Oberlandesgericht Nürnberg:
Urteil vom 26. Oktober 2010
Aktenzeichen: 3 U 914/10
(OLG Nürnberg: Urteil v. 26.10.2010, Az.: 3 U 914/10 )
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.03.2010 abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten € Ordnungshaft auch für den Fall, dass Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann €, zu vollstrecken an dem Geschäftsführer wegen jeder Zuwiderhandlung es zu unterlassen,
im Wettbewerb handelnd, eine CD unter dem Titel "100 Number 1 Hits" zu vertreiben, wenn im Internet nicht darauf hingewiesen wird und auf der Verpackung hingewiesen wird wie mit dem gelben Aufkleber geschehen,
dass es sich nicht um Aufnahmen der ursprünglichen Chart-Hits handelt, sondern auch um Re-Recordings und Liveaufnahmen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 208,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 11.09.2009 zu bezahlen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention. Diese trägt die Nebenintervenientin selbst.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich einer von der Beklagten vertriebenen CD-Box.
Der Kläger ist als Verband zur Förderung gewerblicher Interessen gemäß § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG klagebefugt. Die Beklagte bietet als großer deutscher Lebensmittel-Discounter auch Angebote aus dem sogenannten Non-Food-Bereich an. Für den Zeitraum ab 22.07.2009 bewarb die Beklagte eine CD-Box mit 5 CDs für einen Verkaufspreis von 4,99 Euro im Internet und bot die CDs in ihren Geschäftsräumen zum Kauf an.
Die CD-Box enthält 5 CDs und ist betitelt mit "100 Number 1 Hits". Auf der Vorderseite der CD-Box ist eine stilisierte Schallplatte und ein Mikrophon zu erkennen. Darüber ist mit großen Lettern der Titel "100 Number 1 Hits" gedruckt. Als Interpreten der Titel sind im rechten unteren Viertel der CD u. a. folgende Interpreten genannt: "The Animals, The Andrews Sisters, The Supremes, Gerry & The Pacemakers, Percy Sledge, Marvin Gaye, The Platters, The Troggs, Gloria Gaynor, Kool & The Gang, Bucks Fizz, The Three Degrees, The Drifters". Auf der Rückseite der CD-Box sind die 100 Titel jeweils mit Interpret(en) einzeln aufgeführt.
In der Internetwerbung wurde die CD-Box ohne weitere Erläuterungen auf der Hülle abgebildet. Der Preis von 4,99 Euro für die 5er Box stand neben der Abbildung der Hülle.
Die verklebte Cellophanverpackung der in den Geschäften der Beklagten zum Verkauf angebotenen CD-Box ist mit zwei Aufklebern mit jeweils ca. 3 cm Durchmesser versehen. Dabei ist auf rotem Hintergrund oben rechts der Preis von 4,99 Euro genannt. Auf einem mit gelben Hintergrund versehenen und rechts unten angebrachten Aufkleber ist in unterschiedlicher Schriftgröße folgender Text angebracht:
Original Artists. Super Qualität. Teilweise Neuaufnahmen im verbesserten Sound. Einige Songs dieses Produktes wurden neu eingespielt (re-recordings) von einem oder mehreren Mitgliedern der Original Gruppe bzw. des Original Artists. Es können sich Teilweise auch um live-Aufnahmen handeln. Für weitere Informationen siehe Booklet.
Das in den Geschäften zum Verkauf angebotene Exemplar der CD-Box sieht auf der Vorderseite somit wie folgt aus:
Die 5 CDs der CD-Box enthalten insgesamt 100 Titel, wobei es sich bei der weit überwiegenden Anzahl der Titel nicht um die in den damaligen Hitlisten geführten Versionen der Titel handelt, sondern um sogenannte Re-Recordings und Liveaufnahmen. Re-Recordings sind Neueinspielungen eines Titels aus späterer Zeit von einem oder mehreren Mitgliedern der Originalgruppe, bzw. des Originalkünstlers. Weniger als die Hälfte der enthaltenen Titel sind Originalaufnahmen von früheren Nummer 1 Hits. Bei welchen Titeln es sich um Re-Recordings bzw. Liveaufnahmen handelt, kann der Kunde in der Internetwerbung überhaupt nicht und bei der CD-Box selbst erst erkennen, wenn er die verschlossene Cellophanhülle entfernt, die einzelnen CDs aus der Umverpackung entnimmt und auf der Rückseite der entnommenen einzelnen CD-Hüllen am Ende der Titelaufzählung den in englischer Sprache angebrachten Hinweis: "Tracks...(Nummer der Titel)...are re-recordings. Track...(Nummer des Titels)...is a liverecording" liest.
Der Kläger hat in erster Instanz in der Werbung des Beklagten ein wettbewerbswidriges Verhalten gesehen. Denn die Verbraucher würden davon ausgehen, dass es sich bei allen Aufnahmen tatsächlich um Aufnahmen der ursprünglichen Hits handele, wie diese in den Charts vertreten waren. Nicht erwartet werde in diesem Zusammenhang, dass es sich um Re-Recordings und Liveaufnahmen handelt. Der kleine gelbe Aufkleber sei nicht dazu geeignet, die bei den entsprechenden Verkehrskreisen hervorgerufene Irreführung auszuräumen.
Der Kläger hat daher in erster Instanz beantragt,
es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im Wettbewerb handelnd eine CD unter dem Titel "100 Number 1 Hits" zu vertreiben, ohne deutlich und übersehbar (Anmerkung des Senats: hier handelt es sich offensichtlich um ein Schreibversehen) in der Werbung und auf dem Produkt darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um Aufnahmen der ursprünglichen Chart-Hits handelt, sondern auch um Re-Recordings und Liveaufnahmen. Er hat darüber hinaus beantragt, den Beklagten zur Zahlung der Abmahnkosten in Höhe von 208,65 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte und die Streithelferin haben Abweisung der Klage beantragt.
Sie haben vorgetragen, dass der Verbraucher sich angesichts des niedrigen Preises besonders mit dem gelben Aufkleber befassen würde. Dabei werde ihm bewusst, dass er nur von einigen Titeln die Originalversion, von anderen Titeln aber Neuaufnahmen und Liveaufnahmen erhalten werde. Daher liege eine Irreführung nicht vor.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat hierzu ausgeführt, dass die Werbung auf der CD-Hülle nicht irreführend sei, weil die Titel ja tatsächlich Nummer 1 Hits gewesen wären. Der extrem günstige Preis und der gelbe Aufkleber seien deutliche Hinweise, die eine Irreführung verhinderten. Bei der Internetwerbung sei noch nicht einmal ersichtlich, dass die Originalkünstler den Titel interpretiert hätten. Angesichts des Preises sei ein Interessent gezwungen, in die Geschäftsräumer der Beklagten zu gehen und sich näher zu informieren. Dort werde er auf den zutreffenden Inhalt eindeutig hingewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages sein Unterlassungsbegehren und den Zahlungsanspruch weiter. In der mündlichen Verhandlung hat er nach einem Hinweis des Senats seinen Antrag in Ziffer 1 dahingehend umgestellt, dass die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt werde,
es zu unterlassen, im Wettbewerb handelnd eine CD unter dem Titel "100 Number 1 Hits" zu vertreiben, wenn im Internet nicht darauf hingewiesen wird und auf der Verpackung hingewiesen wird wie mit dem gelben Aufkleber (Anlage B 1 € Anm.: das ist die Original-CD-Box) geschehen, dass es sich nicht um Aufnahmen der ursprünglichen Chart-Hits handelt, sondern auch um Re-Recordings und Liveaufnahmen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen Zurückweisung der Berufung.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet, weil der Kläger gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, 5 a UWG hat. Denn die Werbung der Beklagten ist irreführend im Sinne oben genannter Vorschriften.
1. Der Antrag ist in seiner jetzt gestellten Form jedenfalls bestimmt, weshalb die Klage zulässig ist. Auf die Frage, ob der ursprüngliche Antrag, der einen "deutlichen und (un)übersehbaren Hinweis" verlangte, ein hinreichend bestimmter Klageantrag war (vgl. BGH GRUR 2005, 692 € "statt" € Preis), kommt es mithin nicht mehr an.
2. Die Werbung der Beklagten ist irreführend.
a) Ob eine Irreführung vorliegt, beurteilt sich danach, wie das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise ist und ob bei einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise die erweckte Vorstellung mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmt (Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Auflage, § 5 Rdnr. 2.74). Dabei ist abzustellen auf den durchschnittlich informierten verständigen Verbraucher, der sich der Werbung mit situationsadäquater Aufmerksamkeit zuwendet (Köhler/Bornkamm, a. a. O., § 5 Rdnr. 1.57).
b) Vorliegend erwartet ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums, zu dem auch die Mitglieder des Senats gehören, dass ihm bei einer mit "Number 1 Hits" beschriebenen CD-Box auch die damals in einer der Hitlisten befindliche (Original-)Versionen verkauft werden. Es wird also der Musiktitel erwartet, der für eine gewisse Zeit in den Hitlisten an erster Stelle rangierte. Es genügt somit nicht, wenn lediglich Melodie, Text und Interpret (Letzterer auch nur teilweise) übereinstimmen. Denn die Wertschätzung eines Stückes beruht € wenn es als "Number 1 Hit" beworben wird € gerade darauf, dass es sich um die Version handelt, die in den jeweiligen Hitparaden zu einer bestimmten Zeit als Nummer 1 geführt wurde.
b) Aus den von beiden Parteien vorgelegten Original-CD-Boxen ergibt sich nach dem Öffnen derselben, dass dies gerade nicht der Fall war. Wie sich aus den für den Verbraucher von außen zunächst nicht erkennbaren Erläuterungen auf den Rückseiten der jeweiligen CD ergibt, sind mehr als 2/3 der Titel nicht in der Version enthalten, die in den Hitlisten waren. Es handelt sich vielmehr um Re-Recordings und Liveaufnahmen. Nachdem ReRecordings € wie der Name schon sagt € nachträglich aufgenommen werden und auch Liveaufnahmen in der Regel nicht die in den Hitlisten notierte Version eines Titels darstellen, ist bei beiden eine Abweichung vom "Original" gegeben. Darin liegt € wenn keine ausreichende Aufklärung des Verbrauchers erfolgt € eine Irreführung.
c) Allein die Tatsache, dass die streitgegenständliche CD-Box 100 Titel enthält, die für lediglich 4,99 Euro verkauft wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn der Preis von 4,99 Euro fällt nicht dermaßen nach unten aus dem Rahmen, dass die angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen, dass es sich nicht um die Aufnahmen handelt, die tatsächlich zu irgendeiner Zeit in den Hitparaden waren. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil gerade im Discountbereich bei Verkauf von Massenartikeln sogenannte "Schnäppchen" durchaus üblich sind. Auch wurden gerade nicht die aktuelle Hits des Jahres 2009 angeboten. Deshalb war ein Preisvergleich mit aktuellen Titeln nicht erforderlich und wurde vom Verbraucher auch nicht vorgenommen.
3. Nachdem in der Internetwerbung unstreitig keinerlei Hinweis auf die Tatsache, dass es sich in der überwiegenden Zahl der Titel um Re-Recordings und Liveaufnahmen handelt, erfolgt, ist die Werbung ohne weiteres irreführend. Vom Verbraucher kann jedenfalls nicht € wie vom Landgericht verlangt € gefordert werden, zunächst in einen der Läden der Beklagten zu gehen, um sich dort über nähere Einzelheiten zu informieren.
4. Auch die CD-Box in ihrer im Laden angebotenen konkreten Ausgestaltung mit gelbem Aufkleber ist irreführend. Die Irreführung wird insbesondere nicht durch diesen Aufkleber verhindert.
a) Auf die Vorderseite der CD-Hülle ist in großen Lettern aufgedruckt "100 Number 1 Hits". Sodann werden einige der Interpreten bzw. Gruppen genannt. Der gelbe Aufkleber selbst ist zwar farblich abgehoben, nimmt aber nur einen geringen Teil des Covers ein. Bei dem Aufkleber selbst sticht zunächst das in großen Lettern Aufgedruckte ins Auge, nämlich die Bezeichnung "Original Artists" und "Super Qualität". Schon in kleineren Lettern erscheint unten die Textzeile "Teilweise Neuaufnahmen im verbesserten Sound". Selbst wenn der durchschnittlich informierte verständige Verbraucher, der sich der CD-Box mit situationsadäquater Aufmerksamkeit zuwendet diese Hinweise noch wahrnimmt, wird er dadurch geradezu in seiner Annahme bestärkt, dass es sich um Originalaufnahmen der damaligen Hits handelt. Der im gelben Aufkleber im Innenkreis enthaltene Hinweis, dass es sich bei einigen Aufnahmen um Re-Recordings und Liveaufnahmen handelt, ist demgegenüber in deutlich geringerer Schriftgröße gehalten und nur für den Verbraucher, der keinerlei Sehschwäche hat, überhaupt noch lesbar. Der Referenzverbraucher wird, wenn der gelbe Punkt noch wahrgenommen wird, jedenfalls nach Lesen der Hinweise auf die "Original Artists" und die "Super Qualität" sich mit den Interpreten und den Titeln auf der Rückseite beschäftigen. Dort ist jedoch keinerlei Hinweis darauf enthalten, dass es sich nicht um die Version der Aufnahmen handelt, die tatsächlich in den Hitparaden war.
b) In der Literatur wird teilweise vertreten, dass es ausreichend wäre, wenn auf der Rückseite ein Hinweis auf Neuaufnahmen zu finden ist, der auch bei flüchtiger Betrachtung dem Käufer ins Auge fällt. Letzteres sei sicher gestellt, wenn der Hinweis wenigstens die Schriftgröße der aufgeführten Titel oder € wenn vorhanden € die Schriftgröße des Namens des Tonträgers einnähme. Auch soll es offensichtlich genügen, wenn mit einem im oberen oder unteren Bereich der Vorderseite angebrachten Querbalken auf Neuaufnahmen hingewiesen wird (Wendt, Die Hinweispflicht auf Neuaufnahmen, ZUM 2009, 835, 840), Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen. Denn diesen Vorgaben entspricht der vorliegende Hinweis gerade nicht.
c) Auch aus dem Preis von nur 4,99 Euro ergibt sich für den Verbraucher kein Anlass, den Text des gelben Aufklebers im Innenbereich näher zu lesen.
4. Die Abmahnkosten sind dem Grunde nach aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG berechtigt. Die geltend gemachten Kosten in Höhe von 208,65 Euro liegen im Bereich der für die den Kläger anerkannten Pauschale (Köhler/Bornkamm, a. a. O., § 12 Rdnr. 1.98).
III.
Kosten: § 91 ZPO
Die Antragsumstellung des Klägers wirkt sich kostenmäßig nicht aus, weil vorliegend keine Beschränkung des ursprünglichen Antrags gegeben ist, sondern eine Konkretisierung des Antrags auf die konkrete Verletzungshandlung.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 546 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere bedarf es keiner Klärung der Frage, was ein Hit ist. Denn vorliegend bewirbt die Beklagte "Number 1 Hits" also Hits, die die Hitparaden angeführt haben. Dass die Box größtenteils keine Originalversion der "Number 1 Hits" enthält, ergibt sich aus den Angaben der in der CD-Box befindlichen CD-Schutzhüllen.
OLG Nürnberg:
Urteil v. 26.10.2010
Az: 3 U 914/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/355cd7ed3620/OLG-Nuernberg_Urteil_vom_26-Oktober-2010_Az_3-U-914-10-