Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Juni 2006
Aktenzeichen: 23 W (pat) 88/05

(BPatG: Beschluss v. 20.06.2006, Az.: 23 W (pat) 88/05)

Tenor

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die vorliegende Teilanmeldung P 43 45 512.3-34 ist durch eine in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 1999 beim BPatG abgegebene Teilungserklärung (Blatt 95 der Amtsakte) aus der am 14. Juni 1993 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung eines eine Abschirmung gegen elektromagnetische Abstrahlung aufweisenden Gehäuses" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichten Stammanmeldung P 43 19 965.8-34 hervorgegangen und hat daher als Anmeldetag den 14. Juni 1993, vgl. auch den Beschluss 23 W (pat) 13/98 Seite 6, Abs. 2 zur Stammanmeldung (Blatt 102 der Amtsakte).

Im Prüfungsverfahren wurden mit Bescheid vom 2. Juni 2003 als Stand der Technik folgende Druckschriften genannt:

1) JP 5-7177 A mit beglaubigter deutscher Übersetzung, 2) Produktinformation der Fa Chomerics, 1988, 3 Blatt und 3) DE 39 34 845 A1.

Die Anmelderin hat im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und dem Bundespatentgericht zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit noch die Entgegenhaltungen 4) Bericht "Evaluation of Corrosion Resistance and Process Parameters for ar Formin-Place Conductive Gasket System for Electromagnetic Interference (EMI) Application for F-5E/F Aircraft" mit der Nr. 76823 vom Mai 1977 der Northrop Corp. Aircraft Division, 3901 West Broadway, Hawthorne, California 90250, Titelseite, Abstract und die Seiten 1, 9, 11, 14, 15 und 17 (E4) sowie 5) Technical Bulletin No. 46 der Firma Chomerics aus dem Jahr 1987 genannt.

Die Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat durch Beschluss vom 16. Juni 2005 die Anmeldung zurückgewiesen, weil die Gegenstände gemäß den Patentansprüchen 1 und 6 vom 16. Februar 2004 im Hinblick auf die Entgegenhaltungen 1) und 2) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Der Senat hat mit der Zwischenverfügung vom 2. Juni 2006 zum Beleg der fachmännischen Kenntnisse am Anmeldetag den Übersichtsartikel 6) Paul Ivanfi: "Verarbeitung von Ein- und Mehrkomponenten-Kleb- und Dichtstoffen", Adhäsion (1988) Heft 3, Seiten 10, 13 bis 15, 18 und 19 in das Beschwerdeverfahren eingeführt.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2006 verteidigt die Beschwerdeführerin ihre Anmeldung mit den am 16. Februar 2004 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 20 und vertritt die Auffassung, dass dem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und dem Gehäuse gemäß Patentanspruch 6 der im Verfahren genannte Stand der Technik nicht patenthindernd entgegenstehe.

Sie beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Juni 2005 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 20, eingegangen am 16. Februar 2004, ursprüngliche Beschreibung, Seiten 1 bis 16, ursprüngliche Zeichnung, Figuren 1 bis 3.

Die geltenden Patentansprüche 1 und 6 haben nach einer grammatikalisch notwendigen Korrektur in Zeile 3 des Anspruchs 6 (kursiv hervorgehoben) folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses mit elektromagnetischer Abschirmung, insbesondere zur Aufnahme elektronischer Funktionselemente mit einer einen Spalt zwischen zwei benachbarten Gehäuseteilen ausfüllenden Abschirmdichtung, bestehend aus elastischem und leitfähigem Material, dadurch gekennzeichnet, dass das elastische sowie leitfähige Material ein schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Siliconpolymer ist, das in einem pastösen Ausgangszustand mittels Druck aus einer Nadel bzw. Düse, die über dem zu dichtenden geometrischen Verlauf des Gehäuseabschnitts geführt wird, direkt auf diesen Abschnitt des Gehäuseteils ein Abschirmprofil bildend aufgebracht wird und sich dort unter Anhaften an dessen Oberfläche elastisch verfestigt, derart, dass das Abschirmprofil auch nach wiederholtem Öffnen des Gehäuses eine gute Beständigkeit aufweist und dass die Nadel bzw. Düse maschinell angetrieben und/oder rechnergesteuert über den Abschnitt des Gehäuseteils geführt wird.

6. Gehäuse (1, 4), insbesondere für elektronische Funktionselemente (2), das seinen Innenraum gegenüber elektromagnetischer Strahlung abschirmt, mit einem in einem vorbestimmten Abschnitt (3a) mindestens eines Gehäuseteils (1) angeordneten Abschirmprofil (8), das elastisches leitfähiges Material aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Abschirmprofil (8) aus dem schnell luft- und raumtemperaturtrocknenden elastischen Silikonpolymer direkt auf dem Abschnitt (3a) des Gehäuseteils (1) und mit diesem festhaftend verbunden gebildet ist."

Bezüglich der Unteransprüche 2 bis 5 sowie 7 bis 20 und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, weil nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2006 das Verfahren nach Anspruch 1 und das Gehäuse nach Anspruch 6 sich im Hinblick auf die Entgegenhaltungen 1) und 2) i. V. m. üblichen fachmännischen Kenntnissen nicht als patentfähig erwiesen haben.

1) Ausweislich der Beschreibungseinleitung betrifft die Erfindung ein Verfahren zur Herstellung eines eine Abschirmung gegenüber elektromagnetischer Abstrahlung aufweisenden Gehäuses nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 und ein Gehäuse nach dem Oberbegriff des Anspruchs 6.

Dabei geht die Anmelderin gemäß den Ausführungen ihres Schriftsatzes vom 16. Februar 2004 (Seite 3, le. Abs) von der Entgegenhaltung 1) als dem gattungsbildenden Stand der Technik aus. Diese Entgegenhaltung zeige, wie die Fachwelt die Abschirmproblematik im Bereich der Produktion von Mobiltelefonen zu lösen versuchte. Dort werde vorgeschlagen, mittels eines Roboters eine elektromagnetische Abschirmmasse auf die abzudichtenden Flächen aufzutragen und diese anschließend in einem Heißlufttrockner bei 150¡ C (Ausführungsbeispiel 1) bzw. 140¡ C (Ausführungsbeispiel 2) auszuhärten. Somit ziele die Lehre dieser Entgegenhaltung darauf, das Aushärten der aufgetragenen Dichtmasse durch Hitzeapplikation zu initiieren bzw. zu beschleunigen, um eine zügige Weiterverarbeitbarkeit der entsprechenden Gehäuseteile von Mobiltelefonen zu ermöglichen.

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt der vorliegenden Erfindung als technisches Problem die objektive Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung eines abgeschirmten Gehäuses sowie ein so hergestelltes Gehäuse zu schaffen, das kostengünstig ist, ohne weiteres in den Herstellungsprozess eines Mobiltelefons bzw. dessen Gehäuses integrierbar ist und zu einem gut abgeschirmten Gehäuse führt, vgl. den Schriftsatz vom 16. Februar 2004, Seite 4, Abs. 3.

Diese Aufgabe wird durch die in den selbständigen Ansprüchen 1 und 6 im Einzelnen angegebenen Merkmale gelöst.

Dabei ist es offensichtlich wesentlich, dass bei der Erfindung ein schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer (d. h.: RTV-Silikonpolymer) als elastisches und leitfähiges Material der Abschirmdichtung verwendet wird, wobei es dem Fachmann überlassen bleibt, ein entsprechendes handelsübliches RTV-Silikonpolymer auszuwählen, weil in der ganzen Anmeldung keine Angaben enthalten sind, welches spezielle RTV-Silikonpolymer gewählt werden soll und wie "schnell" dieses luft- und raumtemperaturtrocknende Silikonpolymer ganz oder an dessen Oberflächenbereichen aushärten soll, wobei diese Aushärtedauer ganz offensichtlich auch noch von der Stärke des aufgetragenen Strangs abhängt.

2) Die Fragen der ursprünglichen Offenbarung und der Neuheit der Erfindung können dahinstehen, weil - wie es sich aus dem nachfolgenden Abschnitt ergibt - die Lehren der Patentansprüche 1 und 6 gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruhen, vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 Abschnitt II. 1. - "Elastische Bandage".

3) Der zuständigen Fachmanns ist hier als ein mit der Entwicklung und Herstellung von Gehäusen mit elektromagnetischer Abschirmung befaßter, berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluss zu definieren.

Die Entgegenhaltung 1) betrifft ein Gehäuse eines Mobiltelefons sowie ein Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses für Mobiltelefone mit einer elektromagnetischen Abschirmung (EMI-Abschirmung), wobei diese Abschirmung an den Gehäusefugen aus selbstklebendem und leitendem Flüssigsilikongummi gebildet ist, vgl. die Beschreibungseinleitung Abschnitt [Zweck] und [Aufbau] sowie die Ansprüche 1 und 2.

Bei dieser Entgegenhaltung wird ebenso wie bei der vorliegenden Trennanmeldung es als nachteilig bewertet, wenn derartige elektromagnetische Abschirmungen als gestanzter Film oder als gespritzte schnurförmige Abschirmung verwendet wird, weil die Montage derartigen Abschirmungen aufwändig ist, vgl. Abschnitt [0003] und [0004].

Der dortigen Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Mobiltelefon mit EMI-Abschirmung mit einem hohen Abschirmungseffekt einfach herzustellen, vgl. dort Abschnitt [0005].

In der Entgegenhaltung 1) mit zugehöriger beglaubigter deutscher Übersetzung ist ein Fertigungsverfahren für ein Mobiltelefon mit einer einen Spalt (Gehäusefuge gemäß Abschnitt [0006]) zwischen zwei benachbarten Gehäuseteilen ausfüllenden Abschirmdichtung offenbart, bei dem maschinell (Auftragsroboter gemäß Abschnitt [0017]) und rechnergesteuert (in einem festgelegten, abgespeicherten Muster gemäß Abschnitt [0017]) direkt auf den Rand des Gehäusedeckels selbstklebendes und elektrisch leitfähiges Flüssigsilikongummi (vgl. Abschnitt [0006]), das als additions- oder kondensationshärtend ausgewählt werden kann (vgl. Abschnitt [0007]), unter Druck mittels einer Düse (Spender gemäß Abschnitt [0017]) aufgetragen und ausgehärtet wird, so dass sich ein Abschirmprofil direkt auf dem Rand des Gehäusedeckels unter Anhaften an dessen Oberfläche elastisch verfestigt und nach Verschrauben des mit dem Abschirmprofil versehenen Deckels mit dem Gehäuse (Schale gemäß Abschnitt [0018]) sich eine lösbare Abschirmdichtung bildet, die auch nach wiederholtem Öffnen eine gute Beständigkeit aufweist, vgl. die Übersetzung Ansprüche 1 und 2 i. V. m. den Abschnitten [0006], [0007] und [0011] bis [0019], insbesondere Abschnitte [0017] und [0018].

Neben den schnell härtenden und gut klebenden und daher bevorzugten additionshärtenden Flüssigsilikongummis werden in dieser Entgegenhaltung auch kondensationshärtende Flüssigsilikongummis als geeignet für das Fertigungsverfahren genannt (vgl. Abschnitt [0007]). Flüssigsilikongummis gehören sowohl zur Gruppe der kondensationshärtenden als auch der heißvulkanisierenden Silikonpolymere. Der Fachmann entnimmt der Entgegenhaltung 1) daher auch das Merkmal, als Abschirmmaterial kondensationshärtende, d. h. auch luft- und raumtemperaturtrocknende Silikonpolymere zu verwenden, vgl. gutachtlich "Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie", Verlag Chemie, Weinheim (1982) Bd. 21, Stichwort "Silicone", insbesondere "Kondensationsvernetzung" auf Seite 522, rechte Spalte.

Somit verbleibt als einziger Unterschied (unterstrichen) zum Fertigungsverfahren nach Entgegenhaltung 1) lediglich, dass das elastische sowie leitfähige Material als luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer nach vorliegender Patentanmeldung bei Luft und Raumtemperatur schnell härtet.

Dieses aufgabenhafte Merkmal vermag jedoch ohne spezielle Konkretisierung des Silikonpolymers selbst und dessen Auftragsbedingungen und Stärke nicht, eine erfinderischen Tätigkeit zu begründen, weil jeder Fachmann bestrebt ist, auch ein luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer möglichst rasch auszuhärten, vgl. hierzu den Abschnitt [0007] der Entgegenhaltung 1).

Zumal in Entgegenhaltung 2) mittels Düsen aufgetragene Stränge aus Silikonpolymermaterial (vgl. Seite 3, Figur in der re. Spalte) offenbart werden, die bei Raumtemperatur schnell härten ("These materials cure rapidly on exposure to room temperature." Seite 2, re. Spalte, Abschnitt: "CHO-BOND Flexible Silicones") mit einer Hautbildung innerhalb von 15 Minuten ("skinning over in 15 minutes" Seite 2, re. Spalte). So stellt das dort angegeben Silikonpolymer ein handelsübliches, schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer (RTV-Silikonpolymer) dar.

In der Entgegenhaltung 5) wird für das luft- und raumtemperaturtrocknende Silikonpolymer CHO-BOND 1038 eine Hautbildung sogar innerhalb von zwei Minuten angegeben ("CHO-BON 1038 forms a cured skin within two minutes after exposure to atmospheric moisture" li. Spalte, Absatz 3) und aus dem von der Beschwerdeführerin genanntem Dokument 4) ergibt sich weiter, dass das handelsübliche Material CHO-BOND 1038 und CHO-BOND 1039 innerhalb einer Minute eine Hautbildung aufweist ("a crust layer forms readily within less than a minute" Seite 9, Zeilen 22 bis 24), so dass auf den Nachbearbeitungsspatel ein Lösungsmittel aufgebracht werden muss, um der schnellen Hautbildung entgegenzuwirken ("To counteract this phenomenon, the spreading spatula was intermittently wet with toluene to provide a solvent effect." Seite 9, Zeilen 24 bis 26).

Der auf die Entgegenhaltung 4) (vgl. Seite 9, 2. Absatz) gestützte Einwand der Anmelderin, wonach auch bei den Auftragsverfahren nach den Entgegenhaltungen 2) und 5) die dort genannten Silikonpolymere nach dem Auftragen mittels einer Düse noch nachbearbeitet werden müssten und deshalb für eine Anwendung gemäß des Patentanspruchs 1 der vorliegenden Anmeldung, welcher keine Nachbearbeitung vorsehe, nicht geeignet seien, vermag nicht zu überzeugen, da in 4) zwar nach dem Extrudieren noch ein Verstreichen mit einem Spachtel offenbart ist, dies aber nicht im Umkehrschluss dahin verstanden werden kann, dass CHO-BOND 1038 ausschließlich nur auf diese Art verarbeitet werden kann und somit mehrere Verarbeitungsschritte bedingt.

Nachdem es innerhalb der Fertigung von Mobiltelefonen bei der Weiterverarbeitung des aufgetragenen luft- und raumtemperaturtrocknenden Silikonpolymers auf dessen kurze Hautbildungszeit ankommt, sind dem Fachmann anhand der Entgegenhaltungen 2) und 5) handelsübliche, schnell luft- und raumtemperaturtrocknende Silikonpolymere für elektromagnetische Abschirmungen bekannt, so dass auch im Hinblick auf diese zuletzt genannten Entgegenhaltungen i. V. m. der Entgegenhaltung 1) das Verfahren gemäß geltendem Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruht.

Entsprechendes gilt für das Gehäuse gemäß Patentanspruch 6.

4) Die Unteransprüche 2 bis 5 und 7 bis 20 fallen mit den selbständigen Patentansprüchen 1 und 6.

Daher war die Beschwerde der Patentanmelderin zurückzuweisen.






BPatG:
Beschluss v. 20.06.2006
Az: 23 W (pat) 88/05


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