Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 14. April 2010
Aktenzeichen: 4b O 290/08
(LG Düsseldorf: Urteil v. 14.04.2010, Az.: 4b O 290/08)
Tenor
I.
1. Die Beklagten werden verurteilt,
a)
es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu zwei Jahren - wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollstrecken ist -, zu unterlassen,
Hybrid-Aufblasvorrichtungen jener Art, die eine Druckflasche mit Druckgas, brennbare Mittel zur Verstärkung des gespeicherten Gases und Auslassmittel zur Zuführung von Aufblasgas aus der Aufblasvorrichtung zu einem Primärairbag-Luftkissen aufweisen, wobei die Aufblasvorrichtung eine als einen zweiten Auslass von der Druckflasche definierte Lüftungsöffnung als zur Abgabe gespeicherten Druckgases daraus umfasst,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
die dadurch gekennzeichnet sind, das eine zerberstbare Membran zur Abdichtung der Lüftungsöffnung und Verhinderung eines vorzeitigen Stroms durch die Lüftungsöffnung angeordnet und ein Mittel zum Zerbersten der Membran vorgesehen ist, um als Reaktion auf ein Steuersignal gespeichertes Gas aus der Druckflasche durch die Lüftungsöffnung vom Airbag-Rückhaltesystem zu entlüften oder einem mit der Lüftungsöffnung verbundenen zusätzlichen Airbag zuzuführen, wobei das Mittel zum Zerbersten der Membran einen Zünder aufweist, der ein explosives Material enthält, das in einer dicht neben der Membran angeordneten Abdeckung zum Zerbersten der Membran enthalten ist;
b)
der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1.a bezeichneten Handlungen seit dem 24.06.2008 begangen haben, und zwar unter Angabe
(1) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
(2) der einzelnen, aufgeschlüsselt nach Liefermenge, -zeiten und -preisen (und Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer, wobei die Beklagten Rechnungen vorzulegen haben;
(3) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der einzelnen Angebotsempfänger;
(4) der betriebenen Werbung aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
(5) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten übernehmen und ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
2.
Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter I.1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben.
3.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 24.06.2008 entstanden ist und noch entstehen wird.
II.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 10 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 90 %.
III.
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000 € und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV.
Der Streitwert wird auf 1.000.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin, ein Anbieter von Sicherheitstechnik für die Automobilindustrie, ist seit dem 24.06.2008 eingetragene Inhaberin des europäischen Patents EP A (nachfolgend Klagepatent; Anlage B&B 1), welches in Deutschland unter dem Aktenzeichen B (Anlage B&B 2) geführt wird. Das Klagepatent wurde am 25.01.1997 unter Inanspruchnahme der US-Priorität C vom 15.02.1996 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 20.08.1997 offengelegt. Die Erteilung des Klagepatents wurde am 29.10.2003 im Patentblatt veröffentlicht. Das Klagepatent, welches eine Hybrid-Aufblasvorrichtung für ein Fahrzeuginsassenrückhaltesystem (sog. Airbag) betrifft, steht in Kraft.
Gegen das Klagepatent hat die Beklagte zu 2. am 5. März 2009 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht (Az. 10 Ni 5/09) erhoben. Über diese Klage ist noch nicht entschieden. Die Klägerin verteidigt das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren in geänderter Fassung gemäß ihrem Schriftsatz vom 06.07.2009 (Anlage B&B 11).
Der von der Klägerin im hiesigen Verfahren geltend gemachte Anspruch 1 lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
"Hybrid-Aufblasvorrichtung (170) jener Art, die eine Druckflasche (174) mit Druckgas, brennbare Mittel (186) zur Verstärkung des gespeicherten Gases und Auslassmittel (230) zur Zuführung von Ablasgas aus der Aufblasvorrichtung (170) zu einem Primärairbag-Luftkissen (14) aufweist, wobei die Aufblasvorrichtung (170) eine als einen zweiten Auslass von der Druckflasche (174) definierte Lüftungsöffnung (132) zur Abgabe gespeicherten Druckgases daraus umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass eine zerberstbare Membran (120) zur Abdichtung der Lüftungsöffnung (132) und Verhinderung eines vorzeitigen Stroms durch die Lüftungsöffnung (132) angeordnet und ein Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) vorgesehen ist, um als Reaktion auf ein Steuersignal gespeichertes Gas aus der Druckflasche (174) durch die Lüftungsöffnung (132) zuzuführen, wobei das Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) einen Zünder (134) aufweist, der ein explosives Material enthält, das in einer dicht neben der Membran (120) angeordneten Abdeckung (136) zum Zerbersten der Membran (120) enthalten ist."
In der verteidigten und im hiesigen Verletzungsverfahren allein geltend gemachten Fassung lautet Anspruch 1 wie folgt:
"Hybrid-Aufblasvorrichtung (170) jener Art, die eine Druckflasche (174) mit Druckgas, brennbare Mittel (186) zur Verstärkung des gespeicherten Gases und Auslassmittel (230) zur Zuführung von Ablasgas aus der Aufblasvorrichtung (170) zu einem Primärairbag-Luftkissen (14) aufweist, wobei die Aufblasvorrichtung (170) eine als einen zweiten Auslass von der Druckflasche (174) definierte Lüftungsöffnung (132) zur Abgabe gespeicherten Druckgases daraus umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass eine zerberstbare Membran (120) zur Abdichtung der Lüftungsöffnung (132) und Verhinderung eines vorzeitigen Stroms durch die Lüftungsöffnung (132) angeordnet und ein Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) vorgesehen ist, um als Reaktion auf ein Steuersignal gespeichertes Gas aus der Druckflasche (174) durch die Lüftungsöffnung (132) vom Airbag-Rückhaltesystem zu entlüften oder einem mit der Lüftungsöffnung (132) verbundenen zusätzlichen Airbag zuzuführen, wobei das Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) einen Zünder (134) aufweist, der ein explosives Material enthält, das in einer dicht neben der Membran (120) angeordneten Abdeckung (136) zum Zerbersten der Membran (120) enthalten ist."
Hinsichtlich der Untersprüche, vor allem des "insbesondere" geltend gemachten Unteranspruchs 4 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
Zur Veranschaulichung der technischen Lehre sind nachfolgend die Figuren 1 und 2 aus der Klagepatentschrift eingeblendet. Figur 1 zeigt einen Längsschnitt einer patentmäßigen Hybrid-Aufblasvorrichtung:
Figur 2 ist eine vergrößerte schematische Teilansicht eines anderen Airbagsystems. Abgebildet ist die als zweiter Auslass von der Druckflasche definierte Lüftungsöffnung.
Die Beklagte zu 1. stellt Hybrid-Aufblasvorrichtungen für ein Fahrzeuginsassenrückhaltesystem her und vertreibt diese über die Beklagte zu 2. in Deutschland, wo sie u.a. in Automodelle der Firma D eingebaut werden. Eines der Modelle der Beklagten ist der "Adaptive Airbag" (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform), gegen den sich die Klage wendet. Die angegriffene Ausführungsform ist entsprechend der US E (Anlage B 2) aufgebaut. Zur Veranschaulichung wird die dortige Figur 6 nachfolgend eingeblendet:
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent wortsinngemäß.
Ursprünglich hat die Klägerin den Unterlassungsantrag gemäß der erteilten Fassung des Klagepatents gefasst, sowie den Vernichtungsanspruch auch gegen die Beklagte zu 1. gerichtet. Zudem hat sie ursprünglich beantragt, im Rahmen der Rechnungslegung sowohl Rechnungen als auch Lieferscheine zu erhalten sowie die Feststellung der Schadensersatzansprüche auch für Benutzungshandlungen vor Eintragung der Klägerin als Patentinhaberin.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
wie zuerkannt.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundespatentgerichts über die von der Beklagten zu 2. gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.
Die Beklagten sind der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Durch die Lüftungsöffnung werde kein gespeichertes Gas abgegeben, sondern Aufblasgas, welches zudem auch nicht einem anderen Behälter zugeführt werde. Vielmehr erfolge nur ein Ablassen in die Umgebung. Im Übrigen sei das Klagepatent nicht rechtsbeständig. Es sei weder neu noch beruhe es auf einer erfinderischen Tätigkeit. Darüber hinaus sei der Patentanspruch in zweierlei Hinsicht in unzulässiger Weise erweitert worden. Die Änderung des Patentanspruchs im Rahmen des Erteilungsverfahrens sowie die im Nichtigkeitsverfahren geänderte Fassung des Patentanspruchs würden den Patentanspruch unzulässig erweitern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunft und Schadensersatz aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 und Abs. 2, und § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB und gegenüber der Beklagten zu 2 einen Vernichtungsanspruch aus § 140a Abs. 1 PatG. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
I.
Die Klage ist zulässig.
Der Einwand der Beklagten, der im laufenden Nichtigkeitsverfahren von der Klägerin eingeschränkte Anspruch 1 könne nicht Gegenstand des hiesigen Verletzungsverfahrens sein, vielmehr sei die Verletzung anhand des eingetragenen Patentanspruchs zu prüfen, so dass die entsprechende Umstellung des Klageantrags daher unzulässig sei, verfängt nicht. In prozessualer Hinsicht steht es der Klägerin frei, im Verletzungsverfahren allein eine beschränkte Fassung eines erteilten Patentanspruchs geltend zu machen. Die von der Klägerin verteidigte beschränkte Fassung ist dann der gerichtlichen Entscheidung zu Grunde zu legen (Benkard-Scharen, PatG, 10. Auflage, § 14, Rn. 78). Hierin liegt auch keine Klageänderung gemäß § 263 ZPO, der die Beklagten zustimmen müssten. Die Änderung der Anträge bei gleichbleibendem Klagegrund aufgrund der eingeschränkten Geltendmachung eines Schutzrechts ist vielmehr ein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO (Benkard-Rogge/Grabinski, PatG, 10. Auflage, § 139, Rn. 105 i. V. m. Rn. 4).
II.
Die Klage ist auch begründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch, ohne dass die Beklagten hierzu berechtigt sind (§ 9 Nr. 1 PatG).
1)
Das Klagepatent betrifft eine Hybrid-Aufblasvorrichtung für ein Fahrzeuginsassenrückhaltesystem (sog. Airbag). Damit soll im Kollisionsfall die Sicherheit im Inneren eines Fahrzeuges erhöht werden, indem der Airbag sich zu einem Luftkissen entfaltet, das die Insassen bei einem Aufprall schützt. Dabei ist der erfindungsgemäße Airbag mit einer einstellbaren Leistungscharakteristik ausgestattet, die es ermöglicht, auf eine bestimmte Kollisionssituation, die Position und Größe des zu schützenden Insassen sowie auf unterschiedliche Außentemperaturen individuell zu reagieren.
Aus dem Stand der Technik sind Hybrid-Aufblasvorrichtungen bekannt, die ein Druckgas und ein brennbares Material, das Wärme und zusätzliches Aufblasgas zuführt, wodurch das Volumen und der Druck des gespeicherten Druckgases verstärkt werden. Die Leistungscharakteristika der Airbag-Insassenrückhaltesysteme ist vorzugsweise als Funktion von jeder besonderen Kollision zugeordneten Variablen optimiert. Diese Variablen umfassen die Schwere der Kollision, die Größe und die Position des Beifahrers sowie Temperaturbedingungen, die die Leistungscharakteristik der Aufblasvorrichtung beeinflussen können. Vorhergehende Versuche hinsichtlich der Einstellung der Leistungscharakteristik einer Hybrid-Aufblasvorrichtung haben sich laut Klagepatent auf den stufenweisen Betrieb der Hybrid-Aufblasvorrichtung durch ihren Primärgaszuführungsauslass konzentriert. In einigen Fällen ist beispielsweise eine variable Zeitverzögerung zwischen der Abgabe des Druckgases und der Zündung des brennbaren Materials zur Verstärkung des druckbeaufschlagten Gases bereitgestellt worden. In anderen Fällen ist das brennbare Material in mehreren oder abgestuften brennbaren Einheiten mit Mitteln zur Steuerung der bei einer bestimmten Kollision betätigten Anzahl von Stufen bereitgestellt worden. Des Weiteren ist ein Airbag-Rückhaltesystem mit einem Diffusor bereitgestellt worden, der einen Teil des Gases vom Airbag weg ablässt, nachdem das Gas durch den Lüftungsauslass abgegeben worden ist.
Die DE F lehrt schließlich eine Aufblasvorrichtung mit zwei Ventilen. Das erste Ventil wird zur Leitung von Gas zu einem Airbag zum Aufweiten des Airbags verwendet. Das zweite Ventil wird jedoch zum Lüften der Aufblasvorrichtung verwendet. Das Lüftungsventil ist so aufgeführt, dass man zwischen einem geschlossenen und einem geöffneten Zustand wählen kann.
Bei gesonderten Aufblasvorrichtungen wie einem Seitenaufprall-Airbag oder Knie-Aufprallschutzvorrichtungen werden gewöhnlich für jedes dieser Systeme gesonderte Aufblasvorrichtungen bereit gestellt.
An dem Stand der Technik kritisiert das Klagepatent, dass bei Fahrzeugen mit zusätzlichen Airbagsystemen jedes dieser Systeme eine gesonderte Aufblasvorrichtung hat. Zur Einstellung der Leistungscharakteristik wird die Hybrid-Aufblasvorrichtung stufenweise durch ihren Primärgaszuführungsauslass in Betrieb genommen. Solche Hybrid-Aufblasvorrichtungen mit einstellbarer Leistungscharakteristik seien aufgrund ihrer Komplexität sehr kostenintensiv.
Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, eine Hybrid-Aufblasvorrichtung mit einstellbarer Leistungscharakteristik hinsichtlich einer Verringerung der Gesamtkosten und Komplexität zu verbessern. Weiterhin macht sich das Klagepatent zur Aufgabe, eine einzige Aufblasvorrichtung zum Aufblasen auch eines zusätzlichen Airbags auszuführen.
Zur Lösung dieser Aufgabe wird eine Hybrid-Aufblasvorrichtung bereitgestellt, dessen Merkmale im geltend gemachten Patentanspruch 1 wie folgt gegliedert werden können:
1. Hybrid-Aufblasvorrichtung (170) jener Art, die
2. eine Druckflasche (174) mit Druckgas,
3. brennbare Mittel (186) zur Verstärkung des gespeicherten Gases
4. und Auslassmittel (230) zur Zuführung von Aufblasgas aus der Aufblasvorrichtung (170) zu einem Primärairbag-Luftkissen (14) aufweist,
5. wobei die Aufblasvorrichtung (170) eine als einen zweiten Auslass von der Druckflasche (174) definierte Lüftungsöffnung zur Abgabe gespeicherten Druckgases daraus umfasst,
5.1. mit einer zerberstbaren Membran (120)
5.1.1 zur Abdichtung der Lüftungsöffnung (132) und Verhinderung eines vorzeitigen Stroms durch die Lüftungsöffnung (132) angeordnet,
5.2. und ein Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) vorgesehen ist,
5.2.1 wobei das Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) einen Zünder (134) aufweist,
5.2.1.1 der ein explosives Material enthält, das in einer dicht neben der Membran (120) angeordneten Abdeckung (136) zum Zerbersten der Membran (120) enthalten ist,
5.3. um als Reaktion auf ein Steuersignal gespeichertes Gas aus der Druckflasche (174) durch die Lüftungsöffnung (132) vom Airbag-Rückhaltesystem zu entlüften oder einem mit der Lüftungsöffnung (132) verbundenen zusätzlichen Airbag zuzuführen.
2)
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die technische Lehre des Anspruchs 1 wortsinngemäß.
Dies ist zwischen den Parteien bezüglich der Merkmale 1 bis 4 sowie der Merkmale 5.1. und 5.2 zu recht unstreitig. Weitere Ausführungen der Kammer hierzu den erübrigen sich daher.
Die angegriffene Ausführungsform macht zudem aber auch wortsinngemäß Gebrauch von dem Merkmal 5.3., welches besagt, dass als Reaktion auf ein Steuersignal gespeichertes Gas aus der Druckflasche (174) durch die Lüftungsöffnung (132) vom Airbag-Rückhaltesystem entlüftet oder einem mit der Lüftungsöffnung (132) verbundenen zusätzlichen Airbag zugeführt wird. Gleichfalls verwirklicht ist Merkmal 5, wonach die Aufblasvorrichtung (170) eine als einen zweiten Anlass von der Druckflasche (174) definierte Lüftungsöffnung zur Abgabe gespeicherten Druckgases umfasst.
a)
Soweit die Beklagten einwenden, dass die angegriffene Ausführungsform unstreitig durch die Lüftungsöffnung nur das Ablassen von Gas in die Umgebung vorsieht, aber kein zweiter Airbag dadurch aufgeblasen werden soll, führt dies nicht aus dem Schutzbereich des in eingeschränkter Fassung geltend gemachten Anspruchs heraus. Der Anspruchswortlaut gibt in Merkmal 5.3 insoweit zwei Alternativen vor, von denen eine die Entlüftung des Rückhaltesystems, mithin das Ablassen von gespeichertem Gas in die Umgebung ist.
b)
Durch die Lüftungsöffnung wird bei der angegriffenen Ausführungsform ferner gespeichertes Gas im Sinne des Klagepatents abgegeben, so dass auch aus diesem Grund eine Verwirklichung von Merkmal 5.3 sowie eine Verwirklichung des Merkmals 5 anzunehmen ist.
aa)
Gespeichertes (Druck-)Gas ist nach der technischen Lehre des Anspruchs 1 dasjenige Gas, welches zwecks Regulierung der Leistungscharakteristika durch die Lüftungsöffnung (132) zur Entlüftung oder zum Aufblasen eines zweiten Airbags abgegeben wird, unabhängig davon, ob die Abgabe stattfindet bevor das brennbare Material zur Gaserzeugung gezündet wird, sodass nur das in der Druckflasche vorhandene Gas ausgelassen wird (sog. Kalt-Anblasen), oder ob die Abgabe zeitlich danach erfolgt, so dass "erhitztes" Gas abgegeben wird.
Diese Erkenntnis erwächst für den Fachmann zunächst aus dem Umstand, dass sowohl in Merkmal 5 wie auch in Merkmal 5.3 als Austrittsort des gespeicherten (Druck-) Gases allein die Lüftungsöffnung (132) und als Zuführungsort allein die Umgebung oder ein zweiter Airbag vorgesehen ist. Weitergehende Anforderungen, insbesondere zum Zeitpunkt der Abgabe des gespeicherten Gases stellt der Anspruch hingegen nicht auf.
Derartige Anforderungen ergeben sich nicht aus den im Anspruch 1 verwendeten verschiedenen Bezeichnungen. Zwar ist in Merkmal 2 von "Druckgas", in den Merkmal 3 und 5.3 von "gespeichertem Gas", in Merkmal 5 von "gespeichertem Druckgas" und in Merkmal 4 von "Aufblasgas" die Rede, wodurch ersichtlich ist, dass zwischen "verschiedenen" Gasen zu differenzieren ist. Die Differenzierung erfolgt jedoch (auch) nur danach, wo bzw. an welcher Stelle das in der Druckflasche befindliche Gas austritt, wohin es zugeführt wird und welchem Zweck es dient. Dies gilt vor allem mit Blick auf das Aufblasgas gemäß Merkmal 4. Die Bezeichnung als solche verdeutlicht bereits, welcher Zweck dem in diesem Merkmal beschriebenen Gas inne wohnt: es dient dem Aufblasen eines Primärairbag-Luftkissens (14). Deshalb tritt es auch, wie Merkmal 4 weiter vorgibt, aus dem Auslassmittel (230) aus, das dem Primärairbag-Luftkissen zugewandt ist. Deshalb wird das dem Primärairbag-Luftkissen (14) durch das Auslassmittel (230) zugeführte Gas als Aufblasgas bezeichnet. Tritt Gas hingegen durch die Lüftungsöffnung (132) aus zwecks Regulierung der Leistungscharakteristik und wird an die Umgebung oder einen zweiten Airbag abgeben, wird es nicht mit einer besonderen Bezeichnung versehen.
Dem entsprechend werden im Rahmen der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents die gleichen unterschiedlichen Begriffe verwendet, wenn es in Absatz [0009] heißt:
"Die Leistungscharakteristik der Aufblasvorrichtung bei der Zuführung von Aufblasgas zum Primärairbag wird durch Ablassen von Druckgas aus der Druckflasche eingestellt." (Hervorhebung hinzugefügt)
Gleiches geschieht bei der Beschreibung bevorzugter Ausführungsbeispiele, wenn es dort in Absatz [0011] lautet:
"um das dem Primärairbag-Luftkissen zugeführte Aufblasgas zu verstärken. Die Druckflasche definiert eine Primärauslassöffnung zur Zuführung von Aufblasgas zu einem Primärairbag-Luftkissen und Mittel ... Weiterhin definiert die Druckflasche einen Lüftungsauslass, der durch eine zerberstbare Membran abgedeckt wird, um das Druckgas in der Druckflasche zu halten, und ... Wird das Aufblasgas dem Primärairbag ... zugeführt." (Hervorhebung hinzugefügt)
In Anspruch 1 finden sich des Weiteren keine Vorgaben zur Temperatur des Gases, das durch die Lüftungsöffnung entlüftet wird. Es ist offen formuliert von "gespeichertem Druckgas" die Rede. Ebenso wenig enthält Anspruch 1 weitere konstruktive Anweisungen für die Lüftungsöffnungen, die auf bestimmte Temperaturen des dadurch zugeführten Gases oder bestimmte Druckverhältnisse, welche wiederum durch Temperatur erzeugt würden, beruhen. In Merkmal 5.3 heißt es schlicht, dass das gespeicherte Gas "als Reaktion auf ein Steuersignal" entlüftet wird. Einschränkende Angaben dazu, wann und unter welchen Voraussetzungen das Steuersignal die Reaktion herbeiführen soll, hält der Anspruch nicht bereit.
Anspruch 1 ist ferner ein Vorrichtungsanspruch und kein Verfahrensanspruch. Wie die Aktivierung von statten geht bzw. wie der Verfahrensablauf im Falle der Nutzung der Hybrid-Aufblasvorrichtung erfolgt, ist deshalb nicht Gegenstand des Anspruchs. Der Anspruch selbst gibt auch keine zeitliche Reihenfolge vor.
Eine solche "mittelbare Verfahrenslehre" ist auch nicht dadurch vorhanden, dass das Klagepatent eine Vorrichtung beschreibt, deren konstruktive Ausgestaltung nur einen bestimmten Ablauf erlaubt, sodass zwingend bei Benutzung der technischen Lehre bestimmte Schritte eingehalten werden müssten.
Durch die im Patent beschriebene Möglichkeit der Öffnung der zweiten Lüftungsöffnung soll gerade eine Optimierung und Vereinfachung der einstellbaren Leistungscharakteristik der Aufblasvorrichtung erreicht werden, also eine individuelle Luftabgabe, die auf die jeweilige Kollisionssituation abgestimmt ist. Dies ist eine der Aufgaben des Klagepatents, wie insbesondere Absatz [0007] verdeutlicht. Durch das Ablassen von Druckgas aus der Druckflasche soll eine Vorrichtung bereitgestellt werden, die je nach Situation der Kollision den Primärairbag und ggf. einen zweiten Airbag im optimalen Zustand und im optimalen Umfang sowie in der optimalen Zeit aufbläst. Die Schwere der Kollision und auch die Größe und die Position des Beifahrers sowie Temperaturbedingungen, die die Leistungscharakteristik der Aufblasvorrichtung beeinflussen können, sollen hierüber reguliert werden (Absatz [0003]). Der Airbag soll daher mehr oder weniger stark aufgeblasen werden können. Soweit dies in der Patentschrift im Zusammenhang mit dem Stand der Technik dargestellt wird, bedeutet dies nicht, dass die Optimierung dieser Variablen allein für den Stand der Technik gelten sollte. Vielmehr ist es offensichtlich so, dass das Klagepatent einen Airbag betrifft, der dies - aufbauend auf dem Stand der Technik - kann. Insoweit kritisiert das Klagepatent den Stand der Technik nicht. Die Aufgabe der Erfindung ist vielmehr die Optimierung der Variablen durch eine Vorrichtung mit einstellbarer Leistungscharakteristik und verbesserter Komplexität (Absatz [0007]). Es ist nicht ersichtlich, dass diese Funktion nur erfüllt werden kann, wenn zunächst "kaltes" Druckgas aus der Lüftungsöffnung (132) entlüftet wird, bevor durch die Zündung (238) bzw. die Verbrennung Aufblasgas in den Primärairbag zum Aufblasen zugeführt wird. Der technische Sinn und Zweck des Merkmals 5.3 wird stattdessen auch dann erfüllt, wenn nach der Primärzündung Gas aus der Lüftungsöffnung abgelassen wird. Dem treten auch die Beklagten nicht entgegen.
Auch der Beschreibung bevorzugter Ausführungsbeispiele ist nicht zu entnehmen, dass nur eine Abgabe des Gases aus der zweiten Lüftungsöffnung erfolgen soll, bevor das brennbare Material zur Gaserzeugung gezündet wird.
In Absatz [0027] der Beschreibung ist zu lesen, dass es auf eine zeitliche Reihenfolge nicht ankommen soll. Die Zündung, welche die Abgabe durch die Lüftungsöffnung ermöglicht, kann vor, gleichzeitig mit oder nach der Betätigung des Zünders betätigt werden. Es wird explizit eine Ausführungsform beschrieben, in der die Reihenfolge der Zündung von Zünder (134) und Zündung (238) beliebig ist. Dies hat auch im Anspruch 1 insofern Niederschlag gefunden, als dass es sich, wie bereits dargestellt, um einen offen formulierten Anspruch handelt. Auch ist weder dem Patentanspruch noch der Beschreibung zu entnehmen, dass in dem Fall, in dem die Zündung, die die Abgabe des Gases durch die zweite Lüftungsöffnung ermöglicht, nach der Betätigung des Zünders betätigt wird, einschränkend zu verstehen ist. Die Beklagten meinen, dass hier nur ein Betätigen der Zündung (134) zwischen der ersten Zündung (238) und dem Verbrennungsakt gemeint sein kann. Nach dem Verbrennen werde die zweite Lüftungsöffnung in keinem Fall geöffnet werden können. Das "nach" solle also heißen "nach der Zündung (238) bis spätestens zur Verbrennung". Eine solche zeitliche Einschränkung gibt das Klagepatent aber nicht her. Zudem ist kein technischer Vorteil durch eine solche Vorgehensweise ersichtlich, den das Klagepatent zwingend erzielen wollte.
Absatz [0027] beschreibt zudem die Variante, dass der Zünder (134) gezündet wird, wenn die hohe Umgebungstemperatur dazu geführt hat, dass sich der Druck in der Flasche erhöht hat und der Zünder (134) dann zum Ablassen von übermäßigem Druck aus der Druckflasche betätigt werden kann. Hierbei soll der Airbag nicht ausgelöst werden, sodass die Zündung (238) gar nicht betätigt wird. Auch dies beschreibt das Klagepatent als eine Einstellung der Leistungscharakteristika. Die Zündung (134) ist also sowohl zeitlich als auch funktional unabhängig von der Zündung (238).
Das dargelegte Verständnis findet seine Stütze zudem durch die weitere Beschreibung bevorzugter Ausführungsbeispiele in der Patentschrift. In Absatz [0024] heißt es:
"Bei der gezeigten Ausführungsform wird das abgegebene Gas außerhalb des Reaktionsgehäuses (12) verteilt; es kommt jedoch auch in Betracht, dass das Gas im Reaktionsgehäuse (12) empfangen wird, um für ein frühes, sanftes Einsetzen der Airbagentfaltung zu sorgen, wenn der Zünder (134) zuerst betätigt wird."
Hierdurch wird deutlich, dass das Klagepatent selbst vorsieht, dass die Zündung (134) vor der Zündung (238) gezündet wird.
Auch plant die vom Klagepatent bevorzugte Anordnung der zweiten Lüftungsöffnung (132) quer zum Auslass des Gasgenerators, die in Absatz [0023] vorgestellt wird, ein, dass die Abgabe des Gases durch die zweite Lüftungsöffnung auch nach Zünden des brennbaren Materials erfolgen kann. Diese Anordnung soll verhindern, dass Verbrennungsteilchen aufgrund der Sogwirkung durch die zweite Lüftungsöffnung abgelassen werden. Diese vorteilhafte Ausführungsform ist in Unteranspruch 3 besonders unter Schutz gestellt worden, wobei der Gasgenerator einen Auslass (210) aufweist, der die Verbrennungsprodukte zum Ende der Druckflasche leitet. Die Verbrennungsteilchen können aber erst mit dem Zündungsvorgang entstehen. Ihr Austritt ist zwar unerwünscht, aber gleichwohl möglich, sodass das Klagepatent auch hier davon ausgeht, dass die Abgabe von gespeichertem Gas auch nach der Zündung erfolgen kann.
All dem steht auch nicht der Einwand entgegen, mit der Zündung durch den Einsatz brennbarer Mittel (186) entstehe ein neues Gasgemisch, welches von dem in der Druckflasche gespeicherten Druckgas zu unterscheiden sei. Der Anspruch 1 gibt eine solche Interpretation nicht vor. Dort heißt es in Merkmal 3, dass die brennbaren Mittel (186) zur Verstärkung des gespeicherten Gases eingesetzt werden, nicht aber zur Herstellung eines neuen Gasgemisches.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das gespeicherte Druckgas nicht gleichmäßig schnell nach der Primärzündung erhitzt wird. Es kann also sein, dass in der Nähe des Auslassmittels (230) befindliches Gas noch kalt ist, wenn es zwecks Aufblasen des Primärairbag-Luftkissens (14) aus dem Auslassmittel (230) strömt. Gleichwohl bezeichnet das Klagepatent auch dieses Gas als Aufblasgas.
bb)
Ausgehend von diesem Verständnis ist eine Verwirklichung der Merkmale 5, 5.3 festzustellen.
Die angegriffene Ausführungsform sieht vor, dass die zweite Lüftungsöffnung nach Zündung des brennbaren Mittels geöffnet werden kann. Die Einstellung der Leistungscharakteristik erfolgt bei der angegriffenen Ausführungsform dergestalt, dass die Lüftungsöffnung, an der der Primärairbag angeschlossen ist, mit einer Membran verschlossen ist, die nach der ersten Zündung und dem Erreichen eines bestimmten Drucks innerhalb der Druckflasche zerbirst und so das Gas in den Airbag strömen kann. Die zweite Lüftungsöffnung, über die zur Einstellung der Leistungscharakteristik Gas abgelassen werden kann, ist mit zwei übereinander gestapelten Berstscheiben verschlossen, die einem höheren Druck standhalten. Auf ein elektronisches Signal können diese Berstscheiben zum Zerbersten gebracht werden und Aufblasgas in die Umgebungsluft abgegeben werden und so der Aufblasvorgang des Airbags gestoppt oder verlangsamt werden. Die Berstscheibe an der ersten Lüftungsöffnung reagiert auf einen bestimmten Druck, der erreicht werden muss, um sie zu zerstören. Dieser Druck kann nur erreicht werden, wenn die zweite Lüftungsöffnung noch verschlossen ist. Wenn die Lüftungsöffnung bereits geöffnet wäre, könnte der Primärairbag nicht aufgeblasen werden. Das hat die notwendige Konsequenz, dass bei der zweiten Lüftungsöffnung nur nach der ersten Zündung die zweite Lüftungsöffnung geöffnet werden kann. Dies unterfällt - wie dargestellt - dem Anspruch 1 des Klagepatents.
III.
Da die angegriffene Ausführungsform sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs verwirklicht, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung des weiteren Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung der technischen Lehre des Klagepatents ohne Berechtigung erfolgt.
Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG, weil die Beklagten die Patentverletzung schuldhaft begingen. Als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können (§ 276 BGB). Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht. Die Beklagten haften gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Hier begehrt die Klägerin nur noch die Vorlage von Rechnungen. Hinsichtlich der der Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger ist den Beklagten ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 - Glasscheibenbefestiger).
Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 2. einen Anspruch auf Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 PatG. Die für den Vernichtungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen des § 139 Abs. 1 PatG liegen vor. Darüber hinaus hat die Beklagte zu 2. nicht in Abrede gestellt, zumindest im Besitz des beanstandeten Aufbausystems zu sein. Dies liegt bereits deswegen nahe, da diese Beklagte ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und die angegriffene Ausführungsform hier vertreibt.
IV.
Zu einer nach § 148 ZPO möglichen Aussetzung der Verhandlung zumindest bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts über die gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1. besteht keine Veranlassung.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 - Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 - Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 - Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechtes, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patentverletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner - zeitlich ohnehin begrenzten - Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht aufgrund der zu treffenden Prognoseentscheidung zu den Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklage keine Veranlassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits.
1)
Die im Nichtigkeitsverfahren geltend gemachte unzulässige Erweiterung des Patentanspruchs gemäß Art. 138 lit. c) EPÜ wird nach derzeitigem Sach- und Streitstand voraussichtlich nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Nichtigkeit des Patents führen.
a)
Eine unzulässige Erweiterung kann zunächst nicht mit Blick auf die Eingabe der Klägerin im Prüfungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt vom 27.01.2003 erkannt werden, wodurch die Klägerin den Patentanspruch durch das folgende Merkmal ergänzt hat:
"wobei das Mittel (110) zum Zerbersten der Membran (120) einen Zünder (134) aufweist, der ein explosives Material enthält, das in einer dicht neben der Membran (120) angeordneten Abdeckung (136) zum Zerbersten der Membran (120) enthalten ist."
Vorab ist festzuhalten, dass die Beklagten trotz eines entsprechenden Hinweises der Kammer keine deutsche Übersetzung der Patentanmeldung beigebracht, sodass ihr Einwand an sich bereits deshalb im hiesigen Verfahren ohne Erfolg bleiben könnte. Aber auch nach inhaltlicher Überprüfung greift der Einwand der unzulässigen Erweiterung nicht durch.
Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Gegenstand des Patents ist die durch die Patentansprüche bestimmte Lehre, wobei Beschreibung und Zeichnungen mit heranzuziehen sind. Der Inhalt der Patentanmeldung ist der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen, ohne dass den Patentansprüchen dabei eine gleich hervorgehobene Bedeutung zukommt. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen ließ, dass der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH Urteil vom 22.12.2009 - X ZR 27/06; BGH, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; BGH, Mitt. 1996, 204 (206) - unzulässige Erweiterung). Der Gegenstand der Anmeldung kann daher im Erteilungsverfahren bei der Formulierung des Anspruchs anders gefasst werden. Eine solche Änderung darf aber nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen ließ (BGH Urteil vom 22.12.2009 - X ZR 27/06; BGH, GRUR 2005, 1023 (1024) - Einkaufswagen II).
Der Anmelder oder Patentinhaber, der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, ist dabei nicht genötigt, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen (BGH, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II, BGH, GRUR 2006, 316 (319) - Koksofentür). Die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig, wenn dadurch die zunächst weiter gefasste Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war ( BGHZ 111, 21 (25) Crackkatalysator I, BGH, GRUR 1991, 307 ( 308) - Bodenwalze; BGH, GRUR 2000, 591 (592) - Inkrustierungsinhibitoren). Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden (BGHZ 110, 123 (126) - Spleißkammer). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Patentinhaber nach Belieben einzelne Elemente eines Ausführungsbeispiels im Patentanspruch kombinieren dürfte. Die Kombination muss vielmehr in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die aus der Sicht des Fachmanns den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung zu entnehmen ist; anderenfalls wird etwas beansprucht, von dem aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennbar ist, dass es von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein soll, und das daher gegenüber der angemeldeten Erfindung ein aliud darstellt (BGH, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II; BGH, GRUR 1990, 432 (434) - Spleißkammer; BGH, GRUR 2002, 49 (51) - Drehmomentübertragungseinrichtung).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine unzulässige Erweiterung nicht zu erkennen.
Merkmal 5.2 des erteilten Anspruchs ist in der Patenanmeldung offenbart. Die ursprüngliche Anmeldung der Erfindung enthält bereits die Beschreibung des Mittels zum Zerbersten der Membran, wie sie im ergänzten Patentanspruch vorgenommen wurde in Anspruch 9 und Spalte 5 Zeilen 4 bis 7.
Soweit die Beklagten meinen, die Offenbarung des Merkmals sei in der Patentanmeldung nur im Zusammenhang mit einer Lüftungsöffnung beschrieben, welche in einem Abstand von und quer zum Auslass des Gasgenerators angeordnet ist, verfängt dies nicht. Der ursprüngliche Anspruch 1 beschreibt die zerberstbare Membran, während der ursprüngliche Anspruch 9, der auf Anspruch 1 rückbezogen war, das zum Inhalt hat, was sodann in den Hauptanspruch gezogen wurde. Eine bestimmte Lage bzw. eine räumliche Ausgestaltung ist dort nicht genannt worden. Die Kombination Anspruch 1 und Unteranspruch 9 war mithin in den ursprünglichen Unterlagen offenbart. Durch die Beschreibung der bevorzugten Positionierung der zweiten Lüftungsöffnung in der Patentanmeldung ist auch keine Einschränkung hinsichtlich der Ausgestaltung des Mittels zum Zerbersten der Membran vorgenommen worden, die Gegenstand des hinzugefügten Merkmals ist. Diese Merkmale sind unabhängig voneinander. Sie stehen in keinem technischen Zusammenhang. Soweit ein Zusammenhang zur Lage in der Patentanmeldung hergestellt worden ist, betrifft dies lediglich eine bevorzugte Ausführungsform.
b.
Die Klägerin hat im Nichtigkeitsverfahren eine weitere Änderung des Patentanspruchs vorgenommen, sie verteidigt den Anspruch 1 nur noch in der Fassung, die (auch) Gegenstand des hiesigen Verletzungsverfahrens ist. Soweit die Beklagten gegen diese Änderung ebenfalls den Einwand der unzulässigen Erweiterung erheben bzw. diese als unzulässige Klarstellung im Nichtigkeitsverfahren verstehen, greifen ihre Bedenken im Ergebnis nicht durch.
Klarstellungen, die den Inhalt des Patents in materieller Hinsicht nicht antasten, sind unzulässig. Sie können im Nichtigkeitsverfahren weder vom Gericht noch vom Patentinhaber vorgenommen werden (BGH, GRUR 1988, 757 - Düngerstreuer; Schulte-Moufang, PatG, 8. Auflage, § 21, Rn. 111). Eine solche Vorgehensweise sieht das Gesetz nicht vor und ist auch nicht notwendig. Es reicht aus, wenn das bessere Verständnis des Wortlauts in den Entscheidungsgründen des Urteils zum Ausdruck kommt. Andere Gerichte werden eine dort vorgenommene Auslegung bzw. Klarstellung berücksichtigen (Schulte-Moufang, PatG, 8. Auflage, § 21, Rn. 111).
Die Klägerin argumentiert jedoch, dass durch die im Nichtigkeitsverfahren verteidigte Fassung des Patentanspruchs 1 weder eine unzulässige Erweiterung noch eine Klarstellung erfolgt sei, sondern vielmehr sei der Anspruch 1 beschränkt worden. Das Klagepatent gebe in seiner erteilten Fassung nicht vor, wohin das gespeicherte Gas durch die Lüftungsöffnung gemäß Merkmal 5.3 zugeführt würde. Somit stünden drei Möglichkeiten offen. Entweder würde das Gas der Umgebungsluft, einem zweiten Airbag oder dem Reaktionsgehäuse und damit letztlich dem Primärairbag zugeführt. Nunmehr beschränke sich das Merkmal auf die ersten beiden Varianten.
Der Klägerin ist zunächst insoweit recht zu geben, als dass eine Reduzierung auf zwei von drei Möglichkeiten eine Einschränkung darstellt. Voraussetzung für eine zulässige Beschränkung ist allerdings, dass es sich um eine Beschränkung im Rahmen der Offenbarung handeln muss (BGH, GRUR 2008, 56 - injizierbarer Mikroschaum; Schulte-Kühnen, PatG, 8. Auflage, § 81, Rn. 121). Dies allein genügt jedoch nicht. Eine Beschränkung im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens muss sich nicht nur im Rahmen der Offenbarung halten, sondern muss auch vom Patent bereits geschützt sein. Eine Änderung des Schutzbereiches des Patents im Nichtigkeitsverfahren stellt einen Nichtigkeitsgrund gemäß § 22 Abs. 1 PatG dar (BGH, GRUR 2005, 145 - elektronisches Modul; Schulte-Kühnen, PatG, 8. Auflage, § 81, Rn. 125). Ein Gegenstand, der durch das erteile Patent zwar offenbart, von ihm aber nicht geschützt ist, kann im Patentnichtigkeitsverfahren nicht nachträglich in das Patent einbezogen und unter Schutz gestellt werden. Das Patentnichtigkeitsverfahren dient der Nichtigerklärung eines Patents, soweit bei ihm ein gesetzlich vorgesehener und vom Nichtigkeitskläger geltend gemachter Nichtigkeitsgrund vorliegt, und eröffnet in diesem Umfang dem Patentinhaber die in der Sache veranlassten Verteidigungsmöglichkeiten. Es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents. Diese Funktion ist vielmehr einzig dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen (BGH, GRUR 2005, 145 - elektronisches Modul). Die im Nichtigkeitsverfahren eingebrachte Neufassung des Merkmals 5.3 muss daher sowohl in der Anmeldung offenbart gewesen sein als auch vom erteilten Patentanspruch umfasst gewesen sein.
Dies ist anzunehmen. Unstreitig ist, dass die Patentanmeldung das Zuführen von gespeichertem Druckgas zu einem Primär- und Sekundärairbag offenbart. Sie offenbart darüber hinaus jedoch auch das Zuführen in die Umgebungsluft. Der Fachmann kommt bei bloßer Lektüre der Patentschrift auf die verteidigte Ausgestaltung(BGH, GRUR 2004, 407 - Fahrzeugleitsystem; BGH, GRUR 2008, 56 - injizierbarer Mikroschaum).
Wie auch die Klagepatentschrift beschreibt die Anmeldung beide Alternativen. Dies wird bereits durch den Eingangssatz (Spalte 1, Zeile 10) deutlich, wonach
"a portion of the inflator flow is optionally delivered to a supplemental airbag" (Hervorhebung hinzugefügt)
Die Zuführung in einen zusätzlichen Airbag wird also als Option und nicht als einzige Möglichkeit beschrieben. Auch die bereits genannte Passage [0012] der Klagepatentschrift findet sich bereits wortgleich (auf Englisch) in der Patentanmeldung in Spalte 3, Zeile 5 bis 9. Dort heißt es:
" According to still further aspects of the invention, the outlet opening defined by the pressure bottle is vented from the airbag restraint system, is supplied to the primary airbag before opening the primary outlet, or is connected to a supplemental airbag." (Hervorhebung hinzugefügt)
Auch die Figuren der beiden Ausführungsformen sind bereits in der Anmeldung enthalten. Dort wird in Figur 2 eine zweite Lüftungsöffnung wiedergegeben, an die ein zweiter Airbag angeschlossen ist, während die Ausführungsform in Figur 1 einen solchen zweiten Airbag nicht zeigt.
Auch sind beide Alternativen vom Schutzumfang des erteilten Patentanspruchs bereits erfasst.
Die Beklagten meinen zwar, dem Begriff "zuführen" sei immanent, dass etwas an einen bestimmten Ort bzw. in ein bestimmtes Behältnis zugeführt werde. Ein Ablassen der Luft in die Umgebung sei deshalb kein Zuführen. Dieser Einwand greift letztlich nicht durch.
Die Verwendung des Begriffs "zuführen" allein lässt sich jedenfalls nicht die von den Beklagten gewünschte enge Sichtweise zu entnehmen. Für die Frage, wie der Fachmann den Begriff versteht, kann nicht allein ein Lexikon zu Rate gezogen werden. Maßgeblich ist vielmehr, welche Bedeutung der Fachmann einem verwendeten Begriff vor dem Hintergrund der offenbarten technischen Lehre beimisst. Vorliegend wird der Fachmann berücksichtigen, dass Merkmal 5.3 eine Lüftungsöffnung beschreibt, ohne weitere Spezifizierung, wohin das gespeicherte Gas zuzuführen ist. Er wird weiterhin beachten, dass der Sinn und Zweck des Klagepatents, nämlich die Optimierung der einstellbaren Leistungscharakteristik auch ein Ablassen des Gases in die Umgebungsluft gebietet. Dies kommt an verschiedenen Stellen in der Klagepatentschrift und im übrigen auch in der insoweit wortidentischen, allerdings nur in englischer Sprache vorliegenden Patentanmeldung zum Ausdruck. Ausdrücklich genannt ist diese Funktionsweise in Absatz [0010]. Auch in Absatz [0009] wird ausdrücklich das Ablassen von Gas aus der Druckflasche als Mittel zur Einstellung der Leistungscharakteristik erwähnt. Die Zufuhr in einen zweiten Airbag ist nur eine weitere Aufgabe. Auch die in Absatz [0027] offenbarte Möglichkeit, bei zu hoher Umgebungstemperatur gespeichertes Gas abzulassen, lässt für den Fachmann erkennen, dass dieses Gas in die Umgebung abgelassen wird. Die Zufuhr in einen zweiten Airbag erscheint in dieser Situation sinnlos.
Schließlich ist bei der Beschränkung des Patentanspruchs durch den Patentinhaber selbst im Nichtigkeitsverfahren die Aussetzung des Verletzungsverfahrens nicht zwingend. Wenn ein Merkmal lediglich durch weitere Merkmale angereichert wird, sodass der Erteilungsakt jedenfalls tendenziell seine Aussagekraft behält, bleibt es bei den grundsätzlich restriktiven Aussetzungsgründen (Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rn. 1050). Ein solcher Fall liegt hier vor. Merkmal 5.3 wurde lediglich dahingehend konkretisiert, dass die Gaszufuhr an zwei von drei möglichen Orten erfolgen soll. Damit erhält dieses Merkmal keinen anderen Aussagegehalt oder eine andere Qualität, die es rechtfertigen anzunehmen, dass es sich in der Sache um ein ungeprüftes Schutzrecht handelt und somit die Aussetzung geboten ist.
2)
Dass die durch das Klagepatent geschützte Erfindung durch die entgegengehaltenen Schriften neuheitsschädlich vorweggenommen worden ist, kann derzeit nicht festgestellt werden.
Die von den Beklagten als neuheitsschädlich entgegengehaltenen US-Patentschriften G (Anlage A 1) und H (Anlage A2) können schon aus dem Grund nicht für die Entscheidung über die Aussetzung berücksichtigt werden, weil sie trotz Hinweises lediglich in englischer Sprache vorgelegt worden sind.
Aber selbst bei Berücksichtigung der englischsprachigen Fassung bewegt dies die Kammer nicht zu einer Aussetzung.
Die in den Anlagen A1 und A2 offenbarte Vorrichtung zeigt vier Lüftungsöffnungen (Anlage A 1, Figur 1 70 a und b, 320a und b), durch die Gas aus der Druckflasche abgegeben werden kann. Diese Lüftungsöffnungen können auf zweierlei Weise geöffnet werden. Um ein schnelles, aggressives Aufblasen des Airbags zu erreichen, werden beide Zünder gleichzeitig gezündet und alle vier Lüftungsöffnungen gleichzeitig freigegeben. Es kann aber auch erst durch den Zünder 40 die Lüftungsöffnungen 70a und b freigegeben werden und anschließend die Öffnungen 320a und b freigegeben werden (Anlage A1, Sp.9 Z. 63 bis Sp. 10 Z. 10). In beiden Fällen wird das gesamte Gas in den Diffusor geleitet und erreicht letztlich den Primärairbag (Anlage A 1, Sp. 10 Z. 14). Das Gas wird also nicht in einen zweiten Airbag oder die Umgebungsluft abgegeben. Damit ist das Merkmal 5.3 des Klagepatents nicht offenbart. Die Leistungscharakteristik wird also nicht durch gezieltes Abgeben des Gases erreicht, sondern vielmehr durch gezieltes Aufblasen des Airbags.
Die in der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Entgegenhaltungen US H US I sowie die im Prüfverfahren bereits berücksichtigte DE J (Anlagen A3 bis A5 der Anlage B1) offenbaren zwar eine Lüftungsvorrichtung ("vent valve assembly", bzw. "venting device"). Sie weisen aber nicht eine Öffnung mittels einer zerberstbaren Membran auf. Dieses Merkmal ist daher durch diese Druckschriften nicht veröffentlicht. Die US-Patentschriften liegen ebenfalls nur in englischer Sprache vor.
3.
Auch der Einwand der Beklagten, der Fachmann werde die US HUS I und die DE J kombinieren und dadurch ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Klagepatents kommen, greift nicht durch.
Auch diese Druckschriften liegen dem Gericht nur in englischer Sprache vor. Aber auch im Ergebnis ist nicht ersichtlich, warum es für den Fachmann eine Veranlassung gegeben haben soll, die genannten Druckschriften miteinander zu kombinieren.
Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es - abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, Urteil vom 8.12.2009 - X ZR 65/05 - einteilige Öse). Daraus kann man entnehmen, dass es positive Anregungen im Stand der Technik geben muss in Richtung des Klagepatents weiter zu denken. Man muss auf die Problemstellung kommen, die dem Klagepatent zugrunde liegt und man muss Hinweise bekommen, dass man dieses Problem mit Mitteln des Klagepatents löst. Dafür ist hier nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 Abs. 4, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 ZPO.
Voß Dr. Büttner Dr. Eisenkolb
LG Düsseldorf:
Urteil v. 14.04.2010
Az: 4b O 290/08
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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/35e4e6fec205/LG-Duesseldorf_Urteil_vom_14-April-2010_Az_4b-O-290-08