Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 22. Februar 2007
Aktenzeichen: 2 U 132/06
(OLG Stuttgart: Urteil v. 22.02.2007, Az.: 2 U 132/06)
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Vorsitzenden der 40. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 30.000,- EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage, es zu unterlassen, Kundendaten ohne Einwilligung des betroffenen Kunden an Drittunternehmen weiterzugeben.
Wegen des Sachverhalts nimmt der Senat zunächst nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil der Vorsitzenden der 40. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2006 (GA 25/32 [vorgeheftet]) Bezug.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei zulässig; insbesondere sei die Klagebefugnis gegeben. Die Klage sei auch begründet, weil die Beklagte, indem sie Kundendaten ohne Zustimmung des Kunden weitergegeben habe, gegen ein wettbewerbsrechtlich erhebliches Verbot verstoßen habe. Die beanstandete Handlung sei nicht nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 BDSG erlaubt gewesen. Die Erklärungen der Beklagten gegenüber dem betroffenen Kunden seien nicht geeignet, der Klage in formaler oder sachlicher Hinsicht den Boden zu entziehen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese prozessordnungsgemäß begründet.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte auf Befragen ihren Vortrag - unstreitig bleibend - ergänzt: Sie verwendet eine vorformulierte Vertragsklausel, durch welche sie ihre Kunden die Bereitschaft erklären lässt, zu Werbezwecken angerufen zu werden. Sie beauftragt ein C€C, bei denjenigen ihrer Kunden anzurufen, welche eine solche Zustimmung erteilt haben. Der Anrufer soll im Rahmen des Telefonats auch fragen, ob der Angerufene Interesse an den Leistungen der Firma St. L. G. (künftig: Fa. G.) habe. Bejaht er diese Frage, werden der Firma G. seine persönlichen Daten unter Einschluss seiner Kontoverbindung bekannt gegeben. Zwischen der Beklagten und der Firma G. besteht eine Provisionsabrede, vermöge deren die Beklagte für jeden so benannten Kunden eine Vergütung erhält.
Die Beklagte trägt vor:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehle § 28 BDSG ein Marktbezug. Ausweislich § 1 BDSG berühre der Gesetzeszweck nicht das Wettbewerbsrecht. Eine lediglich reflexartige Auswirkung auf den Wettbewerb reiche nicht aus, dem § 28 BDSG wettbewerbliche Relevanz zuzuerkennen.
Eine Wiederholungsgefahr bestehe infolge der Einigung der Beklagten mit dem betroffenen Kunden sowie des Eingreifens des Bundesdatenschutzbeauftragten nicht mehr.
Auf Grund der Befugnisse des Datenschutzbeauftragten sei auch eine Klagebefugnis nach dem Unterlassungsklagengesetz vorliegend zu verneinen.
Sie beantragt,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil:
Die Weitergabe von Daten entgegen § 28 Abs. 3 BDSG habe wettbewerbsrechtlichen Bezug. Die Norm schütze den Verbraucher. Die Rechtsauffassung der Beklagten stelle den Kunden gegen unberechtigte Datenweitergabe schutzlos.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im zweiten Rechtszug bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 11. Januar 2007 (GA. 53/55) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf welche der Senat Bezug nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, hat das Landgericht die Klage als zulässig erachtet.
2. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin kann gegen die Beklagte wegen der beanstandeten Datenweitergabe einen Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 28 Abs. 3 BDSG geltend machen.
a) Nicht zu entscheiden braucht der Senat, ob sich die Beklagte auf der Grundlage ihrer Abrede mit der Firma G. als gewerblicher Datenhändler geschäftlich betätigte und sich durch den Verkauf beziehungsweise die entgeltliche, mit weiteren Leistungen verknüpfte Weitergabe von Kundendaten unter Verstoß gegen das Datenschutzgesetz in unlauterer Weise einen wettbewerbswidrigen Vorteil gegenüber denjenigen Datenhändlern verschafft hat, welche die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes beachten, noch ob dieser Aspekt des Handelns der Beklagten einen anderen Streitgegenstand beträfe, auf welchen die Klägerin ihre Klage nicht stützt.
Dahinstehen kann auch, ob die Weitergabe von Kundendaten entgegen der genannten datenschutzrechtlichen Bestimmung in jedem Fall einen Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG darstellt.
Ebenso kann dahinstehen, ob verneinendenfalls das beanstandete Verhalten der Beklagten als ein sonstiger, nicht in §§ 4 ff. UWG kodifizierter Fall einer unlauteren Wettbewerbshandlung im Sinne des § 3 UWG anzusehen wäre.
b) Denn die Beklagte hat sich wissentlich zur Teilnehmerin einer unlauteren Wettbewerbshandlung der Firma G. gemacht und dadurch ihrerseits selbst entgegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG und § 7 Abs. 1 UWG unlauteren Wettbewerb betrieben.
aa) Die Firma G. hat durch ihr im landgerichtlichen Urteil beschriebenes, unstreitiges Verhalten gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG und § 7 Abs. 1 UWG verstoßen.
aaa) Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) das Marktverhalten zu regeln. Die Vorschrift knüpft an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 1 UWG a.F. an, wonach unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Wettbewerbsrechts nicht jeder Rechtsbruch wettbewerbswidrig war (Begr-RegE, BT-Dr 15/1487, S. 19 unter Bezugnahme auf BGHZ 150, 343 = GRUR 2002, 825 - [Elektroarbeiten]). Die verletzte Norm muss (zumindest auch) die Funktion haben, das Marktverhalten zu regeln und so gleiche Voraussetzungen für die auf diesem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen (grundlegend BGHZ 144, 255, 266 = GRUR 2000, 1076 - [Abgasemissionen]). Dass die verletzte Norm einen Marktbezug aufweisen muss, war schon zum alten Recht entschieden worden (vgl. nur BGHZ 155, 301, 305 = GRUR 2003, 971 - [Telefonischer Auskunftsdienst]; BGH, GRUR 2004, 255, 258 - [Strom und Telefon I]) und ist nunmehr in § 4 Nr. 11 UWG geregelt (BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 - I ZR 250/03 - GRUR 2006, 872 f. [Kraftfahrzeuganhänger mit Werbeschildern]).
Der Gesetzeszweck ist nicht nur dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen, sondern er kann sich auch aus sonstigen Umständen wie beispielsweise den Gesetzgebungsmaterialien ergeben (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 171/03 - WRP 2007, 177 ff, Tz 12 [Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft]).
Ob § 28 BDSG oder einzelne Bestimmungen dieser Norm als Marktverhaltensregeln anzusehen sind, ist in Rechtsprechung und Lehre umstritten (vgl. Köhler , in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm , WettbewerbsR, 25. Aufl.[2007], § 4 UWG Rdnr. 11.42 m.w.N.). Jedoch wohnt dem Erwerb von Kundendaten, deren Weitergabe - wie unstreitig vorliegend - gegen § 28 Abs. 3 BDSG verstößt, jedenfalls dann ein Marktbezug inne, wenn der Empfänger, der um die rechtswidrige Weitergabe derselben weiß, diese Daten zu Werbezwecken oder in sonstiger Weise wettbewerbserheblich verwenden will und verwendet, wie vorliegend die Fa. G.. Denn der Empfänger bewirkt den in der Weitergabe liegenden Rechtsbruch gezielt zu dem Zweck, sich einen wettbewerbsrechtlichen Vorteil zu verschaffen (von daher unterscheidet sich die Sachlage wesentlich von derjenigen, über welche der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 11. Mai 2006 - I ZR 250/03 - GRUR 2006. 872 f. [Kraftfahrzeuganhänger mit Werbeschildern] zu befinden hatte). Spätestens durch die in Umsetzung eines Gesamtplanes erfolgte wettbewerbsrelevante Verwendung der Daten sind die durch deren Weitergabe hervorgerufenen Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht mehr bloßer Reflex des in der Weitergabe selbst liegenden Rechtsverstoßes.
bbb) Darüber hinaus war das Vorgehen der Firma G. - wenn nicht eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB - eine unzumutbare Belästigung des betroffenen Verbrauchers im Sinne des § 7 Abs. 1 UWG. Der unbefugte Zugriff auf sein Konto ist ein schwer wiegender Eingriff in seine Rechte. Der Betroffene gerät in Zugzwang. Er muss der Lastschrift widersprechen, um die rechtsgrundlose Abbuchung rückgängig zu machen. Dieser Widerspruch ist nicht unbefristet möglich. Weiß der Betroffene dies nicht oder versäumt er die Widerspruchsfrist aus anderen Gründen, so ist er gezwungen, seine Ansprüche gegen die Firma G. - notfalls gerichtlich - durchzusetzen. Ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher wird sich, sobald er von der unberechtigten Lastschrift erfährt, genötigt sehen, Rechtsrat einzuholen. Bereits die von dem betroffenen Verbraucher zu ergreifenden Maßnahmen, um die Folgen des Handelns der Firma G. selbst rückgängig zu machen, verursachen einen erheblichen Aufwand an Zeit und nicht unerhebliche Kosten. Hinzutritt die bei vielen Verbrauchern damit einhergehende Verunsicherung. Dies vermag der Senat aus eigener Kenntnis zu beurteilen, da seine Mitglieder als Verbraucher von dem Vorgehen der Firma G., erfolgte es ihnen gegenüber, in gleicher Weise betroffen wären.
bb) Der Wettbewerbsverstoß der Firma G. ist der Beklagten zuzurechnen. Denn sie hat wissentlich an diesem Wettbewerbsverstoß teilgenommen.
Unstreitig bestand zwischen ihr und der Firma G. eine vertragliche Vereinbarung, welche darauf gerichtet war, dass die Beklagte der Firma G. Kunden- und deren Kontendaten weitergebe. Dabei lag für die Beklagte auf der Hand, dass die Firma G. die Kontendaten rechtswidrig und in grob illegitimer Weise - nämlich zum unbefugten Zugriff auf die Konten - nutzen wollte. Denn wäre es der Firma G. nur darum gegangen, potentielle Interessenten für ihre Dienstleistungen genannt zu bekommen, so hätte sie der Kontendaten nicht bedurft; es hätte ihr ausgereicht, Namen und Anschriften der Interessenten genannt zu erhalten. Die Beklagte ist dem auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht entgegengetreten. Sie hat keinen anderen Gesichtspunkt vorgetragen, aus dem sich das Interesse der Firma G. an den Kontendaten erklären ließe.
Die Beklagte handelte dabei auch selbst geschäftlich. Denn sie erhielt für die Weitergabe der Kundendaten nach ihrem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine Provision.
Unerheblich ist insoweit zum einen, ob die aufgrund einer allgemeinen Geschäftsbedingung der Beklagten erteilte Zustimmung des Kunden, zu Werbezwecken angerufen zu werden, wirksam war. Ebenso kann dahinstehen, dass auch nach dem Vorbringen der Beklagten davon auszugehen ist, dass der Anrufer den jeweiligen Kunden lediglich fragen sollte, ob er Interesse an den Leistungen in der Firma G. habe, nicht aber konkret, ob er mit einer Weitergabe seiner Kontendaten einverstanden sei. Denn unstreitig fehlte es in dem vom Kläger beanstandeten Fall schon an einer Einwilligungserklärung des Kunden der Beklagten, so dass es auf Fragen der Wirksamkeit und der Reichweite einer solchen Erklärung nicht ankommt.
cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die aus ihrem beschriebenen Wettbewerbsverstoß entstandene, nach dem Gesetz vermutete Wiederholungsgefahr weder durch die vom Landgericht wiedergegebene Unterlassungserklärung, noch durch die Einigung zwischen der Beklagten und ihrem Kunden, noch durch das - nach Angaben der Beklagten im übrigen sanktionslos gebliebene - Eingreifen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz entfallen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 3 ZPO.
IV.
Die Revision wird wegen Rechtsgrundsätzlichkeit der Sache zugelassen. Die Frage eines Marktbezuges der rechtswidrigen Weitergabe von Kundendaten und der Nutzung solchermaßen erlangter Daten zu wettbewerblichen Zwecken ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich bisher noch nicht entschieden worden. Sie lässt sich aus der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht hinreichend klar beantworten, um die Rechtsgrundsätzlichkeit gleichwohl zu verneinen.
OLG Stuttgart:
Urteil v. 22.02.2007
Az: 2 U 132/06
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