Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 7. Dezember 2004
Aktenzeichen: AnwZ (B) 40/04
(BGH: Beschluss v. 07.12.2004, Az.: AnwZ (B) 40/04)
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden der Beschluß des 1. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 3. November 2003 und der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. August 2003 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Zulassungsantrag des Antragstellers erneut zu bescheiden.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen und dem Antragsteller die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Verfahren wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller war seit 1992 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei verschiedenen Gerichten zugelassen. Am 25. Februar 2001 verzichtete er auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Daraufhin wurde die Zulassung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO am 28. Dezember 2001 mit sofortiger Wirkung widerrufen.
Bereits am 8. März 2000 hatte der Antragsteller die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt. Dieses Verfahren war am 14. März 2001 eröffnet und am 30. November 2001 -nach der Schlußverteilung -aufgehoben worden.
Am 4. April 2003 beantragte der Antragsteller seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Er machte geltend, seine Vermögensverhältnisse seien nunmehr geordnet, weil er seine pfändbaren Bezüge an einen Treuhänder abgetreten habe (§ 287 Abs. 2 InsO) und diese Abtretung regelmäßig bediene. Die sogenannte Wohlverhaltensphase, auf deren Ende ihm die Restschuldbefreiung angekündigt worden sei (§ 291 InsO), laufe noch bis zum 8. Oktober 2006. Die Antragsgegnerin bat den Antragsteller um zusätzliche Auskünfte, die zur Bearbeitung seines Antrags erforderlich seien. Diesen Aufforderungen wurde keine Folge geleistet.
Mit Bescheid vom 4. August 2003 hat die Antragsgegnerin den Zulassungsantrag abgelehnt mit der Begründung, der Antragsteller habe nicht dargelegt, daß der Vermögensverfall (§ 7 Nr. 9 BRAO) nicht mehr bestehe. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO); es hat auch Erfolg.
1.
Nach § 7 Nr. 9 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich in Vermögensverfall befindet. Ein solcher wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bewerbers eröffnet oder dieser in das vom Insolvenzgericht (§ 26 Abs. 2 InsO) oder vom Vollstreckungsgericht (§ 915 ZPO) zu führende Verzeichnis eingetragen ist.
Eine derartige Vermutung hat im vorliegenden Fall keine Grundlage, nachdem das Insolvenzverfahren aufgehoben wurde. Der Antragsteller ist in keines der einschlägigen Verzeichnisse eingetragen.
2.
Solange ein Insolvenzverfahren läuft, steht das Fehlen der Befugnis des Schuldners, über sein Vermögen zu verfügen (§ 80 Abs. 1 InsO), einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich entgegen (BGH, Beschl. v.
13. März 2000 -AnwZ (B) 28/99, BRAK-Mitt 2000, 144). Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens greift dieser Hinderungsgrund jedoch nicht mehr durch. Denn mit dieser Aufhebung erhält der Schuldner das Recht zurück, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO). Daran ändert sich nichts, wenn sich ein Restschuldbefreiungsverfahren anschließt.
3.
Der Anwaltsgerichtshof hat die Ansicht vertreten, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Möglichkeit einer Restschuldbefreiung sei für das Vorliegen eines Widerrufstatbestandes -und folglich auch für die Versagung der Zulassung -unerheblich.
Dieser -grundsätzlich richtige (vgl. BGH, Beschl. v. 13. März 2000 -AnwZ (B) 28/99, BRAK-Mitt 2000, 144; v. 6. November 2000 -AnwZ (B) 1/00, n.v.; v. 24. September 2001 -AnwZ (B) 34/01, NJW-RR 2002, 1718) -Ansatz hilft im vorliegenden Fall nicht weiter. Zwar bestehen die Schulden, derentwegen das Insolvenzverfahren seinerzeit eröffnet und durchgeführt worden war, so lange fort, als das Insolvenzgericht nicht am Ende der Wohlverhaltensphase die Restschuldbefreiung bewilligt hat (§ 300 Abs. 1 InsO). Indes hat sich die Restschuldbefreiung, die während des Insolvenzverfahrens lediglich eine abstrakte Möglichkeit darstellte, nach dessen Beendigung und nach der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluß des Insolvenzgerichts (§ 291 Abs. 1 InsO) zu einer konkreten Aussicht verdichtet. Der Schuldner darf nunmehr davon ausgehen, daß er am Ende der Wohlverhaltensphase die Restschuldbefreiung erlangen wird, falls er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen einer Versagung nach § 297 oder § 298 InsO nicht vorliegen.
4.
Der Senat hat bereits ausgesprochen, daß möglicherweise nicht mehr von ungeordneten Vermögensverhältnissen gesprochen werden könne, wenn die Gläubiger einem vom Schuldner vorgelegten Schuldenbereinigungsplanzugestimmt hätten oder deren Zustimmung vom Insolvenzgericht ersetzt worden sei. Gegebenenfalls habe dies gemäß § 308 Abs. 1 Satz 2 InsO die Wirkung eines Vergleichs im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (BGH, Beschl. v.
6. November 2000 -AnwZ (B) 1/00, n.v.). Weiter entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß von einem Vermögensverfall nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn der Betreffende sich in Vergleichsund Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat, diesen Ratenzahlungen nachkommt und während dessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 24. Oktober 1994 -AnwZ (B) 35/94, BRAK-Mitt 1995, 29).
Während der Wohlverhaltensphase -Laufzeit der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO -sind die Vermögensverhältnisse des Schuldners in vergleichbarer Weise geordnet. Der Beschluß über die Ankündigung der Restschuldbefreiung (§ 291 InsO) ist als Ordnungsfaktor nicht geringer zu schätzen als ein Schuldenbereinigungsplan oder eine außergerichtliche Tilgungsvereinbarung. Aufgrund der Abtretung ist das pfändbare Einkommen an den vom Gericht bestellten Treuhänder abzuführen. Damit wahrt der Schuldner nicht nur die Aussicht auf die Restschuldbefreiung am Ende der Wohlverhaltensphase, sondern er schützt sich obendrein vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger (§ 294 Abs. 1 InsO).
Zwar hat der Senat in früheren Entscheidungen ausgeführt, zu geordneten Vermögensverhältnissen gehöre auch, daß die Gläubiger jedenfalls in absehbarer Zeit befriedigt werden (BGH, Beschl. v. 13. März 2000 aaO). Diese Aussage ist indes so zu verstehen, daß nicht auf unabsehbare Zeit Forderungen offen bleiben dürfen. Ein Schuldner, der ein Insolvenzverfahren und anschließend mit Erfolg ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat, hat -ohne daß die Gläubiger befriedigt worden sind -keine Verbindlichkeiten mehr. Dies genügt zur (Wieder-)Herstellung geordneter Vermögensverhältnisse. Andernfalls könnte der Schuldner gerade wegen der stattgefundenen Restschuldbefreiung nie mehr in finanziell geordneten Verhältnissen leben.
5.
Mit dem das neue Insolvenzrecht maßgeblich prägenden Gedanken, daß dem Schuldner mit dem Durchlaufen eines Insolvenzverfahrens eine Perspektive auf eine dauerhaft gesicherte wirtschaftliche Existenz ("fresh start"; Ausweg aus dem "modernen Schuldturm") gegeben werden soll (MünchKommInsO/Ganter, § 1 Rn. 101; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 1 Rn. 15; Kübler/ Prütting/Wenzel, InsO § 286 Rn. 1), wäre es schlecht vereinbar, ihm eine solche Existenz ausgerechnet während der Wohlverhaltensphase vorzuenthalten. Diese dient einmal dazu, die Insolvenzgläubiger so weit zu befriedigen, als es dem Schuldner möglich und zumutbar ist, und zum andern dazu, den Schuldner im Wirtschaftsleben wieder Fuß fassen zu lassen. Beiden Interessen kommt es entgegen, wenn der Schuldner in seinem "erlernten Beruf" vollwertig tätig sein darf und somit die Erwerbsmöglichkeiten, die dieser Beruf bietet, in vollem Umfang ausschöpfen kann.
6.
Etwas anderes hätte nur zu gelten, wenn durch die Zulassung des Schuldners zur Rechtsanwaltschaft während der Wohlverhaltensphase die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet würden. Dies ist nicht der Fall.
Soweit der Anwaltsgerichtshof darauf aufmerksam macht, es sei nicht gewährleistet, daß der Schuldner während der Wohlverhaltensphase "Fremdgeld und Anwaltsgebühren" an den Treuhänder abführe, es bestehe vielmehr die Gefahr, daß er diese Gelder zur Tilgung anderer, etwa inzwischen entstandener neuer Verbindlichkeiten verwende, von denen der Treuhänder möglicherweise keine Kenntnis habe, ist ein Versagungsgrund nicht erkennbar. Fremdgeld ist nicht an den Treuhänder abzuführen, weil es wirtschaftlich nicht dem Schuldner gehört; eine Pfändung könnte der Treugeber -hier der Mandant -mit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 Abs. 1 ZPO abwehren (BGH, Urt. v. 1. Juli 1993 -IX ZR 251/92, NJW 1993, 2622). Führt der Schuldner den pfändbaren Teil der von ihm verdienten Anwaltsgebühren nicht an den Treuhänder ab, werden dadurch nicht die Interessen der Mandanten, sondern allenfalls die der Insolvenzgläubiger berührt. Außerdem sind diese hinreichend dadurch geschützt, daß der Schuldner durch die Nichtabführung die Versagung der Restschuldbefreiung riskiert (§ 295 Abs. 2, § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO).
Es ist ferner nicht davon auszugehen, daß ein Rechtsanwalt schon deswegen, weil er sich nach einem abgeschlossenen Insolvenzverfahren in der Wohlverhaltensphase befindet, eher als sonstige Berufskollegen der Versuchung ausgesetzt ist, sich an Mandantengeldern zu vergreifen. Dafür, daß er diese Gelder einsetzt, um die Insolvenzgläubiger zu befriedigen, fehlt ihm jeder Anreiz. Er muß diesen nur seine pfändbaren Einkünfte, nicht aber Fremdgelder, zur Verfügung stellen, um die Restschuldbefreiung zu erhalten. Die Gefahr, daß der auf seine unpfändbaren Einkünfte angewiesene Rechtsanwalt sich an Fremdgeldern bereichert, um seinen eigenen Lebensstandard zu heben oder neu entstandene Verbindlichkeiten zu tilgen, ist nicht größer als bei solchen Rechtsanwälten, die, ohne daß ihnen jemals ein Vermögensverfall -sei es mit oder ohne Insolvenzverfahren -gedroht hat, ebenfalls zu den Geringverdienern gehören.
7. Die unterlassene Beantwortung der dem Antragsteller von der Antragsgegnerin gestellten Fragen rechtfertigt die Versagung der Wiederzulassung nicht ohne weiteres.
Allerdings trifft in Zulassungssachen den Berufsbewerber wie auch den Rechtsanwalt die Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 36a Abs. 2 Satz 1 BRAO). Sein Antrag auf die Gewährung von Rechtsvorteilen -etwa die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft -ist zurückzuweisen, wenn infolge Verweigerung der Mitwirkung der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt werden kann (§ 36a Abs. 2 Satz 2 BRAO). Dies kommt jedoch nur in Betracht, soweit der Sachverhalt für die Gewährung des Rechtsvorteils von Bedeutung ist. Vorliegend war dies nicht der Fall.
Bei den von dem Antragsteller unbeantwortet gelassenen Anfragen der Antragsgegnerin ging es zum einen darum, wie hoch die Forderungen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren, wie die entsprechenden Verbindlichkeiten entstanden, in welcher Höhe diese inzwischen getilgt worden sind, wer Treuhänder ist und welche Beträge an diesen abgeführt werden. Diese Fragen betrafen allein das inzwischen erledigte Insolvenzverfahren. Für die Entscheidung, ob der Antragsteller nunmehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden kann, ob insbesondere die künftigen Mandanten dadurch gefährdet wären, haben die darauf zu gebenden Antworten keine Aussagekraft.
Die Antragsgegnerin hat weiter danach gefragt, ob zu den Verbindlichkeiten, die von dem Insolvenzverfahren erfaßt waren, weitere hinzugekommen sind, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt finanziert und ob er Einkünfte hat. Diesen Fragen kann eine Bedeutung für das Zulassungsverfahren nicht von vornherein abgesprochen werden. Allerdings ist das bloße Bestehen von (neuen) Verbindlichkeiten bei einem Berufsbewerber, der früher ein Insolvenzverfahren durchlaufen hat, für die Zulassungsentscheidung kaum bedeutsamer als bei einem anderen Bewerber. Sie stehen einer Zulassung erst entgegen, wenn es ihretwegen zu Vollstreckungsmaßnahmen gekommen ist. Solche Vollstreckungsmaßnahmen sind auch wegen der Neuschulden eines früheren Insolvenzschuldners möglich, weil das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hierfür nicht gilt (HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl. § 294 Rn. 5). Wenn die Antragsgegnerin Auskunft über Vollstreckungsmaßnahmen haben wollte, wäre diese am zuverlässigsten von dem für den Antragsteller zuständigen Gerichtsvollzieher zu erlangen gewesen. Ob der Antragsteller Einkünfte hat und wie er seinen Lebensunterhalt finanziert, ist für die Zulassungsentscheidung ebenfalls von minderer Bedeutung. In erster Linie muß dies den Treuhänder und die Insolvenzgläubiger interessieren, damit diese beurteilen können, ob der Antragsteller auch wirklich alle pfändbaren Einkünfte abführt.
In diesem Lichte betrachtet ist die Verweigerung konkreter Auskünfte durch den Antragsteller möglicherweise nicht von solcher Bedeutung, daß allein deswegen die Zulassung zu versagen ist. Die Antragsgegnerin hat nunmehr Gelegenheit, unter Berücksichtigung der Auffassung des Senats diesen Umstand neu zu gewichten und hernach von neuem über den Zulassungsantrag zu entscheiden.
Deppert Ganter Otten Ernemann Salditt Schott Wosgien
BGH:
Beschluss v. 07.12.2004
Az: AnwZ (B) 40/04
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