Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Mai 2006
Aktenzeichen: 9 W (pat) 345/03
(BPatG: Beschluss v. 31.05.2006, Az.: 9 W (pat) 345/03)
Tenor
Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
- Patentansprüche 1 bis 7,
- Beschreibung Seiten 1, 1a, 2 und 3, jeweils mit Schriftsatz vom 3. Mai 2006 eingegangen am 4. Mai 2006, sowie Beschreibung, Sp. 2, Abs. [0013] bis Sp. 4, Abs. [0024] mit Bezugszeichenliste gemäß Patentschrift,
- Zeichnungen Fig. 1 bis 6 gemäß Patentschrift.
Gründe
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat nach Prüfung das am 9. November 1999 angemeldete Patent mit der Bezeichnung
"Fahrzeugsitz mit Höheneinsteller"
erteilt. Gegen die Patenterteilung richtet sich der Einspruch der A... GmbH & Co. KG.
Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent in beschränktem Umfang. Sie ist der Meinung, das beschränkte Patentbegehren sei zulässig und auch gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik patentfähig.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, mit einem Höheneinsteller (7, 9) zur Einstellung der Höhe eines Sitzrahmens (10) des Fahrzeugsitzes (1) relativ zur Fahrzeugstruktur, einem Klinkenhebel (23), der an einer hinteren Schwinge (9) des Höheneinstellers (7, 9) mittels eines zu Lagerbolzen (13, 19) des Höheneinstellers (7, 9) parallel ausgerichteten Klinkenbolzens (21) schwenkbar gelagert ist, und einer Sperrvorrichtung (13, 23, 36, 38) mit wenigstens einer Crashsperre (31, 33, 36, 38), die im Crashfall eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen (10) und der Fahrzeugstruktur zur Verfügung stellt und die durch eine Geometrieänderung des Höheneinstellers (7, 9) bei Überschreiten einer Grenzlast aktiviert wird, wobei als Crashsperre (31, 33, 36, 38) an einem oberen Arm des Klinkenhebels (23) wenigstens eine Zahnklinke (31, 33) vorgesehen ist, die durch Schwenken des Klinkenhebels (23) im Crashfall mit einem zugeordneten Zahnelement (36, 38) des Sitzrahmens (10) in Eingriff gelangt.
Diesem Patentanspruch 1 schließen sich Patentansprüche 2 bis 7 rückbezogen an.
Die Patentinhaberin stellt mit Schriftsatz vom 3. Mai 2006 den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche 1 bis 7,
- Beschreibung Seiten 1, 1a, 2 und 3, jeweils eingereicht am 4. Mai 2006, sowie Beschreibung, Spalte 2, Absatz [0013] bis zum Ende der Beschreibung gemäß Patentschrift,
- Zeichnung Figuren 1 bis 6 gemäß Patentschrift.
Die Einsprechende hat den Antrag gestellt, das erteilte Patent zu widerrufen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2006 hat sie erklärt, dass sie keine Einwände gegen den Antrag der Patentinhaberin vom 3. Mai 2006 erhebt. Mit dieser Erklärung hat sie konkludent ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen.
Im Verfahren befindet sich folgender Stand der Technik:
EP 0 265 747 B1, DE 296 23 024 U1, US 5,882,080 A, US 5,005,894, DE 199 11 786 A1, DE 199 38 717 A1.
II.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs. 3 Satz 1 begründet.
Der Einspruch ist zulässig. Er hat teilweise Erfolg durch eine das Patent beschränkende Änderung der Patentansprüche.
1. Das Patentbegehren ist unbestritten dem Streitpatent zu entnehmen, welchem die ursprünglichen Unterlagen mit weiterer Angabe des Standes der Technik zugrunde gelegt worden sind.
Der geltende Patentanspruch 1 enthält alle Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 und ist beschränkt durch Merkmale der erteilten Patentansprüche 3, 4 und 7 sowie weitere Angaben aus der Beschreibung, Absätze [0020] und [0021]. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 7 entsprechen inhaltlich den erteilten Patentansprüchen 5, 6, 10, 2, 8 und 9 mit Anpassung an den geltenden Patentanspruch 1.
Die Änderungen in der Beschreibung stellen Anpassungen an die geltende Anspruchsfassung und Ergänzungen des Standes der Technik dar.
2. Der streitgegenständliche Fahrzeugsitz ist unbestritten gewerblich anwendbar.
3. Der beanspruchte Fahrzeugsitz ist neu.
Mit Ausnahme der US 5,005,894 zeigt keine der berücksichtigten Druckschriften einen Fahrzeugsitz mit einem Höheneinsteller und einer Sperrvorrichtung mit wenigstens einer Crashsperre, die im Crashfall eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen und der Fahrzeugstruktur zur Verfügung stellt und die durch eine Geometrieänderung des Höheneinstellers bei Überschreiten einer Grenzlast aktiviert wird. Eine Crashsperre an einem oberen Arm eines Klinkenhebels in Form einer Zahnklinke, die durch Schwenken des Klinkenhebels im Crashfall mit einem zugeordneten Zahnelement des Sitzrahmens in Eingriff gelangt, wie nun konkret beansprucht, weist der Fahrzeugsitz der US 5,005,894 allerdings nicht auf.
4. Der beanspruchte Fahrzeugsitz ergibt sich nicht in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik.
Die nachveröffentlichten Druckschriften älteren Zeitrangs DE 199 11 786 A1 und DE 199 38 717 A1 sind zum Stand der Technik gehörende Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2 PatG und werden bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen (§ 4 PatG).
Aus der US 5,005,894 ist ein Fahrzeugsitz bekannt, bei dem die Höhe eines Sitzrahmens des Fahrzeugsitzes an die Körpergröße eines Insassen durch Verstellen scherenförmig miteinander verbundener Stäbe 13a, 13b relativ zur Fahrzeugstruktur angepasst werden kann (vgl. Spalte 2, Zeilen 46-61). Eine Schlitz-Zapfen-Führung (Verbindungsglied 4 mit einem Schlitz/Längsloch 41, Zapfen 3) dient als oberer Anschlag für das aufklappende Sitzgestell und stellt im Crashfall eine alternative Kraftübertragung zwischen Sitzrahmen und Fahrzeugstruktur bereit, um die Sitzaufhängung o. dgl. vor Beschädigung zu schützen (vgl. Spalte 2, Zeilen 62-65; Spalte 4, Zeilen 35-48). Die Kraftübertragung über die Schlitz-Zapfen-Führung wird infolge einer Geometrieänderung der Höheneinstellung (Bewegung der Stäbe 13a, 13b) wirksam. Einen Hinweis auf die Ausgestaltung der Crashsperre mit einem schwenkbaren Klinkenhebel mit Zahnklinke sowie zugeordnetem Zahnelement gibt die US 5,005,894 jedoch nicht.
Weiterhin ist aus der EP 0 265 747 B1 ein Fahrzeugsitz mit einem Höheneinsteller 24 zur Einstellung der Höhe eines Sitzrahmens 26 des Fahrzeugsitzes relativ zur Fahrzeugstruktur bekannt, der mit einer Sperrvorrichtung mit wenigstens einer Crashsperre versehen ist, die im Crashfall eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen und der Fahrzeugstruktur zur Verfügung stellt (vgl. Figur 4 i. V. m. Spalte 2, Zeile 53 bis Spalte 3, Zeile 5, sowie Spalte 4, Zeilen 22 bis 55). Hierzu ist ein Tragteil 48 mittels eines Achsstummels an einem Sitzträger angelenkt und durch ein Sicherungsstück 50 am Sitzträger fixiert. An der einen Seite des Tragteils 48 ist das Gurtschloss 34 befestigt und auf der anderen Seite ist ein Zähne 60 aufweisendes Sperrteil 84 angelenkt. Zwischen dem Sperrteil 84 und dem Achsstummel 56 wird ein weiteres, direkt mit einer an einer Sitzschiene befestigten Schwinge 88 verbundenes Teil 38 geführt. Das Teil 38 weist ebenfalls Zähne auf, die Rastmittel für die Zähne 60 bilden, falls durch einen Zug am Gurtschloss unfallbedingt das Sicherungsstück 50 abgeschert wird und das Tragteil 48 verschwenkt wird. Dadurch wird ein Gelenk 94 des Höheneinstellers versteift und die Gurtzugkraft über einen hinteren Teil der Schwinge 88 in die Sitzschiene eingeleitet (vgl. Spalte 5, Zeilen 16-20). Selbst wenn man das Tragteil 48 mit Sperrteil 84 als Klinkenhebel mit Zahnklinke auffasst und das Teil 38 als zugeordnetes Zahnelement betrachtet, verbleibt - abgesehen von dem am Sitzrahmen und nicht an der Schwinge angebrachten schwenkbaren Klinkenhebel - der Unterschied zum Patentbegehren, dass eine Geometrieänderung des Höheneinstellers nicht vorgesehen ist. Da die Crashsperre durch einen Zug am Gurtschloss aktiviert wird, kann ein Fachmann der EP 0 265 747 B1 keine Anregung entnehmen, die Aktivierung durch eine Geometrieänderung des Höheneinstellers vorzusehen, wie dies patentgemäß vorgesehen ist.
Die DE 296 23 024 U1 und US 5,882,080 A zeigen jeweils doppelseitig wirkende Rastklinken, die ein Verschwenken der Rückenlehne eines Fahrzeugsitzes im Crashfall verhindern. Beide Konstruktionen nutzen Trägheitskräfte zum Aktivieren der Sperren. Bei dem aus der DE 296 23 024 U1 bekannten Fahrzeugsitz wird die Sperre durch die Schwenkbewegung einer Schwungmasse 8 aktiviert (vgl. Fig. 3 i. V. m. Seite 4 und Seite 5, Absatz 1), die ihrerseits eine Rastklinke verschwenkt, so dass diese mit einem an der Sitzlehne befestigten Zahnsegment 4 in Eingriff gelangt. Die Sperrvorrichtung für eine Sitzlehne nach der US 5,882,080 A nutzt als Trägheitselement die Rastklinke 30 selbst (vgl. Figuren 2-4 i. V. m. Spalte 4, Zeile 40 bis Spalte 5, Zeile 16). Verstelleinrichtungen der Sitzlehnen oder deren Geometrieänderung im Crashfall werden nicht beschrieben. Somit können die bekannten Sitzlehnen-Crashsperren auch durch Übertragen auf Höheneinsteller von Fahrzeugsitzen keine Anregung liefern, durch eine Geometrieänderung des Höheneinstellers die Sperre zu aktivieren.
Wie schon zur Neuheit angegeben, zeigt die US 5,005,894 einen Fahrzeugsitz mit einem Höheneinsteller und einer Sperrvorrichtung, deren Crashsperre als Anschlag einer Schlitz-Zapfen-Führung ausgebildet ist. Demgegenüber sind aus der EP 0 265 747 B1, der DE 296 23 024 U1 und der US 5,882,080 A Fahrzeugsitze mit Crashsperren bekannt, bei denen Zahnklinken im Crashfall durch Verschwenken mit einem zugeordneten Zahnelement in Eingriff gelangen. Durch den grundsätzlich unterschiedlichen Aufbau der Crashsperren ist es auszuschließen, dass eine Zusammenschau der US 5,005,894 mit einer der EP 0 265 747 B1, DE 296 23 024 U1 oder US 5,882,080 A für einen Durchschnittsfachmann zu einer Lösung hätte führen können, wie sie Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist.
Der Fahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist daher patentfähig.
5. Mit ihm sind es auch die Gegenstände der rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 7, die vorteilhafte, keine Selbstverständlichkeiten darstellenden Weiterbildungen des Fahrzeugsitzes nach Patentanspruch 1 betreffen.
BPatG:
Beschluss v. 31.05.2006
Az: 9 W (pat) 345/03
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