Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. November 2003
Aktenzeichen: 8 W (pat) 22/03
(BPatG: Beschluss v. 04.11.2003, Az.: 8 W (pat) 22/03)
Tenor
Auf die Beschwerde der Patentinhaber wird der Beschluß der Patentabteilung 25 des Patentamts vom 25. April 2000 aufgehoben.
Das Patent 44 43 205 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Kunststoffbindemitteln oder" entfallen.
Gründe
I Nach Prüfung eines Einspruchs hat die Patentabteilung 25 des Patentamts das unter der Bezeichnung "Verfahren zum Herstellen eines Tragelements mit schlaffer Stahlbewehrung" erteilte Patent 44 43 205 (Anmeldetag: 5. Dezember 1994, die innere Priorität einer deutschen Voranmeldung vom 7. Dezember 1993 war in Anspruch genommen worden) widerrufen.
Zum Stand der Technik waren im Prüfungs- und Einspruchsverfahren die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen worden:
DE 40 40 905 A1 Fachbuch "Baustoffkenntnis", Werner-Verlag, 10. Aufl 1984, S 164 - 167, 226, 227; 252 - 255, 246, 247; 336 - 338 DE-OS 22 54 750 DE-OS 17 59 819 DE 26 29 373 B2 DE 43 13 977 A1 DE 44 04 511 A1 (diese ist gegenüber dem Prioritätsdatum des Streitpatents nachveröffentlicht und steht daher nicht entgegen).
Gegen den Widerrufsbeschluss haben die Patentinhaber Beschwerde eingelegt.
Eine im Beschwerdeverfahren eingetretene Rücknahmefiktion, die zur Löschung des Patents geführt hat, war durch Beschluss zur Wiedereinsetzung vom 20. Februar 2003 durch das Patentamt aufgehoben worden.
Die Patentinhaber haben in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass mit dem Verfahren nach Anspruch 1 ein Herstellungsverfahren für Tragwerke aus Kunstbeton angegeben werde, dessen Zuschlag aus aus Kunststoffabfällen hergestellten Pellets bestehe. Der entgegengehaltene Stand der Technik biete kein Vorbild für eine derartige Lehre zum technischen Handeln.
Die Patentinhaber stellen den Antrag, den Beschluss der Patentabteilung 25 des Patentamts vom 25. April 2000 aufzuheben und das Patent 44 43 205 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Kunststoffbindemitteln oder" entfallen.
Der verteidigte Patentanspruch 1 in seiner geltenden Fassung lautet:
"Verfahren zum Herstellen eines Tragelements mit schlaffer Stahlbewehrung für das Bauwesen, dadurch gekennzeichnet, dass die Stahlbewehrung in ein Gemisch aus aus Recyclingkunststoffen aufbereiteten, granulierten Kunststoffabfällen und hydraulischen Bindemitteln eingebettet wird."
Zu dem auf den Anspruch 1 rückbezogenen Anspruch 2 wird auf die Akten verwiesen.
Der Einsprechende hat schriftsätzlich (Schriftsatz vom 7.11.2000) vorgetragen, dass es dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung gegenüber dem Stand der Technik nach der DE 40 40 905 A1 an der erforderlichen Neuheit fehle.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2003 (eingegangen am 23.09.03) hat der Einsprechende erklärt, dass er an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, wobei sein Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde aufrecht erhalten bleibe.
Der schriftsätzlich gestellte Antrag (Schriftsatz vom 7.11.2000, eingegangen am 10.11.00) des zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Einsprechenden geht dahin, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Das anmeldungsgemäße Verfahren stellt eine patentfähige Erfindung iSd PatG §§ 1 bis 5 dar.
1. Mit dem geltenden Patentanspruch 1 wird das angegriffene Patent in zulässiger Weise beschränkt.
Im geltenden Patentanspruch 1 wird lediglich eine von zwei ursprünglich offenbarten und auch in den Unterlagen des Streitpatents (erteilter Anspruch 1) enthaltenen Alternativen, nämlich der Einsatz von hydraulischen Bindemitteln, weiterverfolgt. Dies führt zu einer zulässigen Beschränkung des Streitpatents.
2. Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner geltenden beschränkten Fassung ist ein Verfahren zum Herstellen eines Tragwerks mit schlaffer Stahlbewehrung für das Bauwesen. Hierzu wird die Stahlbewehrung in ein Gemisch aus aus Recyclingkunststoffen aufbereiteten granulierten Kunststoffabfällen und hydraulischen Bindemitteln eingebettet.
Demgemäss erfolgt die Einbettung der Stahlbewehrung in einen Kunstbeton, dessen Zuschlagstoff Kunststoffgranulat aus Recyclingkunststoffen darstellt, so dass die herkömmlichen Beton-Zuschlagstoffe Sand und Kies hierdurch vollständig ersetzt werden. Nach Auffassung des Senats lässt das im geltenden Anspruch 1 beschriebene Verfahren bereits aus dem Anspruchstext heraus erkennen, dass es sich bei der Herstellung des angestrebten bewehrten Kunstbetons nicht um ein thermisch bestimmtes Verfahren, sondern um ein "Kaltverfahren" handelt, bei dem kaltes, nicht aufgeschmolzenes oder aufzuschmelzendes Kunststoffgranulat bei Raumtemperatur mit hydraulischem Bindemittel, also Zement, zu einem Kunstbeton verbunden wird.
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen offenbart ein Verfahren zum Herstellen eines Tragelements mit allen im Anspruch 1 niedergelegten Merkmalen.
Von dem Herstellungsverfahren für ein Unterlagsbrett nach der DE 40 40 905 A1 unterscheidet sich das patentgemäße Verfahren zumindest in der Verwendung hydraulischer Bindemittel als Matrix-Substanz für die Stahlbewehrung und das Kunststoffgranulat.
In dem Fachbuch "Baustoffkenntnis" werden herkömmliche Beton- und Stahlbetonarten hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe und ihrer jeweiligen Herstellungsverfahren beschrieben, von denen sich das patentgemäße Verfahren durch den Einsatz von Kunststoffgranulat als Zuschlagstoff unterscheidet.
Auf den verbleibenden im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik ist in der mündlichen Verhandlung nicht mehr eingegangen worden. Keine dieser Entgegenhaltungen - insoweit vorveröffentlicht - beschreibt die Verwendung von granulierten Kunststoffabfällen als Zuschlagstoff für Beton. Vielmehr beschreiben sie im Unterschied zum Patentgegenstand entweder die Einbettung von Stahl in Kunststoffmasse (DE-OS 17 59 819, DE 26 29 373 B2) oder die Verwendung unverbrennlicher Anteile aus Abfallstoffen und Müll als Beton-Zuschlagstoffe (DE-OS 22 54 750). Von dem Verfahren zur Wiederverwendung von Kunststoff-Hausmüllabfällen nach der DE 43 13 977 A 1 - diese Entgegenhaltung kann als ältere Anmeldung gem. § 3 (2) iVm § 4 (2) PatG lediglich zur Neuheitsprüfung herangezogen werden - unterscheidet sich das patentgemäße Verfahren nach Anspruch 1 durch das Einbringen einer Stahlbewehrung in die herzustellenden Betonelemente.
4. Das Verfahren nach Patentanspruch 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei dem Verfahren zur Herstellung von Unterlagsbrettern nach der DE 40 40 905 A1 wird gemäß Sp 3, Z 5 bis 17 u.a. ein Herstellungsweg beschritten, der dahin geht, dass in dem im Extruder aufgeschmolzenen Kunststoffabfall auch der Verbleib von nicht schmelzbaren Anteilen zur Einlagerung in die Thermoplastschmelze toleriert wird. Durch Einfüllen dieses Gemisches in eine Brettform entsteht dabei ein brettartiges Bauteil, welches zudem auch eine verstärkende Bewehrung z.B. durch Baustahl (Sp 4, Z 21 bis 24) erfahren kann (vgl auch Fig 3 d)). Jedenfalls erfolgt hier die Einbettung des Bewehrungsmaterials in Kunststoffschmelze, welche sich zum Zeitpunkt der Einbringung in die Form durch die Friktionswärme des verarbeitenden Extruders in erwärmtem und plastifiziertem Zustand befindet, wobei der Verbleib nicht schmelzbarer Kunststoffgranulate in der Schmelze in Kauf genommen wird. So führt das entgegengehaltene Verfahren auch zu einem Kunststoffgegenstand mit metallischer Bewehrung und nicht zu einem bewehrten Betonelement. Ein derartiges Verfahren zur Einbettung von Bewehrungsstahl o.ä. in Kunststoff vermag einem Fachmann, einem in der Herstellung und Verwendung alternativer Beton-Zuschlagstoffe erfahrenen Bauingenieur mit Fachhochschulausbildung, keinerlei Anregung dazu zu vermitteln, den herkömmlichen Beton-Zuschlag bestehend aus Sand und Kies vollständig durch aus Kunststoffabfällen gewonnene Granulate zu ersetzen, wobei die übrigen Verfahrensschritte der nicht thermisch sondern im "Kaltverfahren" geführten Betonherstellung unter Verwendung hydraulischer Bindemittel beibehalten werden.
Die im Fachbach "Baustoffkenntnis" beschriebenen Betonarten mit schlaffer oder anderer Stahlbewehrung (S 252, Punkt 6.6.1) werden allesamt unter Verwendung des klassischen Betonzuschlags Sand und Kies hergestellt, wobei lediglich das hydraulische Bindemittel Zementleim im Falle von Reaktionsharzbeton ganz durch Kunststoff ersetzt werden kann (S 337, Punkt 6.23.2, a)). Eine Anregung zum Ersatz des klassischen Betonzuschlags durch Kunststoffgranulat unter Beibehaltung der bekannten Parameter der Betonherstellung im übrigen erhält der Fachmann auch aus dieser Entgegenhaltung nicht.
Auch aus den übrigen im Verfahren befindlichen vorveröffentlichten und zur Frage der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehenden Druckschriften, die, wie bereits beim Neuheitsvergleich ersichtlich, vom patentgemäßen Verfahren weiter abliegen, ergibt sich das Verfahren nach Patentanspruch 1 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise, denn diese haben lediglich entweder die Einbettung metallischer Bewehrung in Kunststoff bzw Hartschaumstoff (DE-OS 17 59 819, DE 26 29 373 B2) oder die Verwendung unverbrennlicher Anteile aus organischen Abfallstoffen als Betonzuschlag zum Gegenstand (DE-OS 22 54 750).
Nachdem sich das patentgemäße Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 nicht aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik, weder einzeln für sich noch in einer Zusammenschau betrachtet, auch unter Hinzunahme des allgemeinen Fachwissens des Durchschnittsfachmanns, ergibt, war eine erfinderische Tätigkeit erforderlich, um zu dem Verfahren nach Anspruch 1 zu gelangen.
Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.
Mit diesem zusammen hat auch der auf Anspruch 1 rückbezogene Patentanspruch 2 Bestand, der auf eine vorteilhafte Ausgestaltung eines Verfahrens nach Anspruch 1 gerichtet ist.
Kowalski Dr. Huber Gießen Hübner Cl
BPatG:
Beschluss v. 04.11.2003
Az: 8 W (pat) 22/03
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/34d0b66c2637/BPatG_Beschluss_vom_4-November-2003_Az_8-W-pat-22-03