VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss vom 28. Mai 2004
Aktenzeichen: 104/02

(VerfGH des Landes Berlin: Beschluss v. 28.05.2004, Az.: 104/02)

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. März 2002 - 65 S 400/00 - verletzt Art. 15 Abs. 1 VvB. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I. Im Ausgangsverfahren begehrte die Beteiligte zu 2) als Vermieterin mit Schreiben vom 8. Mai 1999 von dem in der Bundesfinanzverwaltung beschäftigten Beschwerdeführer als Mieter einer in Berlin- gelegenen 5-Zimmer-Wohnung die Zustimmung zu einer Erhöhung der Nettokaltmiete von 900,44 DM um 270,13 DM auf 1.170,57 DM ab 1. August 1999.

Der Beschwerdeführer hatte die Wohnung erst im Februar 1998 bezogen. Das Mieterhöhungsschreiben vom 8. Mai 1999, welches nicht handschriftlich unterzeichnet war, nahm zur Begründung Bezug auf das Feld K 6 (mittlere Wohnlage) des Berliner Mietspiegels 1998, der einen Mittelwert von 11,16 DM/m² vorsah, jedoch nur auf der Erhebung von 15 bis 29 Mietwerten beruhte. Im Juli 1999 nahm die Arbeitsgruppe Mietspiegel der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Anregung des Beschwerdeführers eine Umstufung der Straße, in der die streitbefangene Wohnung lag, in €gute Wohnlage€ vor. Für diese Wohnlage gab der damalige Mietspiegel (Feld L 6) einen Mittelwert von 7,77 DM/m² an.

Eine über ein Jahrzehnt bestehende, im Februar 1999 aufgehobene Verwaltungsvorschrift der Bundesfinanzverwaltung sah vor, daß Mieterhöhungen bei Bundesbediensteten nur bis zur unteren Grenze der ortsüblichen Vergleichsmiete angehoben werden sollten.

Der Beschwerdeführer hielt das Mieterhöhungsverlangen u. a. deshalb für unwirksam, weil für dieses Textbausteine verwandt worden seien, die mit konkreten Angaben per Hand ergänzt und in den Computer eingegeben worden seien.

Das Amtsgericht Schöneberg wies die Klage als unzulässig ab. Eine eigenhändige Unterzeichnung sei hier nicht entbehrlich gewesen. Die Erhöhungserklärung sei nicht mit einer automatischen Einrichtung im Sinne von § 8 MHG gefertigt, sondern nur vorbereitet worden, weil die automatische Anlage die Daten nicht aufgrund allgemeiner Programmierung in Verbindung mit der Eingabe bestimmter Codes ermittelt und ausgedruckt habe. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Beteiligte zu 2) habe die vorgefertigten Bausteine von Hand ergänzt, gelte als zugestanden, da die Beteiligte zu 2) keine entgegenstehenden tatsächlichen Ausführungen zur Texterstellung gemacht habe.

Die Beteiligte zu 2) legte gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein. Sie arbeite nicht mit Textbausteinen. Sie habe einen Standardtext für alle Wohnungsmieterhöhungen und ein Computerprogramm mit den Daten für jede einzelne Wohnung, welches den individuellen Mieterhöhungsbetrag errechne. Auf Computerbefehl werde der Mieterhöhungstext mit den Angaben für die Einzelwohnung einschließlich Erhöhungsbetrag verbunden und ausgedruckt. Von Hand würden keine Ergänzungen mehr vorgenommen. Die Voraussetzungen des § 8 MHG seien gegeben.

Der Beschwerdeführer behauptete demgegenüber, die zuständige Sachbearbeiterin der Beteiligten zu 2) gebe die wesentlichen Einzeldaten der Wohnung individuell und manuell in ein Programm ein, welches dann den Mieterhöhungsbetrag errechne, der später in ein Standard-Mieterhöhungsverlangen überführt werde. Die Sachbearbeiterin behalte vollen Zugriff auf den Inhalt des Textes, indem sie einzelne Worte löschen und ändern könne. Der Vorgang laufe elektronisch, nicht aber automatisch ab.

Der Beschwerdeführer monierte weiter, die Sachbearbeiterin G. habe weder Vertretungsmacht für die Beteiligte zu 2) noch stelle eine Unterzeichnung €im Auftrag€ eine Willenserklärung des Geschäftsherrn dar. Eine Mieterhöhung nur 15 Monate nach Einzug um 30 % (nach €Lockvogelangebot€) sei unzulässig. Sie verstoße gegen einen jahrzehntelang bestehenden verwaltungsinternen Erlaß, wonach gegenüber Bundesbediensteten Mieterhöhungen durch die Beteiligte zu 2) nur bis zur Untergrenze der ortsüblichen Vergleichsmiete vorgenommen werden sollten. Das Vertrauen des Beschwerdeführers auf diese Übung verdiene Schutz. Auch handele es sich bei seiner Wohnung um eine Werkmietwohnung im Sinne von § 565 b ff. BGB a. F. Daraus folge eine Mieterhöhungsbeschränkung nach § 1 Satz 2 MHG.

Eine vergleichsweise Einigung vom 12. Juni 2001 auf eine Mieterhöhung um 135,07 DM netto kalt monatlich wurde von beiden Seiten widerrufen.

Das Landgericht beschloß, durch schriftliches Sachverständigengutachten über die ortsübliche Vergleichsmiete der Wohnung des Beschwerdeführers Beweis zu erheben. Es teilte dem Beschwerdeführer auf Anfrage am 7. August 2001 mit, daß es nach Vorberatung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 MHG bejahe.

Die von dem beauftragten Sachverständigen anberaumten Besichtigungstermine, zunächst am 18. September, dann am 10. Oktober, schließlich am 6. Dezember 2001 wurden von dem Beschwerdeführer jeweils kurz vorher wegen Krankheit abgesagt. Der Beschwerdeführer wies eine Krankschreibung für den Zeitraum bis zum 3. Dezember 2001 nach. Nähere Angaben seien aus Gründen des Datenschutzes nicht geboten. Am 29. November 2001 trug er vor, er leide an schwerer akuter infektiöser Erkrankung. Ein Attest vom 26. November 2001 gab an, der Beschwerdeführer sei akut erkrankt. Die Behandlung erfordere strikte Bettruhe. Eine weitere ärztliche Bescheinigung vom 3. Dezember 2001 gab an, mit einer Besserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers sei nicht vor dem 28. Februar 2002 zu rechnen. Durch Beschluß vom 11. Dezember 2001 gab das Landgericht dem Beschwerdeführer nach § 356 ZPO auf, innerhalb einer Frist von drei Wochen darzulegen und glaubhaft zu machen, warum es ihm nicht möglich sei, die Tür seiner Wohnung zur Durchführung eines Ortstermins zu öffnen oder durch eine Person seines Vertrauens öffnen zu lassen, nachdem es ihm offensichtlich auch möglich sei, seine Versorgung zu gewährleisten. Nach fruchtlosem Fristablauf erwäge es, das Verhalten des Beschwerdeführers als Beweisvereitelung anzusehen.

Der Beschwerdeführer ließ vortragen, die Einordnung der Wohnung nach dem Mietenspiegel sei nur in bezug auf die Wohnlage strittig. Also sei, auch im Kosteninteresse, nur über die Wohnlage Beweis zu erheben. Das erfordere keine Innenbesichtigung der Wohnung. Am 26. Dezember 2001 erfolgte eine Notfalleinweisung des Beschwerdeführers in ein Krankenhaus. Am 29. Januar 2002 teilte das Landgericht mit, es gehe nach Vorberatung davon aus, daß der Beschwerdeführer dem Beschluß vom 11. Dezember 2001 nicht hinreichend nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer erwiderte, Einzelheiten zu seinem Gesundheitszustand brauche er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht preiszugeben, zumal die Beteiligte zu 2) seinem Arbeitgeber nahestünde. Seine Lebensgefährtin lehne eine Vertretung bei einem Ortstermin aus Zeitgründen sowie deswegen ab, weil die Beteiligte zu 2) sie im Zusammenhang mit einem anderen Prozeß persönlich angegriffen habe. Auch seinem Anwalt sei die Vertretung nicht zuzumuten. Er legte eine Arbeitsunfähigkeitsfolgebescheinigung vom 27. Februar bis 31. Mai 2002 vor. Soweit er außerhalb des Prozesses während seiner Krankschreibung Schreiben an die Beteiligte zu 2) unterzeichnet habe, habe es sich um eine Wiederholung alten Schriftverkehrs gehandelt, die Dritte für ihn erneut ausgedruckt und ihm ins Krankenhaus gebracht hätten, wo er sie unterzeichnet habe, nachdem die Beteiligte zu 2) ihn außerprozessual habe wissen lassen, daß sie gefaxte Unterschriften, auch rückwirkend, von ihm nicht mehr anerkenne.

Im mündlichen Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 12. April 2002 wurde der Sachgebietsleiter N. der Beteiligten zu 2) zur Erstellung der Mieterhöhungserklärung persönlich gehört sowie anschließend dazu die Sachbearbeiterin G. als Zeugin vernommen. Von einer Protokollierung ihrer Aussage wurde unter Hinweis auf § 161 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO abgesehen. Über diese Beweiserhebung war der Beschwerdeführer vor dem Termin nicht unterrichtet worden. Sein Prozeßbevollmächtigter rügte dies vor Eintritt in die Beweisaufnahme. Der Beschwerdeführer war in dem Termin nicht persönlich anwesend. Ihm wurde Schriftsatznachlaß zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis zum 6. Mai 2002 gewährt. Der Beschwerdeführer rügte mit Schriftsatz vom 6. Mai 2002 u.a., daß sein Prozeßbevollmächtigter von der Beweisaufnahme erst im mündlichen Verhandlungstermin selbst erfahren habe und daher nicht in der Lage gewesen sei, sich auf diese nicht einfache Materie vorzubereiten.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer am 17. Mai 2002, der Mieterhöhung zuzustimmen. Eine Hilfswiderklage des Beschwerdeführers, festzustellen, daß der Beschwerdeführer berechtigt sei, wegen fehlender fünf Schlüssel für fünf Innenräume die Miete um 5 % zu mindern, wurde abgewiesen, da darin keine erhebliche Beeinträchtigung des Mietgebrauchs zu sehen sei.

Das Mieterhöhungsverlangen habe keiner eigenhändigen Unterzeichnung bedurft, da es mit Hilfe einer automatischen Einrichtung gefertigt worden sei. Die Zeugin habe glaubhaft bekundet, daß die Daten des Mietobjekts in einem Computer-Programm eingegeben würden. Sodann werde das Mieterhöhungsverlangen in einem anderen Programm aufgerufen, selbständig errechnet und von ihr ohne weitere Veränderungsmöglichkeit nur noch ausgedruckt. Eine Einrichtung sei automatisch im Sinne von § 8 MHG, wenn sie die Mieterhöhung selbsttätig errechnen und erstellen könne. Weder schließe die Eingabe von Namen und Anschriften noch eine nur geringe Anzahl von erstellten Erklärungen das Vorliegen einer automatischen Einrichtung aus. Die Sachbearbeiterin habe als Vertreterin der Beteiligten gehandelt, auch wenn sie mit dem Zusatz €i. A.€ unterzeichnet habe. Ihre Vertretungsbefugnis sei dem Beschwerdeführer aus früherer Korrespondenz bekannt gewesen. Die Beteiligte zu 2) habe mit der Mieterhöhung im Rahmen des gesetzlich Zulässigen gehandelt. Der Beschwerdeführer habe keinen Rechtsanspruch darauf, daß ihm die Wohnung zum unteren Vergleichsmietzins vermietet werde.

Zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete habe hier nicht auf den Berliner Mietspiegel zurückgegriffen werden können. Nach diesem sei die Wohnung nämlich in das Feld K 6 (mittlere Wohnlage) einzuordnen; dieses beruhe aber nur auf einer Erhebung von 15 bis 29 Mietwerten. Auch weise die Miete des betreffenden Feldes in guter Wohnlage einen im Mittelwert um 3,39 DM/m² günstigeren Mietpreis aus als die mittlere Wohnlage. Schließlich liege die Wohnung nach dem Mietspiegel 2000 nunmehr in guter Wohnlage.

Aus diesen Gründen habe die Vergleichsmiete durch Sachverständigengutachten ermittelt werden müssen. Insoweit gehe das Gericht jedoch von einer Beweisvereitelung durch den Beschwerdeführer aus, so daß die Behauptung der Beteiligten zu 2) bezüglich der Höhe der Vergleichsmiete als bewiesen anzusehen sei. Der Beschwerdeführer, der beim Ortstermin nicht unbedingt anwesend sein müsse, habe dem Sachverständigen dreimal den Zutritt zur Wohnung verweigert, ohne darzulegen, warum nicht seine Lebensgefährtin oder eine andere Person seines Vertrauens die Tür habe öffnen können. Der Beschwerdeführer sei während seiner Krankheit offenbar von dritten Personen versorgt worden und auch in der Lage gewesen, Schriftsätze ausdrucken zu lassen und zu unterzeichnen. Die Einholung eines auf die Frage der Wohnlage beschränkten Sachverständigengutachtens sei nicht opportun gewesen, da die unterschiedlichen Beweismittel, Mietspiegel und Sachverständigengutachten nicht in allen Einzelheiten aufeinander abgestimmt seien und daher auch nicht kombiniert angewandt werden könnten.

Mit der hiergegen am 12. August 2002, einem Montag, eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 7 VvB, Art. 10 Abs. 1 VvB, Art. 15 Abs. 1 VvB, Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB und Art. 33 VvB sowie einen Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Indem das Landgericht in seinem Beschluß vom Dezember 2001 ihm unter Androhung der Würdigung als Beweisvereitelung aufforderte, €konkrete Angaben zu seiner Erkrankung zu machen€, habe es sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 33 VvB verletzt, weil es von ihm die Preisgabe seiner persönlichen Krankheitsdaten verlangt habe, die damit auch zwingend der klagenden Partei, die zugleich sein Arbeitgeber war, offenbart würden.

Indem das Gericht darüber hinaus geäußert habe, es sei nicht erforderlich, daß der Beschwerdeführer persönlich am Ortstermin teilnehme, obwohl nur er die gutachten- relevanten Besonderheiten seiner Wohnung kenne und vortragen könne, habe das Gericht ihm das Recht auf Teilnahme an der Beweisaufnahme (§ 357 ZPO), das seinerseits durch Art. 15 Abs. 1 VvB geschützt sei, entzogen.

Indem das Gericht mit seinem verfassungswidrigen vorgenannten Beschluß versucht habe, ein umfängliches Sachverständigengutachten zur ortsüblichen Vergleichsmiete durchzusetzen, für das der Sachverständige einen Vorschuß in Höhe von 3.000 DM verlangt habe, habe es gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der seinerseits ein fundamentales Rechtsprinzip mit Verfassungsrang darstelle, verstoßen.

Das Gericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nach Art. 15 Abs. 1 VvB weiter dadurch verletzt, daß es seinen entscheidungserheblichen Vortrag, daß vorliegend der Grundsatz der Wahrung des Abstandsgebots zwischen der tatsächlichen Miete und der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht beachtet sei, mit Stillschweigen übergangen und also völlig ignoriert habe.

Weiter habe das Gericht gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstoßen, indem es Beweisanträge und Sachvortrag des Beschwerdeführers ignoriert habe.

Schließlich habe das Landgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es hinter dem Rücken des Beschwerdeführers und seines Prozeßvertreters und entgegen seiner ausdrücklichen Erklärung vom 7. August 2001 die Vernehmung einer von der Beteiligten zu 2) präsentierten Zeugin überraschend angesetzt habe, so daß sich die Seite des Beschwerdeführers auf die nicht vorhersehbare Beweisaufnahme über eine schwierige Materie nicht angemessen habe vorbereiten können. Dies habe sein Prozeßvertreter noch in der mündlichen Verhandlung selbst beanstandet. Das Gericht habe weiter entgegen den Bestimmungen der ZPO die Zeugenaussage nicht protokolliert, so daß die nachfolgend eröffnete Gelegenheit für den in der Verhandlung nicht anwesenden Beschwerdeführer, zur Zeugenaussage Stellung zu nehmen, von diesem als Farce habe empfunden werden müssen.

Das Gericht habe auch den Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter verletzt, da es entgegen § 541 ZPO a. F. trotz Abweichens von dem Rechtsentscheid eines Oberlandesgerichts versäumt habe, vorher eine Entscheidung des Kammergerichts herbeizuführen.

Den Beteiligten zu 1) und 2) ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Landgerichts Berlin verletzt den Beschwerdeführer in seinem Verfassungsrecht auf Gehör vor Gericht gemäß Art. 15 Abs. 1 VvB.

Zwar umfaßt der Anspruch auf rechtliches Gehör zuvörderst das Recht des vor Gericht stehenden Bürgers darauf, vor Erlaß einer Entscheidung mit seiner Auffassung zur Sach- und Rechtslage gehört zu werden, doch erschöpft er sich darin nicht. Vielmehr beinhaltet er weiter eine Reihe von prozessualen, meist eingehend im einfachen Gesetzesrecht geregelten Grundsätzen. Dazu zählen die Normen über das Beweisverfahren, die namentlich den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme umfassen. Nach § 357 Abs. 1 ZPO ist es der Partei gestattet, einer Zeugenvernehmung beizuwohnen. Das Anwesenheits- und Fragerecht bei der Zeugenbeweisaufnahme ist eines der wichtigsten Parteirechte und ein direkter Anwendungsfall des Art. 15 Abs. 1 VvB bzw. des gleichlautenden Art. 103 Abs. 1 GG (BVerwG, NJW 1980, 900; OLG Hamm, MDR 1986, 766; OLG Schleswig, NJW 1991, 303 ; Münch.Komm., Anm. 12 zu § 357 ZPO; Schneider, MDR 1991, 828; Kunig in: Münch/Kunig, a. a. O., Anm. 3 zu Art. 103 GG; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Anm. 2 zu § 357 ZPO; Jankowski, NJW 1997, 3347).

Das Recht der Parteien, an der Beweisaufnahme teilzunehmen und sich auf diese gegebenenfalls vorzubereiten, verpflichtet das Gericht, die Parteien von einer solchen rechtzeitig zu benachrichtigen (BPatG, GRUR 1981, 651; OLG Koblenz, OLGZ 1989, 368). Das hat das Landgericht vorliegend nicht beachtet. Es hat unterlassen, den Beschwerdeführer bzw. dessen Prozessvertreter rechtzeitig zu benachrichtigen. Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, daß er von einer Beweisaufnahme zu der Frage, ob das Mieterhöhungsverlangen der Beteiligten zu 2) automatisch i. S. von § 8 MHG gefertigt worden war, im Verhandlungstermin am 12. April 2002 um so weniger auszugehen brauchte, als das Gericht auf Anfrage mit Schreiben vom 5. August 2001 mitgeteilt hatte, €daß die Kammer nach Beratung die Voraussetzung des Art. 8 MHG ohne Beweisaufnahme € bejaht.€

Bei dem vorliegenden Gehörsverstoß handelt es sich zugleich um eine spezifische Verfassungsverletzung. Es liegt eine offenkundig unrichtige Anwendung des Gesetzes (§ 357 Abs. 1 ZPO) vor und im Hinblick auf die zentrale Rolle, der die Anwesenheits- und Fragebefugnis der Parteien für das Beweisaufnahmerecht zukommt, auch eine Verkennung der Bedeutung des Verfassungsrechts auf Gehör vor Gericht.

Daß ein Rügeverzicht vorliegt oder sonst zu Lasten des Beschwerdeführers der Verlust des Rügerechts eingetreten wäre (§ 295 Abs. 1 ZPO), kann nicht festgestellt werden. Der Prozeßvertreter des Beschwerdeführers hat die für ihn überraschende Durchführung der Beweisaufnahme noch in der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2002 beanstandet. Die Tatsache, daß das Verhandlungsprotokoll eine Rüge des Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers nicht verzeichnet, bewirkt nicht automatisch auch einen Rügeverzicht. Denn die Wirksamkeit einer Verfahrensrüge ist nicht von ihrer Protokollierung abhängig. Daß ein Vorgang nur durch das Sitzungsprotokoll bewiesen werden kann, ist nach § 165 Satz 1 ZPO die Ausnahme und gilt nur für die Beachtung der €für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten€, zu denen Verfahrensrügen nicht zählen. Zwar scheint dies, soweit ersichtlich, von der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht entschieden worden zu sein. Die erhöhte Beweiskraft des eng auszulegenden § 165 ZPO erstreckt sich indessen nur auf Umstände und Vorgänge, die die Form des Verfahrens und deren äußeren Hergang betreffen, nicht auch auf den Inhalt von Parteierklärungen (allgem. Auffassung: Stein/Jonas, Anm. 7 und 9; Peters in: Münch.Komm., Anm. 1; Thomas/Putzo, Anm. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Anm. 2; sämtlichst zu § 165 ZPO). Wenn sich die erhöhte Beweiskraft des § 165 ZPO nach ganz über- wiegender Auffassung weder auf einseitige Prozeßhandlungen wie das Anerkenntnis und den Anspruchsverzicht (BGH, NJW 1984, 1465 zum Rechtsmittelverzicht; RGZ 10, 366 zum Klageverzicht; Stein/Jonas-Roth, Anm. 9; Thomas/Putzo, Anm. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Anm. 5; jew. zu § 165 ZPO; a. A. Peters in: Münch.Komm., Anm. 3 und Musielak, Anm. 2; jew. zu § 165 ZPO), noch auf Prozeß- anträge (BVerwG, NJW 1988, 1228; OLG Köln, NJW-RR 1999, 288; OLG Düsseldorf, MDR 1990, 561 und NJW 1991, 1493; OLG Koblenz, MDR 75, 63; OLG Hamm, Rpfl. 1974, 327; OVG Berlin, NJW 1970, 486; OLG München, NJW 64, 361; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Anm. 5; Zöller-Stöber, Anm. 2; jew. zu § 165 ZPO; Stein/Jonas-Roth, Anm. 16 zu § 160 ZPO; a. A. Peters in: Münch.Komm., Anm. 2 zu § 165 ZPO und Anm. 4 zu § 160 ZPO; Musielak, Anm. 2 zu § 165 ZPO) erstreckt, kann die bloße Verfahrensrüge einer Partei erst recht nicht zu den für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten zählen, deren Einhaltung nach § 165 ZPO allein durch Protokollierung in der Verhandlungsniederschrift bewiesen werden kann. Die Aufnahme einer solchen Rüge im Protokoll ist daher zwar zweckmäßig, nicht aber unverzichtbar notwendig. Die formelle negative Beweiskraft des Protokolls greift hier nicht durch.

Es ist auch nicht auszuschließen, daß das Ergebnis der Beweisaufnahme anders ausgefallen sein könnte, wenn der Beschwerdeführer zugegen gewesen wäre und selbst oder über seinen Prozeßbevollmächtigten Fragen hätte stellen können. Hohe Anforderungen sind an einen diesbezüglichen Vortrag nicht zu stellen (RGZ 136, 299 ), zumal dieser vorliegend dadurch erschwert war, daß das Gericht von einer Protokollierung der Aussage nach § 161 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO abgesehen hatte, der Beschwerdeführer bezüglich des Inhalts der Aussage also nur auf das Erinnerungsvermögen seines Prozeßbevollmächtigten und die Angaben im landgerichtlichen Urteil zurückgreifen konnte. Man kann bei Zeugenvernehmungen nur in seltenen Ausnahmefällen wissen, wie sich Anwesenheit und Fragemöglichkeit einer Partei auf die Aussage ausgewirkt hätten (Rüssmann in: AK, ZPO, Anm. 5 zu § 357 ZPO; Musielak in: Münch.Komm., Anm. 12 zu § 357 ZPO). Daß ein solcher Ausnahmefall hier gegeben ist, kann nicht festgestellt werden. Der Vortrag der Beteiligten zu 2) in der Berufungsbegründung und in der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2002 zu der entscheidungserheblichen Frage, welche manuelle Steuerung bei der Erstellung der Mieterhöhungserklärung tatsächlich praktiziert bzw. technisch machbar war, ließ durchaus noch Spielraum für Einzelheiten zu.

Das angegriffene Urteil beruht danach auf einem Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Einer weiteren Prüfung am Maßstab dieses und sonstiger Rechte der Verfassung von Berlin bedarf es unter diesen Umständen daneben nicht. Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbs. 2 BVerfGG an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Diese Entscheidung ist mit fünf zu vier Stimmen ergangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss v. 28.05.2004
Az: 104/02


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