Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. September 2003
Aktenzeichen: 6 W (pat) 314/02
(BPatG: Beschluss v. 09.09.2003, Az.: 6 W (pat) 314/02)
Tenor
Das Patent P 44 26 588 wird in beschränktem Umfang aufrechterhalten. Der geänderten Fassung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
1) Patentansprüche 1 bis 5, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9.9.2003, 2) Beschreibung nebst Zeichnungen lt. Erteilung.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I Gegen die am 21. März 2002 veröffentlichte Erteilung des Patents P 44 26 588 mit der Bezeichnung "Querweiche Tragfeder für ein Hydrolager" ist am 21. Juni 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Anspruch 1 keine klare, nachvollziehbare Lehre beinhalte, dass er gegenüber den Anmeldungsunterlagen unzulässig erweitert sei und dass er gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig sei.
In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende neben den bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften D1: DE 33 42 300 C2 D2: DE 30 47 160 C2 D3. DE-PS 974 889 D4: DE 40 25 284 A1 D5: DE 34 40 854 A1 (muss gemäß Patentschrift richtig heißen: DE 34 40 054 A1 D6: DE-GM 69 00 858 noch auf folgende Druckschriften D7: DE 33 36 204 A1 D8: DE 44 26 588 A1 (zum vorliegenden Patent gehörende Offenlegungsschrift)
D9: DE 31 22 311 A1.
Außerdem legt sie in der mündlichen Verhandlung eine Zeichnung vor.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Außerdem regt sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu folgenden Fragen an:
1. Ist es der Patentinhaberin möglich, ein beschränktes Schutzbegehren vorzulegen, das ein nach der Disclaimerlösung ausgeschlossenes Merkmal aufweist€
2. Inwieweit kommt der Zeichnung als Offenbarungsmittel eine Bedeutung zu, um behauptete funktionelle Merkmale zu offenbaren€
Die Patentinhaberin reicht in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 5 ein. Sie beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten mit den am 9. September 2003 überreichten Patentansprüchen 1 bis 5, Beschreibung und Zeichnungen nach Patentschrift.
Weiterhin überreicht sie zur Erläuterung des Standes der Technik zwei Skizzen.
Die Patentinhaberin erklärt außerdem die Teilung des Patents.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
"Hydrolager zur dämpfenden Anordnung schwingender Massen mit einem gummielastischen Tragkörper, der eine fluidgefüllte Kammer teilweise begrenzt und in den eine Aufnahmevorrichtung mit einer Bohrung zur Verbindung des Lagers mit der schwingenden Masse hineinragt und in diesem einvulkanisiert ist und mit einem Gehäuse, das den Tragkörper kraftschlüssig an einer Anordnungsvorrichtung abstützt, dadurch gekennzeichnet, dass der Tragkörper (2) mindestens eine axiale Materialaussparung (8) aufweist, die auf einem zur Bohrung (5) der Aufnahmevorrichtung (3) konzentrischen Kreissegment angeordnet ist und sich axial von einer von der fluidgefüllten Kammer (12) abgewandten Stirnseite (6) des Tragkörpers (2) her in Richtung zur gegenüberliegenden Stirnseite (2) erstreckt und dabei die Aufnahmevorrichtung (3) (Fig. 1-3 und Fig. 6) an der Stirnseite (6) so durchsetzt, dass die Wandflächen der mindestens einen Aussparung unter statischer Vorlast zueinander beabstandet bleiben, wobei sich die Aufnahmevorrichtung (3) an der von der fluidgefüllten Kammer (12) abgewandten Stirnseite (6) des Tragkörpers (2) radial über die axiale Materialaussparung (8) hinauserstreckt (Aus dem Merkmal "dabei die Aufnahmevorrichtung (3) (Fig. 1-3 und Fig. 6) an der Stirnseite (6) so durchsetzt," werden keine Rechte hergeleitet)."
Die Ansprüche 2 bis 5 sind auf Merkmale gerichtet, mit denen das Hydrolager nach Anspruch 1 weiter ausgebildet werden soll.
II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 1 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 (Art 7) durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und zulässig.
3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt in der geltenden Fassung eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
Die geltenden Patentansprüche sind zulässig. Ihre Merkmale sind ursprünglich offenbart und erweitern auch nicht den Schutzbereich des erteilten Patents.
Die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 sind aus dem erteilten Anspruch 1 i.V.m. der Beschreibung Sp. 5, Z. 34 bis 45 und 53 bis 58 bzw. den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2 i. V. m. der ursprünglichen Beschreibung Seite 7, Zeilen 8 bis 18 und 25 bis 30 sowie den Fig. 1 bis 3 und 6 hervorgegangen.
Das Merkmal des geltenden Anspruchs 1, wonach sich die Aufnahmevorrichtung (3) an der von der fluidgefüllten Kammer (12) abgewandten Stirnseite (6) des Tragkörpers (2) radial über die axiale Materialaussparung (8) hinauserstreckt, ist zwar lediglich in den Zeichnungen dargestellt, es ist aber unstrittig, dass Anspruchsmerkmale auch in einer Zeichnung offenbart sein können. Bei lediglich gezeichneten Merkmale, die also - wie im hier vorliegenden Fall - weder in der Beschreibung noch in den Ansprüchen erwähnt sind, ist aber besonders sorgfältig zu prüfen, ob die bloße zeichnerische Darstellung dem zuständigen Fachmann, im vorliegenden Fall ein Hochschul- oder Fachhochschulingenieur mit Erfahrungen in der Schwingungstechnik und der Herstellung von Lagerkörpern, eine erkennbare und ausführbare Lehre vermittelt. Dabei kommt es darauf an, ob das fragliche Merkmal z. B. in den Zeichnungen besonders herausgestellt ist, weil ihm eine eigene Figur gewidmet ist oder weil es aus sämtlichen Zeichnungen als Lösungsmittel erkennbar ist oder weil es in verschiedenen Abbildungen wiederholt wird. Einen Fall dieser letztgenannten Art stellen die Figuren 1 bis 3 und 6 des Streitpatents dar. In all diesen Abbildungen ist erkennbar, dass sich die Aufnahmevorrichtung an der von der fluidgefüllten Kammer abgewandten Stirnseite des Tragkörpers radial über die axiale Materialaussparung hinauserstreckt. Damit wird der zuständige Fachmann diese Ausgestaltung als zur Erfindung gehörig erkennen, zumal ihm auch bewusst wird, dass durch diese Maßnahme eine Stabilisierung der Materialaussparungen erfolgt, so dass sichergestellt ist, dass die Wandflächen der Materialaussparungen unter statischer Vorlast zueinander beabstandet bleiben.
Das Merkmal, wonach die Materialaussparung "die Aufnahmevorrichtung (3) (Fig. 1-3 und Fig. 6) an der Stirnseite (6) so durchsetzt", ist in den ursprünglichen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörig offenbart. Zwar wird der Fachmann das rein gegenständliche Merkmal, wonach die Materialaussparung die Aufnahmevorrichtung durchsetzt, den Figuren entnehmen können, den funktionalen Zusammenhang (... so durchsetzt, dass ...) kann er aber allein durch das Betrachten der Figuren nicht erkennen. Denn wie infolge des Durchsetzens der Aufnahmevorrichtung durch die Materialaussparung die patentgemäß angestrebte Beabstandung der Wandflächen der Materialaussparung erreicht werden soll, ist allein aus den Abbildungen nicht erkennbar. Da somit der erteilte Anspruch 1 eine unzulässige Erweiterung beinhaltet, kann eine Aufrechterhaltung des Streitpatents nur über die Beseitigung der unzulässigen Erweiterung erfolgen. Da aber weiterhin eine Streichung dieser Erweiterung automatisch zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Patents führt, war in den geltenden Anspruch 1 eine Beschränkungserklärung (Disclaimer) einzufügen.
Der geltende Anspruch 1 erteilt dem Fachmann auch eine klare, nachvollziehbare Lehre. Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung zwar eine von ihr geänderte Figur der DE 34 40 054 A1 mit verlängerten Schrägkanten des Kerns 5 vorgelegt und dargetan, dass nicht klar sei, ob auch eine solche Ausführungsform vom nunmehr geltenden Anspruch 1 umfasst werde. Wenn aber ein Fachmann in einem Anspruch Unklarheiten zu erkennen glaubt, so sind die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Unter Zuhilfenahme diese Unterlagen wird der Fachmann aber auch im vorliegenden Fall keine Schwierigkeiten haben, zu erkennen, wie dieses Merkmal zu verstehen ist, zumal im Anspruch 1 angegeben ist, dass sich die Aufnahmevorrichtung an der Stirnseite des Tragkörpers radial erstrecken soll und in diesen einvulkanisiert ist.
Die Bedenken der Einsprechenden hinsichtlich der Aufnahme eines weiteren beschränkenden und zur Erfindung gehörenden Merkmals teilt der Senat nicht, denn eine Beschränkung der Ansprüche ist in jedem Verfahrensstand zulässig.
Die Merkmale der geltenden Ansprüche 2 bis 5 ergeben sich aus den ursprünglichen bzw. erteilten Ansprüche 2 und 4 bis 6.
4. Das zweifellos gewerblich anwendbare Hydrolager nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu. Keine der entgegengehaltenen Druckschriften offenbart ein Hydrolager mit sämtlichen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1, insbesondere ist in keiner Druckschrift ein Hydrolager mit einer Aufnahmevorrichtung gezeigt, die sich über die axiale, in dem Tragkörper angeordnete Materialaussparung hinauserstreckt.
5. Das Hydrolager gemäß geltendem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Lehre des Anspruchs 1 liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es insbesondere bei Kraftfahrzeugen wegen der hohen Anforderungen an den Nutzungskomfort erforderlich ist, dass Hydrolager Schwingungsamplituden bedämpfen, die im Lager zu Kraftverläufen in allen drei möglichen Raumrichtungen verlaufen. Diese Lager sollen daher nach Möglichkeit unabhängig voneinander bezüglich der Dämpfungswirkung des Lagers im Falle einer in Lageraxiallängsrichtung verlaufenden Belastung und einer quer zur Axiallängsrichtung des Lagers verlaufenden Belastung, also einer in Lagerradialrichtung verlaufenden Last, einstellbar sein (vgl. Sp. 1, Z. 34 bis 45 der Streitpatentschrift).
Vor diesem Hintergrund liegt dem Patentgegenstand die Aufgabe zugrunde, ein Lager zur dämpfenden Anordnung schwingender Massen zu schaffen, mit dem es möglich ist, sowohl das akustische als auch das Festigkeitsverhalten in radialer und axialer Richtung unabhängig voneinander einzustellen, wobei das zu schaffende Lager kostengünstig sein und zudem eine hohe Dauerfestigkeit aufweisen soll (vgl. Sp. 3, Z. 23 bis 30 der Streitpatentschrift).
Diese Aufgabe wird durch die im Anspruch 1 angegebenen Merkmale gelöst. Dabei wird gemäß Anspruch 1 u. a. vorgeschlagen, die Aufnahmevorrichtung eines bekannten Hydrolagers so auszugestalten, dass sie sich in radialer Richtung über die in dem Lagerkörper vorgesehenen axialen Materialaussparungen hinauserstreckt.
Zu einer solchen Ausgestaltung konnte der Stand der Technik insgesamt gesehen jedoch keine Anregung liefern, denn keiner dieser Druckschriften ist ein gattungsgemäßes Hydrolager zu entnehmen, bei dem sich die Aufnahmevorrichtung über die in dem Lagerkörper abgeordneten Materialaussparungen hinauserstreckt. Sofern beim angezogenen Stand der Technik überhaupt Materialausnehmungen in dem Lagerkörper vorgesehen sind, liegen diese Materialaussparungen alle außerhalb der Aufnahmevorrichtung. Nur beispielhaft sei verwiesen auf die Fig. 2 in der D2: DE 30 47 160 C2, die einzige Figur in der D5: DE 34 40 065 A1, die Fig. 4 in der D6: DE-GM 69 00 858 oder die Fig. 4 und 8 der D9: DE 31 22 311 A1.
Die D3: DE-PS 974 889 (vgl. Abb. 1) zeigt ein zur elastischen Abstützung von Maschinen- oder Fahrzeugteilen dienendes Gummi-Metall-Bauteil, welches aus einem an eine obere und untere Metallplatte anhaftenden bzw. anvulkanisierten Gummikörper besteht, der Hohlräume aufweist, über die sich die als Aufnahmevorrichtung dienende Metallplatte erstreckt. Dieses Gummi-Metall-Bauteil weist jedoch außer dem Umstand, dass sich die Aufnahmevorrichtung über die Materialaussparung hinauserstreckt, keine weiteren Übereinstimmungen mit dem Streitgegenstand auf und dient darüber hinaus auch einem gänzlich anderen Zweck, da nämlich in der D3: DE-PS 974 889 bei gleichbleibender Elastizität eine geringere Gummikörperstärke erreicht werden kann, ohne dabei an Knickfestigkeit einzubüßen (vgl. S. 2, Z. 39 bis 44). Der Fachmann hatte somit keinerlei Veranlassung, die aus der D3: DE-PS 974 889 bekannte Maßnahme als mögliches Lösungsmittel für seine Aufgabe in Betracht zu ziehen.
Ein weiteres Hydrolager zeigt die D7: DE 33 36 204 A1. Dort ist gemäß Fig. 3 in einem Tragkörper eine ringförmige Lagerplatte 20 angeordnet, auf die über eine Elastomerschicht eine zylindrische Halterungsplatte 21 aufvulkanisiert ist. Die Halterungsplatte weist einen zylindrischen Ansatz 22 auf, der in die Ausnehmung in der ringförmigen Lagerplatte hineinragt. Die Elastomerschicht bedeckt auch die Wandung der Ausnehmung und die Oberfläche des zylindrischen Ansatzes, wobei zwischen der die Ausnehmung bedeckenden Schicht und dem zylindrischen Ansatz ein freier Ringspalt 26 verbleibt. Dieser Ringspalt dient ausweislich der Beschreibung (vgl. S. 7, Z. 8 und 9) dazu, eine radiale Beweglichkeit der Halterungsplatte zu ermöglichen. Somit erstreckt sich bei diesem Hydrolager die zylindrische Halterungsplatte zwar über den Ringspalt hinaus, der Ringspalt selbst ist aber nicht - wie erfindungsgemäß vorgesehen - im Tragkörper, sondern innerhalb der ringförmigen Lagerplatte angeordnet und leistet darüber hinaus aufgrund seiner anderen Wirkungszusammenhänge auch keinen Beitrag zum erfindungsgemäßen Einstellen des Festigkeits- und Dämpfungsverhaltens des Lagers in radialer und axialer Richtung. Der Fachmann konnte folglich auch aus dieser Druckschrift keine Substanz ziehen, die ihn zum Vorgehen in der nunmehr beanspruchten Weise veranlassen konnte.
Die Druckschriften D1: DE 33 42 300 C2 und D4: DE 40 25 284 A1 liegen erkennbarerweise noch weiter vom Streitgegenstand ab als der vorstehend abgehandelte Stand der Technik und können somit den Fachmann ebenfalls nicht in Richtung auf den Streitgegenstand beeinflussen.
Da somit im gesamten zu berücksichtigende Stand der Technik keine Anregungen zu entnehmen sind, bei einem gattungsgemäßen Hydrolager eine sich über die Materialaussparungen hinaus erstreckende Aufnahmevorrichtung vorzusehen, konnte der Stand der Technik auch in einer Zusammenschau keine in diese Richtung führenden Hinweise liefern.
Die geltenden Patentansprüche 2 bis 5 sind auf weitere Ausgestaltungen des Hydrolagers nach Patentanspruch 1 gerichtet und werden von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.
III Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 147 Abs 3 PatG letzter Satz i. V. m. § 100 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 Art 7 zuzulassen, da mit den von der Einsprechenden aufgeworfenen Fragen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung berührt werden.
Lischke Heyne Sperling Schneider Cl
BPatG:
Beschluss v. 09.09.2003
Az: 6 W (pat) 314/02
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