Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Februar 2011
Aktenzeichen: 21 W (pat) 72/08
(BPatG: Beschluss v. 17.02.2011, Az.: 21 W (pat) 72/08)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
BPatG 154
Gründe
I Die Patentanmeldung wurde am 31. August 2006 unter der Bezeichnung "Katheter zum Entfernen von Gewebe aus einem Hohlorgan" beim Deutschen Patentund Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 13. März 2008.
Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 B hat die Anmeldung mit Beschluss vom 1. August 2008 zurückgewiesen, da die Gegenstände der Patentansprüche 1 nach Hauptund Hilfsantrag I und II nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Zum Stand der Technik hat die Prüfungsstelle auf folgende Druckschriften hingewiesen:
D1 DE 691 32 093 T2 D2 DE 100 51 244 A1 D3 DE 195 40 084 A1 D4 DE 10 2004 008 370 B4 D5 DE 698 31 497 T2 D6 DE 10 2004 001 498 A1 D7 DE 699 17 817 T2 D8 EP 0 956 073 B1 D9 DE 34 27 517 C2 D10 A. Gärtner: Funktransponder in der Medizintechnik, medizintechnik 4/2006, Seite 136 - 145.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die ihr Patentbegehren mit Patentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag weiterverfolgt, wobei die Ansprüche 1 bis 7 des Hilfsantrags fälschlicherweise als Ansprüche 8 bis 14 nummeriert sind.
Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
M1 Katheter zum Entfernen von Gewebe aus einem Hohlorgan, umfassend M2 ein in der Katheterhülle vorgesehenes Lumen M3 zum Zuführen einer dem Abtragen des Gewebes dienenden Flüssigkeit zu einer düsenartigen Austrittsöffnung, M4 über die die Flüssigkeit in den der im Bereich der Katheterspitze vorgesehenen Austrittsöffnung benachbarten Gewebebereich abgegeben wird, M5 wobei eine im Bereich der Katheterspitze (11) integrierte Bildaufnahmeeinrichtung (13) vorgesehen ist, deren Aufnahmebereich auf den der Austrittsöffnung (4) benachbarten Gewebebereich gerichtet ist, dadurch gekennzeichnet, M6 dass im Bereich der Katheterspitze (11) ein Stent (24) vorgesehen ist, M7 der über einen darunter befindlichen, über ein weiteres Lumen (26) aufblasbaren Ballon (25) zum Setzen geweitet werden kann, M8a dass die Bildaufnahmeeinrichtung eine IVUS-Einrichtung oder M8b eine OCT-Einrichtung oder M8c eine IVMRI-Einrichtung ist, und M9 dass im Bereich der Katheterspitze (11) ein oder mehrere Positionssensoren (19) vorgesehen sind.
Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag weist zusätzlich noch folgendes Merkmal auf:
M10 und dass der Katheter ein Koppelinterface (6) mit optischen Signalkopplern umfasst.
Die Anmelderin hält die Gegenstände des Patentanspruchs 1 in den beantragten Fassungen für neu und erfinderisch.
Die Anmelderin beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 B des Deutschen Patentund Markenamts vom 1. August 2008 aufzuheben und das Patent DE 10 2006 040 936 zu erteilen mit den Patentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag, jeweils eingegangen bei Gericht am 21. Oktober 2008, im Übrigen mit den Unterlagen gemäß Offenlegungsschrift.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II 1.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet, denn die Gegenstände der Patentansprüche 1 sind in den Fassungen nach Hauptantrag und Hilfsantrag im Hinblick auf den Stand der Technik nicht patentfähig, da sie nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
2.
Die Erfindung betrifft einen Katheter, mit dem Ablagerungen (Stenosen) in Arterien beseitigt werden sollen (Atherektomie) (siehe Offenlegungsschrift, Absätze [0001, 0002]). Als nachteilig wird in der Beschreibungseinleitung insbesondere genannt, dass bei der Atherektomie mit Kathetern gemäß dem Stand der Technik mehrere Katheter eingesetzt werden müssen (siehe Absätze [0003, 0005]).
In der Beschwerdebegründung wird von der Anmelderin nunmehr als Aufgabe genannt, einen Katheter anzugeben, mit dem unter Aufrechterhaltung von Behandlungsgenauigkeit und Patientensicherheit die Behandlung eines Gefäßverschlusses in einem Schritt erfolgen kann.
3.
Die neuen Ansprüche ergeben sich aus den ursprünglichen Unterlagen und sind daher zulässig. Der Anspruch 1 nach Hauptantrag umfasst die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1, 12, 2, 4, 5 und 7. Die zusätzliche Merkmalsgruppe M10 gemäß dem Hilfsantrag ist aus der Beschreibung, Absatz [0041], bekannt. Die Unteransprüche wurden lediglich angepasst.
4.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 mag zwar neu sein, er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik in Verbindung mit dem Wissen und Können des Fachmanns ergibt. Fachmann ist hier ein Dipl.-Physiker, der medizinische Geräte entwickelt und der für die medizinischen Belange hinsichtlich der Anforderungen an Katheter bei der Atherektomie mit einem Mediziner zusammenarbeitet.
4.1 Anspruch 1 nach Hauptantrag:
Aus der Druckschrift D1 (siehe insbesondere die Fig. 35 und 36 mit zugehöriger Beschreibung) ist ein M1= Katheter zum Entfernen von Gewebe aus einem Hohlorgan bekannt (siehe Anspruch 1), umfassend M2= ein in der Katheterhülle 288 vorgesehenes Lumen 292 (Salzrohrleitung)
M3= zum Zuführen einer dem Abtragen des Gewebes dienenden Flüssigkeit zu einer düsenartigen Austrittsöffnung 300 (Düsenanordnung), M4= über die die Flüssigkeit in den der im Bereich der Katheterspitze vorgesehenen Austrittsöffnung benachbarten Gewebebereich abgegeben wird (siehe z. B. Fig. 3A), M5= wobei eine im Bereich der Katheterspitze 280 (Endglied) integrierte Bildaufnahmeeinrichtung 310 (Ultraschall-Wandler-Anordnung) vorgesehen ist, deren Aufnahmebereich auf den der Austrittsöffnung 300 benachbarten Gewebebereich gerichtet ist (siehe Fig. 35), und die M8a= somit eine IVUS-Einrichtung ist (IVUS = Intravaskulärer Ultraschall).
Aus der Druckschrift D1 ist es bereits bekannt, neben einem Ballon (siehe z. B. 302 in Fig. 35), der zur Fixierung des Katheters an der Gefäßwand dient (siehe Seite 4, Zeilen 16 bis 20, Seite 15, Zeilen 9 bis 12 und Seite 17, Zeilen 11 bis 13), einen zusätzlichen Ballon am Katheter vorzusehen, der nach dem Entfernen der Ablagerungen zur Dehnung des Gefäßes dient (siehe Seite 4, Zeilen 20 bis 23). Dem Fachmann ist allgemein geläufig, dass nach einer Entfernung von Ablagerungen aus Gefäßen und der Dehnung des Gefäßes zur Stabilisierung der Gefäße Stents eingesetzt werden. Es ist daher für ihn naheliegend, den zweiten Ballon gemäß den Merkmalsgruppen M6 und M7 zur Vermeidung eines weiteren Eingriffs und somit zur Schonung des Patienten gleich auf dem zweiten Ballon anzuordnen. Zum Setzen eines Stents einen Katheter mit einem Ballon zu verwenden, bei dem im Bereich der Katheterspitze ein Stent vorgesehen ist, der über einen darunter befindlichen, über ein weiteres Lumen aufblasbaren Ballon zum Setzen geweitet werden kann (M6 und M7), ist dem Fachmann auf dem Gebiet der Atherektomie mit Kathetern allgemein geläufig (siehe z. B. D3, Fig. 3, Ballonkatheter 10 mit Stent 17; D6, Fig. 2, Katheter 1 mit Ballon 10 und Stent 11; D8, Fig. 1 und 16, Katheter 14 mit Ballon 240 und Stent 230).
Davon unterscheidet sich der beanspruchte Katheter nur noch in Merkmalsgruppe M9, wonach im Bereich der Katheterspitze ein oder mehrere Positionssensoren vorgesehen sind. Auch diese Maßnahme ist dem Fachmann bei Kathetern zur Atherektomie allgemein geläufig. So ist aus der Druckschrift D2 ein Katheter für intravaskuläre Interventionen bekannt (siehe Absatz [0012]), der wie beim Anmeldungsgegenstand neben einer Bilderfassung 4, die ebenfalls gemäß den Merkmalsgruppen M8a, b und c ausgebildet sein kann (siehe Ansprüche 9, 10 und 11) auch noch einen Positionssensor 5 im Bereich der Katheterspitze aufweist (siehe Fig. und Anspruch 4). Gemäß der Druckschrift D2 ist es damit möglich, während einer Intervention ständig die aktuelle Position des medizinischen Instruments zu bestimmen und Bildinformationen aus der Umgebung des medizinischen Instruments zu gewinnen (siehe Absatz [0027]). Bei der Untersuchung von z. B. Herzkranzgefäßen kann somit mit hoher Genauigkeit navigiert werden (siehe Absatz [0013]). Für einen Fachmann ist es daher naheliegend, bei einem Katheter gemäß der Druckschrift D1 zur Erhöhung der Patientensicherheit und Behandlungsgenauigkeit einen Positionssensor vorzusehen, wie er bei Kathetern zu diesem Zweck z. B. aus der Druckschrift D2 bekannt ist.
4.2 Anspruch 1 nach Hilfsantrag:
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag weist zusätzlich zu den Merkmalen im Anspruch 1 nach Hauptantrag noch die Merkmalsgruppe M10 auf, wonach der Katheter ein Koppelinterface mit optischen Signalkopplern umfasst. Gemäß der Beschreibung (siehe Absatz [0041]) soll durch ein optisches Koppelinterface die Beeinträchtigung des Patienten durch elektrische Ströme vermieden werden. Der Fachmann ist bei medizinischen Geräten immer gefordert, diese so auszubilden, dass die Patienten z. B. durch elektrische Felder oder Ströme nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden können. Er hat daher diese Aufgabe ebenso im Blick wie die angesprochene Aufgabe der genauen und sicheren Behandlung eines Patienten durch eine Vermeidung von mehreren Eingriffen bei einer Atherektomie. Bei Kathetern zur Vermeidung von elektrischen Strömen optische Signale und entsprechende Interfaces einzusetzen ist dem Fachmann allgemein geläufig, z. B. aus der Druckschrift D4 (siehe Fig. 1 mit Glasfaserleitung 5 und Signal-Interface 10) oder der Druckschrift D6 (siehe Fig. 2, Lichtleiter 15 und Anschlusseinrichtung 3 und Absatz [0026]); diese Maßnahme ist daher naheliegend.
Wenn ein Patentanspruch auf eine bloße "Nebeneinanderstellung oder Aneinanderreihung" von Merkmalen und nicht auf eine echte Kombination gerichtet ist, genügt der Nachweis, dass die einzelnen Merkmale naheliegend sind, um zu belegen, dass die Aneinanderreihung der Merkmale nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Dies ist vorliegend bei der Merkmalsgruppe M10 der Fall, da sich durch eine Kombination dieses Merkmals mit den anderen Merkmalen im Anspruch 1 nach Hilfsantrag keine funktionelle Wechselwirkung ergibt, die einen kombinatorischen technischen Effekt oder Synergieeffekt herbeiführt, der anders ausfällt als die Summe der technischen Wirkungen der Einzelmerkmale. Es handelt sich somit um eine bloße Aneinanderreihung von Merkmalen, die jeweils für sich naheliegend sind.
5. Mit den nicht gewährbaren Patentansprüchen 1 in den beantragten Fassungen fallen aufgrund der Antragsbindung auch die Unteransprüche (vgl. BGH, GRUR 1983, 171 -Schneidhaspel).
Dr. Winterfeldt Baumgärtner Dr. Morawek Bernhart Pü
BPatG:
Beschluss v. 17.02.2011
Az: 21 W (pat) 72/08
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