Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 8. Februar 2000
Aktenzeichen: 4 U 175/99
(OLG Hamm: Urteil v. 08.02.2000, Az.: 4 U 175/99)
Tenor
Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 14. Oktober 1999 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 11. August 1999 wird bestätigt.
Die weiteren Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Antragsgegner warb in der Zeitschrift "T" Heft 7/99 auf S. 53 für das von ihm vertriebene Mittel "D". Die Anzeige (Ablichtung Bl. 53 d.A.) ist überschrieben mit den Worten "Der Klassiker! 100 Prozent reines "DN". Darunter befindet sich die Abbildung einer Kunststoffdose mit Etikett. Unterhalb der Abbildung folgen die Angaben "M - I g T!" nebst Postfachadresse und Telefonnummer sowie "M Sportnahrung".
Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 11. August 1999 erwirkt, durch die dem Antragsgegner unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "D Q" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch hat der Antragsgegner unter Berufung auf ein Gutachten des Prof. X vom 09.09.1997 und eine Stellungnahme des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veteriniärmedizin vom 21.04.1998 geltend gemacht, daß es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein spezielles Sportlerlebensmittel handele.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die einstweilige Verfügung dahingehend abgeändert, daß dem Antragsgegner untersagt wird, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "D Q" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, falls nicht deutlich lesbar darauf hingewiesen werde, daß es sich lediglich um ein Nahrungsergänzungsmittel für Sportler handele, welches nur mit einer Initialdosis von maximal 20 gr. pro Tag in der ersten Woche, danach mit maximal 2 gr. pro Tag als Erhaltungsdosis dem Körper zugeführt werden dürfe, und das Produkt für Kinder und Jugendliche nicht geeignet sei.
Mit der Berufung verfolgt der Antragsteller seinen Unterlassungsantrag in vollem Umfang weiter. Es handele sich um ein Arzneimittel, das auch mit den vom Landgericht genannten Hinweisen nicht beworben und vertrieben werden dürfe. Die Wirkung von Kreatin sei dem angesprochenen Verkehr aus zahlreichen Anzeigen und Berichten unter anderem gerade auch in Heft 7/99 der T sowie im G Heft 10/99 bekannt.
Der Antragsteller beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beschlußverfügung vom 11.08.1999 aufrechtzuerhalten und den Antragsgegner bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "D Q" ohne Zulassung als Arzneimittel gemäß § 21 AMG zu bewerben und/oder zu vertreiben.
Der Antragsgegner beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, daß die Dringlichkeitsvermutung entfallen sei, weil der Antragsteller im erstinstanzlichen Termin vom 07.10.1999 keinen Antrag gestellt habe und mit einer Vertragung auf den 14.10.1999 einverstanden gewesen sei. Im übrigen handele es sich um ein Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel.
Im Senatstermin vom 08.02.2000 hat der Antragsgegner sich verpflichtet, künftig im geschäftlichen Verkehr für das Mittel "D Q Q1 Qualität" nur so zu werben und es nur so zu vertreiben, wie es in Ziff. 2 des landgerichtlichen Urteils wiedergegeben ist, und für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 10.000,00 DM zu zahlen. Der Antragsteller hat hierzu keine Erklärung abgegeben.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Unterlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung des Antragstellers ist begründet.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 11. August 1999 ist in vollem Umfang zu bestätigen, weil es sich bei dem beanstandeten Produkt des Antragsgegners um ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Ziff. 5 AMG handelt, das nach § 21 AMG nicht ohne behördliche Zulassung vertrieben werden darf, selbst wenn die vom Landgericht verlangten Hinweise erfolgen. Eine behördliche Zulassung für das streitgegenständliche Produkt fehlt unstreitig. Ein verbotswidriger Vertrieb von Arzneimitteln stellt zugleich auch einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG dar, ohne daß es weiterer Unlauterkeitsmomente bedürfte. Denn die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes stellen wertbezogene Normen zum Schutze der Gesundheit dar, deren Verletzung zugleich auch ohne weiteres einen Verstoß gegen § 1 UWG begründet (vgl. BGH, NJW 1999, 2737 Hormonpräparate). In Anbetracht der großen Bedeutung der Arzneimittelvorschriften für die Volksgesundheit ist ein Verstoß gegen diese Vorschriften, auch unter dem Gesichtspunkt der Nachahmungsgefahr, zugleich auch geeignet, den Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt wesentlich zu beeinträchtigen, § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG sind Arzneimittel unter anderem Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen. Lebensmittel sind demgegenüber nach § 1 Abs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuß verzehrt zu werden. Der Begriff der Arzneimittel wird durch § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG dahin eingeschränkt, daß Lebensmittel im Sinne des § 1 LBMG keine Arzneimittel sind. Daraus folgt, daß ein Produkt der hier vorliegenden Art nicht gleichzeitig Lebens- und Arzneimittel sein kann.
Die Abgrenzung ist nach einer an objektive Merkmale anknüpfenden überwiegenden Zweckbestimmung vorzunehmen. Maßgebend sind vor allem die Verwendungsmöglichkeiten des Produktes, Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (vgl. BGH, WRP 1995, 386 - Knoblauchkapseln). Die empfohlene Tagesdosis kann ebenfalls zur Abgrenzung herangezogen werden (OLG München, NJWE-Wettbewerbsrecht, 1997, 51). Auch für die Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln von Arzneimitteln ist auf die Zweckbestimmung abzustellen, die sich zunächst nach einer an objektive Merkmale anknüpfenden überwiegenden Zweckbestimmung beurteilt (OLG Koblenz, WRP 1996, 777). Die hierfür maßgebliche Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch die allgemeine Verwendung seitens der Verbraucher bestimmt, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten das Produkt seiner Art nach hat. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher wiederum durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen beeinflußt werden. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das Produkt überwiegend der Deckung der energetischen oder stofflichen Bedürfnisse des menschlichen Organismus dient oder ob es in erster Linie die Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustandes oder der Funktionen des menschlichen Körpers bezweckt und dadurch anderen Zwecken dient als der Ernährung oder dem Genuß (vgl. KG, WRP 1995, 211).
Die Anwendung der vorgenannten Kriterien auf das hier in Rede stehende Produkt führt zur Einordnung als Arzeimittel. Hierfür spricht zunächst die in der Anzeige herausgestellte Bezeichnung "D". Ein derartiger fremdsprachiger Begriff ist für ein Lebensmittel ganz ungewöhnlich, für ein Arzneimittel als Wirkstoffangabe dagegen typisch. Noch mehr gilt dies für die höhere Dosierung in den ersten Tagen der Einnahme (20 gr. pro Tag) und die deutlich geringere "Erhaltungsdosis" danach (2 gr. pro Tag), wie sie sowohl in dem vom Antragsgegner vorgelegten Gutachten X als auch in der Stellungnahme des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin angeführt sind und jetzt auch Inhalt der vom Antragsgegner ausdrücklich akzeptierten Hinweise sein sollen. Ein Lebensmittel wird demgegenüber regelmäßig in sich nicht wesentlich ändernder Menge verzehrt. Ebenfalls arzneimitteltypisch ist der im Gutachten X enthaltene Vorschlag einer Einnahmepause nach drei Monaten bzw. der im Schreiben des Bundesinstituts zu findende Hinweis, daß die Zufuhr von Creatin insgesamt nur wenige Wochen lang erfolgen sollte. Hinzuweisen ist außerdem auf die im Gutachten X breit erörterten Nebenwirkungen. Auch dies ist ein deutliches Indiz für das Vorliegen eines Arzneimittels.
Unerheblich ist demgegenüber, daß in der Werbung des Antragsgegners - anders als in dem Fall des beiden Parteien bekannten Senatsurteils 4 U 23/99, das ein ebenfalls "D Q" genanntes Produkt eines anderen Vertreibers betrifft keine nähere Beschreibung der mit dem Mittel zu erzielenden Wirkung vorhanden ist. Wenn der Antragsgegner hierauf verzichtet, geht er ersichtlich davon aus, daß die angesprochenen Verkehrskreise auch ohne solche Informationen allein aufgrund ihres Vorwissens die Eigenschaften dieses Produkts kennen. Dieses Vorwissen ist auch durch Werbung und Berichte geprägt, die den Verbrauchern anderweitig in Bezug auf D entgegentreten. Entsprechendes Material hat der Antragsteller vorgelegt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Zeitschrift T nach dem vorgelegten Titelblatt ersichtlich vor allem an Bodybuilder, Amateur- und Freizeitsportler sowie Besucher von Fitnesscentern wendet. Gerade in derselben Ausgabe der T sind aber nach dem unwidersprochenen Vortrag in der Berufungsbegründung weitere Berichte und Werbungen zu D enthalten. Dort wird D ausdrücklich zum "Masseaufbau" angepriesen. Als Folge einer Kreatineinnahme werden "höhere Zuwachsraten in punkto Kraft, Muskelmasse und Körpergewicht" genannt. Weiter wird ausgeführt, "D ermöglicht den Aufbau von 5 bis 6 kg fettfreier Muskelsubstanz sowie einen 20 bis 30 %igen Kraftzuwachs in nur 8 Wochen. Bereits nach wenigen Einnahmetagen erlangt die Muskulatur ein pralleres und volleres Aussehen und die Körperkraft, speziell in den Grundübungen, steigt gerade zu sprunghaft". In dem vom Antragsteller vorgelegten GBericht wird Kreatin als "Modesubstanz der Muskelmäster" und "Wundermittel zum Kraftaufbau" bezeichnet. Indem der Antragsgegner sein Produkt unausgesprochen in diesen Zusammenhang stellt, gibt er seinem Mittel den entsprechenden Charakter. Denn der angesprochene Verbraucher geht mangels gegenteiliger Hinweise davon aus, daß das Produkt des Antragsgegners mit denen der Konkurrenz vergleichbar und gleichwertig ist.
Hinzu kommt, daß der Antragsgegner sich in seiner Anzeige ausdrücklich als "I G I T" betitelt. Damit erweckt er den Eindruck eines Spezialisten für härteste, stärkste Unterstützungsmittel. In seiner - als gerichtsbekannt im Senatstermin erörterten Internetwerbung befindet sich außerdem die plakative Aussage "Build muscle, lose fat". Damit bestätigt sich, daß auch das Produkt des Antragsgegners vorrangig einen Muskelaufbau bezweckt. Ein Ernährungszweck gerade auch für Sportler tritt dagegen nicht hervor. Es fehlt jede Einbindung in die allgemeinen Ernährungsgewohnheiten. Ebensowenig geht es darum, etwa Defizite im Kräftereservoir, nach anstrengendem Training wieder aufzufüllen. Vielmehr wird ein gezielter Kraftzuwachs, also eine gezielte Steigerung der Körperfunktionen gerade unabhängig von der Nahrungsaufnahme bezweckt. Das stellt den typischen Fall einer Beeinflussung von Körperfunktionen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG dar, so daß das Produkt als Arzneimittel zu qualifizieren ist.
Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung als "Sportlernahrung" oder "Nahrungsergänzungsmittel" ohne Bedeutung. Der tatsächliche Charakter des Mittels wird dadurch nicht geändert. Auch eine "Sportlernahrung" dient nur dann einem besonderen Ernährungszweck, wenn sie der Aufüllung von Mängeln nach bestimmten Höchstleistungen dient, nicht aber dann, wenn sie, wie hier, nur die Fähigkeit fördern soll, Höchstleistungen erst zu erreichen (vgl. KG, WRP 1995, 211, 217; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 6 a AMG Anm. A Ziff. 9 "Abrenzung zur Sportlernahrung").
Nach alledem ist auch die vom Antragsgegner im Senatstermin abgegebene Verpflichtungserklärung nicht geeignet, den weitergehenden Unterlassungsanspruch des Antragstellers abzudecken.
Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG ist nicht widerlegt. Da der Antragsteller im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Termins vom 07.10.1999 im Besitz der Beschlußverfügung vom 11.08.1999 war, mußte er nicht mehr um eine Beschleunigung des Verfahrens bemüht sein. Da der verfolgte Unterlassungsanspruch bereits gesichert war, ist aus dem Einverständnis mit der Vertagung kein Rückschluß dahingehend möglich, daß der Antragsteller die Angelegenheit etwa nicht mehr als eilbedürftig ansah.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 08.02.2000
Az: 4 U 175/99
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