Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 25. Februar 1992
Aktenzeichen: 22 U 175/91
(OLG Köln: Urteil v. 25.02.1992, Az.: 22 U 175/91)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 12. Juni 1991 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen - 42 O 68//91 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Das Ur-teil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte
und im übrigen zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache
keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist entsprechend §§ 243, 246
AktG als Anfechtungsklage, gerichtet auf die Beseitigung des
Gesellschafterbeschlusses vom 22. März 1991, zulässig. Der Senat
nimmt insoweit in vollem Umfang Bezug auf die zutreffende
Begründung des erstinstanzlichen Urteils - auch zur
Prozeßführungsbefugnis des Klägers -, gegen die die Beklagte sich
mit der Berufung nicht wendet.
II.
Die Klage ist begründet, da der
Beschluß über die Einziehung der Geschäftsanteile des Bruders des
Klägers, J. S. , wegen Verstoßes gegen die
gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen unwirksam ist.
Die Einziehung von Geschäftsanteilen
setzt nach § 6 Abs. 1 c des Gesellschaftsvertrages voraus, daß ein
Geschäftsanteil ohne die im Gesellschaftsvertrag vereinbarte
Genehmigung oder Zustimmung veräußert oder belastet wird und
daraufhin Gesellschafterrechte von dritter Seite geltend gemacht
werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Senat nimmt
zunächst in vollem Umfang Bezug auf die zutreffende und
ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils.
1.
Nach dem Wortlaut des
Gesellschaftsvertrages war weder die Abtretung des Geschäftsanteils
durch den Bruder des Klägers, J. S. , an seine Mutter K. S. noch
die von dieser am selben Tag vorgenommene Abtretung an den Kläger
als ihren Sohn von der Zustimmung der Gesellschafter abhängig. Nach
§ 8 des Gesellschaftsvertrages in der Fassung vom 2. November 1990
ist insbesondere die Veräußerung und Abtretung von
Geschäftsanteilen grundsätzlich an die Zustimmung der
Gesellschafter gebunden. Nach § 8 Abs. 2 des
Gesellschaftervertrages ist das Zustimmungserfordernis
ausgeschlossen, wenn die Verfügung insbesondere zu Gunsten von
Eltern oder Kindern des Gesellschafters erfolgt. Nach dem Wortlaut
des Gesellschaftsvertrages war daher grundsätzlich auch die
Óbertragung an Geschwister über den Weg der Óbertragung zunächst an
ein Elternteil und sodann an einen der Abkömmlinge dieses
Elternteils ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter
erlaubt.
2.
Ein Verbot der Óbertragung an
Geschwister eines Gesellschafters über die nach dem Wortlaut des
Gesellschaftsvertrags erlaubte Kette Eltern-Kind ergibt sich auch
nicht aus einer Auslegung des Gesellschaftsvertrages, insbesondere
der Bestimmungen des § 8 Abs. 1 und 2, gemäß §§ 133, 157 BGB.
Für die Auslegung einer
gesellschaftsvertraglichen Bestimmung gilt, daß alle für das
Gesellschaftsverhältnis geltenden "echten" Satzungsbestimmungen -
um eine solche handelt es sich vorliegend - mit ihrem wesentlichen
Inhalt auch für Unbeteiligte in der Vertragsurkunde selbst
hinreichend zum Ausdruck kommen müssen (vgl. Scholz-Winter GmbHG 7.
Aufl., § 2 Rdnr. 43). Dies ist in Rechtsprechung und Literatur
unumstritten. Umstritten ist demgegenüber, welche Erkenntnisquellen
außer der Vertragsurkunde für die Auslegung einer
Satzungsbestimmung herangezogen werden dürfen. Nach der
Rechtsprechung des BGH gilt für die Auslegung von sogenannten
körperschaftlichen (im Unterschied zu individualrechtlichen)
Regelungen des Gesellschaftsvertrages, daß für die Auslegung
ausschließlich die Vertragsurkunde sowie allgemein erkennbare
Umstände als Erkenntnisquellen zuzulassen sind (vgl. zum
Meinungsstand Scholz a.a.O. Rdnr. 44). So ist insbesondere eine
Bestimmung, die die Abtretung der Geschäftsanteile gemäß § 15 Abs.
4 GmbHG an besondere Voraussetzung knüpft, und die nicht klar und
eindeutig ist, nur zu der denkbar geringsten Anforderung anwendbar
(vgl. BGHZ 48, 141, 144). In der Literatur wird demgegenüber die
Auffassung vertreten, auch hinsichtlich einer solchen
Satzungsbestimmung sei die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB nur
dadurch beschränkt, daß keine Sinndeutung erfolgen dürfe, die für
Außenstehende nicht erkennbar sei (vgl. Scholz a.a.O. § 2 Rdnr. 44
§ 15 Rdnr. 49).
Einigkeit besteht jedenfalls darin, daß
für die Auslegung der Vertragsbestimmungen Àußerungen vor und bei
den Vertragsverhandlungen bzw. der Beurkundung nur insoweit
herangezogen werden können, als sie einen hinreichend deutlichen
Niederschlag in dem notariellen Vertrag gefunden haben. Dies ist
nicht der Fall hinsichtlich der von der Beklagten behaupteten
Abrede vor bzw. bei der Beurkundung der Neufassung des § 8 des
Gesellschaftsvertrages, eine Óbertragung an Geschwister
insbesondere an den Kläger, solle nicht, jedenfalls nicht ohne
Genehmigung der Gesellschafter möglich sein. Zum Ausdruck gekommen
ist im Gesellschaftsvertrag lediglich, daß eine unmittelbare
Óbertragung auf Geschwister und damit auch auf den Kläger nicht
möglich sein soll. Nicht zum Ausdruck gekommen ist hingegen, daß
eine derartige Óbertragung auch im Wege der Zwischen-übertragung
durch Óbertragung der Geschäftsanteile zunächst an ein Elternteil
des Gesellschafters und sodann auf dessen Kind zustimmungsbedürftig
sein sollte. Eine Óbertragung der Geschäftsanteile an Geschwister
im Wege des Zwischenerwerbs durch ein Elternteil war nach dem
Gesellschaftsvertrag jedenfalls nach Ablauf einer gewissen Frist
seit Óbertragung der Geschäftsanteile an den Elternteil
unbedenklich möglich. Eine Auslegung des Vertrages dahin, daß ein
gleichzeitiger oder unmittelbar aufeinanderfolgender Erwerb der
Geschäftsanteile zunächst durch ein Elternteil und sodann durch
einen Abkommling von der Zustimmung der Mitgesellschafter abhängig
sein sollte, daß also bei einem derart abgeleiteten Erwerb der
Zwischenerwerber jedenfalls eine Zeitlang Gesellschafterrechte
ausgeübt haben mußte, bevor er die Geschäftsanteile weiter
übertrug, ist gleichfalls nicht möglich. Der Gesellschaftsvertrag
stellt nämlich auf dieses zeitliche Moment und auf eine
tatsächliche Ausübung der Gesellschafterrechte des
Zwischenerwerbers für einen gewissen Zeitraum hinweg nicht ab.
Insbesondere war die Ausübung der Gesellschafterrechte nach dem
Gesellschaftsvertrag und der konkreten Handhabung innerhalb der
Gesellschaft nicht an eine irgendwie geartete Funktion oder
Mitarbeit der Gesellschafter innerhalb der Gesellschaft gebunden
war. So war auch der Bruder des Klägers in dem Betrieb der
Beklagten nicht einmal mehr als Angestellter beschäftigt.
3.
Der Wirksamkeit der Abtretung der
Geschäftsanteile, insbesondere der Abtretung durch die Mutter des
Klägers an diesen steht nicht entgegen, daß die Mutter des Klägers
ihren Erwerb nicht gemäß § 16 GmbHG angemeldet hat. Die Anmeldung
ist nicht Voraussetzung der Wirksamkeit des Erwerbs des
Geschäftsanteils. Der Erwerb des Geschäftsanteils braucht sich
nicht von einem angemeldeten Veräußerer herzuleiten, vielmehr kann
eine Kette rechtsgültiger Abtretungen ohne Anmeldung
vorausgegangen sein (vgl. Scholz a.a.O. § 16 Rdnr. 9; Rohwedder,
GmbHG 2. Aufl., § 16 Rdnr. 8).
4.
Die Abtretung des Geschäftsanteils an
die Mutter des Klägers ist auch nicht als Scheingeschäft nach § 117
Abs. 2 BGB nichtig. Die Rechtsfolge der Abtretung, der Óbergang der
Geschäftsanteile, war nämlich ernsthaft gewollt, weil sich ohne
diesen Óbergang die beabsichtigte Óbertragung auf den Klä-ger
rechtlich nicht bewerkstelligen ließ.
5.
Die Abtretung bzw. Abtretungen, die zum
Erwerb der Geschäftsanteile des Klägers geführt haben, waren nicht
unter dem Gesichtspunkt eines sittenwidrigen Umgehungsgeschäfts
nach § 138 BGB nichtig.
Dies folgt bereits daraus, daß die
Auslegung des Vertrages ergibt, daß ein sittenwidriges Verhalten
nicht vorliegt. In einem solchen Fall ist § 138 BGB nicht anwendbar
(vgl. hierzu Palandt-Heinrichs § 138 Anm. 1 f)bb). Das Ergebnis des
Rechtsgeschäfts, nämlich der Erwerb der Geschäftsanteile durch den
Kläger, kann schon deshalb unter Berücksichtigung sämtlicher von
der Beklagten vorgetragenen Umstände nicht als sittenwidrig
angesehen werden, weil der Gesellschaftsvertrag selbst die
Möglichkeit des Erwerbs durch Geschwister und insbesondere durch
den Kläger im Wege einer Zwischen-übertragung ermöglicht.
Sittenwidrig können die Óbertragungsgeschäfte auch nicht unter den
Gesichtspunkt sein, daß eine Wahrnehmung der Gesellschafterrechte
durch die zwischengeschaltete Mutter des Klägers nicht
beabsichtigt war und die Óbertragung auf sie nur zu dem Zweck
erfolgte, einen Erwerb durch den Kläger ohne Zustimmung der übrigen
Gesellschafter zu ermöglichen. Nach dem Gesellschaftsvertrag war
die Weiterübertragung der Geschäftsanteile durch ein Elternteil an
einen - bei direkter Óbertragung nicht privilegierten - Erwerber
gerade nicht an eine gewisse Dauer des Zwischenerwerbs geknüpft.
Weder aus dem Gesellschaftsvertrag noch aus sonstigen Umständen ist
ersichtlich, daß einer Weiterveräußerung der Geschäftsanteile eine
gewisse Dauer der Innehabung der Gesellschafterrechte durch den
Veräußerer vorauszugehen hatte. Die Struktur der Gesellschaft, die
nicht auf die Mitarbeit der Gesellschafter angelegt war, spricht
vielmehr gegen ein derartiges Interesse. Die als solche ohne
weiteres mögliche und nicht zustimmungsbedürftige Weiterveräußerung
der Geschäftsanteile an Geschwister eines Gesellschafters nach
Zwischenerwerb durch ein Elternteil kann daher allein unter dem
Gesichtspunkt der mangelnden Dauerhaftigkeit des Zwischenerwerbs
nicht als sittenwidrig erscheinen. Schließlich ist zu
berücksichtigen, daß der Kläger auch subjektiv nicht sittenwidrig
handelte. Der Kläger hat widerspruchslos und nachvollziehbar
dargelegt, daß er vor Óbertragung der Geschäftsanteile den die
Ànderung des Gesellschaftsvertrags beurkundenden Notar dazu
befragt hat, ob eine Óbertragung auf seinen Bruder im Wege des
Zwischenerwerbs durch seine Mutter unbedenklich sei, was der
Notar, dem die Àußerungen der beteiligten Gesellschafter bei
Ànderung des Gesellschaftsvertrages bekannt waren, unstreitig
bejaht hat.
Darüber hinaus hat die Beklagte auch in
der Berufungsinstanz ihr Vorbringen, Geschwister im allgemeinen und
der Kläger insbesondere hätten als Gesellschafter ausgeschlossen
sein sollen, nicht hinreichend substantiiert. Ihr Vorbringen, der
Kläger sei im Zusammenhang mit Rauschgiftgenuß auffällig geworden,
ist sowohl nach Inhalt als auch nach Herkunft und Zuverlässigkeit
der Information derart vage, daß er die Anforderungen an einen
substantiierten Vortrag in keiner Weise zu erfüllen vermag.
Bezeichnend ist sowohl in diesem Zusammenhang als auch in
Verbindung mit der Behauptung der Beklagten, die übrigen
Gesellschafter hätten aufgrund dessen besonderen Wert darauf
gelegt, daß jedenfalls der Kläger als Gesellschafter
ausgeschlossen habe sein sollen, daß die Beklagte bzw. ihr
Geschäftsführer H. auf die Mitteilung des Klägers vom 7. Dezember
1990, er habe die Geschäftsanteile seines Bruders erworben, erst
mit Schreiben ihres Geschäftsführers vom 4. März 1991, mit dem die
Gesellschafterversammlung zum Zwecke der Einziehung der
Gesellschaftsanteile einberufen wurde, reagiert hat. Wäre ein
Ausschluß des Klägers als Gesellschafter für die Beklagte derart
gravierend gewesen, wie sie es nunmehr darstellt, hätte es mehr
als nahe gelegen, hierauf sofort zu reagieren, statt den Kläger,
ob mit Vollmacht seines Bruders oder nicht, zur Prüfung des Erwerbs
der Geschäftsanteile des Gesellschafters H. die Bilanzen der
Gesellschaft einsehen zu lassen.
6.
Selbst wenn man den Erwerb der
Geschäftsanteile durch den Kläger, etwa unter dem Gesichtspunkt der
Sittenwidrigkeit § 138 BGB, für zustimmungsbedürftig hielte, wäre
eine Einziehung der Geschäftsanteile nicht berechtigt. Die
Óbertragung der Geschäftsanteile wäre nämlich in diesem Falle
nicht unwirksam, sondern mangels Zustimmung der Gesellschafter
schwebend unwirksam, d.h., ihre Wirksamkeit wäre von der
Zustimmung der Gesellschafter abhängig. Eine Entscheidung über die
Zustimmung zum Erwerb des Geschäftsanteils ist aber vor Einziehung
der Geschäftsanteile nicht erfolgt. Vielmehr hat die Beklagte eine
Gesellschafterversammlung zur Entscheidung über die Einziehung der
Geschäftsanteile einberufen und hierüber, ohne vorherige
Entscheidung über die Genehmigung, an der der Bruder des Klägers
als Mitgesellschafter hätte beteiligt werden müssen, entschieden.
Dies widerspricht nicht nur der gesellschaftsvertraglichen
Regelung, sondern auch der Bedeutung der Einziehung von
Geschäftsanteilen nach dem GmbHG. Bei der Einziehung von
Geschäftsanteilen handelt es sich um die schwerste Sanktion gegen
einen Gesellschafter. Dem trägt der Gesellschaftsvertrag dadurch
Rechnung, daß er die Veräußerung eines Geschäftsanteils ohne die im
Vertrag vereinbarte Genehmigung oder Zustimmung als Unterfall
eines besonders wichtigen Grundes nach § 6 des
Gesellschaftsvertrages einordnet. Ein besonders wichtiger Grund,
der zur Einziehung von Geschäftsanteilen berechtigt, liegt aber nur
dann vor, wenn die Gesellschafter die Genehmigung der Óbertragung
von Geschäftsanteilen verweigert haben und gleichwohl von dritter
Seite Gesellschafterrechte geltend gemacht werden. Verweigert die
Gesellschaft die Genehmigung und akzeptieren dies sowohl der
Veräußerer als auch der Erwerber der Geschäftsanteile, liegt ein
Grund zur Einziehung der Geschäftsanteile nicht vor. Die
Gesellschaft muß daher sowohl dem veräußernden Gesellschafter als
auch dem Erwerber, ähnlich wie bei einer Abmahnung, Gelegenheit
geben, die Wirksamkeit der Óbertragung der Geschäftsanteile zu
überdenken und sich hierzu zu äußern. Dies gilt umsomehr, als im
vorliegenden Fall nicht nur der Kläger und sein Bruder als
Veräußerer der Geschäftsanteile für die Beklagte ersichtlich von
der Wirksamkeit der Óbertragung der Geschäftsanteile ausgingen,
sondern auch die Beklagte bzw. ihr Geschäftsführer nicht
unmittelbar nach Anmeldung der Gesellschafterrecht durch den
Kläger, sondern erst ca. 3 Monate später mit der Einberufung der
Gesellschafterversammlung zum Zweck der Einziehung der
Gesellschaftsanteile hierauf reagierten.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen
folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für
die Beklagte: 40.000,-- DM.
OLG Köln:
Urteil v. 25.02.1992
Az: 22 U 175/91
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