Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 10. Oktober 2003
Aktenzeichen: 10 TaBV 94/03
(LAG Hamm: Beschluss v. 10.10.2003, Az.: 10 TaBV 94/03)
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Kosten eines vom Betriebsrat mit der Prozessvertretung beauftragten Rechtsanwalts zu tragen, wenn der Rechtsanwalt in einem Verfahren nach § 103 BetrVG gleichzeitig den Betriebsrat und das betroffene Betriebsratsmitglied vertritt, weil darin ein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitenden Interessen nach § 43 a Abs. 4 BRAO liegt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.12.2002 - 6 BV 97/02 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates die Zahlung von den in einem Beschlussverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangen können.
Der Arbeitgeber betreibt, u.a. in R2xxxxxxxxxxxx, Lebensmittelmärkte.
Mit der Mitarbeiterin S4xxxxx, die seit dem 01.08.1991 beim Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsvorgänger tätig war, kam es bereits im Jahre 1999 zu einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Versetzungsmaßnahme 4(7) Ca 6017/99 Arbeitsgericht Dortmund = 10 (17) Sa 941/01 Landesarbeitsgericht Hamm).
Im Laufe dieses Rechtsstreits wurde die Mitarbeiterin S4xxxxx am 07.12.1999 zum Betriebsratsmitglied der Filiale D1xxxxxx-L1xxxxxxxxxxxx gewählt.
Wegen eines Streites mit einer Kundin der Filiale R2xxxxxxxxxxxx, in der die Mitarbeiterin S4xxxxx inzwischen tätig war, beabsichtigte der Arbeitgeber im Juli 2001 die außerordentliche Kündigung der Mitarbeiterin S4xxxxx. Nachdem der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung nicht zugestimmt hatte, leitete der Arbeitgeber am 02.08.2001 ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG beim Arbeitsgericht ein. Nach Verweisung an das Arbeitsgericht Dortmund - 8 BV 98/01 - bestellten sich mit Schriftsatz vom 10.09.2001 (Bl. 32 d.A. 8 BV 98/01 Arbeitsgericht Dortmund) die Rechtsanwälte S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx zu Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates und der Beteiligten S4xxxxx. Mit Schriftsatz vom 11.10.2001 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten zur Antragsschrift des Arbeitgebers im Einzelnen Stellung. Nachdem das Arbeitsgericht einen Anhörungstermin vor der Kammer am 19.12.2001 anberaumt hatte, nahm der Arbeitgeber mit Schriftsatz vom 18.12.2001 den Antrag auf Zustimmungsersetzung zurück. Das Zustimmungsersetzungsverfahren wurde durch Beschluss vom 04.01.2001 eingestellt. Der Gegenstandswert für das Verfahren 8 BV 98/01 wurde auf 5.100,00 &.128; festgesetzt.
Mit Schreiben vom 30.01.2002 (Bl. 9 ff.d.A.) übermittelten die Rechtsanwälte S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ihre an den Arbeitgeber gerichtete Gebührenrechnung vom gleichen Tage den Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers und machten insgesamt 811,45 &.128; geltend. Die Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers lehnten eine Kostenübernahme mit Schreiben vom 31.01.2002 (Bl. 12 d.A.) ab.
Daraufhin trat der Betriebsrat seinen Anspruch auf Freistellung von der Gebührenforderung gegen den Arbeitgeber an die Anwaltsgemeinschaft S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ab (Bl. 13 f.d.A.).
Mit weiterer Abtretungsvereinbarung vom 23.07.2002 (Bl. 15 d.A.) trat die Anwaltsgemeinschaft S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ihre Honoraransprüche an die Anwaltsgemeinschaft P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ab, nachdem sich die erstgenannte Anwaltsgemeinschaft zum 31.03.2002 getrennt hatte.
Mit dem am 31.07.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machten die Antragsteller daraufhin die Zahlung ihrer Gebühren gegenüber dem Arbeitgeber geltend.
Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe die Honorarforderung aus abgetretenem Recht nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu erstatten. Die mit dem Betriebsrat und der Beteiligten S4xxxxx geschlossenen Anwaltsverträge seien nicht nach § 43 a Abs. 4 BRAO unwirksam.
Die Antragsteller haben beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, an die Antragsteller 811,45 &.128; nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2002 zu zahlen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass die Antragsteller im Beschlussverfahren 8 BV 98/01 Arbeitsgericht Dortmund widerstreitende Interessen im Sinne des § 43 a Abs. 4 BRAO vertreten hätten, die Anwaltsverträge seien danach nichtig. In einem Verfahren nach § 103 BetrVG könne ein Rechtsanwalt nicht gleichzeitig die Interessen des Betriebsrates als Organ und die Interessen des zu kündigenden Betriebsratsmitglied wahrnehmen. Insoweit bestehe ein struktureller Interessengegensatz.
Durch Beschluss vom 05.12.2001 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Antragsteller wegen Verstoßes gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43 a Abs. 4 BRAO zurückgewiesen.
Gegen den den Antragstellern am 07.05.2003 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe im Einzelnen Bezug genommen wird, haben die Antragsteller am 06.06.2003 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 11.08.2003 mit dem am 06.08.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Antragsteller sind nach wie vor der Auffassung, in der Übernahme der Vertretung des Betriebsrates und des zu kündigenden Betriebsratsmitglieds in einem Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG liege kein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43 a Abs. 4 BRAO. Ein struktureller Interessengegensatz zwischen dem Betriebsrat und dem beteiligten Betriebsratsmitglied sei in einem Verfahren nach § 103 BRAO nicht erkennbar. Das Interesse des zu kündigenden Betriebsratsmitglieds, eine ungerechtfertigte Kündigung abzuwehren, stehe nicht in einem strukturellen Gegensatz zur Interessenlage des die Belegschaft vertretenden Betriebsrates. Auch das Interesse der Belegschaft bzw. des Betriebsrates gehe nur dahin, ungerechtfertigte Kündigungen eines von ihnen gewählten Interessenvertreters abzuwehren. Selbst wenn im Einzelfall unterschiedliche Interessen bestünden, begründe dies noch keinen strukturellen Interessengegensatz. Komme der Betriebsrat bei Prüfung eines Zustimmungsantrages zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zu dem Ergebnis, dass ein fristloser Kündigungsgrund nicht vorhanden sei, müsse er die Zustimmung zum Kündigungsantrag verweigern. Nur durch eine Zustimmungsverweigerung erfülle der Betriebsrat in einem derartigen Fall seine Verpflichtung, nicht nur die Amtsführung des Betriebsrates, sondern auch das Betriebsratsmitglied von seiner Ausschaltung und Repressalien des Arbeitgebers zu schützen. Das Individualinteresse des Betriebsratsmitglieds decke sich mit dem Interesse und der Verpflichtung des Gesamtgremiums, eine unberechtigte fristlose Kündigung zu verhindern. Insoweit seien die Interessen des Betriebsrates und des Betriebsratsmitglieds in jeder Hinsicht gleichgelagert. Wenn zwei Antragsgegner einen Rechtsanwalt in demselben Verfahren mit der Verteidigung gegenüber Anträgen des Antragstellers beauftragten, wollten sie gemeinsam den für unbegründet gehaltenen Antrag des Antragstellers zu Fall bringen. Insoweit liege in der gemeinsamen Beauftragung desselben Rechtsanwalts auch ein konkludenter Verzicht auf die Verschwiegenheitspflicht, die der Rechtsanwalt gegenüber dem jeweiligen Auftraggeber erfüllen müsse. Sollten sich im Laufe des Verfahrens gegensätzliche Interessen herausstellen, könnte dies im Einzelfall die Pflicht zur Mandatsniederlegung zur Folge haben, strukturelle Interessengegensätze seien jedoch in einem Verfahren nach § 103 BetrVG generell nicht zu erkennen.
Die Antragsteller beantragen,
unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.12.2002 - 6 BV 97/02 - dem Arbeitgeber aufzugeben, an die Antragsteller 811,45 &.128; nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2002 zu zahlen.
Der Arbeitgeber beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts und ist nach wie vor der Auffassung, aufgrund der Interessenwahrnehmung sowohl für den Betriebsrat als auch für das einzelne Betriebsratsmitglied in einem Verfahren nach § 103 BetrVG liege ein struktureller Interessengegensatz vor, welcher eine gemeinsame Vertretung durch einen Bevollmächtigten ausschließe. Während das beteiligte Betriebsratsmitglied schlicht und einfach nur seine ureigenen individuellen Interessen in Beschlussverfahren nach § 103 BetrVG mit präjudizieller Wirkung für den individualrechtlichen Kündigungsschutz verfolge, müsse der Betriebsrat im gleichen Verfahren die objektiven Interessen der Belegschaft vertreten und sich gleichzeitig auch an einer längerfristigen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber orientieren. Gerade bei Aufnahme des Mandats zu Beginn des Beschlussverfahrens nach § 103 BetrVG sei nicht generell erkennbar, dass die Interessenlage von Betriebsrat und Betriebsratsmitglied im Laufe des Beschlussverfahrens identisch blieben.
Die Beschwerdekammer hat die Akten 8 BV 98/01 Arbeitsgericht Dortmund informationshalber beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso Bezug genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet.
Der von den Antragstellern geltend gemachte Zahlungsanspruch ist zulässig.
1. Das gewählte Beschlussverfahren ist nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG die richtige Verfahrensart, da zwischen den Beteiligten ein Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG streitig ist.
2. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis ergibt sich aus den §§ 10, 81, 83 Abs. 3 ArbGG.
Nachdem der Betriebsrat seinen etwaigen, sich aus § 40 Abs. 1 BetrVG ergebenden Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber an seine ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten, die Antragsteller, abgetreten hat, war der Betriebsrat am vorliegenden Verfahren auch nicht mehr zu beteiligen (BAG, Beschluss vom 15.01.1992 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 41; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 40 Rz. 147).
II
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ist jedoch nicht begründet.
Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus abgetretenem Recht in Verbindung mit § 40 Abs. 1 BetrVG. Dies hat das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt.
1. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist zwar der Arbeitgeber verpflichtet, die durch die Tätigkeit des Betriebsrates entstehenden Kosten zu tragen.
Hierunter fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch solche Kosten, die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Inanspruchnahme von Rechten des Betriebsrates fallen. Dazu gehören auch die Einleitung und Durchführung arbeitsgerichtlicher Beschlussverfahren, die geeignet sind, das vom Betriebsrat geltend gemachte Recht durchzusetzen oder eine nicht auf andere Weise zu klärende Streitigkeit betriebsverfassungsrechtlichen Inhalts zu beseitigen. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für die dem Betriebsrat entstehenden Auslagen entfällt nur dann, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich aussichtslos war (BAG, Beschluss vom 03.10.1978 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 14; BAG, Beschluss vom 16.10.1986 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 31; BAG, Beschluss vom 20.10.1999 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 67 m.w.N.). Zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Auslagen des Betriebsrates zählen grundsätzlich auch die Kosten einer Prozessvertretung des Betriebsrates und seiner Mitglieder durch einen Rechtsanwalt, wenn der Betriebsrat bei pflichtgemäßer Abwägung der zu berücksichtigenden Umstände die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für erforderlich erachten konnte (BAG, Beschluss vom 03.10.1978 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 14; BAG, Beschluss vom 04.12.1979 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 18; BAG, Beschluss vom 20.10.1999 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 67). Auch im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber die Kosten eines vom Betriebsrat hinzugezogenen Anwalts nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, wenn dessen Hinzuziehung erforderlich war.
2. Dennoch ist ein erstattungsfähiger Anspruch im vorliegenden Fall nicht entstanden, weil die der Honorarforderung der Antragsteller zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsverträge zwischen dem Betriebsrat und den Rechtsvorgängern der Antragsteller nach den §§ 134 BGB, 43 a Abs. 4 BRAO nichtig sind.
Nach § 43 a Abs. 4 BRAO darf ein Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. § 3 Abs. 1 BO verbietet dem Rechtsanwalt eine Tätigkeit, wenn er, gleich in welcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssache mit widerstreitenden Interessen bereits beraten oder vertreten hat. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall auch nach Auffassung der Beschwerdekammer gegeben.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Antragsteller im Verfahren 8 BV 98/01 Arbeitsgericht Dortmund sowohl vom Betriebsrat als auch von dem beteiligten Betriebsratsmitglied S4xxxxx seinerzeit gleichzeitig mandatiert worden sind. Dem Verfahren 8 BV 98/01 lag der gleiche Sachverhalt zugrunde, es bestand Sachverhaltsidentität.
Mit der angefochtenen Entscheidung und mit dem Landesarbeitsgericht Köln ist auch die Beschwerdekammer der Auffassung, dass ein Rechtsanwalt widerstreitende Interessen im Sinne des § 43 a Abs. 4 BRAO vertritt, wenn er gleichzeitig die Vertretung des Betriebsrates in einem Verfahren nach § 103 BetrVG und das Mandat für das zu kündigende Betriebsratsmitglied übernimmt (LAG Köln, Beschluss vom 15.11.2000 - LAGE BetrVG 1972 § 40 Nr. 66 = NZA-RR 2001, 253; ebenso: Fitting, a.a.O., § 40 Rz. 29; Wiese/Weber, GK-BetrVG, 7. Aufl., § 40 Rz. 96).
§ 43 a BRAO umfasst alle Fallgestaltungen, in denen es zu Interessenkollisionen kommen kann. Es sollen potentielle Interessenkonflikte vermieden werden. Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen zielt darauf ab, den Anwalt nicht in eine Lage kommen zu lassen, die Gefährdungen für seine Unabhängigkeit und die gradlinige Berufsausübung mit sich bringen könnte. Auch das Einverständnis der Beteiligten mit dem Vorgehen eines Rechtsanwalts kann einen bestehenden Interessengegensatz nicht aufheben (Henssler/Prütting/Eylmann, BRAO, 1977, § 43 a Rz. 108, 113, 119; Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 43 a Rz. 66, 68; BGH, Urteil vom 24.06.1960 - BGHSt, 15, 332, 336 = NJW 1961, 929). § 43 a Abs. 4 BRAO dient - ebenso wie § 356 StGB - dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten, der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der im Interesse der Rechtspflege gebotenen Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43 a Rz. 112). Da § 356 ZPO ein abstraktes Gefährdungsdelikt enthält (BayObLG, Urteil vom 26.07.1989 - NJW 1989, 2903; Schöncke/Schröder/Cramer, StGB, 26. Aufl., § 356 Rz. 3) und die Schutzrichtungen des § 356 StGB und des § 43 a Abs. 4 BRAO nicht differieren (Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43 a Rz. 112), kommt es auch für den vorliegend zu beurteilenden Interessengegensatz nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht darauf an, ob widerstreitende Interessen im konkreten Einzelfall vorgelegen haben.
Richtig ist zwar, dass auch in einem Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG regelmäßig die Interessen des Betriebsrats und des beteiligten Betriebsratsmitglieds gleichlaufend sind; beide wollen eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung abwehren.
Dennoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, die Beteiligungsrechte des Betriebsrates, seine Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte allein im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes bestehen; das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsrat dient gemeinsamen Zielen, nämlich dem Wohl des Betriebes und der Belegschaft, § 2 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat hat im Verfahren nach § 103 BetrVG kollektive Interessen wahrzunehmen. Demgegenüber soll mit der Beteiligung des von einem Antrag des Arbeitgebers nach § 103 BetrVG betroffenen Betriebsratsmitglieds lediglich dessen individualrechtlicher Kündigungsschutz gewährleistet werden (vgl. BAG, Beschluss vom 03.04.1979 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 16). Im Gegensatz zum Betriebsrat kann das beteiligte Betriebsratsmitglied kollektive Gesichtspunkte, die der Betriebsrat zu beachten hat, außer Acht lassen und ausschließlich seine individuellen eigenen Interessen und seinen persönlichen Kündigungsschutz geltend machen. Hieraus entsteht, wie das Landesarbeitsgericht Köln und auch die angefochtene Entscheidung zu Recht angenommen haben, ein jedenfalls möglicher Interessengegensatz, der die gleichzeitige Vertretung des Betriebsrates und des beteiligten Betriebsratsmitglieds im Verfahren nach § 103 BetrVG ausschließt. Ein Interessengegensatz wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Parteien - neben gegenläufigen Interessen - auch gleichgerichtete Interessen haben (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 356 Rz. 7).
Auch das Einverständnis des Betriebsrates und des beteiligten Betriebsratsmitglieds mit der gleichzeitigen Vertretung für beide Beteiligte schließt einen möglichen Interessengegensatz nicht aus. Das Verbot der Doppelvertretung unterliegt nämlich grundsätzlich nicht der Verfügungsmacht der Parteien, weil es nicht nur ihrem Schutz, sondern daneben auch dem Vertrauen in die Anwaltschaft und in die Funktion der Rechtspflege dient (LAG Köln, Beschluss vom 15.11.2000 - LAGE BetrVG 1972 § 40 Nr. 66; Feuerich/Braun, a.a.O., § 43 a Rz. 68; Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43 a Rz. 149 m.w.N.).
Unerheblich ist auch, ob die Interessen der jeweils vertretenden Partei tatsächlich beeinträchtigt sind oder nicht (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 356 Rz. 6). Insoweit hat bereits das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss darauf verwiesen, dass sich ein Interessengegensatz auch erst im Laufe eines Zustimmungsersetzungsverfahrens ergeben kann, etwa wenn der Betriebsrat im Laufe des Verfahrens zu dem Ergebnis gelangt, die beabsichtigte Kündigung sei - entgegen der zunächst geäußerten Auffassung - doch gerechtfertigt. Diesen möglichen Interessengegensatz verkennen auch die Antragsteller mit der Beschwerde nicht. Ein Rechtsanwalt kann auch nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht solange zuwarten, bis ein möglicher Interessengegensatz tatsächlich eintritt. Sein Gebührenanspruch gegenüber dem Betriebsrat bzw. der Kostenerstattungsanspruch nach § 40 Abs. 1 BetrVG wäre in einem derartigen Fall nämlich bereits entstanden.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.2003 (NJW 2003, 2520 = MDR 2003, 1081 = BB 2003, 2199), der Beschwerdekammer erst nach Durchführung des Anhörungstermins vom 10.10.2003 nachträglich bekannt geworden, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass. Während der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.2003 ein Fall zugrunde lag, bei dem eine Anwaltssozietät zur Niederlegung von Mandaten verpflichtet wurde, nachdem sie einen Rechtsanwalt angestellt hatte, der zuvor bei einer anderen Kanzlei beschäftigt war, die in Bezug auf diese Mandate die Gegenseite vertreten hatte, besteht die Besonderheit des vorliegenden Falles darin, dass ein Rechtsanwalt in demselben Verfahren gleichzeitig zwei Mandanten mit möglicherweise auftretenden Interessenkollisionen vertritt. Dies macht den entscheidenden Unterschied aus, im vorliegenden Fall in der Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit keinen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG zu sehen. Der - verhältnismäßig geringfügige - Eingriff in die Berufsausübung eines Rechtsanwalts erscheint im vorliegenden Fall durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls, der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der im Interesse der Rechtspflege gebotenen Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung, gerechtfertigt.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.
Schierbaum Freiling Stach
/N.
LAG Hamm:
Beschluss v. 10.10.2003
Az: 10 TaBV 94/03
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