Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. November 2000
Aktenzeichen: 34 W (pat) 47/00
(BPatG: Beschluss v. 20.11.2000, Az.: 34 W (pat) 47/00)
Tenor
1. Der Beschluss der Patentabteilung 11 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 12. Mai 2000 wird aufgehoben.
2. Dem Anmelder wird für das Verfahren zur Erteilung eines Patents Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Gründe
I Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Patentabteilung 11 (Vorprüfungsabteilung) den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen, weil der Anmeldungsgegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich in diesem Beschluss auf ihren Bescheid vom 5. April 2000, in dem sie zwar die Bedürftigkeit des Anmelders als hinreichend nachgewiesen erachtet, jedoch die Erfolgsaussicht auf Erteilung des Patents verneint, da die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 aus der deutschen Offenlegungsschrift 21 11 599 bekannt seien bzw sich für den Fachmann in naheliegender Weise daraus ergäben.
Gegen diesen Beschluss hat der Anmelder Beschwerde eingelegt und diese auch begründet. Er macht, wie auch schon in seiner Erwiderung auf den og Bescheid der Patentabteilung geltend, dass die anmeldungsgemäße Nagelschneidzange erstmalig mit einer frei schwenkbaren und mit einer gezielten Schwerpunktausrichtung ausgebildeten Auffangvorrichtung ausgestattet sei.
Er beantragt sinngemäß, den Beschluss vom 12. Mai 2000 aufzuheben und die Verfahrenskostenhilfe zu gewähren.
Es gelten die folgenden Patentansprüche:
1. Nagelschneidzange zum Kürzen der Finger- und Zehennägel, bei der die auf einer Seite schräg ausgebildeten Schneidbacken die Verlängerungen der sich überkreuzenden und durch einen Gelenkbolzen schwenkbar miteinander verbundenen Betätigungshebel darstellen, dadurch gekennzeichnet, daß im Schneidbereich der Nagelschneidzange eine der Form der Zange angepaßte und um die Drehachse des Gelenkbolzens frei im Öffnungswinkel des Schneidbereiches schwenkbare Auffangvorrichtung derart auf die im Gebrauch nach außen zeigende und schräg ausgebildete Zangenseite positioniert ist, daß der Schwerpunkt der Auffangvorrichtung im vorderen und zur Spitze der Zange zeigenden Bereich liegt.
2. Nagelschneidzange nach Patentanspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Auffangvorrichtung ganz oder im vorderen und zur Zangenspitze zeigenden Bereich eine federbelastete Verschiebung in die sich von der Zange entfernende Richtung vollziehen kann.
Wegen Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die gebührenfreie Beschwerde ist zulässig (PatG §§ 135 Abs 3, 73) und auch begründet.
Nach PatG § 130 Absatz 1 erhält im Verfahren zur Erteilung eines Patents ein Anmelder, der die Kosten für eine Patentanmeldung nicht aufbringen kann, auf Antrag dann Verfahrenskostenhilfe, wenn u.a. hinreichende Aussicht auf Erteilung des Patents besteht.
A) Mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Antragsteller, was auch die Patentabteilung in dem bereits genannten Bescheid einräumt, glaubhaft gemacht, dass er die Kosten für das Patenterteilungsverfahren nicht aufbringen kann.
B) Die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents ist ebenfalls gegeben.
Für die Entscheidung darüber, ob die in § 130 Abs 1 Satz 1 PatG für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe geforderte hinreichende Aussicht auf Erteilung des Patents besteht, hat die Patentabteilung zunächst den relevanten Stand der Technik zu recherchieren. Denn ohne Kenntnis des Standes der Technik ist eine verantwortliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Patentanmeldung nicht möglich (BPatGE 30, 119,121; Baumgärtner in Busse, Patentgesetz, 5. Aufl. § 130 Rdn. 32). Diese Recherche nimmt allerdings bereits einen wesentlichen Teil des Prüfungsverfahrens nach § 44 PatG vorweg. Deshalb ist beim weiteren Vorgehen der Patentabteilung darauf zu achten, daß das Prüfungsverfahren nicht ganz in das Nebenverfahren der Verfahrenskostenhilfe verlagert wird. Darum hat die Patentabteilung nach Ermittlung des relevanten Standes der Technik - wie bei einer Neuheitsprüfung - lediglich zu prüfen, ob der technische Inhalt der gesamten Anmeldeunterlagen gegenüber dem ermittelten Stand der Technik einen Überschuss aufweist, für den die Patenterteilung nicht ausgeschlossen erscheint. Diese Prüfung beschränkt sich auf einen reinen Erkenntnisakt (BGH BlfPMZ 1995, 319, 321 - Elektrische Steckverbindung). Nicht zu prüfen ist hingegen, ob ein festgestellter Überschuss - eventuell zusammen mit anderen offenbarten Merkmalen - erfinderische Tätigkeit begründen könnte, und auch nicht, ob der Gegenstand der Patentansprüche auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Denn damit wäre bereits das Kernstück des Prüfungsverfahrens vor der Prüfungsstelle vorweggenommen. Überdies wäre dies ein Akt wertender Entscheidung, der zwangsläufig ein breiteres Spektrum an Ergebnissen als die Prüfung der Neuheit erwarten läßt (BGH BlfPMZ 1995, 319, 321 - Elektrische Steckverbindung). Diese folglich differenziertere Auseinandersetzung muß daher dem eigentlichen Prüfungsverfahren nach § 44 PatG vorbehalten bleiben. Im summarischen Nebenverfahren der Verfahrenskostenhilfe ist dafür kein Raum (abw. BPatG BlfPMZ 2000, 283).
Im vorliegenden Fall findet sich ein möglicherweise patentbegründender Überschuss bereits im Patentanspruch 1, denn die Merkmale, wonach die Auffangvorrichtung "um die Drehachse des Gelenkbolzens frei im Öffnungswinkel des Schneidbereiches schwenkbar" ist und "der Schwerpunkt der Auffangvorrichtung im vorderen und zur Spitze der Zange zeigenden Bereich liegt", sind aus der zum Stand der Technik ermittelten deutschen Offenlegungsschrift 21 11 599 nicht bekannt. Die Auffangvorrichtung ("Abdeckschild") ist dort zwar "schwenk- oder/und lösbar mit der Zange verbunden" (vgl Anspruch 3); diese Verbindung erfolgt aber bspw. mittels Magnet, Saugnapf, Selbstklebestreifen oder Gummiring, vgl S 2 Abs 2), also derart, dass sie "auf eine Zange aufgesetzt und abgenommen oder zur Seite geschwenkt" werden kann (vgl S 2 Abs 1 und 2) und "gegen unbeabsichtigtes Verdrehen" gesichert ist (vgl S 3 le Abs). Auch ist in dieser Offenlegungsschrift nichts über die Schwerpunktlage der Auffangvorrichtung ausgesagt.
Eine weitergehende Prüfung dahingehend, ob nun dieser festgestellte Überschuss - eventuell zusammen mit anderen offenbarten Merkmalen - erfinderische Tätigkeit begründen könnte oder ob der Gegenstand der Patentansprüche auf erfinderischer Tätigkeit beruht, hat im Verfahrenskostenhilfeverfahren regelmäßig zu unterbleiben. Die wertende Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist vielmehr der Prüfungsstelle im Prüfungsverfahren nach § 44 PatG vorbehalten.
Die hiermit bewilligte Verfahrenskostenhilfe umfasst nicht die Anmeldegebühr, die der Anmelder bereits vor der Stellung des Verfahrenskostenhilfeantrags bezahlt hat.
Ch. Ulrich Hövelmann Dr. Barton Dr.W. Maier Bb
BPatG:
Beschluss v. 20.11.2000
Az: 34 W (pat) 47/00
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