Finanzgericht München:
Urteil vom 22. Oktober 2010
Aktenzeichen: 7 K 1793/08

(FG München: Urteil v. 22.10.2010, Az.: 7 K 1793/08)

Tatbestand

I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines zum 31. Dezember 2000 festgestellten verbleibenden Verlustabzugs bzw. eines vortragsfähigen Fehlbetrags im Streitjahr 2001 entfallen sind.

Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft, die im April 1999 als Vorratsgesellschaft errichtet wurde. Das Grundkapital betrug 50.000 €. In der Hauptversammlung vom 25. August 1999 wurden eine neue Satzung sowie die Umbenennung der Klägerin beschlossen. Die Herren A, B und C wurden zu neuen Vorstandsmitgliedern bestellt. Die Stückaktien waren zu diesem Zeitpunkt von folgenden Aktionären übernommen worden: Herr A: 26.770, Frau A: 4.980, Herr B: 13.270, Frau B: 4.980. Die Sitzverlegung nach erfolgte mit Beschluss der Hauptversammlung vom 8. Oktober 1999. Zu diesem Zeitpunkt waren neue Aktionäre hinzugekommen, A hielt nur mehr 14.170 und B 11.020 Anteile. Die Eintragung ins Handelsregister beim Amtsgericht erfolgte am 6. Dezember 1999 unter HRB €. Gegenstand des Unternehmens sind im Wesentlichen seit dem 25. August 1999 die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Software- und Hardwareprodukten sowie moderner Informationstechnologie, ferner die damit zusammenhängende Beratung. Die Gesellschaft hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar des folgenden Jahres.

Mit zwei Kaufverträgen vom 29. Dezember 1999 erwarb die Klägerin das Anlagevermögen und die Software der Firmen X und Y. Deren einzige Gesellschafter waren A bzw. B. Als Kaufpreise wurden mit X 000.000 DM und mit Y 000.000 DM vereinbart, insgesamt somit 1.500.000 DM (= 766.937 €). Die gemäß § 52 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung zu diesen Verträgen wurde erst am 5. März 2001 erteilt. In der Bilanz der Klägerin wurden die erworbenen immateriellen und materiellen Vermögensgegenstände bereits zum 31. Januar 2000 erfasst. Nach dem Erwerb der Software nahm die Klägerin den aktiven Geschäftsbetrieb auf. Sie verfolgt das Ziel, zu einem führenden Anbieter von Software für € zu werden. Zu diesem Zweck erwarb sie fertige Softwarelösungen von den Firmen X und Y und verschaffte sich erhebliches Know-How im Bereich der Entwicklung von Softwarelösungen, indem sie auch das Personal der beiden Firmen übernahm und die ehemaligen Geschäftsinhaber als Vorstände bestellte. Auf Ebene der Klägerin sollten die Synergieeffekte zweier bereits erfolgreicher Unternehmen sowie eines mit neuen Marketing- und Vertriebsmethoden erfahrenen Marktentwicklers, B, genutzt werden, um eine wachstumsstarke Aktiengesellschaft aufzubauen, die schon in wenigen Jahren den Börsengang vollziehen sollte. Neben der eigenständigen Forschung und Entwicklung (Weiterentwicklung) sollte eine eigene Marketingabteilung das €Branding€ der Klägerin und ihrer Produkte erarbeiten. Von Beginn an waren sich die Gründer darüber einig, dass die Weiterentwicklung der Produkte, der geplante Aufbau eines Schulungscenters, einer Marketing- und Vertriebsmannschaft und die Einführung der Produkte in internationale Märkte das Engagement von Investoren verlangte. Zur Sicherstellung der Liquidität der ersten beiden Jahre war beabsichtigt, die Klägerin über Venture Capital zu finanzieren. Ziel dieser Finanzierung war es, die Weiterentwicklung der Produkte vorzufinanzieren, die Technologieführerschaft weiter auszubauen und gleichzeitig ausreichende Finanzmittel zum Aufbau der Vertriebsstruktur zur Verfügung zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Businessplan der Klägerin vom 9. Januar 2000, S. 7 € 9 und S. 11 € 15 Bezug genommen.

Die Klägerin führte drei Kapitalerhöhungen durch (Dezember 1999, Januar 2000 und Mai 2000). Es erfolgte jeweils eine Erhöhung des Grundkapitals gegen Ausgabe von Stückaktien, bezugsberechtigt waren im Wesentlichen die neuen Investoren D und E. Durch die Kapitalerhöhungen wurden der Klägerin insgesamt 4.683.849 € (889.785 € + 613.496 € + 3.180.568 €), die als Aufgeld zu den Aktien erhoben wurden, zugeführt. Die Bilanz wies zum 31. Januar 2000 ein Aktivvermögen von 2.274.954,92 € aus, das sich aus 754.081,77 € Anlage- und 1.520.873,15 € Umlaufvermögen zusammensetzte. Unstreitig wurden danach 3.180.568 € aus der dritten Kapitalerhöhung zugeführt, dementsprechend verfügte die Klägerin nach der Zwischenbilanz zum 31. Mai 2000 über ein Aktivvermögen von 4.497.486,64 €. Zum Bilanzstichtag 31. Januar 2001 betrug das Aktivvermögen 2.937.845,32 €, davon 518.891 € Anlage- und 2.418.954,32 € Umlaufvermögen. Die Aufnahme der Investoren D und E mit Beteiligungen von 6,5 Mio. DM bzw. 3,25 - 4,8 Mio. DM gehörte von Anfang an zum Geschäftskonzept der Klägerin (vgl. Businessplan S. 9 und S. 28f ). Nach Durchführung der letzten Kapitalerhöhung, die mit der Eintragung ins Handelsregister am 29. Mai 2000 wirksam wurde, waren die ursprünglichen Aktionäre Herr und Frau A sowie Herr und Frau B nur mehr mit 49,4 % am Grundkapital von 71.220 € beteiligt.

Bis zum 31. Januar 2000 erwirtschaftete die Klägerin einen Verlust von 000.000 DM, der als verbleibender Verlustabzug gesondert festgestellt wurde. Zum Ende des Wirtschaftsjahres 2000/2001 erklärte die Klägerin einen weiteren Verlust von 0.000.000 DM. Nach Durchführung einer betriebsnahen Veranlagung kam die Prüferin zu der Auffassung, dass der im Wirtschaftsjahr 2000 entstandene Verlust von 000.000 DM sowie der anteilig bis zum Stichtag 29. Mai 2000 entstandene Verlust von 0.000.000 DM nach § 8 Abs. 4 Sätze 1 und 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) vom Verlustabzug ausgeschlossen seien. Demgemäß wurde für 2001 nur ein steuerlicher Verlust von 0.000.000 DM anerkannt. Auf die Steuerbescheide vom 20. Mai 2005 wird Bezug genommen. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 9. April 2008 als unbegründet zurück. Das Finanzamt führt im Wesentlichen aus, gemäß § 8 Abs. 4 KStG in der für das Jahr 2001 geltenden Fassung sei Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d Einkommensteuergesetz (EStG) bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch sei, die den Verlust erlitten habe. Wirtschaftliche Identität liege insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen würden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführe oder wieder aufnehme. Entsprechendes gelte für den Ausgleich des Verlustes vom Beginn des Wirtschaftsjahres bis zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung. Im Streitfall sei die Kapitalerhöhung, bei der die neu eintretenden Gesellschafter ihre Einlage geleistet hätten und nach der Kapitalerhöhung zu mehr als 50 % beteiligt seien, dem Gesellschafterwechsel gleichzusetzen. Die weitere Voraussetzung, nämlich die Fortführung des Geschäftsbetriebs mit überwiegend neuem Betriebsvermögen, sei ebenfalls erfüllt. Laut Bilanz sei zum 31. Januar 2000 ein Aktivvermögen von 2.274.954 € vorhanden gewesen. Mit der Kapitalerhöhung vom 29. Mai 2000 sei der Klägerin 3.180.663 € an neuem Aktivvermögen zugeführt worden. Die Zuführung von Barmitteln sei auch erheblich, obwohl hiervon lediglich das Umlaufvermögen und nicht das Anlagevermögen betroffen sei. Maßgeblich sei, ob sich das Betriebsvermögen durch Zuführungen von außen oder durch eigene Geschäftstätigkeit erhöht habe. Hier sei eine Zuführung von außen erfolgt. Die Betriebsvermögensänderung sei für das Unternehmen der Klägerin prägend. Ihr sei dadurch die Möglichkeit eingeräumt worden, ihren Geschäftsbetrieb in einem viel größeren Umfang als bisher weiterzuführen. Schließlich sei auch ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Kapitalerhöhung und der Zuführung neuen Betriebsvermögens vorhanden, da alle relevanten Ereignisse zwischen Dezember 1999 und Mai 2000 stattgefunden hätten. Zum 29. Mai 2000 sei daher der Verlust der wirtschaftlichen Identität eingetreten. Rechtsfolge hiervon sei, dass der Abzug des bis zum Verlust der wirtschaftlichen Identität entstandenen Verlusts nicht mehr zulässig sei. Dies gelte gemäß § 10a Satz 4 Gewerbesteuergesetz (GewStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung für die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags entsprechend.

Dagegen richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung bringt die Klägerin im Wesentlichen vor:

Die Liquiditätsplanung anhand eines Beteiligungsmodells sei bereits seit Unternehmensgründung verfolgt worden. Eine operative Tätigkeit hätte erst entfaltet werden können, nachdem die Klägerin die Produkte von X und Y zur Vermarktung übertragen erhalten hätte. Gleichzeitig damit sei auch die erste €(Teil-)Vorfinanzierung€ für den Geschäftsbetrieb beschlossen und durch C bestätigt worden. Im Rahmen der zweiten Kapitalerhöhung am 20. Januar 2000 sei die zweite €(Teil-)Vorfinanzierung€ erfolgt. Im Dezember 1999 seien lediglich Werbungskosten und sonstige Kosten in einer Gesamthöhe von 00.000 € entstanden. Es handle sich um Kosten, die aus der Gründung der Klägerin und der Fusion zweier Unternehmen resultierten. Die Aufnahme der operativen Geschäftstätigkeit habe im Januar 2000 zu Gesamtkosten von 000.000 € geführt, anteilig finanziert durch die Aufgelder der C und des B. Bis Ende Mai 2000, als auch D entsprechend des kombinierten Finanzierungskonzepts mit C bereits in die €Vorfinanzierung€ der Geschäftsidee der Klägerin eingestiegen war, seien ab dem 1. Januar 2000 weitere Verluste in Höhe von 000.000 € verbucht worden. Die Weiterfinanzierung des Unternehmens auf der Grundlage des seit der Firmengründung verfolgten Unternehmenskonzeptes sei zu diesem Zeitpunkt bereits gesichert gewesen. Die Entwicklung der Software für € habe hohe Entwicklungs- und Personalkosten verursacht. Zudem bestehe in diesem Bereich ein relativ langer Vertriebszyklus von bis zu 18 Monaten, weswegen die Klägerin auf die finanzielle Beteiligung von Geldgebern angewiesen gewesen sei. Hätten sich keine Investoren an der Klägerin beteiligt, so wäre aufgrund der hohen Personalkosten und der geringen Umsätze bereits im Juni 2000 die Zahlungsunfähigkeit eingetreten. Das zugeführte Kapital sei zweckorientiert zur Ingangsetzung des operativen Geschäftsbetriebs verwendet worden.

Im Streitfall sei anhand des Sachverhalts nicht festzustellen, dass im Vorfeld eine Körperschaft Realexistenz erlangt hätte, die zu der den Verlust beanspruchenden nicht in wirtschaftlicher Identität stünde. Bereits zum Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung sei vorgezeichnet gewesen, dass es Gesellschafter geben würde, die entweder Sach- und Know-How-Werte einbringen würden oder finanzielle Mittel. Somit habe weder ein vom Gesetz geforderter Gesellschafterwechsel noch die Zuführung von neuem Betriebsvermögen stattgefunden. Bei dem vorgeblich neuen Betriebsvermögen handle es sich vielmehr um das von Beginn an vorgesehene Betriebsvermögen zur Umsetzung der Geschäftsidee. Mit der Umsetzung dieser Geschäftsidee sei erst begonnen worden, als auch der Einstieg des zweiten Investors E gesichert gewesen sei. Die Klägerin sei wirtschaftlich stets identisch gewesen. Sie habe die Branche nie gewechselt. Die Gründung sei erst mit der letzten Kapitalerhöhung vom 29. Mai 2000 abgeschlossen gewesen. Bei dem in § 8 Abs. 4 KStG geregelten Mantelkauf stehe das gewinn- und steuermindernde Element im Vordergrund, im Streitfall sei es dagegen um Ausstattung der Klägerin mit Gründungskapital gegangen. Die Zuführung dieses Umlaufvermögens habe auch keinen prägenden Charakter für den Betrieb der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,den Körperschaftsteuerbescheid 2001, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2001, den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 31.01.2001 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2001, sämtlich vom 20. Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. April 2008, dahingehend zu ändern, dass die bis zum Stichtag 31. Mai 2000 entstandenen Verluste in Höhe von insgesamt 0.000.000 DM zum Verlustabzug zugelassen werden. Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt,die Klage in Höhe von 000.000 € abzuweisen.

Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt es aus, dass zwischen der Anteilsübertragung und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang im Sinne eines einheitlichen Gesamtplanes bestehe, wie der Businessplan beweise. Der gesamte Geschehensablauf von Anteilseignerwechsel und Betriebsvermögenszuführung sei durch die beteiligten alten und neuen Anteilseigner beherrscht worden. Der Verlust der wirtschaftlichen Identität trete immer dann ein, wenn Betriebsvermögensänderung bzw. €erhöhungen für das Unternehmen prägend seien. Im Streitfall habe erst durch die Zuführung von umfangreichen zusätzlichen Betriebsvermögen der Geschäftsbetrieb der Klägerin im angestrebten Umfang entwickelt werden können. Dadurch sei eine neue Prägung des Betriebsvermögens, dessen Struktur sich geändert habe, eingetreten. Der Argumentation der Klägerin, wonach sie vor Mai 2000 gar keine wirtschaftliche Identität gehabt habe, könne nicht zugestimmt werden. Die Zuführung von Geld könne auch nicht deshalb außer Betracht bleiben, weil es sich hierbei um Umlaufvermögen handle, da sich im Streitfall das Umlaufvermögen nicht durch eigene Geschäftstätigkeit erhöht habe.

In der mündlichen Verhandlung führte das Finanzamt aus, nach seiner nunmehr vertretenen Rechtsauffassung sei lediglich ein Verlust in Höhe von 000.000 € als nichtabzugsfähig zu behandeln. Der Verlust der wirtschaftlichen Identität sei bereits mit dem Hauptversammlungsbeschluss vom 5. Mai 2000 eingetreten, so dass der im Monat Mai 2000 anteilig entstandene Verlust von 000.000 € nicht vom Abzug ausgeschlossen sei.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, die eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2010 Bezug genommen.

Gründe

II. Die Klage ist begründet. Das Finanzamt hat zu Unrecht den Verlust von insgesamt 000.000 € nicht berücksichtigt.

1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Entsprechendes gilt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 4 KStG für den Ausgleich des Verlustes vom Beginn des Wirtschaftsjahres bis zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung. Für die Gewerbesteuer gelten diese Bestimmungen gemäß § 10a Satz 4 GewStG 1999 entsprechend.

§ 8 Abs. 4 KStG 1999 definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann es an der wirtschaftlichen Identität fehlt. Die Vorschrift setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (Urteil des Bundesfinanzhofs € BFH - vom 1. Juli 2009 I R 101/08, BFH/NV 2009, 1838 m.w.N.) Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.

172. Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin durch die Kapitalerhöhungen ihre wirtschaftliche Identität nicht verloren.

a) Zutreffend geht das Finanzamt davon aus, dass ein dem überwiegenden Anteilseignerwechsel vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, kann eine Kapitalerhöhung, die zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten führt (ebenso wie eine Sacheinbringung) nach Maßgabe der Grundregel in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 nicht anders behandelt werden als eine Anteilsübertragung (Urt. vom 27. August 2008 I R 78/01, BFHE 222, 528, BFH/NV 2009, 497). Im Streitfall waren nach insgesamt drei Kapitalerhöhungen die ursprünglichen Aktionäre nur mehr mit 49,4 % beteiligt, die Schwelle von 50% Neubeteiligung wurde somit überschritten.

b) Ein Sachverhalt, der nach seinem wirtschaftlichen Gehalt auch im übrigen der Grundregel des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 entspricht, wurde jedoch nicht verwirklicht.

Der BFH interpretiert § 8 Abs. 4 KStG 1999 als Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Ziel des § 8 Abs. 4 KStG 1999 ist in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den €Handel€ mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden. Daraus ist die Notwendigkeit abzuleiten, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin zu untersuchen, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren (BFH-Urteile vom 24. November 2009 I R 56/09, BFH/NV 2010, 1123; in BFH/NV 2009, 1838; vom 28. Mai 2008 I R 87/07, BFHE 222, 245, BFH/NV 2008, 2129).

Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen. Das Tatbestandsmerkmal €neues Betriebsvermögen€ zielt nicht darauf ab, einer Verlagerung zusätzlichen Ertrags- und damit Verlustverrechnungspotentials in die Gesellschaft zu begegnen. Vielmehr sind jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen. Denn diese Änderungen lassen typischerweise darauf schließen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Entscheidend ist damit die Nämlichkeit des Betriebsvermögens. Das rechtfertigt es, auf die einzelnen im Betrieb verwendeten Vermögensgegenstände abzustellen und den Begriff des Betriebsvermögens in entsprechender Weise normspezifisch zu verengen (BFH in BFH/NV 2010, 1123; in BFH/NV 2009, 1838; in BFHE 222, 245, BFH/NV 2008, 2129). Insoweit ist nach der Rechtsprechung des BFH unter Betriebsvermögen im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 ausschließlich das Aktivvermögen zu verstehen. Überwiegend neues Betriebsvermögen liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens übersteigt. Dies ist anhand einer gegenständlichen Betrachtungsweise zu ermitteln; eine Verrechnung von Zu- und Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen (BFH in BFH/NV 2010, 1123; in BFHE 222, 245, BFH/NV 2008, 2129; vom 5. Juni 2007 I R 9/06, BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988; vom 5. Juni 2007 I R 106/05, BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986).

Im Streitfall verfügte die Klägerin zum Bilanzstichtag 31. Januar 2000 über ein Aktivvermögen von 2.274.954,92 €. Dies setzte sich zusammen aus einem Anlagevermögen von 754.081,77 € und einem Umlaufvermögen von 1.520.873,15 €. Aus der dritten Kapitalerhöhung vom 29. Mai 2000 flossen ihr 3.180.568 € zu. Sie erlangte somit überwiegend neues Betriebsvermögen. Es handelt sich hierbei um Geldmittel, also Umlaufvermögen. Anlagevermögen wurde mit diesem Geld nicht angeschafft, vielmehr wurden die Beträge für den laufenden Geschäftsbetrieb verwendet (vgl. Erläuterungen zur GuV-Rechnung zum 31. Januar 2001: Forschung und Entwicklungskosten: 1.639.994 €, Vertriebskosten: 534.628 €) bzw. waren zum 31. Januar 2001 als aktiver Kassenbestand noch vorhanden. Das Anlagevermögen zum 31. Januar 2001 war sogar kleiner als das zum 31. Januar 2000.

23Die Erhöhung der Barmittel ist nicht als €Zuführung neuen Betriebsvermögens€ im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 anzusehen. Zwar kommt es nach der neueren Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht darauf an, ob das zugeführt Betriebsvermögen als Anlage- oder als Umlaufvermögen zu qualifizieren ist. Es sind jedoch solche Mehrungen des Umlaufvermögens aus dem Tatbestand auszuklammern, die sich auf ein nicht die wirtschaftliche Identität des Unternehmens prägendes Umlaufvermögen beziehen (BFH in BFH/NV 2009, 1838). Davon ist hier auszugehen. Die Zuführung von Kapital führte nicht zu einer neuen Prägung des Geschäftsbetriebs der Klägerin. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob eine Zuführung von Geld als solches überhaupt geeignet ist, eine neue Prägung zu bewirken. Die Nämlichkeit des Betriebsvermögens wird hierdurch nicht berührt. Im Streitfall ist jedenfalls entscheidend, dass der Geschäftsbetrieb der Klägerin nach der Kapitalzuführung nicht verändert, sondern im Wesentlichen unverändert fortgeführt wurde. Darüber besteht auch kein Streit. Der Geschäftszweck der Klägerin war darauf gerichtet, die bestehende Software der Firmen X und Y zu erwerben, diese fortzuentwickeln und zu erweitern und sie anschließend zu vertreiben. Die hierfür benötigten finanziellen Mittel waren nicht von Anfang an vorhanden, da sich die Verhandlungen mit den Investoren zunächst noch hinzogen. Der Geschäftsbetrieb war jedoch von Beginn an auf die Kapitalzuführungen durch die Investoren angewiesen und auch angelegt. Bereits der Erwerb der Software von X und Y konnte nur durch Kapitalzuführung finanziert werden, da die Klägerin nur über ein Grundkapital von 50.000 € abzüglich der Gründungskosten verfügte. Das gleiche gilt für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit und den Ausbau des Vertriebsnetzes. Tatsächlich bestand zu keinem Zeitpunkt ein kleiner Geschäftsbetrieb, der erst durch spätere Kapitalzuführungen seine Struktur änderte. Durch die Kapitalerhöhung vom Mai 2000 und ebenso durch die beiden vorhergehenden änderte sich lediglich, dass die Finanzierung gesichert wurde. Die Identität der Klägerin blieb unberührt. Die Investoren haben sich an einem Geschäftsbetrieb beteiligt, der genau in dieser Form von Anfang an betrieben wurde. Eine missbräuchliche Gestaltung ist nicht ersichtlich. Im Streitfall ist zwar das Merkmal €Fortführung des Geschäftsbetriebs mit überwiegend neuem Betriebsvermögen€ dem Wortlaut nach erfüllt. Dennoch liegt bei Würdigung des wirtschaftlichen Gehalts des Geschehens kein Verlust der wirtschaftlichen Identität vor. Nach der Intention des Gesetzes soll der Verlustabzug nicht für Neugründungen, bei denen die Kapitalzufuhr erst sukzessive erfolgt, ausgeschlossen werden (so auch Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Komm., § 8 KStG, Rz. 184e und 191; im Ergebnis ebenso Heßler/Mosebach, DStR 2009, 813; a.A. Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Komm., § 8 Abs. 4 KStG, Rz. 77).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision zum BFH war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da der BFH über einen vergleichbaren Sachverhalt bisher noch nicht entschieden hat.






FG München:
Urteil v. 22.10.2010
Az: 7 K 1793/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/32bff5b8b699/FG-Muenchen_Urteil_vom_22-Oktober-2010_Az_7-K-1793-08




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