Landgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 28. Februar 2007
Aktenzeichen: 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07, 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07
(LG Frankfurt am Main: Urteil v. 28.02.2007, Az.: 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07, 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07)
Tenor
Der Beschluss € einstweilige Verfügung € vom 10.01.2007 wird bestätigt.
Der Antragsgegner hat die weiteren Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Haftung des Internetanschlussinhabers für das öffentliche Zugänglichmachen geschützter Musiktitel im Rahmen von Filesharing-Systemen.
Die Künstlerin ... ist Interpretin der im Verfügungsantrag aufgeführten sechs Musiktitel. Die Rechte an den Musikaufnahmen übertrug die Künstlerin mit Vertrag vom 10.03.2000 exklusiv an die Fa. BMG Berlin Musik GmbH. Mit Vertrag vom 13.04.2004 übertrug die Fa. BMG Berlin Musik GmbH die Rechte auf die Antragstellerin, die damals noch als ... firmierte.
Der Antragsgegner ist Inhaber des Internetanschlusses mit der IP-Nummer 217.87.94.205. Der Antragsgegner gewährt seiner 17-jährigen Tochter, die über einen eigenen Computer verfügt, Zugang zu dem Internetanschluss. Die Tochter des Antragsgegners nutzte über die Software BS ein sogenanntes Filesharing-System, bei dem verschiedene Teilnehmer jeweils die auf ihrem Rechner befindlichen Inhalte den anderen Teilnehmern zum Herunterladen anbieten. Suchanfragen eines Teilnehmers nach einem bestimmten Musiktitel werden an alle angeschlossenen Rechner weitergeleitet, die zu diesem Zeitpunkt online sind. Der Datenaustausch findet dann direkt mit dem passenden Teilnehmer statt. Am 07.08.2006 waren über den Internetanschluss des Antragsgegners unter anderem die im Verfügungstitel aufgeführten Musiktitel der Künstlerin ... zum Herunterladen verfügbar. Ein Ermittlungsdienst fragte die entsprechenden Dateien ab und lud sie zum Teil herunter.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die angegriffenen Rechtsverletzungen der Tochter des Antragsgegners seien nach den Grundsätzen der Störerhaftung dem Antragsgegner zurechenbar.
Das Landgericht Frankfurt/M. hat auf den Antrag der Antragstellerin vom 09.01.2007 dem Antragsgegner mit einstweiliger Verfügung vom 10.01.2007 untersagt, die streitgegenständlichen Musikaufnahmen öffentlich zugänglich gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 10.01.2007, Bl. 49 d.A. Bezug genommen. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 01.02.2007 Widerspruch eingelegt.
Die Antragstellerin beantragt nunmehr,
die einstweilige Verfügung vom 10.01.2007 zu bestätigen und den Widerspruch vom 01.02.2007 zurückzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, eine Störerhaftung komme nicht in Betracht, da keine umfassende Prüfungspflicht für sämtliche Internetzugriffe bestehen könne, die seine Tochter von ihrem eigenen PC aus tätige. Seine Tochter sei als Schülerin für Unterrichtszwecke auf den Internetzugriff angewiesen. Hinsichtlich des Datenzugriffs des Ermittlungsdienstes bestünde außerdem ein Beweisverwertungsverbot. Ebenso dürften die von der Staatsanwaltschaft ermittelten Anschlussinhaberdaten nicht verwertet werden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zur Akte gelangten Anlagen verwiesen.
Gründe
Auf den Widerspruch des Antragsgegners war die einstweilige Verfügung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies führte zu ihrer Bestätigung.
Es besteht ein Verfügungsgrund. Zwar kommt im Urheberrecht die analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 II UWG nicht in Betracht (OLG Frankfurt, GRUR 1989, 227; Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 26. Aufl., § 12 UWG, Rn. 3.14). Die einstweilige Verfügung ist aber zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Antragstellerin erforderlich (§ 940 ZPO). Die Verwertung der exklusiven urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Antragstellerin an den Musikdateien ist durch die öffentliche Zugänglichmachung durch den Antragsgegner gefährdet. Die Antragstellerin hat sich nicht durch zögerliches Verhalten selbst in Widerspruch zu dem Eilbedürfnis gesetzt. Sie hat nach ihren unwidersprochenen Angaben erst am 28.11.2006 Kenntnis von den Personalien des Antragsgegners erlangt. Der am 09.01.2007 eingereichte Verfügungsantrag war damit unter Berücksichtigung einer gewissen Vorbereitungszeit noch rechtzeitig.
Es besteht ein Verfügungsanspruch. Die Antragstellerin kann von dem Antragsgegner Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Musiktitel gemäß §§ 97 I, 78 I Nr. 1, 19a UrhG verlangen. Nach §§ 78 I Nr. 1, 19a UrhG ist es dem ausübenden Künstler vorbehalten, seine Darbietung öffentlich zugänglich zu machen. Die Antragstellerin hat die entsprechenden ausschließlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte der ausübenden Künstlerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Musiktitel erworben. Die Tochter des Antragsgegners hat die Musiktitel anderen Nutzern des File-Sharing-Systems Gnutella zugänglich gemacht. Die Zugänglichmachung gegenüber Teilnehmern eines File-Sharing-Systems ist "öffentlich" im Sine des § 19a UrhG (Dreier/Schulze, § 15 UrhG, Rn. 44, § 19a UrhG, Rn. 7).
Die öffentliche Wiedergabe ist nicht ausnahmsweise nach § 52 UrhG zulässig. Danach können öffentliche Wiedergaben zulässig sein, wenn sie keinem Erwerbszweck des Veranstalters dienen und unentgeltlich sind. Öffentliche Zugänglichmachungen wie das Bereithalten geschützter Werke in File-Sharings-Systemen sind jedoch gemäß § 52 III UrhG nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig (Dreier/Schulze, § 52 UrhG, Rn. 18). Eine Einwilligung der Antragstellerin lag nicht vor.
Der Antragsgegner ist nach den Grundsätzen der Störerhaftung für die Rechtsverletzung seiner Tochter verantwortlich. Als Störer kann nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jeder auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch genommen werden, der auch ohne Verschulden willentlich und adäquat-kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. BGH GRUR 1999,418 (419f.) € Möbelklassiker; NJW 2001, 3265 € ambiente.de; BGH GRUR 2004, 860 (864) € Internet-Versteigerung). Unzumutbar ist die Prüfungspflicht, wenn der Störungszustand für den Störer nicht ohne weiteres oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erkennbar ist (vgl. BGH GRUR 2001, 1038 (1040) € ambiente.de). Soweit das Rechtsinstitut der Störerhaftung im Wettbewerbsrecht inzwischen zurückhaltender gehandhabt wird, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung "Internet-Versteigerung" (BGH GRUR 2004, 860, 864) klargestellt, dass bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten an den Grundsätzen festgehalten wird. Die Überlassung von Telefon-, Fax- oder Telefaxanschlüssen an einen Dritten, der seinerseits von diesem Anschluss aus das Schutzrecht verletzende Handlungen begeht, kann zur Störerhaftung führen (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2005, 309 € Account-Überlassung). Die Verantwortlichkeit folgt daraus, dass er die auf diese Weise ermöglichten Rechtsverletzungen nicht unterbunden hat, obwohl er dazu als Inhaber des Anschlusses die Möglichkeit gehabt hätte und ein Einschreiten von ihm als Überlasser zu erwarten ist (BGH NJW 2000, 213, 214 € Räumschild). So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat dadurch einen Beitrag zu der Urheberrechtsverletzung geleistet, dass er seiner Tochter seinen Internetanschluss zur Nutzung überlassen hat.
Der Antragsgegner kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, eine zumutbare Überprüfungsmöglichkeit bestünde nicht. Er sei schon aus Fürsorgegesichtspunkten verpflichtet, seiner Tochter Zugang zu seinem Internetanschluss zu gewähren, da sie diesen für ihre Ausbildung benötige. Eine über Stichproben hinausgehende Kontrolle der Internetaktivität der Tochter sei nicht möglich. Der Antragsgegner bestreitet nicht den Vortrag der Antragstellerin, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für die verschiedenen Benutzerkonten unterschiedliche Benutzungsbefugnisse festlegen kann oder durch Installation einer "Firewall"-Software die Nutzung von Filesharing-Software verhindern kann. Die zukünftige Verwendung dieser technischen Möglichkeiten ist dem Antragsgegner zumutbar, nachdem sich herausgestellt hat, dass ein Familienmitglied, dem er die Nutzung des Anschlusses erlaubt, Urheberrechte Dritter verletzt hat. Die Erfüllung des Unterlassungstitels ist dem Antragsgegner also keineswegs unmöglich oder unzumutbar. Der Antragsgegner macht nicht geltend, dass seine Tochter für ihre Schulausbildung Zugriff auf File-Sharing-Systeme haben müsse.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners besteht für die von der Staatsanwaltschaft ermittelten Anschlussdaten des Antragsgegners für den Internetanschluss IP 217.87.94.205 kein Beweisverwertungsverbot. Der Antragsgegner macht insoweit geltend, die Staatsanwaltschaft hätte die Anschlussdaten nicht ohne richterlichen Beschluss gemäß § 100g StPO ermitteln dürfen. Es kann offen bleiben, ob ein Verwertungsverbot schon deshalb nicht bestehen kann, weil zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Tochter des Antragsgegners über den fraglichen Anschluss die Dateien zum Download bereithielt und deshalb eine Beweiserhebung überhaupt nicht stattfindet. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass unstreitig gestellte Tatsachen keinem Verwertungsverbot unterliegen, weil es dem Gegner unbenommen ist, Informationen, die auf unzulässige Weise erlangt wurden, zu bestreiten (Zöller/Greger, 26. Aufl. §286, Rn. 15e; § 138, Rn. 3). Nach anderer Auffassung können Kenntnisse, die eine Partei unter Verletzung grundrechtlich geschützter Positionen gewonnen hat, auch als Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt werden (OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577, 1578).
Hierauf kommt es nicht an, da hinsichtlich der Anschlussdaten unabhängig davon kein Verwertungsverbot vorliegt. Nicht jedes materiell rechtswidrig erlangte Beweismittel ist zwingend prozessual unverwertbar. Von einem Beweisverwertungsverbot ist erst dann auszugehen, wenn durch die Beweisgewinnung in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrecht eingegriffen und die Verwertung nicht ausnahmsweise durch Güterabwägung gerechtfertigt ist (OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577, 1578). Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft bei der Deutschen Telekom die Anschlussinhaberdaten für den Internetanschluss des Antragsgegners abgefragt, da ein konkreter Verdacht vorlag, dass über den Anschluss insgesamt über 900 Musikdateien illegal zum Download bereit gehalten wurden. Selbst wenn diese Ermittlung ohne richterlichen Beschluss unzulässig war, erscheint der Eingriff nicht so schwerwiegend, dass die Daten nun im Zivilprozess keine Verwendung finden könnten. Die Staatsanwaltschaft hat nicht in den engeren Persönlichkeitsbereich des Antragsgegners eingegriffen. Der Fall ist nicht vergleichbar mit unzulässigen Abhörmaßnahmen, in denen ein Beweisverwertungsverbot regelmäßig angenommen wird.
Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der PC seiner Tochter sei durch den Online-Ermittlungsdienst unzulässig ausgespäht worden, weswegen hinsichtlich der ermittelten Daten ein Beweisverwertungsverbot bestünde. Nach der Entscheidung des BGH vom 31.01.2007 (StB 18/06) findet die verdeckte Online-Durchsuchung in der Strafprozessordnung keine Rechtsgrundlage, insbesondere nicht in § 102 StPO. Dabei ist maßgeblich, dass diese Vorschrift nur zu einer offen ausgeführten Durchsuchung ermächtigt. Für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ohne Wissen des Betroffenen sieht die StPO hingegen strenge Voraussetzungen vor. Insbesondere dürfen sie nur beim Verdacht bestimmter schwerer Straftaten angeordnet werden, wenn andere erfolgversprechende Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind und sie nicht in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen. Diese für Zwangsmaßnahmen von Strafverfolgungsbehörden entwickelte Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Zivilrechtsfall nicht übertragbar. Denn der Online-Ermittlungsdienst hat keine versteckten Daten der Tochter des Antragsgegners ausgespäht, sondern nur auf die ohnehin für unbekannte Dritte zum Download bereitgehaltenen Daten zugegriffen. Das vom Antragsgegner im Zusammenhang mit dem angeblichen Beweisverwertungsverbot zitierte BGH-Urteil Az. XII ZR 227/03 ist nicht einschlägig. Es betrifft die Verwertbarkeit einer heimlichen DNA-Analyse im Vaterschaftsanfechtungsverfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
LG Frankfurt am Main:
Urteil v. 28.02.2007
Az: 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07, 2/06 O 12/07, 2/6 O 12/07
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