB-Gesellschaft aufträten, deren Tätigkeitsbereich unter anderem die gemeinschaftliche Einreichung von deutschen und ausländischen Patentanmeldungen, die gemeinschaftliche Durchführung der entsprechenden Prüfungsverfahren, die gemeinschaftliche Verwertung der aus dieser Anmeldetätigkeit resultierenden Patente sowie die gemeinschaftliche Einleitung und Durchführung von Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vor den deutschen und europäischen Patentbehörden umfasse.

Daraufhin hat der Senat mit Zwischenverfügung vom 31. März 2004 den Beteiligten seine vorläufige Auffassung mitgeteilt, daß die geleistete Gebührenzahlung nicht unzureichend erscheine und demzufolge der Fortführung des Verfahrens in der Sache nichts entgegenstehe.

Die Patentinhaberin hat mit Schriftsatz vom 15. April 2004 vorgebracht, daß es bei der Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Einspruchs nicht auf den Gebührentatbestand Nr. 313 600 gemäß der Anlage zum PatKostG und dessen Auslegung, sondern letztlich darauf ankomme, ob die Einsprechenden eine Rechtsgemeinschaft bildeten und ob es der Patentinhaberin möglich gewesen sei, anhand des Einspruchsschriftsatzes zu erkennen, wer gegen ihn Einspruch erhoben hat und, falls die Einsprechenden in einer rechtlichen Beziehung zueinander stünden, welche Rechtsform diese Beziehung habe.

Seitens der Einsprechenden ist diesem Vorbringen mit Schriftsatz vom 23. April 2004 entgegengetreten worden.

Der Senat hat mit weiterer Zwischenverfügung vom 26. April 2004 den Beteiligten nochmals seine vorläufige Auffassung erläutert und auf die Möglichkeit hingewiesen, die Frage in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern und gegebenenfalls eine Rechtsbeschwerde zuzulassen. Ferner ist die Patentinhaberin gebeten worden, zu den im Einspruchsverfahren maßgeblichen Sachfragen, wie Patentfähigkeit usw., vorzutragen.

Die Patentinhaberin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 18. Mai 2004 beantragt, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, da der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nach der Druckschrift D1 patentfähig sei.

Nachdem seitens der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2004 zusätzlich die Dokumente - Diplomarbeit von Wolfgang Untersweg vorgelegt an der Technischen Universität Linz am 6. Juli 1999 (Anlage A1)

- Auszug aus Online-Katalog der Firma Conrad Electronic mit Lichtschranke GP1A71R und Taktscheibe 120 (Anlage A2)

- Prospektblatt der Firma Sitron Sensor GmbH mit Gabel-Lichtschranken (Anlage 3)

- Auszug aus der Hompage von Ingo Stahl betreffend einen magnetischen Sensor für die Drehzahlmessung (Anlage A4) und - Kopie von Kursunterlagen der Schweizerischen Vereinigung für Sensortechnik vom 12. bis 13. Dezember 1994, Bern, mit Verwendung und Ansteuerung von Impulsdrahtsensoren für Umdrehungszähler (Anlage A5)

vorgelegt worden sind und der Stand der Technik nach der Druckschrift D1 im einzelnen interpretiert worden ist, hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2004 zur beschränkten Verteidigung des Streitpatents neue Patentansprüche 1 bis 12 mit angepaßter Beschreibungseinleitung vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2004 verteidigt die Patentinhaberin das Streitpatent mit dem geänderten Patentanspruch 1 und vertritt die Auffassung, daß der Gegenstand dieses neugefaßten Hauptanspruchs durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen sei.

Die Einsprechenden legen zu dem in den verteidigten Patentanspruch 1 zusätzlich aufgenommen, den Zapfen des Drehelements betreffenden Merkmal die Druckschriften - Prospekt "Code-Drehgeber" der Firma Heidenhain mit Druckvermerk März '91 (Druckschrift D4)

- Prospekt "Inkrementale-Drehgeber" der Firma Heidenhain mit Druckvermerk Januar 92 (Druckschrift D5)

- Baumer electric "Das neue Hohlwellen-Drehgeber-Konzept", Ausgabe März 1994, 2 Seiten, darunter Seite 1.15 (Druckschrift D6) und - "Drehgeber Lagerlos", Seiten 5.1, 5.3 und 5.6 (Druckschrift D7)

sowie des weiteren die einen hochauflösenden Drehgeber betreffende - deutsche Patentschrift 195 16 235 (Druckschrift D8)

vor. Als relevanten Stand der Technik machen sie in der mündlichen Verhandlung zuletzt jedoch nur noch die vorgenannten Druckschriften D1, D4 und D8 sowie Anlagen A1 und A5 geltend.

Die Einsprechenden beantragen, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 12, Beschreibungsseiten 1, 2 und 2a, diese Unterlagen eingegangen am 21. Oktober 2004, Beschreibung ab Spalte 2, Absatz 0010 und Zeichnung, Figuren 1 bis 6 gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin regt im übrigen für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Rechtsbeschwerde in der Frage der Rechtswirksamkeit der Einspruchseinlegung durch zwei Einsprechende bei Zahlung nur einer Einspruchsgebühr an.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Umdrehungszähler mit einem Grundkörper (1) und einem bezüglich des Grundkörpers (1) um eine Drehachse (7) drehbaren Drehelement (2),

- wobei das Drehelement (2) zur Verbindung des Drehelements (2) mit einem Rotationselement (3) einen Zapfen (19) aufweist, wobei der Zapfen (19) aus dem Grundkörper (1) herausragt,

- wobei das Drehelement (2) mit dem Rotationselement (3) und der Grundkörper (1) mit einem Referenzelement (5) für das Rotationselement (3) verbindbar sind,

- wobei der Grundkörper (1) eine Sensoranordnung (9) und eine Energieversorgungseinrichtung (10) aufweist,

- wobei das Drehelement (2) eine Magnetanordnung (12) aufweist, die derart mit der Energieversorgungseinrichtung (10) zusammenwirkt, daß die Sensoranordnung (9) bei jeder Drehzahl des Drehelements (2) pro Umdrehung des Drehelements (2) in mindestens drei Drehstellungen des Drehelements (2) mit Energie versorgbar ist, so daß mittels der Sensoranordnung (9) jeweils eine Drehstellung des Drehelements (2) erfaßbar ist,

- wobei das Drehelement (2) vom Grundkörper (1) gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist, so daß nach dem Verbinden des Drehelements (2) mit dem Rotationselement (3) und des Grundkörpers (1) mit dem Referenzelement (5) vom Drehelement (2) keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper (1) übertragen werden."

Hinsichtlich der geltenden Unteransprüche 2 bis 12 und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Zuständigkeit des (technischen) Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs 3 Satz 1 Nr 1 PatG. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Januar 2005 eingelegt worden ist.

III.

Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist rechtswirksam eingelegt und zulässig. Der Einspruch ist jedoch nur insoweit begründet, als er nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zu einer beschränkten Aufrechterhaltung des Streitpatents führt.

1. Der Einspruch ist wirksam eingelegt und zulässig.

Für den gemeinsamen Einspruch einer Mehrzahl von Einsprechenden, der - wie vorliegend - auf ein und dieselbe Einspruchsbegründung gestützt ist und in einem gemeinsamen Schriftsatz durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten erhoben wurde, reicht die Entrichtung einer einzigen Einspruchsgebühr in Höhe von 200 EUR aus (vgl. hierzu BPatG Mitt 2004, 174, amtlicher Leitsatz; BPatG 14 W (pat) 327/02 vom 26. März 2004 in juris. Orientierungssatz). Denn eine Pflicht zur Zahlung mehrerer Gebühren entsprechend der Anzahl der mit einem gemeinsamen Einspruchsschriftsatz Einsprechenden ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Fehlt es aber an einer eindeutigen gesetzlichen Regelung über die Anzahl der zu entrichtenden Gebühren bei mehreren an einem gemeinsamen Einspruch Beteiligten, so kann dies nicht zu deren Lasten gehen.

Der - sonach wirksam eingelegte - Einspruch erweist sich auch als zulässig, da mit dem Einspruchsschriftsatz vom 16. Juli 2003 innerhalb der Einspruchsfrist der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Stand der Technik nach der Druckschrift D1 und sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents im einzelnen hergestellt worden ist (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250 Leitsatz 2, 251 liSp Abs 1 - "Epoxidation"). Das Vorbringen der Einsprechenden zu den Merkmalen nach dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 beschränkt sich dabei zulässigerweise auf den Hinweis, daß ein Umdrehungszähler mit sämtlichen Merkmalen des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1 auch nach Auffassung der Patentinhaberin aus der Druckschrift D1 bekannt ist (vgl. hierzu die Streitpatentschrift, Spalte 1, Zeilen 3 bis 23). Dazu ist anzumerken, daß diese Druckschrift zwar ein Referenzelement - als einziges der Merkmale nach dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 - nicht explizit offenbart, der Fachmann dieses Merkmal jedoch als selbstverständlich in Gedanken gleich mitliest (vgl. hierzu BGH Mitt 1995, 220, Leitsatz 2 - "Elektrische Steckverbindung").

Von der Patentinhaberin ist sinngemäß auch nur die Rechtswirksamkeit der Einspruchseinlegung, d.h. nicht auch die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage gestellt worden.

2. Gegen die Zulässigkeit der verteidigten Patentansprüche 1 bis 12 bestehen keine Bedenken.

Das in den geltenden Patentanspruch 1 zusätzlich aufgenommene Merkmal "wobei das Drehelement (2) zur Verbindung des Drehelements (2) mit einem Rotationselement (3) einen Zapfen (19) aufweist, wobei der Zapfen (19) aus dem Grundkörper (1) herausragt" ist Bestandteil sämtlicher Ausführungsbeispiele nach den Figuren 1 bis 6 des Streitpatents und findet auch in der Beschreibung der Streitpatentschrift eine Stütze (vgl. Spalte 5, Absätze [0038] und [0039] - vgl. hierzu BGH Mitt 1996, 204, 205, 206 - "Spielfahrbahn"). Zudem wird durch dieses Merkmal die zunächst weiter gefaßte Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 hinsichtlich des Drehelements weiter konkretisiert und somit auf eine engere Lehre eingeschränkt (vgl. hierzu BGH GRUR 1991, 307, amtlicher Leitsatz iVm 308, liSp, leAbs bis reSp, Abs 1 - "Bodenwalze"; BGH "Spielfahrbahn" aaO). Soweit die Einsprechende demgegenüber geltend macht, daß die in den Ausführungsbeispielen enthaltenen weiteren Konkretisierungen des Zapfens nicht mit in den verteidigten Patentanspruch 1 aufgenommen worden sind, ist darauf hinzuweisen, daß es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, daß ein Patentanspruch nur durch sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels beschränkt werden könnte, die der Aufgabenlösung "förderlich" sind; vielmehr hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1990, 325 Leitsätze 2 und 3 - "Spleißkammer").

Die geltenden Unteransprüche 2 bis 12 entsprechen - in dieser Reihenfolge - unverändert den erteilten Patentansprüchen 2 bis 12.

Auch stimmen die erteilten Patentansprüche 1 bis 12 mit den ursprünglichen Patentansprüchen 1 bis 12 überein.

3. Nach den Angaben in der geltenden Beschreibung (vgl. Seite 1, Absätze 1 und 2) geht die Erfindung von einem Umdrehungszähler aus, wie er aus der Druckschrift D1 bekannt ist (vgl. dort insbesondere die Fig. 6 mit der dazugehörigen Beschreibung).

Als nachteilig wird von der Patentinhaberin angesehen (vgl. geltende Beschreibung, Seite 1, Absatz 3), daß bei den Umdrehungszählern des Standes der Technik das Drehelement im Grundkörper axial und radial fest gelagert ist (ersichtlich über einen dazugehörigen Zapfen, der aus dem Grundkörper herausragt und der Verbindung des Drehelements mit einem Rotationselement dient). Aufgrund fertigungs-, montage- und funktionsbedingter Lageabweichungen zwischen der Drehachse des Drehelements und der Rotationsachse des Rotationselements würden nämlich mechanische Kräfte und Momente von dem Rotationselement - über den mit dem Rotationselement verbundenen, im Grundkörper gelagerten Zapfen - auf den Grundkörper übertragen. Um eine Beschädigung der Lagerung im Grundkörper zu vermeiden, müsse daher eine Ausgleichskupplung bzw. eine Drehmomentenstütze vorhanden sein.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatentgegenstand als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, einen Umdrehungszähler zu schaffen, der einfacher aufgebaut ist und insbesondere ohne eine Ausgleichskupplung bzw. eine Drehmomentenstütze auskommt (vgl. die geltende Beschreibung, Seite 1, Absatz 5).

Diese Aufgabe wird mit dem Umdrehungszähler nach dem geltenden - einteilig formulierten - Patentanspruch 1 gelöst.

Denn dadurch, daß das Drehelement (2) - einschließlich dessen aus dem Grundkörper (1) herausragenden Zapfens - vom Grundkörper (1) gar nicht (vgl. Fig. 5) oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist (vgl. Fig. 1), können nach dem Verbinden des Drehelements (2) - d.h. des Zapfens (19) - mit dem Rotationselement (3) und des Grundkörpers (1) mit dem Referenzelement (5) vom Drehelement (2) - d.h. auch von dessen Zapfen (19) - keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper (1) übertragen werden, weshalb eine Ausgleichskupplung bzw. eine Drehmomentenstütze entbehrlich ist. Der Wegfall der festen Lagerung des Drehelements im Grundkörper vereinfacht zudem den Aufbau des Umdrehungszählers.

Was unter mechanischen Kräften im Sinne des Streitpatents zu verstehen ist, ergibt sich aus den vorstehenden Nachteilen des Standes der Technik. Danach zählen magnetische Kräfte zwischen Grundkörper und Drehelement aber nicht zu den mechanischen Kräften im Sinne des Streitpatents (vgl. hierzu den Einspruchsschriftsatz vom 16. Juli 2003, Seite 3, Abschnitt VI.).

4. Der - zweifelsohne gewerblich anwendbare - Umdrehungszähler nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Entwicklung und Herstellung von Umdrehungszählern befaßter, berufserfahrener Elektroingenieur mit Fachhochschulausbildung zu definieren ist.

a) Die Neuheit des Gegenstands des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem Umdrehungszähler nach der Druckschrift D1 ergibt sich daraus, daß letzterer zwar folgende Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1 aufweist (vgl. insbesondere die Figuren 6 und 7 mit zugehöriger Beschreibung):

- einen Grundkörper (Gehäuse 73 mit Basis 66, Fig. 6),

- ein bezüglich des Grundkörpers (73, 66) um eine Drehachse drehbares Drehelement (Positionsdetektor 75, Fig. 6; ferromagnetischer Ring 115 mit Permanentmagneten 110 bis 113, Fig. 7),

- ein mit dem Drehelement (75; 115) verbindbares Rotationselement (Welle 1, Figuren 6 und 7) und - ein mit dem Grundkörper (73, 66) verbindbares Referenzelement (wird vom Fachmann als unerläßlich ohne weiteres ergänzt)

- wobei der Grundkörper (73, 66) eine - kombinierte - Sensoranordnung und Energieversorgungseinrichtung (Energiespeicher 85, Kern 84, Induktionsspule 88, Fig. 6; Energieumformer 95, 95', Fig. 7) aufweist,

- wobei das Drehelement (75; 115) eine Magnetanordnung (plättchenförmiger Permanentmagnet 76, Fig. 6; Permanentmagnete 110 bis 113, Fig. 7) aufweist, die derart mit der Energieversorgungseinrichtung (85, 84, 88, Fig. 6; 95, 95', Fig. 7) zusammenwirkt, daß die Sensoranordnung (95, 95', Fig. 7) bei jeder Drehzahl des Drehelements (75; 115) pro Umdrehung des Drehelements in mindestens drei Drehstellungen des Drehelements mit Energie versorgbar ist, so daß mittels der Sensoranordnung (95, 95', Fig. 7) jeweils eine Drehstellung des Drehelements erfaßbar ist (vgl. Spalte 19, Absatz 2 zur Fig. 7).

Jedoch weist das Drehelement (75; 115) gemäß der Druckschrift D1 zur Verbindung mit dem Rotationselement (Welle 1) keinen aus dem Grundkörper (66, 73) herausragenden Zapfen auf. Denn das Drehelement (75; 115) ist danach direkt - d.h. ohne Zapfen - am verjüngten Ende (ohne Bezugszeichen) der Welle (1), deren Bewegung überwacht werden soll (vgl. Spalte 18, letzter Absatz, Satz 1), d.h. an dem in den Grundkörper (66, 73) hineinragenden Ende des Rotationselements (1) angebracht (vgl. die Figuren 2 und 6 mit zugehöriger Beschreibung).

Bei dem Umdrehungszähler nach der Druckschrift D1 fehlt zudem das Merkmal des verteidigten Patentanspruchs 1, wonach das Drehelement (2) vom Grundkörper (1) gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist, so daß nach dem Verbinden des Drehelements (2) mit dem Rotationselement (3) und des Grundkörpers (1) mit dem Referenzelement (5) vom Drehelement (2) keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper (1) übertragen werden. Denn ausweislich der Fig. 6 der Druckschrift D1 ist das in den Grundkörper (66, 73) hineinragende Ende des Rotationselements (1) einschließlich des daran - wie dargelegt - angebrachten Drehelements (75) über ein Kugellager (65) in der Basis (66) des Grundkörpers (66, 73) axial und radial fest gelagert, so daß bei fertigungs-, montage- oder funktionsbedingten Lageabweichungen des Rotationselements (1) vom Drehelement (75) mechanische Kräfte und Momente auf den Grundkörper (66, 73) übertragen werden (ersichtlich übernimmt dabei das in den Grundkörper hineinragende Ende des Rotationselements die Rolle des aus dem Grundkörper herausragenden Zapfens beim Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1). Dafür, daß das Kugellager (65) bei Weglassen des zusätzlich vorgesehenen hochauflösenden Drehgebers (74) entbehrlich sein könnte, wie die Einsprechenden geltend machen, findet sich in dieser Druckschrift aber kein Anhalt (vgl. Spalte 17, Absatz 5 zur Fig. 6). Auch zeigen die Figuren 1 bis 5 und 7 den Umdrehungszähler lediglich stark schematisiert (vgl. Spalte 4, Zeilen 5 bis 48). Da der Grundkörper bei der Schematisierung weggelassen worden ist, kann auch in diesen Figuren unmöglich das - wohlverstandene - Merkmal des verteidigten Patentanspruchs 1 offenbart sein, wonach das Drehelement - d.h. auch dessen Zapfen - vom Grundkörper gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist, so daß nach dem Verbinden des Drehelements mit dem Rotationselement und des Grundkörpers mit dem Referenzelement vom Drehelement keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper übertragen werden.

Die Neuheit des beanspruchten Umdrehungszählers gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften D4 und D8 sowie Anlagen A1 und A5 ergibt sich implizit aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

b) Die Druckschrift D1 vermag dem vorstehend definierten zuständigen Durchschnittsfachmann den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 auch weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den vorgenannten Druckschriften D4 und D8 sowie Anlagen A1 und A5 nahezulegen.

Es ist das Verdienst der Patentinhaberin erstmals erkannt zu haben, daß bei einem Umdrehungszähler mit in dessen Grundkörper axial und radial fest gelagertem Drehelement infolge von Lageabweichungen des Rotationselements mechanische Kräfte und Momente auf den Grundkörper übertragen werden können. Die erfinderische Tätigkeit setzt hier daher bereits beim Erkennen dieses Nachteils des Standes der Technik ein (vgl. BGH BlPMZ 1985, 274, 275 liSp vorl Abs - "Körperstativ"). Gemäß der Druckschrift D1, in der sich kein Anhalt für diese Problematik findet, ist das Drehelement (75) aber - wie dargelegt - über die Welle (1) und das Kugellager (65) in der Basis (66) axial und radial fest in dem Grundkörper (66, 73) gelagert. Dementsprechend findet sich in dieser Druckschrift keinerlei Hinweis, daß es zur Vermeidung der Übertragung mechanischer Kräfte und Momente vom Drehelement auf den Grundkörper von Vorteil sein könnte, ein Drehelement mit einem aus dem Grundkörper herausragenden Zapfen zur Verbindung mit dem Rotationselement vorzusehen, das vom Grundkörper gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist, so daß nach dem Verbinden des Drehelements mit dem Rotationselement und des Grundkörpers mit dem Referenzelement vom Drehelement keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper übertragen werden, wie dies der Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 entspricht.

Eine Anregung hierzu erhält der Fachmann aber auch nicht bei Einbeziehung der Druckschriften D4 und D8 sowie Anlagen A1 und A5.

Durch einen in der Druckschrift D4 offenbarten Code-Drehgeber RCN mit integrierter Kupplung (vgl. die zweite Seite, oben) könnte dem Fachmann allenfalls ein Zapfen im Sinne des verteidigten Patentanspruchs 1 nahegelegt sein. Denn dort ist zwar das Drehelement (DIADUR-Teilscheibe) zur Verbindung mit dem Rotationselement (Antriebswelle) mit einem Zapfen (Welle) versehen, der aus dem Grundkörper (Gehäuse mit integrierter Kupplung und Abtasteinheit bestehend aus Lichtquellen, Abtastplatte und Photoelementen) herausragt. Andererseits führt dieser Stand der Technik den Fachmann jedoch insofern vom Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 weg, als danach der zum Drehelement (DIADUR-Teilscheibe) gehörende Zapfen (Welle) über ein Kugellager mit der zum Grundkörper gehörenden Abtasteinheit verbunden ist, d.h. das Drehelement (DIADUR-Teilscheibe) - insoweit entsprechend der Druckschrift D1 - ebenfalls vom Grundkörper axial und radial fest gehalten ist.

Letzteres gilt unbestritten auch für den Stand der Technik nach der Druckschrift D8. Denn diese Druckschrift ist von den Einsprechenden gerade deshalb genannt worden, weil bei dem dortigen Drehgeber (1) das Drehelement (Flußführungsanordnung 14 mit Erregerspule 15) über das in den Grundkörper (Gehäuse 4 bestehend aus Montageflansch 6 und Abdeckkappe 7) hineinragende Ende des Rotationselements (Welle 3 mit freiem Ende 10) - von dem das Drehelement (14, 15) getragen wird - und über zwei Kugellager (11, 12) mit der Montageplatte (6) des Grundkörpers (4) verbunden ist (vgl. die Figuren 1 und 2 mit zugehöriger Beschreibung). Die Einsprechenden wollten damit ihre Auffassung stützen, daß die entsprechende Kugellagerverbindung beim Umdrehungszähler nach Fig. 6 der Druckschrift D1 nur wegen des dort zusätzlich vorgesehenen hochauflösenden Drehgebers (74) vorhanden sei, d.h. dort bei Weglassen des hochauflösenden Drehgebers (74) entfallen könnte. Dem vermochte der Senat jedoch insofern nicht zu folgen, als sich für diese Auffassung im Offenbarungsgehalt der maßgeblichen Druckschrift D1 (insbesondere in Spalte 17, Absatz 5 zur Fig. 6) - auch bei Einbeziehung der Druckschrift D8 - keinerlei Anhalt findet.

Durch die Anlage A1 ist dem Fachmann der in Rede stehende letzte Merkmalskomplex des verteidigten Patentanspruchs 1 aber selbst dann nicht nahegelegt, wenn man - der Interpretation durch die Einsprechenden folgend - in der dortigen Fig. 3.8 die an der Motorwelle angebrachten Markierungsträger für die Sensoren als mit einem Rotationselement - nämlich der Motorwelle - verbundene Drehelemente und den mehrere verschiedene Sensoren tragenden Rahmen als mit dem Motorgehäuse als Referenzelement verbundenen Grundkörper in Betracht zieht. Denn beim Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 wird demgegenüber - wie dargelegt - vorausgesetzt, daß das Drehelement als separates Bauteil zur Verbindung mit dem Rotationselement einen Zapfen aufweist, der aus dem Grundkörper herausragt. Nur unter dieser Voraussetzung können nämlich nach dem Verbinden des Zapfens mit dem Rotationselement mechanische Kräfte vom Drehelement auf den Grundkörper übertragen werden, wobei dies gemäß dem verteidigten Patentanspruch 1 dadurch vermieden wird, daß das Drehelement vom Grundkörper gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist. All dies fehlt jedoch bei der Anordnung verschiedener Drehzahlsensoren nach Fig. 3.8 der Anlage A1, da bei dieser die Drehelemente (Markierungsträger) völlig außerhalb des Grundkörpers (Rahmen mit Sensoren) mit Abstand zu diesem auf dem Rotationselement (Motorwelle) angeordnet sind und von daher grundsätzlich keine mechanischen Kräfte auf den Grundkörper übertragen können.

Die Anlage A5 zeigt auf der Seite mit der Überschrift "Anwendungen und Ansteuerannordnungen für Impulsdrahtsensoren" links oben grob schematisch zwei Beispiele für Umdrehungszähler, bei denen ebenfalls - insoweit entsprechend den Figuren 1 bis 5 und 7 der Druckschrift D1 - aufgrund der Schematisierung der Grundkörper weggelassen worden ist. Infolgedessen kann der Fachmann auch diesen schematischen Darstellungen unmöglich einen Hinweis in Richtung des entscheidungserheblichen Merkmals des verteidigten Patentanspruchs 1 entnehmen, wonach das Drehelement vom Grundkörper gar nicht oder mit dreidimensionalem Spiel gehalten ist, so daß nach dem Verbinden des Drehelements mit dem Roationselement und des Grundkörpers mit dem Referenzelement vom Drehelement keinerlei mechanische Kräfte auf den Grundkörper übertragen werden.

Daß der Fachmann einen Hinweis oder eine Anregung hierzu bei Einbeziehung der der Erfindung auch nicht näher kommenden Druckschriften D2, D3 und D5 bis D7 sowie Anlagen A2 bis A4 erhalten könnte, ist auch von den Einsprechenden nicht geltend gemacht worden.

Bei der dargelegten Sachlage kann dahinstehen, ob die Druckschriften D4 bis D7 und Anlagen A1 bis A5 überhaupt zum Stand der Technik im Sinne der §§ 3 und 4 PatG gehören, insbesondere soweit sie dem Internet entstammen (vgl. hierzu BPatG GRUR 2003, 323 - "Computernetzwerk-Information").

Der Umdrehungszähler nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist demnach patentfähig.

5. An den verteidigten Patentanspruch 1 können sich die darauf direkt oder indirekt zurückbezogenen geltenden Unteransprüche 2 bis 12 anschließen, die vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsarten des Gegenstands des Patentanspruchs 1 betreffen.

6. In der geltenden Beschreibung ist der maßgebliche Stand der Technik angegeben, von dem die Erfindung ausgeht, und der beanspruchte Umdrehungszähler anhand der Zeichnungen ausreichend erläutert.

7. Die Anregung der Patentinhaberin auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Frage der Gebührenzahlung hat sich im Hinblick auf ihr Obsiegen in der Sache erledigt. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ginge im Übrigen ins Leere, da die Patentinhaberin ihr erklärtes Verfahrensziel (= beschränkte Aufrechterhaltung des Patents) erreicht hat und die Einsprechenden durch die Entscheidung zur Gebührenfrage nicht beschwert, sondern ausschließlich begünstigt sind.

Dr. Meinel Dr. Gottschalk Knoll Lokys Pr






BPatG:
Beschluss v. 26.10.2004
Az: 23 W (pat) 325/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2f65f9bb975f/BPatG_Beschluss_vom_26-Oktober-2004_Az_23-W-pat-325-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share