Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. August 2004
Aktenzeichen: 8 W (pat) 316/02

(BPatG: Beschluss v. 12.08.2004, Az.: 8 W (pat) 316/02)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I Das Patent 101 00 001 mit der Bezeichnung "Spritzgießmaschine mit vertikal verfahrbarer Schließeinheit" wurde am 01. Januar 2001 beim Patentamt angemeldet. Mit Beschluss vom 22. Januar 2002 wurde hierauf das Patent erteilt und am 23. Mai 2002 dessen Erteilung veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die Firma M... und F...-Ges.m.b.H. in

...gasse in A - T...

am 21. August 2002 Einspruch erhoben.

Die Einsprechende stützt ihren Einspruch ua auf folgende Druckschriften:

1. DE 10 06 590 B und 2. DE 18 15 712 A.

In der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2004 vertritt die Einsprechende die Ansicht, dass der Patentgegenstand auch nach dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1 gegenüber der Lehre nach DE 10 06 590 B nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, da in dieser Druckschrift das Prinzip eines Hub- und Vorspannvolumens, die in einem gemeinsamen Raum vorlägen, verwirklicht sei. Auch ist sie der Ansicht, dass der nunmehr geltende Patentanspruch 1 die Verwendung eines Zwischenstücks, das zwischen dem Kolben des Kurzhubzylinders und der verfahrbaren Formaufspannplatte angeordnet sei, nicht ausschließen würde.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten. Sie vertritt die Auffassung, dass die Lehre der DE 10 06 590 B vom Patentgegenstand wegführen würde, da in der dort beschriebenen Spritzgießmaschine zwischen dem verschiebbaren Kolben und der verfahrbaren Formaufspannplatte ein Zwischenstück angeordnet sei. Bei der patentgemäßen Ausführung wäre jedoch kein Zwischenstück vorgesehen, was auch aus der Formulierung des Patentanspruchs hervorginge. Ferner seien in der DE 1 815 712 A die Probleme beschrieben, die bei Verwendung einer Kolben-Zylinder-Anordnung mit gemeinsamem Raum für das Kurzhub- und das Vorspannvolumen auftreten würden, so dass der Fachmann ein Vorurteil gegen diese Bauart habe.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent mit Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

II 1. Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist substantiiert und auf den Einspruchsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gestützt. Er ist daher zulässig.

Der Einspruch ist auch sachlich gerechtfertigt, weil der Gegenstand des Patents keine Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG darstellt.

Nach dem geltenden Patentanspruch 1 (überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2004) betrifft der Gegenstand des Patents eine Spritzgießmaschine mit vertikal verfahrbarer Schließeinheit, die ein plattenartiges Unterjoch als Gegendruckplatte, ein plattenartiges Oberjoch als feststehende Formaufspannplatte, mindestens drei vertikal ausgerichtete Holme, die Unter- und Oberjoch in deren Randbereichen kraftschlüssig miteinander verbinden, sowie ein weiteres plattenartiges Element als verfahrbare Formaufspannplatte aufweist, die mittels eines oder mehrerer an ihr und der Gegendruckplatte angeschlagener Fahrzylinder kleinen Querschnitts und großer Hublänge derart auf den Holmen verfahrbar ist, dass zwei an einander zugekehrten Flächen der Formaufspannplatten angeordnete, ein- oder mehrteilige Werkzeughälften aus einem maximalen Abstand in eine gegenseitige Anlage und umgekehrt bringbar sind, wobei in der Anlagestellung ein ebenfalls zwischen Gegendruckplatte und verfahrbarer Formaufspannplatte wirksamer Kurzhubzylinder größeren Querschnitts zwecks Erzeugung des erforderlichen Schließdrucks zuschaltbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass der zuschaltbare Kurzhubzylinder eine in der Anlagestellung aus dem Außenraum der Schließeinheit (3) in horizontaler Richtung zwischen Gegendruckplatte (4) und verfahrbare Formaufspannplatte (5) ein- und ausfahrbare, mit einem fluiden Medium beaufschlagbare Kolben-Zylinder-Anordnung (2) ist, die neben dem kurzfristig mit einem fluiden Medium füll- und entleerbaren Hubvolumen zur Erzeugung des Kurzhubs ein weiteres Vorspannvolumen aufweist, das in willkürlichen größeren Zeitintervallen mit unterschiedlichen Mengen des fluiden Mediums des fluiden Mediums beaufschlagbar ist, um die Ausgangshöhe der Kolben-Zylinder-Anordnung (2) für den Kurzhubbetrieb an unterschiedliche Werkzeughöhen (6, 7) anpassen zu können, wobei Hubvolumen und Vorspannvolumen einen gemeinsamen Raum ausbilden.

Hinsichtlich der daran sich anschließenden, erteilten Patentansprüche 4 bis 21 wird auf die Akte verwiesen.

Gemäß der Patentschrift (Sp 3, Z 30 ff) ist die Aufgabe der Erfindung darin zu sehen, Spritzgießmaschinen mit vertikal verfahrbarer Schließeinheit zur Verfügung zu stellen, die es aufgrund ihrer konstruktiven Ausgestaltung gestatten, ohne zusätzliche Maßnahmen von ihrer Aufstandsfläche aus eine Bedienhöhe sicherzustellen, die in der Größenordnung von hB = 750 mm liegt.

2. Der in der mündlichen Verhandlung überreichte Patentanspruch 1 ist zulässig. Er ist auf der Grundlage des erteilten Patentanspruchs 1 formuliert. Hinzugefügt wurden die Merkmale der erteilten Patentansprüche 2 und 3. Die erteilten Patentansprüche 4 bis 21 schließen sich daran unverändert an.

3. Die aufgrund ihrer Zweckbestimmung ohne Zweifel gewerblich anwendbare Vorrichtung nach Patentanspruch 1 hat gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik zwar als neu zu gelten, denn nach keiner dieser Druckschriften wird eine Spritzgießmaschine mit vertikal verfahrbarer Schließeinheit gezeigt, die einen aus dem Außenraum ein- und ausfahrbaren Kurzhubzylinder aufweist.

Die Vorrichtung nach dem Patentanspruch 1 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Bei der Spritzgießmaschine nach dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1 ist ein zuschaltbarer Kurzhubzylinder vorgesehen, der aus dem Außenraum der Schließeinheit in horizontaler Richtung in die Spritzgießmaschine ein- und ausfahrbar ist und dadurch in eine Anlagestellung zwischen Gegendruckplatte und verfahrbarer Formaufspannplatte gebracht werden kann. Durch dieses Ein- und Ausfahren des Kurzhubzylinders soll die Bauhöhe verringert werden. Die Kolben-Zylinder-Anordnung des Kurzhubzylinders soll ferner einen gemeinsamen Raum für das Hubvolumen und das Vorspannvolumen aufweisen, denn dadurch soll die Ausgangshöhe der Kolben-Zylinder-Anordnung an unterschiedliche Werkzeughöhen angepasst werden. Durch das Vorspannvolumen kann die Formaufspannplatte über den Kurzhubzylinder derart in eine Ausgangslage gebracht werden, dass für das Aufbringen des Schließdruckes nur noch ein geringes Hubvolumen erforderlich ist.

Für diese Maßnahmen vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik dem Durchschnittsfachmann, einem Diplom - Ingenieur (FH) mit mehrjährigen Kenntnissen auf dem Gebiet der Verfahrenstechnik, insbesonders auf dem Gebiet des Spritzgießens von Kunststoffen, ausreichend Anregungen.

In der DE 1 006 590 B ist eine Spritzgießmaschine beschrieben, bei der die bewegliche Formaufspannplatte mit geringem Kraftaufwand hydraulisch in eine Schließstellung bewegt und die Kraft zum Geschlossenhalten der Form durch ein Druckglied erzeugt wird, das nur einen kleinen Hub (Weg "f" in Fig 2) ausführen muss. Wie der Zeichnung jedoch zu entnehmen ist, ist dieser Kolben des Druckzylinders durchaus in der Lage einen größeren Weg zurückzulegen, so dass auch hier zwei Volumina einen gemeinsamen Raum aufweisen. Auch wird dieser Schließzylinder (16) vor dem Spritzgießvorgang in den Raum zwischen der Gegendruckplatte und der beweglichen Formaufspannplatte eingefahren. Nach abgeschlossenem Spritzgießvorgang wird dieser Schließzylinder aus dem Raum herausgefahren, damit beim Öffnen der Form das Zwischenstück in den Durchbruch (20) einfahren kann. Beim geltenden Patentanspruch 1 ist wohl kein Zwischenstück beschrieben. Es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen, denn die Formulierung des Anpassens an verschiedene Werkzeughöhen schließt nicht aus, dass zwischen der Kolben-Zylinder-Anordnung ein Zwischenstück konstanter Länge vorgesehen sein kann. Auch bei einem Zwischenstück konstanter Länge muss bei Verwendung von Werkzeugen mit unterschiedlichen Bauhöhen die Kolben-Zylinder-Anordnung an die neue Betriebssituation, dh an die neue Höhe der verfahrbaren Formaufspannplatte, angepasst werden. Somit erhält der Fachmann auch aus dieser Druckschrift den Hinweis, dass, sofern er die Baulänge verringern möchte und zwar unabhängig von einer vertikalen oder horizontalen Anordnung der Spritzgießmaschine, er dafür sorgen muss, dass die verfahrbare Formaufspannplatte ungehindert soweit verfahren werden kann, dass die gespritzten Teile ohne besonderen Aufwand aus der Form entnommen werden können. Das ist aber nur dann der Fall, wenn der Kurzhubzylinder aus der Spritzgießmaschine ein- und ausfahrbar angeordnet ist.

Sollte der Durchschnittsfachmann bei dem in der DE 1 006 590 B beschriebenen Kurzhubzylinder den gemeinsamen Raum für die beiden Volumina nicht erkennen, so ist der DE 18 15 712 A eine horizontal arbeitende Spritzgießmaschine zu entnehmen, die eine kurze Baulänge aufweisen soll (Seite 6, letzte Zeilen) und die folgende Merkmale umfasst (Bezugszeichen Fig 1 und 2):

eine verfahrbare Schließeinheit,

- eine plattenartige Gegendruckplatte (6),

- eine feststehende Formaufspannplatte (2),

- mindestens drei Holme (1), die die Gegendruckplatte und die feststehende Formaufspannplatte an ihren Randbereichen kraftschlüssig miteinander verbinden, eine verfahrbare Formaufspannplatte (7), die - mittels eines oder mehrerer an ihr und der Gegendruckplatte angeschlagener Fahrzylinder (8) großer Hublängen derart auf den Holmen verfahrbar ist, dass die einander zugekehrten Flächen der Werkzeughälften in gegenseitige Anlage und umgekehrt bringbar sind,

- einen zuschaltbaren Kurzhubzylinder (11) zwecks Erzeugung des erforderlichen Schließdruckes, wobei der zuschaltbare Kurzhubzylinder aus einer Anlagestellung aus dem Außenraum der Schließeinheit in Richtung zwischen der Gegendruckplatte und der verfahrbaren Formaufspannplatte ein- und ausfahrbar ist und wobei - der zuschaltbare Kurzhubzylinder auf die Werkzeughöhe stufenlos einstellbar ist (Seite 8, Ende erster Absatz), und - der zuschaltbare Kurzhubzylinder eine mit einem fluiden Medium beaufschlagbare Kolben- Zylinder-Anordnung ist.

Die Anpassung des Kurzhubzylinders an die Werkzeughöhe wird bei der Spritzgießmaschine nach der DE 18 15 712 A nicht über den Hydraulikdruck bewerkstelligt, sondern über eine Mutter-Spindel-Anordnung (Patentanspruch 3). In der Beschreibungseinleitung (Seite 3, Zeilen 11 ff) wird jedoch ausgeführt, dass Hydraulikzylinder bereits zum Einsatz gekommen sind, die einen gemeinsamen Raum für das Vorspannvolumen und das Kurzhubvolumen aufweisen würden. Als nachteilig wird hier wohl gesehen, dass der Druck über eine große Druckmittelsäule übertragen werden muss und dann die Kompressibilität der hydraulischen Flüssigkeit eine große Rolle spielen würde. Diese Lösungsmöglichkeit wurde jedoch bereits 1968 beschrieben und man kann davon ausgehen, dass moderne Hydraulikflüssigkeiten eine geringere Kompressibilität aufweisen, als vor über 30 Jahren. Ferner wird der Fachmann versuchen, die mechanische Anpassung durch eine hydraulische Anpassung zu ersetzen, da er damit ein zusätzliches konstruktives Element - nämlich eine Mutter-Spindel-Anordnung - vermeiden kann. Ein Vorurteil war hierbei nicht zu überwinden, da er durch die Vereinfachung, wie ausgeführt, Vorteile erzielt.

Somit erhält der Fachmann auch aus dieser Druckschrift den Hinweis, dass einfahrbare Kolben-Zylinder-Anordnungen, die einen gemeinsamen Raum für das Vorspann- und Kurzhubvolumen aufweisen bereits bei Spritzgießmaschinen eingesetzt wurden. Dieses Wissen nun auf vertikal arbeitende Spritzgießmaschinen anzuwenden, liegt im Rahmen des handwerklichen Könnens des Durchschnittsfachmannes.

Der Patentanspruch 1 hat daher, da sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, keinen Bestand.

Die sich daran anschließenden erteilten Unteransprüche 4 bis 21 haben ebenfalls keinen Bestand, da sie bereits aufgrund der Antragsbindung mit dem Hauptanspruch fallen.

Das Patent war somit zu widerrufen.

Kowalski Martens Gießen Kuhn Cl






BPatG:
Beschluss v. 12.08.2004
Az: 8 W (pat) 316/02


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