Amtsgericht Bocholt:
Urteil vom 13. November 2014
Aktenzeichen: 4 C 26/14

(AG Bocholt: Urteil v. 13.11.2014, Az.: 4 C 26/14)

Zur Haftung des Telefonanschlussinhabers für die Nutzung von Mehrwertdiensten durch seine minderjährigen Kinder.

Vergleiche Hinweisbeschluss des LG Münster vom 11.03.2015 -03 S 191/14-

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin macht vorliegend Forderungen aus Telekommunikationsdienstleistungen geltend, die von der O. verkauft und abgetreten sein sollen. Sie trägt hierzu vor, dass in der Zeit vom 24.08. - 25.08.2010 der Beklagte, was unstreitig ist, einen Telefonanschluss hatte. Über diesen seien Service- und Auskunftsdienste angerufen worden. Die Dienste seien der Firma U. der C. sowie der U1 zuzuordnen, wobei es sich um Auskunftsdienste Inland handele. Hierdurch seien Telefonkosten in Höhe von 632,16 € verursacht worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 632,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 18.10.2010 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er legt dar, dass außer ihm noch sein damals 17-jähriger Sohn und dessen jüngere Schwester Zugriff gehabt hätten auf den Telefonanschluss, ebenso wie die Ehefrau. Die minderjährigen Kinder seien über die Gefahren der Nutzung von Mehrwertdiensten ausgiebig informiert worden und die Nutzung sei untersagt worden. Eine Kontrolle des im Übrigen tragbaren Telefons und des Nutzungsverhaltens sei nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Ausführungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.09.2014 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Bereits im Termin vom 11.09.2014 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass es zu einer Substantiierung der Klage gehört, dass der Kläger darlegt, welche Rufnummern angerufen worden sind, welcher Anbieter dahinter steht und welche Leistungen vom Anbieter erbracht worden sind. Die Darstellung, was konkret Vertragsgegenstand geworden ist, gehört zur Substantiierung der Klage, da durch die Nutzung von Mehrwertdiensten ein Dienst- oder Werkvertrag zustande kommt. Bei einer auf Vertrag gestützten Leistungsklage sind Tatsachen zum Vertragsschluss und zu seinem Inhalt vorzutragen, so dass der Vertrag unverwechselbar gekennzeichnet ist (Becker-Eberhard Münchener Kommentar zur ZPO 4. Auflage 2013 § 253 Rn. 84)

Diesen Anforderungen genügt die Klage bislang nicht. Zwar sind die Rufnummern bekannt gegeben worden und auch die Anbieter. Indes mangelt es jedoch daran, welche Leistungen die Anbieter erbracht haben wollen. Allein die allgemeine Bemerkung, dass es sich um Inlandsauskunftsdienste gehandelt haben solle, reicht hierzu nicht aus. Am Rande, und ohne dass es darauf ankommt, sei erwähnt, dass bei Rufnummern für Inlandauskunft beispielsweise auch die C1., ebenso wie die Orion P. (http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Nummerierung/Rufnummern/118xy/ListeAuskunftsAnbieter_Basepage.html Stand 12.11.14) geführt werden. Beide Unternehmen sind bekanntermaßen grob gesprochen nicht dem Genre Telefonauskunft sondern dem Genre "Erotik" zuzuordnen.

Der Vertragsschluss erfolgt bei Mehrwertdiensten durch konkludentes Vertragsangebot des Kunden, indem er die Rufnummer eines Mehrwertdienstes anruft, der einen bestimmten Mehrwertdienst mit bestimmten Dienstleistungen zugeordnet ist. Die Annahme des Angebots erfolgt durch den Netzbetreiber mittels Realakt (Ditscheid/Rudolf in Spintler/Schuster, rechtelektronischen Medien, TKG § 43 a Verträge, Rn. 6, 2. Aufl. 2011). Wenn nun ein Anbieter behauptet, dass auf diese Weise ein Vertrag zustande gekommen sei, dann muss er auch darlegen, was dieser Vertrag für einen Inhalt gehabt hat bzw. seine Leistungen seitens des Anbieters erbracht worden sind. Dies gilt umsomehr, als in bestimmten Bereichen immer noch die Frage diskutiert wird, ob bestimmte Angebote aus Mehrwertdiensten sittenwidrig sind (vergl. zur Telefonsexdiskussion Müller in Spintler/Schuster, rechtelektronischen Medien § 138 BGB, Rn. 17 ff., Ditscheid/Rudolf in Beckscher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, Rn. 13 der Vorbemerkungen zu § 66-67 TKG). Zudem wird bei der Anwendung des § 45 i TKG diskutiert, ob jedenfalls die Zahlung von Online Spielfeatures per 0900 Nummer nicht von dieser Norm mit umfasst ist (vergl. Zimmermann in K & R 2012, 731, 733). Darüber hinaus muss dem Vertragspartner eines Mehrwertdienstes auch die Möglichkeit gegeben werden, zu prüfen, ob er möglicherweise selbst diesen Dienst genutzt hat. Dies ist nur möglich, wenn in konkreto dargelegt wird, um welche Leistung es gegangen ist. Hierzu ist es ausreichend, dass die Dienstleistungen global umschrieben werden. Dies ist dem Mehrwertdienstleister bzw. seinem Vertragspartner bei Abtretungen auch möglich, da bestimmte Dienstleistungen immer einer bestimmten Rufnummer zugeordnet sind. Allerdings ist die hier vorgenommene Aufteilung, dass es um Auskunftsdienste gegangen sei, so grob, dass eine konkrete Zuordnung nicht möglich ist. Dem Anbieter von Mehrwertdiensten ist dies auch zuzumuten, da er mit einer bestimmten Rufnummer für bestimmte Dienstleistungen wirbt.

Allein aus dem Namen des Anbieters lässt sich nicht der Schluss ziehen, welche Dienstleistungen angeboten worden sind. So handelt es sich beispielsweise bei U. um eine Realityshow des amerikanischen Fernsehsenders MTV. Ob allerdings ein Zusammenhang besteht zwischen dem Mehrwertdienstanbieter gleichen Namens und der hier vorliegenden Show, kann diesseits nicht beurteilt werden. Es gehört auch nicht zu den Aufgaben des Gerichts, durch eine ausgiebige Internetrecherche herauszubekommen, welcher Mehrwertdienst welche Leistungen anbietet. Letztendlich scheitert die Klage vorliegend bereits daran, dass der Klagevortrag nicht hinreichend substantiiert ist.

Aber selbst wenn vorliegend von der gegenteiligen Auffassung ausgegangen wird, ist die Klage unbegründet.

Dem steht nicht entgegen, dass es eine tatsächliche Vermutung dafür gibt, dass der Anschlussinhaber, vorliegend also der Beklagte, Nutzer und Vertragspartner eines Mehrwertdienstes ist. Hat er, wie vorliegend, anderen Personen die Nutzung seines Anschlusses überlassen, so trifft ihn die sekundäre Darlegungslast dahingehend, welche Personen noch Zugriff auf den Anschluss hatten, da die primär darlegungsbelastete Partei, somit die Klägerin, keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und Möglichkeiten hatte, um den Sachverhalt weiter aufzuklären, während dem Beklagten nähere Angaben ohne weiteres möglich und zumutbar sind (vergl. BGH, NJW 2014, 2360, 2361). Diese sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast, noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller, also vorliegend der Klägerin, alle für seinen Prozesserfolg möglichen Information zu beschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbständigen Zugang zum Telefonanschluss hatten und somit als Vertragspartner in Betracht kommen (vergl. BGH a.a.O. zur Nutzung eines Internetanschlusses). Dieser Verpflichtung hat vorliegend der Beklagte genüge getan, indem er dargelegt hat, dass seine beiden minderjährigen Kinder und seine Frau damals Zugriff auf seinen Anschluss hatten. Dies entspricht im Übrigen der allgemeinen Lebenserfahrung. Damit ist offen, ob vorliegend der Kläger selbst, seine Ehefrau oder seine beiden minderjährigen Kinder Vertragspartner des Mehrwertdienstes geworden sind. Ohne dass es darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin selbst eine weitere Sachaufklärung verhindert, indem sie nicht darlegt, welche Leistungen der Mehrwertdienst erbracht haben soll, so dass es dem Beklagten auch nicht durch Befragen seiner Familienmitglieder möglich ist, herauszubekommen, ob diese möglicherweise einen Mehrwertdienst, vielleicht auch aus jugendlichem Leichtsinn oder Unkenntnis, benutzt haben.

Vorliegend haftet der Beklagte auch nicht nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht. Grundsätzlich liegt eine Anscheinsvollmacht vor, wenn der Vertretene das Handeln seines Vertreters zwar nicht kennt, jedoch bei pflichtgem. Sorgfalt hätte erkennen können und verhindern können, dass der Andere darauf vertraut hat und vertrauen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters (vergl. BGH, NJW 2006, 1971, 1972). Dass diese Voraussetzung vorliegend gegeben ist, hat die Klägerin nicht dargetan, denn vorliegend fehlt es an dem für die Anscheinsvollmacht erforderlichen Vertrauenstatbestand. Etwas Anderes würde nur gelten, wenn der Beklagte über einen längeren Zeitraum die von Dritten verursachten Kosten eines Mehrwertdienstes klaglos bezahlt hätte (vergl. AG Berlin-Mitte, MMR 2010, 817, 818). Gleiches gilt, wenn der Telefonanbieter oder aber der Provider einen Nutzer auf überhöhte Telefonkosten aufmerksam gemacht hat und trotzdem der Anschluss nicht ganz oder teilweise gesperrt wird (vergl. OLG Köln, NJW, RR-1994, 177, betr.einen BTX-Anschluss, dem grob gesprochen, Vorläufer des Internetanschlusses). Von einer Anscheinsvollmacht ist deshalb nur dann auszugehen, wenn ein Minderjähriger häufiger Mehrwertdienste in Anspruch genommen hat und diese wiederholt auch auf der Telefonrechnung aufgetaucht sind (vergl. Kitz in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimediarecht, 39. Ergänzungslieferung 2014, Teil 13.1, Rn. 135).

Auch eine Duldungsvollmacht ist vorliegend nicht gegeben. Diese läge nur vor, wenn der Vertreter es wissentlich zuließe, dass der Minderjährige seinen Account nutzt, um Geschäfte zu machen. Dies ist vorliegend nicht dargetan. Allein aus der fehlenden Sperrung der Mehrwertdienste beim Telekommunikationsanbieter kann dies nicht geschlossen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es in einer Familie nur ein Telefon gibt und einen Telefonanschluss, der von allen Familienmitgliedern genutzt wird. Anders mag es sein, wenn Eltern einem Minderjährigen ein Mobiltelefon schenken, welches dieser selbständig nutzen darf. In diesem Falle kann man darüber nachdenken, ob darin eine Duldungsvollmacht gesehen werden kann, dieses umfassend mit allen Diensten auch zu nutzen. Diese Voraussetzung ist vorliegend allerdings nicht dargetan. Es handelt sich nicht um den Anschluss des Minderjährigen, sondern um den Anschluss eines Elternteils.

Der Kläger haftet vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufsichtspflicht. Denn Eltern genügen ihrer Aufsichtspflicht über einen normal entwickelten Teenager, der normalerweise grundlegende Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig dadurch, dass sie das Kind über die Kosten, die durch Mehrwertdienste verursacht werden können, aufklären und ihm ggf. die Nutzung solcher Dienste verbieten. Zu darüber hinaus gehenden Maßnahmen, insbesondere zur Sperrung bestimmter Anschlüsse, sind sie nicht verpflichtet (vergl. BGH, MMR 2013, 388, 390 betr. Internetanschluss).

Eine Sperrung von Mehrwertdiensten war vorliegend den Beklagten auch gar nicht zumutbar, da eine solche Sperrung für sämtliche Familienmitglieder gilt, d.h. also auch für die erwachsenen Mitglieder, die möglicherweise einige sinnvolle Mehrwertdienste nutzen möchten. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf diverse Hotlines verwiesen, die bei Computerproblemen kostenpflichtige Unterstützung anbieten (vergl. exemplarisch Hotline des Technologieunternehmens N. für Problemfälle außerhalb der Garantiezeit). Dieser Verpflichtung ist vorliegend der Kläger nachgekommen. Wer sich darauf beruft, seine Kinder über die Gefahren von Mehrwertdiensten belehrt zu haben, muss dies glaubhaft und nachvollziehbar darlegen (vergl. Hilgert/Greth, Urheberechtsverletzungen im Internet, Rn. 913, betr. die Internetnutzung). Dies hat vorliegend der Beklagte getan. Eine Haftung aus Aufsichtspflichtverletzung kommt daher vorliegend nicht in Betracht.

Eine Haftung des Beklagten ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 45 i TKG. Dies scheitert bereits daran, dass die Klägerin nicht substantiiert dargetan hat, dass die Bereitstellung des Mehrwertdienstes ein ausschließliches Angebot an den Telefonanschlussinhaber darstellt (vergl. AG Lebach, Urteil vom 21.06.2011 - 13 C 653/10 - zitiert nach Juris). Ohne die Angabe, welche Leistungen überhaupt erbracht worden sind, lässt sich gar nicht ermitteln, an wen sich das vorliegende Angebot richtet. Bei Angeboten, die sich ausschließlich an Kinder und Jugendliche richten, ist jedenfalls davon auszugehen, dass diese sich gerade nicht an den Anschlussinhaber richtet, sondern an dessen Kinder.

Im Übrigen entfällt der Anspruch des Anbieters dann, wenn der Teilnehmer nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme der Leistung des Anbieters nicht zugerechnet werden kann. Zurechnungsmaßstab sind die §§ 276 und 278 BGB. Ausreichend ist hierfür, dass der Teilnehmer alles Zumutbare und Geeignete gemacht hat, um eine nichtgebilligte Nutzung des Anschlusses zu unterbinden. Zumutbar sind solche Maßnahmen, die einem gewissenhaften und durchschnittlichen Telefonkunden bekannt sind und zu deren Durchführung er mit vertretbarem Aufwand in der Lage ist. Insbesondere muss er die Anlage gegen die unbefugte Nutzung Dritter sichern. Dies bedeutet indes nicht, dass er auch generell Mehrwertdienste ausschließen muss, da wie oben dargetan, es nachvollziehbare Gründe gibt, warum der Anschlussinhaber selbst möglicherweise auf diese Dienste zugreifen muss und möchte. Alleine die Aufsichtspflicht gebietet eine solche Maßnahme nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 ff. ZPO.






AG Bocholt:
Urteil v. 13.11.2014
Az: 4 C 26/14


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