Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. November 2003
Aktenzeichen: 14 W (pat) 323/02

(BPatG: Beschluss v. 28.11.2003, Az.: 14 W (pat) 323/02)

Tenor

Das Patent wird in unverändertem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I Die Erteilung des Patents 197 38 926 mit der Bezeichnung

"Verfahren zum Herstellen von hochpasteurisierter Milch und/oder Milchprodukten mit Frischmilcheigenschaften und verlängerter Haltbarkeit"

ist am 27. Juni 2002 veröffentlicht worden.

Gegen dieses Patent ist mit dem am 26. September 2002 eingegangenen Schriftsatz vom 24. September 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Behauptung gestützt, den Gegenständen der Patentansprüche 1 bis 8 des Streitpatents fehle es an der Neuheit bzw an der erfinderischen Tätigkeit.

Dazu verweist die Einsprechende auf die Druckschriften

(1) DE 197 33 280 A1

(2) EP 0 081 256 B1

(3) EP 0 174 176 A2

(4) EP 0 214 618 A2, sowie auf die

(5) Offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes des Streitpatents zwischen 12.-15. Januar 1993 bei Bodensee-Alpmilch GmbH in Rottweil mit eidesstattlicher Versicherung (XYO) und Installationsdokumenten (XY1-XY4).

Der Gegenstand des Streitpatents werde durch (3) neuheitsschädlich vorweggenommen bzw beruhe insbesondere gegenüber einer Zusammenschau von (3) mit (4) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zum besseren Verständnis legt die Einsprechende eine Detailzeichnung der Figur 2 von (3) vor. Der Hauptanspruch gemäß Hilfsantrag mit einer oberen Temperatur der Vorwärmung auf 75oC sei ebenfalls gegenüber (3) nicht neu bzw für den Fachmann nicht erfinderisch.

Die Einsprechende beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen des Einsprechenden in allen Punkten entgegen. Sie beantragt, das Patent im erteilten Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage des Patentanspruchs 1 vom 4. April 2003, im Übrigen wie Hauptantrag.

Der geltende erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Verfahren zum Herstellen von hochpasteurisierter Milch und/oder Milchprodukten mit Frischmilcheigenschaften und, verlängerter Haltbarkeit, unter Verwendung bekannter Erhitzungsanlagen mit indirekter Wärmeübertragung, die mit oder ohne einer Wärmerückgewinnung ausgeführt sein können, dadurch gekennzeichnet, daß die Milch sanft bis zu einer Temperatur in einem Temperaturbereich von 65 bis 95oC vorgewärmt wird und unmittelbar nach der Vorwärmung eine Hochpasteurisierung bei einer Temperatur im Temperaturbereich von 100 bis 130oC mit einer Strömungsgeschwindigkeit durchgeführt wird, die höher ist als die Strömungsgeschwindigkeit bei der Vorwärmung, und daß nach der Hochpasteurisierung die Milch ohne definierte Heißhaltung einer Schockkühlung unterworfen wird.

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der Patentansprüche 2 bis 8, welche besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 betreffen, sowie zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 1 PatG idF des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 Art 7 Nr 37 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen; er ist daher zulässig. Für das gemäß Hauptantrag der Patentinhaberin verfolgte Patentbegehren können aber weder die geltend gemachten Widerrufsgründe greifen, noch sind andere Widerrufsgründe ersichtlich.

3. Die Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig. Sie entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 8.

4. Das Verfahren zum Herstellen von hochpasteurisierter Milch und/oder Milchprodukten nach dem geltenden Anspruch 1 ist neu.

Das Streitpatent betrifft nach Anspruch 1 ein Verfahren mit folgenden Merkmalen:

1. Verfahren zum Herstellen von hochpasteurisierter Milch und/oder Milchprodukten mit Frischmilcheigenschaften und verlängerter Haltbarkeit 2. unter Verwendung bekannter Erhitzungsanlagen mit indirekter Wärmeübertragunga. mit oder ohne Wärmerückgewinnung 3. mittels sanfter Vorwärmung der Milch bis zu einer Temperatur im Bereich von 65-95oC, 4. Hochpasteurisierung, a. bei einer Temperatur im Bereich von 100-130oC b. unmittelbar nach der Vorwärmungc. mit einer Strömungsgeschwindigkeit, die höher ist als die Strömungsgeschwindigkeit bei der Vorwärmung, und 5. einer Schockkühlunga.ohne definierte Heißhaltung.

Die Druckschriften (1) bis (4) betreffen Verfahren zur die Haltbarkeit erhöhenden Wärmebehandlung von Milch unter Verwendung von Erhitzungsanlagen mit indirekter Wärmeübertragung. In der dem patentgemäßen Verfahren am nächsten kommenden Druckschrift (3) ist die Strömungsgeschwindigkeit bei der Hocherhitzung nicht angesprochen und es ist auch nicht abzuleiten, dass die Hochpasteurisierung mit einer Strömungsgeschwindigkeit erfolgt, die höher ist als die Strömungsgeschwindigkeit bei der Vorwärmung (Merkmal 4c). Die Einsprechende konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass der Fachmann, ein Diplomingenieur der Lebensmitteltechnik oder ein Lebensmittelchemiker, der mit der Molkereitechnik vertraut ist, zwangsläufig eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit bei der Hocherhitzung mitliest, wenn er aus (3) erfährt, dass bei der Hocherhitzung eine schnelle Aufheizung mit einer festgelegten Mindestrate zu erfolgen hat (3) sind nämlich keine eindeutigen Angaben über die Schnelligkeit bei der Vorerwärmung zu entnehmen (Anspruch 1, S 3 Z 17-26 und Beispiel auf S 8 iVm Figur 2). Außerdem stehen dem Fachmann, wenn er die Aufheizrate erhöhen will, mehrere Möglichkeiten offen, wie die Patentinhaberin glaubhaft vorträgt. Aus (3) ist zwar bekannt, die Milch auf Temperaturen oberhalb von 105oC zu erhitzen, wobei für die Maximaltemperatur ein Bereich von 133oC bis 140oC angegeben ist (S 5 Z 16-24). Die Patentinhaberin konnte aber in der mündlichen Verhandlung aufzeigen, dass die bei (3) als wesentlich im Anspruch 1 und der Beschreibung (S 4 Z 1 bis S 5 Z 2) herausgestellte Einhaltung der Parameter B* und C* sowie des Fo-Wertes (Anspruch 7 und S 5 Z 3-15) innerhalb der festgelegten Grenzwerte nur möglich ist, wenn die Milch oder das Milchprodukt auf Temperaturen von deutlich oberhalb 130oC, also beispielsweise 133-140oC, erhitzt wird. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheidet sich damit von dem aus (3) bekannten Verfahren auch in Merkmal 4a. Beim Verfahren gemäß (4) ist eine definierte Heißhaltung nach der Vorwärmung und bei der Ultrahocherhitzung erforderlich (Sp 3 Z 20 - 40, Fig 3-6), und die Milch wird auf Temperaturen von etwa 140oC erhitzt (Fig 3-6), sodass zumindest die Merkmale 4a, b und 5a nicht erfüllt sind. Die weiteren im Einspruchsschriftsatz angezogenen, jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen Entgegenhaltungen liegen ebenfalls ferner als (3) und können somit die Neuheit des beanspruchten Verfahrens nicht in Frage stellen; dies gilt auch für die offenkundige Vorbenutzung (5), die von der Einsprechenden im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens und in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen wurde.

5. Das beanspruchte Verfahren beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, die wirtschaftlichen Verfahren zur die Haltbarkeit erhöhenden Wärmebehandlung von Milch und/oder Milchprodukten mit indirekter Wärmeübertragung dadurch zu verbessern, dass durch eine indirekte Wärmebehandlung der Milch die sensorischen Eigenschaften der Frischmilch erhalten bleiben und Haltbarkeitszeiten von 10 bis ca 45 Tagen bei einer Lagertemperatur von 8 bis 10oC, dh unter Kühlung, erreicht werden können (Streitpatent [0010]). Die Aufgabe wird durch das Verfahren mit den Merkmalen gemäß Anspruch 1 gelöst.

Dieses Verfahren kann der Stand der Technik nicht nahe legen.

Mit dem aus (3) bekannten Verfahren soll die Aufgabe gelöst werden, einen Wärmebehandlungsprozess bereitzustellen, der die mikrobiologische Aktivität insbesondere in Frischmilch in einem Ausmaß verhindert, dass das Milchprodukt ohne Kühlung für längere Zeit (zB über 4 Wochen) haltbar ist und gleichzeitig die Probleme eines unakzeptablen Sterilisationsgeschmacks vermieden werden (S 2 Z 23 - S 3 Z 12). Damit soll nach (3), wie die Patentinhaberin nachvollziehbar vorträgt, eine Konserve, beispielsweise H-Milch hergestellt werden, im Gegensatz zum Verfahren gemäß Streitpatent, das zu einem Frischprodukt führt, dessen Kühlung erforderlich ist. Bei (3) wird die Milch in einer üblichen Anlage mit indirekter Wärmeübertragung auf eine Temperatur von bis zu 105oC in einem oder mehreren Schritten vorerhitzt, in einer Rate von mindestens 4,8oC/Sekunde auf eine Temperatur oberhalb 105oC weitererhitzt, in einer Rate von mindestens 8,8oC auf eine Temperatur unterhalb von 110oC abgekühlt, wobei sich die Wärmebehandlung der Milch oberhalb von 105oC in einem bestimmten Zeitrahmen bewegen muss (S 3 Z 17 - S 4 Z 11, S 6 Z 13 - S 7 Z 3). Wie vorstehend unter II. 4. ausgeführt, ist es beim Verfahren nach (3) auch zwingend erforderlich die Milch auf Temperaturen deutlich oberhalb von 130oC zu erhitzen und gemäß S 5 Z 20-24 sowie Fig 2 bei der Maximaltemperatur definiert heiß zu halten. Auch kann der Fachmann aus (3) nicht ableiten, dass die Hocherhitzung unmittelbar nach der Vorwärmung erfolgen soll. Die Angaben auf S 6 Z 23 - S 7 Z 3 besagen lediglich, dass die Vorwärmung auch in einer Stufe erfolgen kann. Neben den Merkmalen 4a und 4c sind (3) damit auch die Merkmale 4b und 5a nicht zu entnehmen. Eine Anregung, die Aufgabe gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents zu lösen, enthält (3) nicht.

Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wird dem Fachmann auch vom Verfahren zur die Haltbarkeit erhöhenden Wärmebehandlung, insbesondere Ultrahocherhitzung, von Keime enthaltenden Produkten, wie Milch gemäß (4) allein oder in Kombination mit (3) nicht nahegelegt, zumal auch gemäß (4) kein Frischprodukt, sondern eine Konserve hergestellt wird. Aus (4) ist zwar die stufenweise Wärmebehandlung unter Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit im Hochtemperaturbereich gegenüber der Vorwärmung zu entnehmen (Merkmal 4c) (Ansprüche 1, 3, Sp 3 Z 16-19 und Sp 5 Z 48-57). Der Temperaturverlauf mit definierten Heißhaltezeiten nach Vorwärmung und bei der Hocherhitzung bei etwa 140oC (Fig 3-6 iVm Sp 3 Z 27-40) führt von der patentgemäßen Lehre weg. Die Merkmale 4a, 4b und 5a werden somit von (4) nicht nahegelegt und auch die Kombination von (3) und (4) führt daher nicht zum Gegenstand des Streitpatents.

Die Berücksichtigung der weiteren dem Senat vorliegenden, in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen Druckschriften führt zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts.

6. Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit außer Frage steht, erfüllt somit alle Kriterien der Patentfähigkeit.

Der dem Hauptantrag zugrundeliegende Anspruch 1 hat somit Bestand. Die geltenden Ansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 und sind somit mit diesem rechtsbeständig.

Bei dieser Sachlage bleibt für ein Eingehen auf den Hilfsantrag der Patentinhaberin kein Raum.

Schröder Wagner Harrer Gerster Pü






BPatG:
Beschluss v. 28.11.2003
Az: 14 W (pat) 323/02


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