Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 3. Dezember 2001
Aktenzeichen: NotZ 16/01
(BGH: Beschluss v. 03.12.2001, Az.: NotZ 16/01)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main -2. Notarsenat -vom 19. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Beschwerdewert wird für beide Rechtszüge auf 100.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde 1982 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Amts- und Landgericht F., 1997 bei dem Oberlandesgericht F. zugelassen. Am 29. März 1990 wurde er zum Notar mit dem Amtssitz in F. bestellt.
Durch Verfügung des Präsidenten des Landgerichts F. vom 2. November 1999 wurde der Antragsteller vorläufig seines Amtes als Notar enthoben, weil er ohne Genehmigung und auch nach Erlaß einer Disziplinarverfügung als Geschäftsführer der Firmen VSI V. S. I. GmbH (VSI) und R-Tec G. für S.- und R. mbH (R-Tec), beide mit Sitz in H., tätig war. Die vorläufige Amtsenthebung wurde durch Verfügung vom 25. November 1999 zusätzlich darauf gestützt, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. die Art der Wirtschaftsführung des Antragstellers die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten.
Am 9. November 1999 leitete die Präsidentin des Oberlandesgerichts F. wegen der Geschäftsführertätigkeit, am 3. Dezember 1999 auch wegen der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden das Amtsenthebungsverfahren gegen den Antragsteller ein. Die Verfügungen wurden dem Antragsteller am 12. November und am 7. Dezember 1999 zugestellt. Ein Antrag auf Feststellung, daß die Voraussetzungen der Amtsenthebung nicht vorlägen, wurde von dem Antragsteller nicht gestellt. Durch Verfügung vom 13. Januar 2000 wurde der Antragsteller seines Amtes als Notar enthoben. Die Amtsenthebung stützt sich auf die Gründe, die dem Antragsteller in den Einleitungsverfügungen mitgeteilt worden waren.
Die gegen die vorläufige Amtsenthebung und gegen die Amtsenthebung gerichteten Anträge auf gerichtliche Entscheidung blieben ohne Erfolg. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main entgegentritt.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
1. Es ist davon auszugehen, daß die beim Oberlandesgericht am 30. März 2001 eingegangene Beschwerdeschrift die Rechtsmittelfrist (§ 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO) gewahrt hat. Der angefochtene Beschluß wurde dem Antragsteller entsprechend § 212 a ZPO (vgl. Keidel/Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Kommentar zum FGG, 14. Aufl., § 16 Rdn. 48) gegen Empfangsbescheinigung zugestellt. Die Bescheinigung ist zwar nicht wieder zu den Akten gelangt, der Antragsteller teilt aber mit, die Zustellung sei am 16. März 2001 erfolgt. Die Mitteilung ist rechtlich geeignet, das Empfangsbekenntnis auf der vom Gericht übermittelten Urkunde (Zustellungskarte) zu ersetzen (vgl. BGH, Urt. v. 3. Mai 1994, VI ZR 248/93, NJW 1994, 2297), eine inhaltliche Unrichtigkeit trägt sie nicht auf der Stirn.
2. Auch vom Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses ist auszugehen. Der Hessische Anwaltsgerichtshof hat zwar den Widerruf der Zulassung des Antragstellers zur Anwaltschaft bestätigt, über das hiergegen eingelegte Rechtsmittel hat aber der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs (AnwZ-B42/01) noch nicht entschieden. Vom Erlöschen des Amts des Notars nach § 47 Nr. 3 BNotO und damit vom Wegfall des schützenswerten Interesses an der weiteren Rechtsverfolgung (Senatsbeschl. v. 14. Juli 1997, NotZ 36/96) kann nicht ausgegangen werden.
III.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
1. Was die Amtsenthebung wegen Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden angeht, die die Präsidentin des Oberlandesgerichts (allein) auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers stützt (§ 50 Abs. 1 Nr. 8 1. Altern. BNotO), stellt sich das Oberlandesgericht zu Recht auf den Standpunkt, daß die tatsächlichen Ergebnisse des durch die Verfügung vom 3. Dezember 1999 eingeleiteten Vorschaltverfahrens (§ 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO) nicht mehr zur Überprüfung stehen. Die dem Notar eröffnete Möglichkeit, die Feststellung, ob in den Fällen des § 50 Abs. 1 Nr. 5 bis 9 BNotO die Voraussetzungen der Amtsenthebung vorliegen, in einem gesonderten Verfahren vorweg überprüfen zu lassen, führt nicht zu einer Verdoppelung des Rechtsschutzes. Die dort festgestellten Amtsenthebungsgründe sind im anschließenden Streit um die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung grundsätzlich bindend (Senat BGHZ 44, 65, 72; 78, 229). Entsprechendes gilt für den hier vorliegenden Fall, in dem eine gerichtliche Prüfung des Amtsenthebungsgrundes zufolge des Umstands, daß der Notar von dem ihm nach § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO eingeräumten Antragsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, unterblieben ist (Senat BGHZ 78, 232).
Es ist danach davon auszugehen, daß der Antragsteller in (mindestens) neun Fällen, davon acht mal in den Jahren 1998 und 1999 berechtigte Forderungen nicht bezahlte und es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kommen ließ. Die geschuldeten Beträge belaufen sich zwischen ca. 3.000 DM und 44.000 DM. Am 1. November 1999 war der Antragsteller im Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor dem Amtsgericht M. zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gezwungen. Hiervon abgesehen sind nach dem Eingeständnis des Antragstellers aus von ihm verwalteten Insolvenzmassen ca. 1,5 Mio. DM "nicht mehr vorhanden" und nach im einzelnen nicht nachvollziehbar dargelegten Investitionen "jetzt wohl verloren". Ohne Erfolg weist der Antragsteller darauf hin, daß die Verwaltung von Insolvenzmassen kein Verwahrungsgeschäft im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO ist. Der Vorwurf, durch die Durchführung notarieller Verwahrungsgeschäfte (§§ 23, 24 BNotO) die Interessen der Rechtsuchenden zu gefährden, liegt der Amtsenthebung nicht zugrunde. Zu Recht hebt aber das Oberlandesgericht darauf ab, daß das unerklärte Verschwinden großer Massebestände und im Zusa mmenhang damit die von der Präsidentin des Oberlandesgerichts festgestellten Schadensersatzverbindlichkeiten in Millionenhöhe es verbieten, dem Antragsteller notarielle Verwahrungsgeschäfte anzuvertrauen. Dies stellt einen Aspekt der festgestellten Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers dar (dazu Beschlüsse vom 20. November 2000, NotZ 17/00, ZNotP 2001, 117 und NotZ 19/00, ZNotP 2001, 115).
2. Zu Unrecht rügt der Antragsteller, das Oberlandesgericht habe ihm keine Gelegenheit gegeben, seine Behauptung, die angefallenen Verbindlichkeiten seien inzwischen nahezu getilgt, im Anschluß an die mündliche Verhandlung durch Schriftsatz darzulegen und zu belegen.
a) Der Senat hat es bisher offen gelassen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang beim Ausspruch der Amtsenthebung eine Veränderung der Sachlage seit Abschluß des Vorschaltverfahrens berücksichtigt werden kann (BGHZ 78, 229, 231). Er beantwortet die Frage nunmehr dahin, daß Umstände, die bis zum Ausspruch der Amtsenthebung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 BNotO eintreten, in die Prüfung, ob ein Amtsenthebungsgrund vorliegt, einzubeziehen sind. Die Amtsenthebung wird im allgemeinen dem Abschluß des Vorschaltverfahrens (§ 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO) unmittelbar nachfolgen. Dies ist aber nicht notwendig der Fall. Erfolgt sie später, kann sie nicht auf einen Sachverhalt gestützt werden, der inzwischen überholt ist. Denn der Verlust des Amtes tritt nicht kraft Gesetzes, sondern aufgrund eines gestaltenden Verwaltungsaktes ein, dessen Voraussetzungen zu dem Zeitpunkt, in dem er existent wird, vorhanden sein müssen. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob auch Umstände, die nach dem Ausspruch der Amtsenthebung durch die Landesjustizverwaltung, aber vor Abschluß eines daran anschließenden gerichtlichen Verfahrens eintreten, berücksichtigungsfähig sind. Diese Frage verneint der Senat. Der Senat hat sich unter verschiedenen Aspekten damit befaßt, welchen Sachverhalt das Gericht beim Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 111 BNotO seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Nachdem er zunächst allgemein auf den Zeitpunkt des Erlasses des (ablehnenden) Bescheids abgestellt hatte (Beschl. v. 29. Oktober 1973, NotZ 6/72, DNotZ 75, 47; offengelassen: Beschl. v. 13. Dezember 1993, NotZ 60/92, DNotZ 94, 333), sieht er nunmehr für Verpflichtungsanträge, etwa auf Bestellung zum Notar, den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als maßgeblich an (Beschl. v.
10. März 1997, NotZ 19/96, DNotZ 1997, 891, 894 m.w.Nachw); für das anzuwendende Recht vgl. schon Beschl. v. 17. März 1975, NotZ 8/74. Modifiziert wird dieser Gesichtspunkt allerdings durch das sachliche Recht, nach dem zurückliegende Zeitpunkte für die Voraussetzungen des Anspruchs entscheidend sein können. Für ein wesentliches Element des Verpflichtungsantrags, die fachliche (BGHZ 126, 39; Beschl. v. 14. Juli 1997, NotZ 48/96, BGHR BNotO § 6 n.F., Eignung 11) und die persönliche (Senatsbeschl. v. 22. März 1999, NotZ 33/98, BGHR BNotO § 6, Eignung 3) Eignung für das Amt des Notars sind die Verhältnisse bei Ablauf der Bewerbungsfrist entscheidend. Die Amtsenthebung des Notars zählt zu den auf die Veränderung eines besonders verliehenen Status gerichteten Verwaltungsakten. Bei gestaltenden Verwaltungsakten dieser Art (ähnlich: Entlassung oder Zurruhesetzung eines Beamten, aber auch Anfechtung einer baurechtlichen oder nachbarrechtlichen Genehmigung, der Genehmigung zur Personenbeförderung u.a.) gebieten es materielle Gründe der Rechtssicherheit, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf den Anfechtungsantrag hin von späteren Veränderungen der Sachlage unabhängig zu halten (allgemein: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 113 Rdn. 46; Redeker/von Oertzen u.a., VwGO, 13. Aufl., § 108 Rdn. 20; vgl. auch Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl., § 113 Rdn. 45 ff, 53 a; zur Zurruhesetzung eines Beamten BVerwG DVBl. 1998, 201/202; zur Entlassung eines Richters auf Probe BGHZ 100, 287, 298 f). Für den Amtsenthebungsgrund des Nichtabschlusses der vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung (§ 50 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. § 19 a BNotO) hat der Senat bereits in diesem Sinne entschieden (Beschl. v. 13. Oktober 1986, NotZ 9/86, BGHR BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 8, Zeitpunkt 1). Für die Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO gilt nichts anderes. Nicht hierzu rechnen dagegen das Vorschaltverfahren nach § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO und die vorläufige Amtsenthebung (§ 54 BNotO). Denn sie bereiten die statusrechtliche Entscheidung nur vor, führen sie aber nicht herbei.
b) Dies steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Anwaltssenats, der im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung den nachträglichen Wegfall eines Grundes für den Widerruf der Anwaltszulassung berücksichtigt (vgl. BGHZ 75, 356 f; 84, 149 f; Beschl. v. 5. Oktober 1998, AnwZ (B) 83/87; v. 18. Juni 2001, AnwZ (B) 49/00). Auch der Anwaltssenat steht -für die Widerrufsverfügung - grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses abzustellen ist. Lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen, weil dem Anwalt nämlich alsbald die Zulassung wieder zu erteilen wäre, berücksichtigt er die nachträgliche Entwicklung. Der aus dem Amt entfernte Notar ist dagegen nur bei Vorliegen eines Bedürfnisses (§ 4 BNotO) nach Ausschreibung der Notarstelle (§ 6 b BNotO) und bei Bestehen der Konkurrenz mit anderen Bewerbern (§ 6 BNotO) wieder zu bestellen.
c) Der als übergangen gerügte Vortrag des Antragstellers läßt keine Anhaltspunkte dafür erkennen, daß sich in der maßgeblichen Zeit, nämlich bis zur Amtsenthebung am 13. Januar 2000, wesentliche Veränderungen in seinen Vermögensverhältnissen ergeben hätten. Die, inhaltlich zudem unbestimmten, Angaben des Antragstellers beziehen sich auf einen Zeitpunkt, der etwa ein Jahr später liegt, nämlich die mündliche Verhandlung vor dem Oberlandesgericht am 19. Januar 2001. Ansatzpunkte für einen Umschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zwischen der Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens am 3. Dezember 1999 und der Amtsenthebung selbst, sind auch im Beschwerdeverfahren nicht hervorgetreten. Der im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltende Grundsatz der Amtsermittlung (§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO, § 12 FGG) entbindet die Beteiligten nicht davon, dem Gericht nachprüfbares Tatsachenmaterial zu unterbreiten. Hierzu ist der Antragsteller ersichtlich nicht in der Lage.
IV.
Ob die Amtsenthebung nach der Erklärung des Antragstellers vom 17. November 1999, seine Geschäftsführertätigkeit für die VSI niederzulegen, und nach der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der R-Tec am 3. September 1999 noch auf § 50 Abs. 1 Nr. 4 BNotO gestützt werden konnte, braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden. Die vorläufige Amtsenthebung ist mit der Bestätigung der Amtsenthebung durch den Senat gegenstandslos geworden. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Entzug der Zulassung des Antragstellers als Anwalt ist nicht veranlaßt.
Rinne Tropf Wahl Doye Lintz
BGH:
Beschluss v. 03.12.2001
Az: NotZ 16/01
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