Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 21. März 2002
Aktenzeichen: 10 WF 44/02

(OLG Celle: Beschluss v. 21.03.2002, Az.: 10 WF 44/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners sowie im Übrigen von Amts wegen wird der angefochtene Beschluss unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert.

Der Streitwert wird für das Verfahren der ersten Instanz bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung auf (7.833,78 DM + 1.000 DM =) 8.833,78 DM, im Übrigen auf 7.833,78 DM festgesetzt.

Gründe

Für das in Rede stehende Verbundverfahren hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. November 2001 den Streitwert auf insgesamt 5.000 DM (Ehescheidung = 4.000 DM; Versorgungsausgleich = 1.000 DM) festgesetzt. Dabei hat es für das Scheidungsverfahren den Mindestwert in Höhe von 4.000 DM angenommen und dazu ausgeführt, bei einer "beiderseitigen ratenfreien PKH", wie im vorliegenden Fall, sei der Geschäftswert nur in Höhe des Mindestwertes (§ 12 Abs. 2 Satz 4 GKG) anzunehmen.

Im Rahmen der - aus eigenem Recht - hiergegen gerichteten Streitwertbeschwerde begehrt die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners auf der Grundlage der beiderseitigen Einkünfte der Parteien sowie unter Berücksichtigung des Grades deren Verschuldung eine anderweitige Wertfestsetzung, die sie nach Maßgabe des in der Hinweisverfügung des Amtsgerichts vom 22. November 2001 angestellten Rechenwerkes nunmehr in Höhe von 7.835,04 DM für die Ehesache anstrebt.

Dem gemäß § 25 Abs. 3 GKG i.V.m. § 9 Abs. 2 BRAGO zulässigen Rechtsmittel ist abgesehen von einem geringen Differenzbetrag, der auf einen Additionsfehler zurückzuführen ist und insoweit zur Zurückweisung der Beschwerde führt, der Erfolg in der Sache nicht zu versagen.

a) Im Rahmen des Ermessens (§ 12 Abs. 2 Satz 1 GKG), das bei der Bestimmung des Streitwertes in der fraglichen Ehesache auszuüben ist, kommt den jeweiligen Einkommen sowie den Vermögensverhältnissen der betroffenen Parteien erhebliches Gewicht zu. Insoweit ist nämlich in erster Linie das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der verfahrensbeteiligten Eheleute heranzuziehen, wie unmittelbar aus § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG folgt. Belegt ist im vorliegenden Verbundverfahren auf Seiten der Ehefrau ein monatliches Nettoeinkommen aus einer nichtselbstständigen Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.441,84 DM. Dem stehen Einkünfte des Ehemannes aus einer Rente in Höhe von 1.089,42 DM sowie ergänzende Einkünfte im Bereich der sogenannten Geringverdienergrenze (630 DM) gegenüber. Mit ins Gewicht fallen darüber hinaus Schulden der Parteien, die hier durchaus erkennbar im Zeichen besonders beengter wirtschaftlicher Verhältnisse gelebt haben. Dem ist in Übereinstimmung mit der Hinweisverfügung des Amtsgerichts vom 22. November 2001 dergestalt Rechnung zu tragen, dass die monatlichen Kreditabträge in geleisteter Höhe von 300 DM (Quelle), 50 DM (Creditreform), 100 DM (Stadtkasse Burgdorf) und 100 DM (Firma Ford) vom verfügbaren Einkommen abzusetzen sind. Danach verbleibt ein monatliches Gesamteinkommen in Höhe von 2.611,26 DM. Der dreifache Betrag i.S. v. § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG in Höhe von 7.833,78 DM ist demnach, da es sich im Übrigen offensichtlich um einen Durchschnittsfall handelt, für die Ehescheidung in den Gesamtstreitwert einzustellen.

b) Soweit das Amtsgericht in Abweichung davon auf den Mindestbetrag in Höhe von 4.000 DM abgestellt und dies mit dem Hinweis begründet hat, bei "ratenloser" PKH für beide Parteien komme nur der Mindestwert i.S. v. § 12 Abs. 2 Satz 4 GKG in Betracht, hat der Senat mit der überwiegenden Meinung (vgl. hierzu die Nachweise bei Zöller-Herget, ZPO, 23. Auflage, § 3 ZPO Stichwort: Ehesachen) bereits wiederholt zur - auch veröffentlichten - Kenntnis des Amtsgerichts (vgl. die Senatsentscheidungen 10 WF 197/97 und 10 WF 22/98 sowie Senatsbeschluss vom 13. Februar 1998 - 10 WF 23/98 - Nds.Rpfl 1998, 175 = FamRZ 1999, 604; Vorinstanz jeweils Amtsgericht Hannover) entschieden, dass es für eine solche vereinfachende Rechtsanwendung, die das Amtsgericht im Übrigen nicht näher begründet hat, an einer notwendigen Gesetzesgrundlage fehlt.

Soweit nämlich die Einkommensverhältnisse der Parteien bei der Streitwertfestsetzung eine Rolle spielen, stellt die gesetzliche Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers auf das in drei Monaten "erzielte Nettoeinkommen" im Sinne eines "verdienten" Bruttoeinkommens vermindert um die übliche Abgabenlast für Steuern und Vorsorgeaufwendungen ab. Im Unterschied dazu folgt die Ermittlung des prozesskostenhilferelevanten Einkommens Grundsätzen, die über die üblichen gesetzlichen Abzüge für Steuern und Sozialversicherungen hinausgehen und insbesondere weitere sozialrechtliche Freibeträge (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO) sowie selbst Mittel der Einkommensverwendung etwa bei Kosten für Wohnung und Heizung (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO) bei der Ermittlung des eine ratenlose Prozesskostenhilfebewilligung ermöglichenden Einkommens vorgeben. Hinzu kommt, dass auch das Vermögen der prozesskostenhilfebedürftigen Partei über § 88 BSHG einer besonderen Schonung etwa bei der Erhaltung eines angemessenen Hausgrundstücks erfährt, ohne dass der Wille des Gesetzgebers erkennbar wäre, damit gleichzeitig die Vermögensverhältnisse aus der Wertfestsetzung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG vergleichbar herauszulösen.

c) Lassen sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Einkommensbestimmungen Prozesskostenhilfe und Streitwert schon von der Sache her nicht in einen Regelzusammenhang stellen, den das Amtsgericht durch die regelmäßige Festlegung auf den Mindestwert bei ratenloser Prozesskostenhilfebewilligung herstellen will, findet eine solche Vorgehensweise nicht zuletzt auch angesichts verfahrensrechtlicher Besonderheiten von Gesetzes wegen keine hinreichende Stütze. Gemäß § 4 Abs. 1 ZPO ist nämlich für die Wertbemessung maßgebend der Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages. Abzustellen ist demnach i.S. v. § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG ausschließlich auf das Nettoeinkommen, das die Eheleute in den letzten drei Monaten vor Einreichung des Scheidungsantrages erzielt haben. Spätere Einkommensveränderungen wirken sich hier nicht aus (§ 15 GKG). Im Unterschied dazu steht vielfach erst aufgrund eingehender Ermittlungen im Verlauf des Verfahrens fest, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang einer oder beiden Parteien ratenlose Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann. Überdies ergibt sich dies in nicht seltenen Fällen auch erst aufgrund von Entwicklungen im Verlauf des Verfahrens, wenn etwa die Prozesskostenhilfe begehrende Partei erstmalig Zahlungs- und Unterhaltspflichten nachkommt oder solche neu entstehen, die Anlass geben, hierauf mit einer Aufhebung der Ratenzahlungsanordnung zu reagieren. Nicht zu übersehen ist ferner, dass selbst über den Abschluss der Hauptsache hinaus das Schicksal der "ratenfreien" Prozesskostenhilfe längerfristig offen bleibt (§ 120 Abs. 4 ZPO). Schließlich müsste es auf Unverständnis stoßen, wenn etwa bei einem vorzeitigen Ende des Scheidungsverfahrens durch Antragsrücknahme die Höhe der Wertfestsetzung davon abhinge, ob es bis zu diesem Zeitpunkt beiden Parteien schon gelungen war, eine ratenlose Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu erreichen. Unabhängig davon stellt die Anbindung des Streitwertes in Ehesachen an das jeweils zuletzt erzielte Nettoeinkommen auch sicher, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Bedeutung dieser nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten über die allgemeine - gegebenenfalls auch nur inflationsbedingte - Steigerung der Einkommen wertmäßig erhalten bleibt. Demgegenüber erscheint es nicht gerechtfertigt, die Wertfestsetzung vor dem Hintergrund verbesserter Sozialleistungen von einer solchen Entwicklung abzukoppeln und auf einen nunmehr seit Jahrzehnten unverändert bestehenden Mindestwert in der durch das Amtsgericht gehandhabten Art und Weise festzuschreiben.

d) Über das Rechtsmittel der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners hinaus gibt die Befassung des Senats mit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung Anlass, im Übrigen von Amts wegen die Wertfestsetzung zu ändern. Denn die Parteien haben in der Folgesache betreffend den Versorgungsausgleich, der in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2001 abgetrennt worden ist, nicht verhandelt. Demgemäß erfasst das hierauf verkündete Verbundurteil auch lediglich die Scheidungssache, sodass für die anwaltliche Verhandlungsgebühr und die gerichtliche Urteilsgebühr allein auf den Wert der Ehesache abzustellen ist. Entsprechend ist der angefochtene Streitwertbeschluss zu ändern. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 25 Abs. 4 GKG).






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Az: 10 WF 44/02


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